Verschmelzungen und Einheitserfahrungen in regressiven und faschistischen Bewegungen

demeter ist für die einen der Gipfel der Qualität, andere finden dort ein vorwissenschaftlich-magisches Weltbild. © storebukkebruse under cc

Angefacht wird der Konflikt, wenn die Natur oder der Kosmos in Gänze als lebendiger Organismus betrachtet wird, der dann auch noch zum intelligenten Dialog fähig ist. Das stellt ungefähr alles in Frage, was die Aufklärung ausmacht. Doch da ist noch etwas. Auch Faschisten sehen die Nation als einen Körper oder Organismus an. Als eine verschmelzende Einheit von Volk, Führer und Nation. Man denke an Begriffe wie den ‚Volkskörper‘ oder das, was Timothy Snyder über die Bedeutung und Sichtweise Iwan Iljins ausführt:

„Die Unschuld nahm eine konkrete biologische Form an. Was Iljin sah, war ein unberührter russischer Körper. Wie die Faschisten und andere, die seinerzeit auf autoritäre Strukturen setzten, bestand Iljin darauf, dass die Nation ein lebendiges Wesen sei, „ein natürlicher und beseelter Organismus“, ein Lebewesen aus dem Garten Eden, ohne durch die Erbsünde belastet zu sein. Wer zum Innenleben dieses russischen Organismus gehört, entscheidet nicht der Einzelne. Eine Zelle habe auch keine Entscheidungsbefugnis darüber, ob sie zu einem Körper gehöre oder nicht.“[1]

Zuvor heißt es bereits:

„Es ist eine totalitäre Vision. Wir sollen uns nach einem Zustand sehnen, in dem wir alle dasselbe denken und fühlen, was bedeutet, dass wir gar nicht mehr denken und fühlen. Wir müssen aufhören als Individuen zu existieren. „Das Böse beginnt, wo der Einzelne beginnt“, schrieb Iljin. Es ist gerade unsere Individualität, die die Fehlerhaftigkeit der Welt beweist.“[2]

Wir finden also eine radikale Entindividualisierung und Kollektivierung. Die höchste Aufgabe des Einzelnen ist es im Kollektiv oder im Volkskörper aufzugehen, als entindividualisierter Teil des Ganzen. Das ist faschistisch, rückwärts gewandt und antiaufklärerisch, in der Tat. Der Reiz liegt darin, dass es sich für den Einzelnen dennoch gut anfühlen kann. Als Mitglied einer zu allem entschlossenen Schicksalsgemeinschaft fühlt man sich nicht schlecht, sondern bedeutsam. Schon die Regressionen der ersten Stufe sind in ihrer Entlastung vom Über-Ich entspannend. Man steht nicht mehr als Individuum im Fokus. Hier kann man sich mal gehen lassen, für die Dauer eines Fußballspiels, Rockkonzerts oder einer wilden Party. Doch auch die Regressionen auf die zweite Stufe fühlen sich nicht schlecht an, insbesondere, wenn man ein Gefühl aufrecht halten, eine Stimmung immer wieder inszenieren kann, nämlich jene, im Vorfeld einer alles entscheidenden Schlacht zu stehen. Dazu braucht man einen äußeren Feind, der inneren Zusammenhalt erfordert – aber auch riesiges Misstrauen gegen potentielle Verräter evoziert – und einen charismatischen Führer, der diese Stimmung erzeugen und kanalisieren kann.

Wenn alle überzeugt sind zu einer Einheit zu verschmelzen, zu einer Schicksalsgemeinschaft mit besonderer Mission und innerlich an etwas anzuknüpfen, was man man zu kennen glaubt, was sich einfach nur wiederholt, weil sich sie gleichen Muster immer wiederholen, dann ist man in einer Form der Ewigkeit angekommen, in der das Leben mit einem Sinnangebot prall gefüllt ist. Das beste, was man machen kann, ist einfach mitzumachen in dem ewigen Kampf, der das Leben ist, aber in dem man privilegiert ist, weil man die Mächte des wahrhaft Guten und Gerechten auf seiner Seite weiß. Eine Zelle im Körper, eines lebendigen, ja heiligen Organismus, entweder man siegt triumphal oder man geht gemeinsam unter, aber das ist fast schon egal, denn diese faschistische Erzählung ist eine des ewig andauernden Kampfes, weil die Natur, die Welt eben so ist. Erfüllter kann ein Leben nicht sein.

Es gibt diese Erzählungen, es gibt diese Tendenzen und die Narrative des ewigen Kampfes. Und was hat das jetzt alles mit den Bachblüten, Reiki, Rohkost und dem Wassertreten zu tun?

Esoterik, Naturkost und die ähnlichen Bilder von der Natur und der Einheit

Es sind ähnliche Erzählungen, die man hier findet. Bilder und Narrative eines Ökototalitarismus, bei dem es vorrangig darum geht, dass der Mensch seinen Platz in der weisen Ordnung der Natur einzunehmen habe und dann sei alles gut. Aber das tut der Mensch nicht, er stört ständig die Ordnung, hält sich nicht an die Regeln, die sich doch überall seit Äonen bewährt haben.

Darum schlägt dann die Natur zurück, darum wird der Mensch krank, so lauten einige Ideen, die wiederum auf die Idee einer natürlichen, kosmischen oder archetypischen Ordnung zurück greifen. Auch hier wird dem Menschen gesagt, er solle sich einordnen, sich an die Ordnung halten, sogar das Bild der Zelle in einem Organismus wurde schon bemüht. Doch bei allen Parallelen kann und muss man, wenn man guten Willens ist, durchaus auch Unterschiede erkennen.

Aber bleiben wir zunächst bei der Kritik der Linken und versuchen sie zu verstehen. Im Weltbild der meisten Linken ist der Mensch ein Wesen, dem als einziges in der (uns bekannten) Welt Intelligenz und Reflexionsfähigkeit zukommt. Es gibt noch andere intelligente und absichtsvoll agierende Tiere, doch alles in allem sind Naturprozesse ungerichtet und nicht intelligent. Der größte Affront gegen diese Weltsicht ist daher vermutlich das Postulat einer intelligenten Ordnung und lebendigen Welt, die auch noch mit uns kommuniziert oder uns vorschreibt, wie wir uns zu verhalten haben. Hat man dies erst gefressen, folgt der Faschismus auf den Fuß, so die politisch-ideologische Fehldeutung und die Angst.

Man kann nun lange darüber diskutieren, wie wortwörtlich und ernst oder wie metaphorisch diese Sichtweise der Zwiesprache gemeint ist. Vermutlich gibt es auch hier ein Kontinuum. Gegen die metaphorische Sicht wäre wenig einzuwenden, man fürchtet sich jedoch vor der wortwörtlichen Auslegung, weil sie ebenfalls entindividualisierend daher kommt. Wie im Faschismus: Sei ein Teil des großen Ganzen, das das ewig Gute ist. Da der Faschismus keine positiven Visionen hinbekommt, ist seine Vision der ewige Kampf. Man muss das letzte Gute schützen, vor der Attacke durch die gerissenen Feinde, die subtil vorgehen, aber alles zersetzen wollen. Dabei verwirren sie, als Teil ihrer zersetzenden Arbeit, die Öffentlichkeit. Aber wenn sie denken, sie könnten das mit uns tun, haben sie sich geirrt, wir lassen uns das nicht bieten und schlagen zurück, mit aller Härte.

So geht eine typisch faschistische Erzählung: Die an sich gutmütigen Bedrängten erkennen die Weltverschwörung und weil es sonst niemand tut, wehrt man sich. Entsprechende Texte, die die Normalität als dekadent und verkommen entwerten und verachten, finden sich immer irgendwo. Aber die schmale Theorie ist eher die Aufwärmübung. Es geht um die Etablierung einer Opferrolle und darum eine regressive Stimmung – in der die projektive Identifikation der Normalfall ist und in der man zu wissen glaubt, was der bösartige andere beabsichtigt – aufrecht zu halten und um den Kampf, den Endkampf, als vermeintlich einziges Gegenmittel. Dieser steht unmittelbar bevor, weshalb sich jeder entscheiden muss, auf welcher Seite er steht. Selbst zum Teil des großen, guten, heiligen Ganzen zu werden, mit den Tapfersten im Kampf eins zu werden, egal ob man siegt oder verliert – weil die Welt, so wie sie ist, ohnehin nicht mehr lebenswert ist – das ist das Angebot des Faschismus.

Die Bilder der Naturköstler, ökologisch Interessierten, der Anhänger alternativer Heilmethoden, der Esoteriker und Religiösen sind ebenfalls voll mit Angeboten der Verschmelzung, dem Aufruf Teil des großen Ganzen, des großen Organismus zu werden. Sei es in einer Vision des Ökototalitarismus, die die Weisheit oder Ordnung von Mutter Erde, Natur oder Gaia nicht infrage stellen soll, seien es mehr oder weniger gelungene Bilder, eine verloren geglaubte Einheit oder Heimat wieder zu gewinnen oder solche der Unterordnung und Eingliederung.

Die Versprechungen beider Lager künden davon, dass sich die Einheit, die man dabei gewinnen kann, gut anfühlt. Das stimmt. Selbst der politisch-ideologische regressive Taumel fühlt sich sehr vital an. Darin liegt die Verlockung und die Gefahr. Die Einheit mit der Natur, großen Mutter oder der Erleuchtung setzt nicht auf die Massenregression, vor allem nicht auf Kampf als Lebensform. Hier gibt es in der Regel ein Ziel, eine positive Vision, ein Angekommensein. Das dieses Ziel oft in einer noch heilen Vergangenheit liegen soll, macht die Sache verdächtig. Doch manche dieser Bilder sind einfach unglücklich gezeichnet, es geht dabei durchaus nicht immer um um Regression und wenn, dann um die kitschige Variante der ersten Stufe der Regression, nicht um die misstrauisch aggressive der zweiten. Oft geht es um eine Skizze der Ewigkeit, die keinesfalls auf die Einheit allen Seins durch Zerstörung setzt, sondern durch ein Zusammenspiel in einer großen Sinfonie, in dem die Individualität nicht nur erhalten bleibt, sondern dringend gebraucht wird.