Erklären ist nicht alles

Bei der Alchemie trennten sich die Weg von Wissenschaft und Aberglaube. So hört man oft. © Lin Barneveld under cc
Als Versprechen ist das schon nicht ohne, aber mehr ist es bislang auch nicht und zum Weltbild fehlt dann doch noch etwas. Die erklärende Kraft gerät an ihre Grenzen und in Fragen von Sinn, Ziel, Moral und Orientierung sieht es eher mau aus. Als Ratgeber ist die Wissenschaft oft top, aber außer in Einzelfragen gibt es keine klare Position ‚der Wissenschaft‚, deren Wesen es ja ist, immer neue Fragen zu stellen.
Wenn man genervt oder gar wütend ist, wie es im podcast heißt, ist aber mehr dahinter. Nämlich die Meinung, dass Menschen so nicht sein sollten. Aber wie denn dann? – lautet die zwingende Anschlussfrage. Vernünftig eben? Aber was heißt das? Es kann viel bedeuten, auch viel Gegensätzliches und Fragwürdiges. Denn genau das stellen Weltbilder den Menschen zur Verfügung, eine Orientierung und moralische Vorschriften.
So gut wie alle Wissenschaftsgläubigen sind Utilitaristen. Nutzen oder Glück maximieren und den Schaden oder das Leid minimieren. Klingt gut, das Problem ist, dass man von Banalitäten abgesehen (für die man keine Ethik braucht) sofort wieder auf der Stelle tritt, denn was ist nun der optimalen Nutzen?
- Variante 1: Vermeiden Sie Zigaretten, Alkohol und andere Drogen, sowie Extremsportarten, gesättigte Fettsäuren, Zucker und Übergewicht. Vermeiden Sie Partnerschaftsstreits, passen Sie sich sozial an die jeweils herrschende Meinung an – Widerspruch löst Stress aus, machen Sie regelmäßiges Ausdauertraining, ein wenig Muskeltraining, schlafen Sie regelmäßig und ausreichend. Entwickeln Sie nicht zu viel Ehrgeiz.
- Variante 2: Vermeiden Sie Flugreisen, Kreuzfahrten, mit Beton zu bauen und ein Verbrenner-Auto zu fahren. Essen Sie kein Fleisch, verzichten Sie auf Smartphone, Kaffee, Waren aus Übersee, reduzieren Sie Ihren Energieverbrauch, wo immer es geht. Sehen Sie zu, kein Haustier zu haben und vor allem keine Kinder in die Welt zu setzen.
Weitere Variante sind denkbar.
- Variante 3: Soziale Gerechtigkeit
- Variante 4: Gegen den Krieg
- Variante 5: Gesundheit für die Welt
Ihnen werden Optimalversionen einfallen. Manche überschneiden sich, aber andere widersprechen einander hart. Variante 1, ein langes persönliches Leben ist oft inkompatibel mit Variante 2, dem optimalen Klimaschutz. Wenn man dann noch weltweite soziale Gerechtigkeit einflechten will, wird es schwierig, eine Optimallinie zu finden.
Man müsste schauen, welcher Mensch was, wann am besten aufnehmen und verarbeiten und wer, was, wann am besten umsetzen kann. Damit betont man aber die Subjektivität, nicht die Objektivität. Vielleicht müsste man auch schauen, wer was will, denn etwas gut zu können, aber nicht zu wollen, vergrößert sicher nicht das Glück. Fragen Sie Utilitaristen mal nach den Relationen von Glückswerten, also woran man erkennt, welcher Grad an Glück, von wie vielen Menschen, welches Unglück anderer aufwiegt und warum.
Doppelte Standards und gefährliche Suggestionen
Wissenschaftsgläubige halten oft nicht viel von Ethik, mal offen, mal hinter vorgehaltener Hand. Ethik wir dabei oft als das verstanden, was Forscher bremst, aus irgendwelchen seltsamen Gründen. Das Argument lautet dann: Wenn wir es nicht machen, macht es ein anderer. Also machen wir es lieber. Manchmal heißt es auch: Wir forschen und produzieren nur, was andere damit machen, dafür können wir nichts.
In der Forschung für Waffensysteme, Gentechnik, der Pharmaforschung, Kommunikationstechnik und manch anderem geht es in vielen Bereichen längst um mehr als nur Ambivalenz, von der Massentierhaltung mal ganz abgesehen, in denen Qualzuchten und vollautomatisiert Systeme, empfindsame Lebewesen zum Ding machen, ganz zu schweigen.
Warum dieser Hintergrund? Gehen wir zurück zum Ausgangspunkt. Die Science Cops schieben ein, die Medizin könne ja auch mal was lernen, von der Homöopathie, nämlich, dass allein die Zuwendung einen sehr großen Effekt hat und die Homöopathie im schlimmsten Fall nur den Placeboeffekt optimiert hat: Ja, warum tut man es dann nicht? Warum gehen die Science Cops dieser spannenden Frage nicht nach? Hier wird dann auf medizinethische Bedenken verwiesen. Wenn man Ethik immer nur im Bedarfsfall auspackt, ist das nicht sonderlich überzeugend.
Die lapidaren Aussagen, dass Placeboeffekte nicht heilen können ist zudem vollkommen falsch. Ein Blick in die wissenschaftliche Placebofoschung reicht:
„Placebo- und Noceboeffekte […] sind seit Jahrzehnten als klinisch-relevante Phänomene bekannt. In zahlreichen klinischen Studien wurde aufgezeigt, dass bis zu 70% der Symptomverbesserung bei Medikamentengabe auf „unspezifische“ Placeboeffekte zurückzuführen sind. Dies spricht für die hohe therapeutische Bedeutung dieser Effekte. Ebenso wurde in der Arzneimittelforschung belegt, dass in vielen Placebogruppen vergleichbare Nebenwirkungsraten gefunden werden wie in den korrespondierenden Medikamentengruppen. Es handelt sich dabei um sogenannte Noceboeffekte, aufgrund derer viele Patienten die Behandlung abbrechen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass bei medikamentösen Behandlungen viele Nebenwirkungen substantiell durch psychologische Variablen beeinflusst werden und nicht ausschließlich auf die Wirkung des Arzneistoffes auf den Körper zurückgeführt werden können.
Die therapeutische Relevanz der Placebo- und Noceboeffekte steht somit außer Frage. Dennoch hat die genaue Analyse dieser Effekte erst in jüngster Zeit begonnen und steckt noch in den Kinderschuhen.“[7]
Ach ja, die Tiere. Das ist eine meiner offenen Fragen, warum Placeboeffekte bei Tieren wirken. Das wird dann doch recht schnell abgehandelt, in der bewährten Mischung. Der Placeboeffekt durch Zuwendung, der Hinweis, dass eben auch bei Tieren Symptome von selbst verschwinden und noch einmal die freundliche Erinnerung daran, dass unsere Erinnerung eben auf einer Fehlwahrnehmung beruht (auf den sich daraus ergebenden performativen Selbstwiderspruch weise ich noch mal hin). So einfach kann das sein.
Dahinter steht keine knallharte wissenschaftsgläubige Ideologie, zumindest muss und würde ich das nicht unterstellen. Aber was eher dahinter steht, ist nicht weniger schlimm. Ein flapsig unbeschwerter und oberflächlicher Umgang mit Themen, in die Thesen beiläufig eingerührt werden, die einiges an gesellschaftlicher Sprengkraft haben. Die stete, emotionalisierende Zusammenführung von Homöopathie und Religion (hören Sie nur mal die letzten 5 Minuten des podcasts, er ist oben verlinkt) ist ihrerseits schon irrational, drückt aber eine Lesart aus, mit der Wissenschaftsgläubige ihre Methode endgültig zum Weltbild machen. Kurz vor dem Ende wird noch angemerkt, dass wer die Wissenschaft leugnet, wie Homöopathieanhänger es tun, auch bei Impfung und Klimawandel abweichen könnten. Wovon? Von den Fakten, auf die man sich einigen können muss.
Es ist nicht banal zu verstehen, dass und warum Fakten konstruiert werden. Konstruiert heißt eben nicht, dass man sich die Welt zurecht wünscht, sondern, dass man am Ende bei den Prämissen landet, die man am Anfang hinein gesteckt hat. Es wäre einfacher zu erkennen, dass Religion, als Paradebeispiel für Irrationalität, zwar auf den ersten Blick plausibel erscheinen kann, aber auch nur auf diesen und letztlich verfehlt ist. Aber noch wesentlich schneller kann und muss man verstehen, dass ein emotionalisierendes Framing, bei dem etwas, was widerlegt werden soll noch zusätzlich gebasht und moralisch diskreditiert wird.
„Haben Sie sich mal gefragt, warum Alternativmedizin und ein bio-dynamischer Lebensansatz eigentlich immer wieder mal als rechtsradikal, versponnen oder beides zusammen angesehen wird?“ So war unsere Frage im Dezember 2020: Hier können Sie weiter lesen.
Es ist wichtig, dass wir uns mit den letztlich unreflektierten Deutungen, der wissenschaftsgläubige Menschen unterliegn, die weder erkennen, noch verstehen, dass sie einer Ideologie folgen, nicht widerspruchslos abfinden. Es sind dicke Bretter zu bohren, weil Menschen, die sich der Wissenschaft anschließen, in einem gewissen Automatismus glauben, nur sie könnten Recht haben, warum das nicht der Fall ist, werden wir immer wieder aufzeigen.
Quellen:
- [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Naturalismus_(Philosophie)#Merkmale_naturalistischer_Theorien
- [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Naturalismus_(Philosophie)#Kritik_religi%C3%B6ser_Ideen
- [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Naturalismus_(Philosophie)#Realismus
- [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Naturalismus_(Philosophie)#Methoden_der_Naturwissenschaften
- [5] Daniel-Pascal Zorn, Zur phil.cologne – und warum sie nichts mit Philosophie zu tun hat, https://rechtfertigung.wordpress.com/2018/06/08/zur-phil-cologne-und-warum-sie-nichts-mit-philosophie-zu-tun-hat/
- [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaft
- [7] http://placeboforschung.de/de/placebo-nocebo