
Die Kugeln des Bösen. © Kai-Uwe Wagner under cc
Wissenschaftsgläubige Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie denken, die Menschen sollten einfach mehr auf die Wissenschaft hören, dann ginge es uns allen besser.
Der erste, spontane Gedanke könnte nun sein: Wieso, stimmt doch? Angesichts des Klimawandels wäre es nicht nur vernünftig, sondern sogar dringend geboten, dass wir Menschen mehr auf die Wissenschaft hören. Bei Corona ist die Sache bereits ambivalenter: Stand heute würde ich sagen, dass viele Menschen der Wissenschaft ausgesprochen dankbar sein können, dass sie in kurzer Zeit Impfstoffe entwickelt hat, die das Leben vieler Millionen Menschen gerettet hat. Andererseits sind die Impfstoffe, wenn man immer wieder nachimpfen muss, nicht besonders gut, die Gefahr von Impfschäden, die Jahre lang klein geredet wurde, scheint größer zu sein, als man dachte und wie sich andauernde Impfungen – wer weiß, was noch kommt? – auf unser Immunsystem auswirken, weiß noch niemand zu sagen. Zudem ist die Hypothese, dass das Virus einem Laborunfall entspringt, alles andere als vom Tisch.
Inspiriert hat mich jedoch etwas anderes. Ich höre gerne Radio und mein täglich Brot sind auch Wissenschaftssendungen, die ich immer wieder mit Gewinn höre. Neulich ging es um die Homöopathie, aus wissenschaftlicher Sicht. Der Beitrag war auch ein Teaser für ein podcast: Science Cops: Homöopathie – Potenzierter Unfug.
Ich habe meine eigene Meinung zur Homöopathie, aber darum soll es hier nicht gehen. Was mich reizte den podcast zu hören, war die Aussicht eine Erklärung dafür zu bekommen, warum es nichts aussagen soll, wenn homöopathische Mittel – angeblich oder tatsächlich – Tieren helfen. Darauf gehe ich später kurz ein.
Was sind die Feindbilder wissenschaftsgläubiger Menschen?
Wissenschaftsgläubige Menschen sind in der Regel überzeugt davon, sehr rational zu sein, die Welt im Großen und Ganzen viel besser zu verstehen, als jene seltsamen Mitmenschen, die aus irgendwelchen Gründen (meistens, aus einem Mangel an Intelligenz, wie sie meinen) noch nicht so weit sind und einfach nicht verstehen wollen oder können, was jeden klar denkenden Menschen geradezu anspringen muss. Wer nicht zu dumm ist, ist ideologisch irgendwie verbogen, ein gleichermaßen bedauernswerter, wie Ärger auslösender Zeitgenosse, denn gegen Dummheit (und das was ihnen als solche erscheint) sind wissenschaftsgläubige Menschen allergisch.
Das war dann auch ein immer wieder zu hörender Punkt der Science Cops, Homöopathie, das sei ja mit einer Religion zu vergleichen. Und bei Religionen ist nun mal Schluss mit lustig, denn hier meinen wissenschaftsgläubige Menschen öfter mal Dummheit und Ideologie vereint vorzufinden. In einer oft sehr einseitigen Lesart meint man, die Wissenschaft habe sich von der Religion als alter Form der Welterklärung abgelöst und bestenfalls meint man, etwas paternalistisch, religiöse Menshen seien halt nicht so weit gewesen.
Wir brauchen nur wiki als Referenz zu nehmen, da findet man die Feindbilder sauber aufgelistet. Falls sich jemand fragt, was denn der Naturalismus mit der Wissenschaft zu tun hat: Es ist die philosophische Denkrichtung, aus der Wissenschaft kommt. Auch wenn Philosophie durchaus ebenfalls zu den Feindbildern zu rechnen ist oder anders formuliert, Wissenschaftsgläubige nicht immer über ihre eigenen weltanschaulichen Hintergründe Bescheid wissen oder sogar meinen, sie hätten keine, denn für sie würden nur Fakten zählen.
„Naturalistische Theorien teilen den Anspruch, ein Weltbild zu entwerfen, das an den Erklärungsmethoden der Naturwissenschaften orientiert ist. In diesem Sinne lassen sich einige typische Merkmale des Naturalismus identifizieren: Realismus, Physikalismus, Religionskritik, Reduktionismus, eine Eingrenzung auf die Methoden der Naturwissenschaften und eine Ablehnung der Metaphysik.“[1]
„Zunächst werden natürliche Phänomene im Naturalismus oft in Abgrenzung zu religiösen oder mystischen Phänomenen verstanden. Die religionskritische Komponente des Naturalismus hat insbesondere in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine große Rolle gespielt.“[2]
Aber das ist nicht alles:
„Der naturalistische Realismus ist nicht nur gegen den subjektiven Idealismus gerichtet, sondern dient auch der Abgrenzung von relativistischen und subjektivistischen Theorien.“[3]
Das klingt harmlos, ist aber brisant. Später mehr dazu.
„Tatsächlich werden von Naturalisten viele Varianten der modernen Wissenschaftsgeschichte oder Wissenschaftssoziologie kritisiert. Es wird zwar anerkannt, dass sich der Wissenschaftsbetrieb auch als ein soziales und historisches Phänomen untersuchen lässt, dennoch betonen Naturalisten, dass die Erkenntnisse der Naturwissenschaft grundlegender seien und sich nicht durch historische oder soziale Kontexte relativieren lassen. Auch findet sich bei vielen Naturalisten eine Ablehnung etwa der poststrukturalistischen Literaturtheorie und Kulturwissenschaft sowie der Psychoanalyse.“[4]
Also kurz gesagt, Interpretationswissenschaften sind für Wissenschaftsgläubige problematisch, die haben es gerne klar und einfach: Fakten, Messen, Gleichungen lösen. Wo der Mensch versagt, macht das eben der Computer. Aber schauen wir auf der anderen Seite wofür wissenschaftsgläubige Menschen sind.
Die Wissenschaft weiß nicht, was sie sein will: Methode oder Weltbild
Einerseits möchte die Wissenschaft Methode sein. Ein Verfahren, was man auf jedes Problem der Welt anwenden kann. Man hat eine Frage, entwirft eine Theorie, wie diese zu lösen sei, kreiert ein Experiment mit dem man Daten erhebt und wertet diese aus. Damit ist das Problem gelöst und man kann sich – wissenschaftlich gesichert – nun daran orientieren.
Klingt gut, aber es wird schnell klar, dass es da ein Problem gibt, denn wissenschaftliche Studien gibt es wie Sand am Meer und jeder kann sich die herausgreifen, die er gerne hätte. Dabei ist alle paar Jahr wechselnde Antwort auf die Frage, ob Kaffee oder Sonnenlicht nun Lebensretter oder Teufelszeug ist nur Kindergarten. Natürlich wissen Wissenschaftler, dass sich in vielen Fragen des Lebens diverse Kausalketten überlagern, durchdringen und sich dabei auch wechselseitig abschwächen oder verstärken.
Man muss die Daten eben gewichten, sofern man die nachvollziehen kann. Zu diesen Ergebnissen kommt man gerade in der Medizin. Die Standarddosierung von Medikamenten orientiert sich häufig an jungen, gesunden Männern und inzwischen erkennt man immer mehr, dass man nicht nur die Dosierung aufgrund des Körpergewichts für Frauen, Kinder und manchmal auch Ethnien anpassen muss, sondern, dass manche Symptome (man denke an den Herzinfarkt bei Frauen, den schwereren Coronaverlauf der Männer oder die geminderte Alkoholtoleranz einiger Asiaten) und Medikamentenwirkungen tatsächlich unterschiedlich sind.
Wenn wir an bestimmte Psychopharmaka denken, dann wirken sie beim 25-Jährigen Maik, blond, 185 cm, sportlich, aus Braunschweig deutlich anders als beim 25-Jährigen Mike, blond, 185 cm, sportlich, aus Braunschweig. Damit sind wir an einem ersten heiklen Punkt, denn nicht nur bei wiki ist von „der Abgrenzung von relativistischen und subjektivistischen Theorien“ die Rede, auch bei den Science Cops heißt es, es sei die zentrale Aufgabe der Wissenschaft subjektive Erfahrungen in objektive Erkenntnisse zu überführen.
Aber wie sieht denn nun so ein wissenschaftlich optimiertes Modellleben aus? Was soll man tun und was lassen? Gemäß der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Soll man sich nun supernützlich verhalten, angesichts des Klimawandels auf Fleisch verzichten, auf Urlaub, auf individuelle Mobilität, jenseits des Fahrrads? Wobei, Corona und öffentliche Verkehrsmittel, schwierig. Oder soll man sich für sich selbst optimieren? Also Schritte zählen, Kalorien zählen, Stress vermeiden, sich für den Arbeitsmarkt optimieren? Welches Leben ist denn eigentlich vernünftig? Wirklich für jeden dasselbe? Oder gibt es einen computeroptimierten Neigungs-Nutzen-Koeffizienten, der aus privaten Vorlieben und gesellschaftlichem Bedarf das Optimum ermittelt? Lassen wir den psychologisch nicht ganz unerheblichen Punkt, dass es ein Unbewusstes gibt, das es oft verhindert, dass man seine Neigungen und Bedürfnisse klar erkennt und artikulieren kann, mal beiseite.
Aber will man das wirklich? Das eigene Leben vom Computer regeln lassen? Nach autonomem Fahren bald autonomes Denken? Wobei es hier um die Autonomie der Computer geht, die des Menschen spielt keine Rolle. Siri sag‘ mir, wen ich wählen soll. Alexa, wer sollte mein Lebenspartner werden? Komplett fremdbestimmt im Namen der Vernunft? Ist das wirklich vernünftig? Oder erklärt man uns demnächst, dass Freiheit nur eine Wahrnehmungsstörung ist? Die Hirnforschung will das ja schon nachgewiesen haben. Das kann man zwar philosophisch widerlegen, aber wenn man im Rahmen des betreuten Denkens meint herausgefunden zu haben, dass der freie Wille nur eine Illusion ist, braucht man die Philosophie gar nicht mehr anzuhören und für Argumente gibt es auch keine wissenschaftliche Maßeinheit. Hier ist die Methode dann schleichend in ein Weltbild übergegangen.