Ein Narzisst im Alter wird nicht unbedingt verträglicher. Sowohl ein narzisstischer Vater als auch eine narzisstische Mutter können im Alter immer noch übermächtig sein. Erwachsene Kinder, die früher narzisstische Eltern oder Elternteile in der Kindheit auszuhalten hatten, fühlen sich ungeachtet der problematischen Vergangenheit verpflichtet, für die alternden Eltern da zu sein. Obwohl sie im Laufe ihres Lebens versucht haben, sich von Mutter oder Vater abzugrenzen und von den Herabsetzungen zu heilen, werden sie beim Umsorgen der Eltern erneut mit den narzisstischen Degradierungen und Manipulationen konfrontiert.

Wie ändert sich ein Narzisst im Alter?

Narzissmus kann sich im Alter bei Frauen und Männern verstärken beziehungsweise auf andere Art zeigen. Häufig bleiben die Grundzüge der narzisstischen Verhaltensweisen bestehen. Mitunter verändert sich die Dynamik, weil ältere Narzissten und Narzisstinnen bereits verschiedene Herausforderungen und Krisen im Leben durchlaufen mussten.
Möglicherweise gibt es vereinzelt Einsichten und Änderungen bestimmter Verhaltensweisen oder ein stärkeres Zurücknehmen der eigenen Persönlichkeit, was für eine Besserung der narzisstischen Charakterstruktur sprechen könnte. Auch wissen Betroffene durch die zunehmende Lebenserfahrung mitunter, welche Ansichten sie besser nicht mehr offen äußern sollten oder was sozial erwünschte Antworten sind. Es kann also sein, dass ein Narzisst im Alter tatsächlich einsichtiger wird oder sich einfach nur zurücknimmt.

Soziale Isolation kann Verhalten verstärken

Porträt eines alten Mannes in Schwarz-Weiß

Für erwachsene Kinder mit einer problematischen Kindheit kommt irgendwann die Frage auf, inwieweit sie sich um ihre Eltern im Alter kümmern sollen. © Theodor Hensolt, Street Fotographer under cc

In vielen Fällen verringert sich der soziale Kreis im Alter. Die Kontakte werden weniger. Und so wäre der Verlust einer sozialen Beziehung durch beispielsweise einen Streit mit hohen Kosten verbunden. Folglich reißen sich viele narzisstische Menschen vermutlich im Alter auch etwas zusammen, weil sie auf die Menschen in ihrem Umfeld angewiesen sind.

Insgesamt zeigt sich jedoch oft in bestimmten Situationen wie Konflikten oder bei subtilen Anmerkungen, dass Narzissmus im Alter nicht unbedingt besser wird. Häufig bleibt er durchaus bestehen. Auch kann es sein, dass verdeckter Narzissmus im Alter offenkundiger wird, weil sich die betreffenden Personen nun weniger zusammenreißen. Deshalb entsteht beim Umfeld der Eindruck, manche Menschen würden im Alter narzisstischer. Oder sie fragen sich, ob man im Alter ein Narzisst werden kann. Meistens bestanden die Eigenschaften schon vorher, wurden aber vielleicht lediglich verdeckt gezeigt und äußerten sich nur subtil.

Nicht selten zeigt sich ein bestimmtes Muster, wenn Narzissten alt werden.

1. »Du musst dich um mich kümmern«

Allgemein sind narzisstische Personen der Ansicht, ihnen würde mehr zustehen. Demzufolge findet sich auch bei Narzissten im Alter die offene oder versteckte Ansicht, dass man sich um sie kümmern müsse. Natürlich ist es absolut legitim, als erwachsenes Kind für die eigenen alten, vielleicht sogar pflegebedürftigen Eltern da zu sein. Doch narzisstische Eltern fordern es deutlich stärker ein. Sie beanspruchen mehr Zeit vom Kind und stellen infrage, wenn das Kind sie nicht so oft besuchen kann. Es kann direkte und indirekte Schuldzuweisungen geben und Vorwürfe, weil man nach ihrer Ansicht viel zu selten bei ihnen sei.

Das Leben des Kindes mitsamt der Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes und dem Umsorgen der eigenen Kinder ist für einen narzisstischen Vater oder eine narzisstische Mutter weniger existent. Selbst wenn es hin und wieder Aussagen geben sollte, die Verständnis für das anstrengende Leben des erwachsenen Kindes zeigen, treten unterschwellige Forderungen immer wieder zutage. Es wird ein schlechtes Gewissen gemacht und misstrauisch hinterfragt, warum die Kinder keine Zeit für die Eltern haben.

In vielen Familien ist es bei Geschwistern so, dass ein erwachsenes Kind seiner eigenen Wege gehen darf, wohingegen von dem anderen erwartet wird, sich um die Eltern zu kümmern.

2. »Ich bin richtig krank«

Älterer Mann mit zerzausten Haaren auf der Straße

Ein Narzisst im Alter trägt manchmal eine gewisse Verwirrung zur Schau. © Paul Kavin Grey under cc

Natürlich kommen im Alter Erkrankungen dazu und diese Herausforderungen in höheren Lebensjahren sollen auf keinen Fall negiert oder abgeschwächt werden. Mit ernsthaften Erkrankungen zu kämpfen ist eine Schwierigkeit, mit der man erst einmal umgehen lernen muss. Demzufolge ist es ein schmaler moralischer Grad, das Verhalten narzisstischer Menschen im Alter vor dem Hintergrund einer Erkrankung zu beleuchten, ohne ihnen die Leiden selbst in Abrede zu stellen. Doch die erwachsenen Kinder mit ihren Eindrücken alleine zu lassen und sie für ihre Wahrnehmungen zu verurteilen, wäre ebenso nicht in Ordnung. Besprechen wir also, was für viele ein Tabu-Thema ist, aber dennoch besprochen werden muss.

Bedürftigkeit übermäßig betont

Manchmal wird von älteren männlichen und weiblichen Narzissten die eigene Bedürftigkeit stärker herausgestellt und dafür benutzt, um noch mehr Umsorgen einzufordern. Sie stellen ihr Leiden mitunter zur Schau, tun beschränkt und sind aber, wenn es darauf ankommt, durchaus klar im Kopf. Einige Krankheitssymptome werden funktionalisiert, um Aufmerksamkeit und Zuspruch zu bekommen. Wenn Narzissten alt werden, nutzen sie auch oftmals ihre Krankheitssymptome, um andere zu drangsalieren.

Kinder narzisstischer Eltern haben nicht selten ihr Leben lang ein schlechtes Gewissen gemacht bekommen. Ihnen wurde seit der Kindheit häufig suggeriert, sie hätten etwas falsch gemacht und wären nicht gut genug. Dementsprechend sind die Kinder im Umgang mit dem narzisstischen Elternteil für das schlechte Gewissen umso empfänglicher. Auch weil die Gesellschaft sagt: »Aber es sind doch deine Eltern, du musst dich um sie kümmern.« Viele Kinder ertragen dann still leidend die narzisstischen Spitzen und Herabsetzungen, die immer wieder durchkommen.

3. »Mach es so, wie ich es sage!«

Narzisstische Menschen haben gern die Kontrolle. Das ändert sich auch mit dem Alter nicht. Trotz aller Schwächen, die durch Altersleiden und Erkrankungen entstehen, können sie weiterhin sehr dominant und kontrollierend sein. Alles soll sich um sie drehen. Alles soll so laufen, wie sie es sagen. Andernfalls gibt es Stress. Dieser Stress kann sich dann auch dahingehend zeigen, dass einige Krankheitssymptome wie Herzschmerzen oder Probleme mit der Atmung stärker werden. Für die umsorgenden Menschen von narzisstischen Personen ist es dann schwer auszumachen, ob es sich um eine tatsächliche Verschlimmerung handelt oder diese nur funktionalisiert wird.

Auf andere angewiesen zu sein ist für keinen Menschen eine schöne Erfahrung. Das Abhängigkeitserleben und ein aufkommendes Schamgefühl, etwa weil man von einer fremden Person geduscht wird, ist emotional nicht leicht zu bewältigen. Das gilt auch für Personen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur. Manche lehnen die Pflege durch Pflegepersonal ab und erwarten, dass die ebenfalls ältere Partnerin/der ältere Partner diese Aufgaben übernimmt oder eben die erwachsenen Kinder. Neben der Scham kann ein Grund dafür darin liegen, dass nahestehende Bezugspersonen eher drangsaliert und befehligt werden können. Und so können narzisstische Mütter und Väter regelrecht zu Tyrannen werden.

4. »Ich bin immer noch wichtig!«

Eine ältere Frau, Grande Dame, mit Hut

Narzisstische Mütter fahren mit ihren Herabsetzungen auch im Alter fort. © photoscarce under cc

Narzisstische Menschen tun vieles dafür, um kein Nichtigkeitserleben oder eine innere Leere empfinden zu müssen. Im Alter wird die Abwendung dieser unangenehmen Gefühle umso schwieriger. Da die eigenen Kompensationsstrategien zur Abwehr unguter Gefühle (wie beispielsweise das Holen von Anerkennung im Außen) so nicht mehr funktionieren, kann es zu narzisstischen Krisen kommen. Denn im Alter sind Narzissten oft sozial isolierter (Einsamkeit im Alter ist ja generell ein Problem). Ihre Neigung zu Sticheleien und Konflikten kann zudem dafür sorgen, dass immer mehr Menschen sich abwenden. Narzisstische Personen haben allgemein nicht die Fähigkeit oder Bereitschaft, sich auf andere einzulassen. Das fällt in einem kleineren Rahmen besonders auf.

Zurschaustellung und Frustabbau

Im Alter zeigt sich die Selbstbezogenheit narzisstischer Eltern auf verschiedene Weise. Beispielsweise erzählen narzisstische Väter von sich und stellen sich in Geschichten von früher als Held oder als Opfer dar. Sie zeigen sich betont desinteressiert, wenn die Kinder etwas aus ihrem Leben berichten wollen. Böse Spitzen und Herabsetzungen sind zumeist nach wie vor an der Tagesordnung. Soziale Interaktionen gestalten sich dadurch unangenehm und einseitig.

Narzisstische Mütter gehen auch im Alter oft nach wie vor in Konkurrenz zu ihren erwachsenen Töchtern. Sie blenden den Verlust ihrer Jugend aus und geben sich beispielsweise betont jugendlich. Oder aber sie schikanieren die Kinder, indem sie ihnen gegenüber herausstellen, dass sie es seinerzeit viel besser gemacht hätten als die Kinder heute. Auch arbeiten narzisstische Mütter genauso stark mit Schuldgefühlen. Sie tun dies subtil, um die erwachsenen Kinder in einer Bindungsschuld zu halten. Sie klagen viel und fordern aber auch im Zuge dessen viel von ihren Kindern ein.

Die soziale Isolation durch das Alter und die verminderte Aufmerksamkeit können zu mehr Frust bei einer Narzisstin/einem Narzissten im Alter führen. Durch den Verlust der Arbeit und einer geringeren sozialen Teilhabe fehlt die Bühne und alles konzentriert sich auf vereinzelte soziale Interaktionen. Den Frust darüber arbeiten narzisstische Personen über diese ab. Eskaliert ein Konflikt, geben sich viele narzisstische Menschen harmlos und unschuldig. Sie selbst haben nach ihrer Ansicht nichts zur Eskalation beigetragen.

Bietet sich dagegen eine Gelegenheit, sich zur Schau zu stellen, beispielsweise im Krankenhaus in Gegenwart einer jungen, attraktiven Ärztin, werden viele männliche Narzissten dies tun.

Umgang mit Narzisst im Alter

Die Pflege narzisstischer Eltern kann für die Kinder eine emotionale Herausforderung sein. Auch Partnerinnen oder Partner, die narzisstische Personen pflegen, haben kein leichtes Los. Nicht selten sind sie Kümmer-Naturen, die sich schon früher vermehrt um den Beziehungsmenschen gekümmert haben und ihr Leben um ihn herum anordneten. Dysfunktionale Partnerschaften, allgemein auch als toxische Partnerschaften bezeichnet, bestehen also auch im Alter fort.

Gerade bei der Pflege von älteren narzisstischen Personen ist seitens der erwachsenen Kinder eine Abgrenzung wichtig. Viele entscheiden sich, sich um die alternden Eltern zu kümmern, unabhängig davon, wie die eigene Kindheit verlief. Andere wiederum ziehen eine physische Distanz vor. Jeder Mensch sollte für sich entscheiden, wie er mit den alternden narzisstischen Elternteilen umgeht. Niemand kennt die individuelle Lage. Gesellschaftliche moralische Standards dahingehend, dass »man sich doch um die Eltern kümmern müsse«, sollten nicht unbedingt bei einer missbräuchlichen Kindheit angeführt werden.

Narzisst im Alter: Innere Abgrenzung wichtig

Mutter steht hinter Tochter, beide schauen in die Kamera, Schwarz-Weiß-Bild

Das Konkurrenzverhalten narzisstischer Mütter gegenüber ihren Töchtern kann sich ein Leben lang bis ins Alter ziehen. © Matteo Bagnoli under cc

Wichtig ist, für sich selbst zu entscheiden, ob und welche Aufgaben man übernehmen kann und mag – und dabei auch immer auf einen genügenden inneren Abstand zu achten. Es ist ebenso wichtig, sich von den Herabsetzungen und Manipulationen nicht mehr vereinnahmen zu lassen.

Ein höfliches, aber entschiedenes Auftreten kann helfen, um der destruktiven Behandlung durch einen narzisstischen Vater oder eine narzisstische Mutter Einhalt zu gebieten. Sind narzisstische Personen auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen und bemerken sie eine gewisse Stärke beim Gegenüber, kann es sein, dass sie die Sticheleien eindämmen oder unterlassen. Denn die Alternative zur Pflege durch die Angehörigen wäre zum Beispiel ein Heimaufenthalt, der von vielen nicht gewünscht ist.

Schuldgefühle hinterfragen

Kinder narzisstischer Eltern sollten unbedingt ihre eigenen von den Eltern suggerierten Schuldgefühle hinterfragen und sich davon abgrenzen. Das Zuschreiben von Schuld ist letztendlich auch nur eine Manipulation. Kinder werden in der Schuld gehalten, damit sie aus Sicht narzisstischer Eltern funktionieren. Um sich selbst nicht dermaßen schuldig zu fühlen, macht es Sinn, vergangene negative Erfahrungen aus der Kindheit sowie die Verhaltensweisen der Eltern aufzuschreiben. So entkommt man einer übermäßigen Loyalität zu den Eltern und kann die Lage so bewerten, wie sie tatsächlich ist. Zudem hilft es, die Geschichte der Eltern zu verstehen. Inwiefern sind diese traumatisiert durch Krieg oder eine problematische Kindheit. Jenes Hinterfragen soll die Verhaltensweisen der Eltern nicht entschuldigen, es hilft aber, sie weniger persönlich zu nehmen.

Je besser der innere Abstand zu narzisstischen Eltern ist, umso leichter können auch etwaige Versorgungsaufgaben oder Besuche getragen werden, sollte man sich dafür entscheiden.

Dem eigenen Ermessen folgen

Auch kommt es in Bezug auf einen Narzissten im Alter darauf an, immer wieder in den räumlichen Abstand zu den Eltern zu gehen. Sonst kommt man emotional ständig aus dem Gleichgewicht. Man selbst hat auch ein Leben und dieses darf und sollte geführt werden. Für die Kinder narzisstischer Elternteile ist es oftmals schwerer, sich ein eigenes stabiles Leben mit einem gefestigten Selbstwert aufzubauen, da sie in den narzisstischen Manipulationen und Verunsicherungen ihrer Eltern von klein auf verwoben waren. Dieses eigene Leben ist den Betroffenen nun umso wertvoller und sollte als solches auch in seiner Friedlichkeit geschützt werden.
Davon losgelöst kümmern manche erwachsene Kinder sich um ihre Eltern in einem Rahmen, den sie vor ihrem eigenen Seelenfrieden vertreten können. Es bleibt eine Frage der Balance, ob und inwieweit betroffene Kinder sich entscheiden, die Eltern zu pflegen. Das liegt im Ermessen jedes einzelnen Menschen und ist vor dem Hintergrund seiner Geschichte nicht zu verurteilen. Ein Narzisst im Alter kann sich weniger oder mehr narzisstisch verhalten. Folglich ist es immer vom Einzelfall abhängig, inwiefern man den Kontakt zu einer narzisstischen Mutter oder einem narzisstischen Vater noch suchen mag.

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