Dysfunktionale Familie erkennen kann man anhand verschiedener typischer Muster. Eine dysfunktionale Familie ist ein System, in dem die Mitglieder in einem ständigen Zustand emotionaler, psychischer oder sozialer Unausgeglichenheit leben. Diese Art von familiären Strukturen kann tiefgreifende und langfristige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Betroffenen haben. Oft wachsen Menschen in solchen Umfeldern auf, ohne zu erkennen, dass das Verhalten und die Dynamik ihrer Familie alles andere als gesund sind. Sie kennen es ja schlichtweg nicht anders. Die Muster, die in dysfunktionalen Familien vorherrschen, können die Entwicklung von Kindern und Erwachsenen negativ beeinflussen. Sie können zu tiefen emotionalen und psychologischen Verletzungen führen. Dieser Artikel beleuchtet die sieben häufigsten Warnzeichen einer dysfunktionalen Familie und erläutert die Auswirkungen auf die betroffenen Personen. Zudem wird aufgezeigt, wie man sich aus diesen Mustern befreien kann, um ein gesünderes und selbstbestimmteres Leben zu führen.
1. Dysfunktionale Familie erkennen: Image wichtig!
Eine dysfunktionale Familie erkennen lässt sich oft daran, dass das äußere Bild der »perfekten« Familie über alles gestellt wird. Der Schein muss gewahrt werden, unabhängig davon, welche Konflikte oder Probleme tatsächlich im Inneren der Familie bestehen. Fehler werden vertuscht, Schwierigkeiten werden geleugnet, und kritische Diskussionen sind tabu. Wenn jemand den Mut hat, die Probleme anzusprechen, wird er häufig als Nestbeschmutzer bezeichnet oder dafür kritisiert, dass er das Bild der perfekten Familie zerstört.
Folgen für die Betroffenen

Dysfunktionale Familie erkennen kann man daran, dass sich die Dynamiken oft auf eine Person konzentrieren. © Bri under cc
Ist das Image wichtiger als das Wohlergehen der in einer Familie lebenden Menschen, so kann es zu folgenden Auswirkungen für die Psyche kommen:
- Unterdrückung von Emotionen: Wer in einer solchen Familie lebt, lernt oft, seine wahren Gefühle zu verbergen, um das äußere Bild zu wahren. Dies führt zu einem emotionalen Ungleichgewicht, da die Betroffenen nie die Möglichkeit haben, ihre wahren Gefühle zu äußern.
- Perfektionismus, Stresserleben und Angst vor Fehlern: Da Fehler in einer dysfunktionalen Familie tabu sind, entwickeln die betroffenen Mitglieder häufig einen übermäßigen Perfektionismus. Die Angst, etwas falsch zu machen, wird zu einer ständigen Quelle des Stresses.
- Gefühl, nie gut genug zu sein: Wenn das Bild der Perfektion stets über alles gestellt wird, kann sich das Gefühl entwickeln, dass man nie den Erwartungen entspricht. Weder den eigenen noch denen der Familie.
2. Die Mächtigsten müssen glücklich sein
In vielen dysfunktionalen Familien gibt es eine dominante Person, deren Launen das gesamte Familienklima bestimmen. Das kann ein Elternteil oder ein anderes Familienmitglied sein. Diese Person hat oft das letzte Wort. Alle anderen Mitglieder müssen sich ihren Launen anpassen, um Konflikte zu vermeiden. Das Wohl der mächtigsten Person, die nicht selten narzisstisch ist, steht über allem. Das führt dazu, dass alle anderen Familienmitglieder ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche hinten anstellen.
Auswirkungen der Dominanz anderer
Ein dominantes Elternteil bzw. Familienmitglied hat Auswirkungen auf die übrigen Familienmitglieder:
- Verlust der eigenen Identität: Die ständige Anpassung an die Wünsche der dominanten Person führt oft dazu, dass man sich selbst verliert. Die eigenen Bedürfnisse und Wünsche treten in den Hintergrund, und es wird schwierig, eine klare Vorstellung von der eigenen Identität zu entwickeln.
- Co-abhängige Verhaltensweisen: Das Bedürfnis, sich der dominanten Person anzupassen, kann zu co-abhängigen Verhaltensweisen führen, bei denen das eigene Wohlbefinden von der Bestätigung und den Launen der anderen abhängt.
- Schwierigkeiten, eigene Bedürfnisse zu äußern: In einem Umfeld, in dem die Wünsche der dominanten Person über allem stehen, fällt es den Familienmitgliedern schwer, ihre eigenen Bedürfnisse klar und offen zu kommunizieren.
3. »So ist diese Person eben«
Eine dysfunktionale Familie erkennen kann man auch an der Tendenz, problematisches Verhalten zu entschuldigen oder zu bagatellisieren. Wenn ein Familienmitglied sich respektlos oder missbräuchlich verhält, wird dieses Verhalten oft als »normal« abgetan. Aussagen wie »Er ist halt so« oder »Sie meint es nicht so« werden verwendet, um respektloses Verhalten zu rechtfertigen, anstatt es zu hinterfragen oder zu verändern.
Bagatellisieren ist Gaslighting
Nicht akzeptables Verhalten zu verwaschen, ist nichts anderes als Gaslighting. Gerade auf Heranwachsende hat dieses Verwaschen der Wahrnehmung und damit das Übergehen von Grenzen enorme Auswirkungen auf den Lebensweg:
- Fehlende Konfliktlösungskompetenzen: Wenn problematisches Verhalten nicht angesprochen wird, können Konflikte nicht gelöst werden. Dies führt zu einer ständigen Spannung innerhalb der Familie und verhindert eine gesunde Kommunikation.
- Niedriges Selbstwertgefühl: Die Toleranz gegenüber respektlosem Verhalten kann das Selbstwertgefühl der betroffenen Familienmitglieder erheblich schädigen. Sie lernen, sich selbst und ihre Bedürfnisse zu ignorieren.
- Toleranz gegenüber toxischem Verhalten in anderen Beziehungen: Die Gewöhnung an toxische Verhaltensweisen innerhalb der Familie kann dazu führen, dass betroffene Personen diese Muster auch in anderen Beziehungen tolerieren. Damit einher gehen weitere emotionale Verletzungen.
4. Bleib an deinem Platz

Kinder, die aufmüpfig werden, stempeln destruktive Familien als Problemkinder ab. © anthony kelly under cc
In vielen dysfunktionalen Familien gibt es starre Rollenzuweisungen. Ein Familienmitglied wird zum Sündenbock und ein anderes zum »goldenen Kind«. Ein weiteres übernimmt die Rolle des unsichtbaren Vermittlers oder »Friedenswächters«. Diese Rollen sind festgelegt und werden nicht hinterfragt. Wer versucht, aus seiner Rolle auszubrechen oder sich anders zu verhalten, wird häufig bestraft oder abgelehnt.
Auswirkungen der Rollenfestlegung
Festgelegte Rollen in der Familie erfüllen eine Funktion für die Familie und schränken den Freiraum der Betroffenen deutlich ein:
- Eingeschränkte persönliche Entwicklung: Die ständige Anpassung an eine vorgegebene Rolle hindert die Familienmitglieder daran, ihre wahre Identität zu finden. Sie haben Schwierigkeiten, sich seelisch gesund und stabil zu entwickeln.
- Schwierigkeiten, eigene Wünsche zu erkennen: Menschen, die in solchen starren Rollen gefangen sind, haben oft Schwierigkeiten, ihre eigenen Wünsche, Träume und Bedürfnisse zu erkennen.
- Angst vor Veränderung: Wer sich innerhalb der familiären Struktur nicht bewegen darf, entwickelt oft eine tiefe Angst vor Veränderungen. Diese wird als Bedrohung für das gewohnte System wahrgenommen.
5. Problem: nicht Verhalten, sondern Reaktion
In dysfunktionalen Familien wird häufig das Verhalten der Täter nicht hinterfragt, sondern vielmehr die Reaktion der betroffenen Person kritisiert. Wenn jemand verletzt oder missbraucht wird, wird diese Person oft als überempfindlich abgestempelt. Wer das Verhalten anspricht, wird häufig beschuldigt, übertrieben oder zu empfindlich zu sein, anstatt das eigentliche problematische Verhalten zu hinterfragen.
Folgen der Täter-Opfer-Umkehr
Die Reaktion der Betroffenen zu kritisieren und in den Mittelpunkt zu stellen, anstatt das problematische, auslösende Verhalten zu thematisieren, ist ein typischer Punkt, an dem man eine dysfunktionale Familie erkennen kann. Diese Täter-Opfer-Umkehr führt bei den Betroffenen zu:
- Selbstzweifel durch Gaslighting: Die ständige Abwertung der eigenen Wahrnehmung führt zu Gaslighting – einer Manipulation, die dazu führt, dass die betroffene Person an ihrer eigenen Wahrnehmung und Wahrhaftigkeit zweifelt.
- Sich selbst verleugnen: Wer ständig für seine Reaktionen kritisiert wird, lernt, seine wahren Gefühle zu unterdrücken. Er beginnt, sich selbst zu verleugnen.
- Schwierigkeiten, gesunde Grenzen zu setzen: In einem Umfeld, in dem die Reaktion auf toxisches Verhalten kritisiert wird, fällt es schwer, klare Grenzen zu ziehen und sich selbst zu schützen.
6. Grenzen sind nur Vorschläge
In dysfunktionalen Familien werden persönliche Grenzen nicht respektiert. Wer eigene Bedürfnisse äußert oder sich gegen das Verhalten anderer stellt, wird oft als egoistisch oder unangemessen dargestellt. Die eigenen Wünsche und Bedürfnisse gelten nicht als wichtig, und wer sie äußert, stößt auf Widerstand.
Auswirkungen der mangelnden Grenzziehung
Ist es den anderen Familienmitgliedern nicht erlaubt, eigene Grenzen zu ziehen, haben sie in ihrem weiteren Leben ständig Schuldgefühle, wenn sie ihren eigenen Bedürfnissen einen Stellenwert einräumen. Folgende Konsequenzen sind damit verbunden:
- Mangelnde Abgrenzung in allen Lebensbereichen: Wer in einer Familie lebt, die keine Grenzen respektiert, hat oft Schwierigkeiten, gesunde Grenzen in anderen Lebensbereichen zu setzen. Dies kann zu einer Reihe von Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen und Settings führen.
- Angst vor Ablehnung: Die ständige Ablehnung der eigenen Bedürfnisse führt zu einer tiefen Angst vor Ablehnung und Zurückweisung, die das Selbstwertgefühl stark beeinträchtigt.
- Schuldgefühle in zwischenmenschlichen Beziehungen: Personen, die in einer dysfunktionalen Familie aufgewachsen sind, haben nie gelernt, wie man gesunde Grenzen setzt, und empfinden unangemessene Schuldgefühle, wenn sie es tun.
7. Meinungen hinterm Rücken

Gerade schüchterne Menschen nehmen sich bei dominanten Menschen oft zurück. © George Kelly under cc
Statt offen über Probleme zu sprechen, wird in vielen dysfunktionalen Familien hinter dem Rücken von Familienmitgliedern gelästert oder manipuliert. Diese Art von verdeckter Kommunikation führt zu einem Klima des Misstrauens und der Verwirrung, da niemand wirklich weiß, wo er oder sie in der Familienstruktur steht.
Lüge und Vertrauensverlust
Kinder vertrauen ihren Eltern zunächst. Das ist in ihrer Natur so angelegt. Sie glauben, was ihre Eltern sagen. Nur langsam können sie sich aus dem Netz von Lügen, Verwirrungen und Verrat lösen, weil sie zunächst nicht von einer mangelnden Loyalität ihrer Eltern ausgehen. Ehe sie sich aus diesem Netz befreien und die dysfunktionale Familie erkennen, haben sie mit einer Reihe von Konsequenzen zu kämpfen:
- Angst vor Verrat: Das ständige Lästern und die Manipulation führen zu einer tiefen Angst vor Verrat und tiefem Misstrauen gegenüber der Welt und den Personen darin.
- Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen: Menschen, die in einer solchen Umgebung aufwachsen, haben oft große Schwierigkeiten, anderen Menschen zu vertrauen, da sie nie wissen, ob ihre Meinungen oder Gedanken hinter ihrem Rücken geteilt werden.
- Misstrauen in Beziehungen: Diese Unsicherheit und das Misstrauen können sich auf alle Arten von Beziehungen auswirken, sei es in Freundschaften, Partnerschaften oder sogar bei der Arbeit.
Wie aus dysfunktionaler Familie lösen
Das Erkennen einer dysfunktionalen Familie und das Verstehen der Warnzeichen ist der erste Schritt in Richtung Heilung. Die Auswirkungen einer toxischen Familie können tief und langanhaltend sein, aber es gibt Möglichkeiten, sich zu befreien. Indem man an verschiedenen Punkten ansetzt, kommt man zu einem gesünderen Leben.
- Bewusstsein schaffen: Der erste Schritt besteht darin, sich selbst einzugestehen, dass die eigene Familie toxische Muster aufweist. Dieses Bewusstsein ist der erste Schritt in Richtung Veränderung.
- Gesunde Grenzen setzen: Wer in einer dysfunktionalen Familie lebt, muss lernen, klare und gesunde Grenzen zu setzen. Nur so kann man sich selbst schützen. Es ist wichtig, sich nicht für das Verhalten anderer verantwortlich zu fühlen.
- Therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen: Ein erfahrener Therapeut kann helfen, die tief verwurzelten Muster zu erkennen und gesunde Bewältigungsmechanismen zu entwickeln.
- Ein Unterstützungsnetzwerk aufbauen: Freunde, Selbsthilfegruppen oder Mentoren können helfen, emotionale Unterstützung zu bieten und als sicherer Hafen in schwierigen Zeiten zu dienen.
- Sich selbst neu definieren: Es ist entscheidend, sich außerhalb der toxischen Strukturen der Familie neu zu definieren und eine gesunde Selbstidentität zu entwickeln.
Ungeachtet dessen, dass man eine dysfunktionale Familie erkennen kann, bleiben dennoch tiefe Wunden, wenn man selbst davon betroffen ist. Schließlich gehören auch Vergeben und Vergessen zum Konzept einer dysfunktionalen Familie. Schnell können Schuldgefühle und Scham aufkommen, wenn man versucht, die Rolle zu verlassen. Auch ist es nicht einfach, sich aus diesen Mustern, mit denen man von Kindheit an groß wurde, zu befreien. Dafür bedarf es immer wieder Selbstreflexion, einer bewussten Justierung des eigenen moralischen Kompasses sowie auch der Unterstützung durch beispielsweise vertraute Personen. Der Weg zur Heilung erfordert Mut und Geduld, aber er führt zu einem erfüllteren und gesünderen Leben.
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