Marx & Engels, bedeutende Wegbereiter, aber mehr im Einklang als im Widerspruch mit den aktuellen Problemen? © Jean-Pierre Dalbéra under cc

Die politisch-ideologische Fehldeutung klingt zunächst theoretisch, íst aber äußerst lebensnah und emotional aufgeladen.

Haben Sie sich mal gefragt, warum Alternativmedizin und ein bio-dynamischer Lebensansatz eigentlich immer wieder mal als rechtsradikal, versponnen oder beides zusammen angesehen wird? Viele drücken das vielleicht mit einem Achselzucken weg, denn wer die Szene kennt, wird eher den Eindruck gewinnen, dass man hier wenig rechtes Gedankengut findet, sondern das Selbstverständnis der meisten die sich hier bewegen eher linksliberal, weltoffen und grün ist.

Früher war man damit ein weltfremder Sonderling, vielleicht nicht ernst zu nehmen, aber harmlos. Doch auch in der Frühphase gab es schon ‚mahnende‘ Stimmen, die in all dem rechte Tendenzen sahen. Auf den ersten Blick – schaut man durch die Brille der Kritiker – verständlich und doch zu kurz gesprungen. Die Kritiker kommen aus der politisch (sehr) linken Ecke. Der Marxismus kritisiert die vermeintliche Naturgegebenheit von an sich gesellschaftlichen Prozessen und Ordnungen. Ökonomische und gesellschaftliche Prozesse, so die Kritik, unterliegen nicht den Naturgesetzen, sind uns also nicht gegeben, sondern sind von Menschen gemacht und daher veränderbar. Wo sie vermeintlich nicht verändert werden können, stellt sich dem jemand quer, um seine über die Jahre oder Jahrhunderte gewonnenen Herrschaftsansprüche nicht preiszugeben.

Das ist an sich richtig erkannt und formuliert und markiert zugleich die Konfliktlinie: Denn auch auf der Seite des gesellschaftlichen Mainstream gab es Ideengebilde, die sich mit dem Marxismus nicht vertrugen. Der Marxismus setzte vor allem nicht auf Wachstum, kritisierte diesen Aspekt sogar, aber ansonsten gab er sich wissenschaftlich, fortschrittlich, humanistisch und technikfreundlich, er passte damit mehr ins Bild der Moderne, als diesem zu widersprechen. Die Erklärungsansätze des Marxismus sind materialistisch und werden oft in Richtung einer Einbahnstraße formuliert: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Mit dem Sein sind die Produktionsbedigungen und die von diesen geprägte Gesellschaft gemeint. Da ist was dran, aber es ist nur die halbe Wahrheit.

Linke Theoretiker stoßen sich am Naturbegriff, was so weit geht, dass selbst biologische Unterschiede kaum noch akzeptiert werden, hier oft in der Koalition mit feministischen Theorien und mit solchen, die sich gegen Rassismus, Sexismus und auch gegen Religion aussprechen. Das tun sie mitunter aus gutem Grund, weil es immer wieder biologistische Interpretationen gab, die ein gewisses Sosein und daraus abgeleitete Rechtsansprüche aus vermeintlichen oder tatsächlichen biologischen Gegebenheiten ableiteten.

Für die Kritik spricht, dass wir keine rein biologischen Wesen sind, sondern die Biologie kulturell überformt werden kann und wird. Gegen sie spricht, dass wir noch immer biologische Wesen sind, wie uns dann spätestens Klimawandel und die Corona-Pandemie vor Augen führen. Vor allem ist die Diskussion fruchtlos, weil sich kulturelle und biologische Faktoren unauflösbar durchdringen.

Der Rückgriff auf die Biologie plus die mythische Erzählung, dass etwas eben immer schon so war und sein wird, ist eine oft kritische Mischung. Denn qua Geburt ist die Rolle im Leben dann oft schon (weitgehend) festgelegt. Weil man eine bestimmte Hautfarbe hat, ein bestimmtes Geschlecht oder auch einer bestimmten Tradition, Kaste oder Familie angehört. Die damit schon festlegten Rollen werden von linken Theoretikern kritisiert und eben als soziale, von Menschen gemachte und veränderbare Rollen identifiziert. Man muss das, was immer schon so war, nicht als gegeben hinnehmen. Das ist zu einem guten Teil richtig. Streiten muss man dann darüber, ob alle Rollen und Muster soziale und veränderbare Konstrukte sind.

Die Rolle der Natur in biologischen, ökologischen, religiösen und esoterischen Weltbildern

Die für Linke provozierende Sicht der eben genannten Weltbilder liegt darin, dass sie der Natur – häufig in einer direkten oder indirekten Verbindung mit einer Form von Göttlichkeit oder Heiligkeit – einen anderen Stellenwert zukommen lassen, als sie selbst es tun und – nicht unwichtig – als die Wissenschaft es tut.

Was diese Sichtweisen eint, sind im Wesentlichen vier Punkte, die sich zum Teil überschneiden:

1. Unveränderbarkeit und 2. Eine daraus abgeleitete Ordnung der Natur oder des Kosmos

In der Natur gibt es, so die Meinung, gewisse eherne Regeln und Gesetze, die stets galten, immer gelten werden und gegen die man nicht verstoßen sollte, will man keinen Schaden erleiden. Mitunter verstärkt durch die Ansicht, dass es einen festen Platz gäbe, für den man vorgesehen sei und den man einzunehmen habe.

3. Dialog

Aufgrund dessen kann man eine Art Dialog mit der Natur oder dem Kosmos führen, der wesentlich dazu dient, seinen Platz zu finden und einzunehmen. Dabei wird dieser Dialog manchmal noch als eine Art Metapher angesehen, damit als eine Art reflexives Selbstgespräch, bei dem durchaus linke Theoretiker zustimmen könnten, wenn man gewisse Gesetzmäßigkeiten der Natur als Einsicht in die Notwendigkeit der sich daraus ergebenden Konsequenzen anerkennt. Die Notwendigkeit, dass man eben nicht alle Regeln per Beschluss ändern kann.

4. Lebendigkeit

Manchmal wird die Möglichkeit zum Dialog aber noch weiter gefasst, wenn nämlich der Natur in Gänze eine Lebendigkeit und Intelligenz unterstellt wird.

Für den Marxismus ist das Naturgeschehen als solches tot und vor allem nicht bewusst oder intelligent. Ein Dialog ist daher unmöglich, eine Ordnung, die sich daraus ergibt immer reaktionär. Die Reaktion ist eine „abwertende Bezeichnung für gegen den gesellschaftlichen Fortschritt eingestellte Kräfte“ (Wikipedia)

Erinnern wir uns kurz an den ersten Teil in dem ich die These aufstellte, dass auf der Seite des ‚Guten‘ ein assoziatives Begriffsknäuel steht, das sich scheinbar gegenseitig stützt und durch das Gewicht seiner Assoziation auf das zurück greift, wogegen man angetreten ist. Denn selbst sieht man sich in der Tradition:

Leistung, Fortschritt, Wachstum, Wissenschaft und Technik, Moderne, Humanismus, Fleiß, Vernunft und Differenzierung, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat.

Der Reaktionär ist gegen den Fortschritt, die Vernunft und die Wissenschaft. Wie die Gesundesser, die davon reden, was Mutter Natur uns zu essen aufträgt. Wie die Anthroposophen, die von kosmischen Gesetzen und Rhythmen reden oder die religiös Gläubigen, die von einem Schöpfergott berichten, der die Welt geschaffen hat, samt der darin geltenden Regeln und Gesetze.

Und was sagt die Wissenschaft?

Soziobiologie und Ökologie sind ja selbst Teile der Wissenschaft, aber hier ist es wichtig einen entscheidenden Punkt zu erkennen. Biologie und Ökologie handeln zwar von lebendigen Organismen und Systemen und den Grundlagen und Funktionsweisen, die dieses Leben ermöglichen und aufrecht erhalten. ‚Die Natur‚ in Gänze ist in ihrem Weltbild aber ebenfalls ein blindes, totes und letztlich ungerichtetes System. Die Natur hat keine Absicht, sie trägt uns daher gar nichts auf und wo die Rede davon ist, dass man den Gesetzen der Natur vernünftigerweise gehorchen sollte, ist das eben etwas, das sich aus der vernünftigen Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten der Natur ergibt. Es sind nicht die Regeln, die die Natur uns selbst geben würde, sondern wir uns, im Umgang mit ihr. Eine weise Mutter Natur gibt es so wenig wie einen Gottvater, der die Regeln in die Welt gesetzt hat. Aus der naturalistischen Sicht der Wissenschaft.

Wissenschaft und Marxismus divergieren manchmal in Ansichten über den Biologismus. Folgt man einigen Biologen, so ergeben sich aus bestimmten Festlegungen der Natur doch gewisse Regeln und sind uns gewisse Grenzen gesetzt, manche Dinge sind eben so, man kann sie nicht mal eben ändern. Gerade Evolutions- und Soziobiologen versteigen sich zuweilen in einem Biologismus, der dann im Kapitalismus das natürlichste System sieht, weil es eben den Konkurrenzkampf der Natur am besten abbildet. Die Willensfreiheit sieht man eingeschränkt, weil das Gehirn ein Organ wie die Leber sei und also biologischen Funktionen folgen würde und nicht der Logik oder sonstigem. Es ließen sich weitere Beispiele finden.

Aber es gibt auch innerhalb der Biologie, starke Gegenstimmen gegen den Biologismus und alles in allem gehen die Wissenschaft, in ihrer Sicht, dass die Welt ein mehr oder minder vom Zufall angetriebenes System ist und der Marxismus hier Hand in Hand. In einem gewissen Grad endet die biologische Evolution durch ihren Erfolg, im Menschen selbst, der sich nun qua Bewusstsein eigene Regel geben kann und gibt, womit sich ein bloßes Abspielen vererbter Muster zu einem guten Teil erledigt hat. Die Impulskontrolle gehört zu unserem festen Inventar und wird als soziale Basiskompetenz vorausgesetzt.

Mit anderen Worten. Die Unveränderbarkeit des Platzes in einer geordneten, lebendigen und zum Dialog bereiten Natur, wird von Wissenschaftlern und vielleicht mehr noch von linken Theoretikern zurück gewiesen. Aber woher kommt der Hass?

Verschmelzungen und Einheitserfahrungen in regressiven und faschistischen Bewegungen

demeter ist für die einen der Gipfel der Qualität, andere finden dort ein vorwissenschaftlich-magisches Weltbild. © storebukkebruse under cc

Angefacht wird der Konflikt, wenn die Natur oder der Kosmos in Gänze als lebendiger Organismus betrachtet wird, der dann auch noch zum intelligenten Dialog fähig ist. Das stellt ungefähr alles in Frage, was die Aufklärung ausmacht. Doch da ist noch etwas. Auch Faschisten sehen die Nation als einen Körper oder Organismus an. Als eine verschmelzende Einheit von Volk, Führer und Nation. Man denke an Begriffe wie den ‚Volkskörper‘ oder das, was Timothy Snyder über die Bedeutung und Sichtweise Iwan Iljins ausführt:

„Die Unschuld nahm eine konkrete biologische Form an. Was Iljin sah, war ein unberührter russischer Körper. Wie die Faschisten und andere, die seinerzeit auf autoritäre Strukturen setzten, bestand Iljin darauf, dass die Nation ein lebendiges Wesen sei, „ein natürlicher und beseelter Organismus“, ein Lebewesen aus dem Garten Eden, ohne durch die Erbsünde belastet zu sein. Wer zum Innenleben dieses russischen Organismus gehört, entscheidet nicht der Einzelne. Eine Zelle habe auch keine Entscheidungsbefugnis darüber, ob sie zu einem Körper gehöre oder nicht.“[1]

Zuvor heißt es bereits:

„Es ist eine totalitäre Vision. Wir sollen uns nach einem Zustand sehnen, in dem wir alle dasselbe denken und fühlen, was bedeutet, dass wir gar nicht mehr denken und fühlen. Wir müssen aufhören als Individuen zu existieren. „Das Böse beginnt, wo der Einzelne beginnt“, schrieb Iljin. Es ist gerade unsere Individualität, die die Fehlerhaftigkeit der Welt beweist.“[2]

Wir finden also eine radikale Entindividualisierung und Kollektivierung. Die höchste Aufgabe des Einzelnen ist es im Kollektiv oder im Volkskörper aufzugehen, als entindividualisierter Teil des Ganzen. Das ist faschistisch, rückwärts gewandt und antiaufklärerisch, in der Tat. Der Reiz liegt darin, dass es sich für den Einzelnen dennoch gut anfühlen kann. Als Mitglied einer zu allem entschlossenen Schicksalsgemeinschaft fühlt man sich nicht schlecht, sondern bedeutsam. Schon die Regressionen der ersten Stufe sind in ihrer Entlastung vom Über-Ich entspannend. Man steht nicht mehr als Individuum im Fokus. Hier kann man sich mal gehen lassen, für die Dauer eines Fußballspiels, Rockkonzerts oder einer wilden Party. Doch auch die Regressionen auf die zweite Stufe fühlen sich nicht schlecht an, insbesondere, wenn man ein Gefühl aufrecht halten, eine Stimmung immer wieder inszenieren kann, nämlich jene, im Vorfeld einer alles entscheidenden Schlacht zu stehen. Dazu braucht man einen äußeren Feind, der inneren Zusammenhalt erfordert – aber auch riesiges Misstrauen gegen potentielle Verräter evoziert – und einen charismatischen Führer, der diese Stimmung erzeugen und kanalisieren kann.

Wenn alle überzeugt sind zu einer Einheit zu verschmelzen, zu einer Schicksalsgemeinschaft mit besonderer Mission und innerlich an etwas anzuknüpfen, was man man zu kennen glaubt, was sich einfach nur wiederholt, weil sich sie gleichen Muster immer wiederholen, dann ist man in einer Form der Ewigkeit angekommen, in der das Leben mit einem Sinnangebot prall gefüllt ist. Das beste, was man machen kann, ist einfach mitzumachen in dem ewigen Kampf, der das Leben ist, aber in dem man privilegiert ist, weil man die Mächte des wahrhaft Guten und Gerechten auf seiner Seite weiß. Eine Zelle im Körper, eines lebendigen, ja heiligen Organismus, entweder man siegt triumphal oder man geht gemeinsam unter, aber das ist fast schon egal, denn diese faschistische Erzählung ist eine des ewig andauernden Kampfes, weil die Natur, die Welt eben so ist. Erfüllter kann ein Leben nicht sein.

Es gibt diese Erzählungen, es gibt diese Tendenzen und die Narrative des ewigen Kampfes. Und was hat das jetzt alles mit den Bachblüten, Reiki, Rohkost und dem Wassertreten zu tun?

Esoterik, Naturkost und die ähnlichen Bilder von der Natur und der Einheit

Es sind ähnliche Erzählungen, die man hier findet. Bilder und Narrative eines Ökototalitarismus, bei dem es vorrangig darum geht, dass der Mensch seinen Platz in der weisen Ordnung der Natur einzunehmen habe und dann sei alles gut. Aber das tut der Mensch nicht, er stört ständig die Ordnung, hält sich nicht an die Regeln, die sich doch überall seit Äonen bewährt haben.

Darum schlägt dann die Natur zurück, darum wird der Mensch krank, so lauten einige Ideen, die wiederum auf die Idee einer natürlichen, kosmischen oder archetypischen Ordnung zurück greifen. Auch hier wird dem Menschen gesagt, er solle sich einordnen, sich an die Ordnung halten, sogar das Bild der Zelle in einem Organismus wurde schon bemüht. Doch bei allen Parallelen kann und muss man, wenn man guten Willens ist, durchaus auch Unterschiede erkennen.

Aber bleiben wir zunächst bei der Kritik der Linken und versuchen sie zu verstehen. Im Weltbild der meisten Linken ist der Mensch ein Wesen, dem als einziges in der (uns bekannten) Welt Intelligenz und Reflexionsfähigkeit zukommt. Es gibt noch andere intelligente und absichtsvoll agierende Tiere, doch alles in allem sind Naturprozesse ungerichtet und nicht intelligent. Der größte Affront gegen diese Weltsicht ist daher vermutlich das Postulat einer intelligenten Ordnung und lebendigen Welt, die auch noch mit uns kommuniziert oder uns vorschreibt, wie wir uns zu verhalten haben. Hat man dies erst gefressen, folgt der Faschismus auf den Fuß, so die politisch-ideologische Fehldeutung und die Angst.

Man kann nun lange darüber diskutieren, wie wortwörtlich und ernst oder wie metaphorisch diese Sichtweise der Zwiesprache gemeint ist. Vermutlich gibt es auch hier ein Kontinuum. Gegen die metaphorische Sicht wäre wenig einzuwenden, man fürchtet sich jedoch vor der wortwörtlichen Auslegung, weil sie ebenfalls entindividualisierend daher kommt. Wie im Faschismus: Sei ein Teil des großen Ganzen, das das ewig Gute ist. Da der Faschismus keine positiven Visionen hinbekommt, ist seine Vision der ewige Kampf. Man muss das letzte Gute schützen, vor der Attacke durch die gerissenen Feinde, die subtil vorgehen, aber alles zersetzen wollen. Dabei verwirren sie, als Teil ihrer zersetzenden Arbeit, die Öffentlichkeit. Aber wenn sie denken, sie könnten das mit uns tun, haben sie sich geirrt, wir lassen uns das nicht bieten und schlagen zurück, mit aller Härte.

So geht eine typisch faschistische Erzählung: Die an sich gutmütigen Bedrängten erkennen die Weltverschwörung und weil es sonst niemand tut, wehrt man sich. Entsprechende Texte, die die Normalität als dekadent und verkommen entwerten und verachten, finden sich immer irgendwo. Aber die schmale Theorie ist eher die Aufwärmübung. Es geht um die Etablierung einer Opferrolle und darum eine regressive Stimmung – in der die projektive Identifikation der Normalfall ist und in der man zu wissen glaubt, was der bösartige andere beabsichtigt – aufrecht zu halten und um den Kampf, den Endkampf, als vermeintlich einziges Gegenmittel. Dieser steht unmittelbar bevor, weshalb sich jeder entscheiden muss, auf welcher Seite er steht. Selbst zum Teil des großen, guten, heiligen Ganzen zu werden, mit den Tapfersten im Kampf eins zu werden, egal ob man siegt oder verliert – weil die Welt, so wie sie ist, ohnehin nicht mehr lebenswert ist – das ist das Angebot des Faschismus.

Die Bilder der Naturköstler, ökologisch Interessierten, der Anhänger alternativer Heilmethoden, der Esoteriker und Religiösen sind ebenfalls voll mit Angeboten der Verschmelzung, dem Aufruf Teil des großen Ganzen, des großen Organismus zu werden. Sei es in einer Vision des Ökototalitarismus, die die Weisheit oder Ordnung von Mutter Erde, Natur oder Gaia nicht infrage stellen soll, seien es mehr oder weniger gelungene Bilder, eine verloren geglaubte Einheit oder Heimat wieder zu gewinnen oder solche der Unterordnung und Eingliederung.

Die Versprechungen beider Lager künden davon, dass sich die Einheit, die man dabei gewinnen kann, gut anfühlt. Das stimmt. Selbst der politisch-ideologische regressive Taumel fühlt sich sehr vital an. Darin liegt die Verlockung und die Gefahr. Die Einheit mit der Natur, großen Mutter oder der Erleuchtung setzt nicht auf die Massenregression, vor allem nicht auf Kampf als Lebensform. Hier gibt es in der Regel ein Ziel, eine positive Vision, ein Angekommensein. Das dieses Ziel oft in einer noch heilen Vergangenheit liegen soll, macht die Sache verdächtig. Doch manche dieser Bilder sind einfach unglücklich gezeichnet, es geht dabei durchaus nicht immer um um Regression und wenn, dann um die kitschige Variante der ersten Stufe der Regression, nicht um die misstrauisch aggressive der zweiten. Oft geht es um eine Skizze der Ewigkeit, die keinesfalls auf die Einheit allen Seins durch Zerstörung setzt, sondern durch ein Zusammenspiel in einer großen Sinfonie, in dem die Individualität nicht nur erhalten bleibt, sondern dringend gebraucht wird.

Berechtigte Kritik und überzogene Reaktionen

Harmloser Esokitsch oder unwissender Transporteur einer radikalen Ideologie? © kylelf_ under cc

Dann ist da noch etwas. Die Kritik aus Teilen der Öko- oder Esobewegung und der Gesundlebeszene ist gegen bestimmte Teile der assoziativen Einheit gerichtet, die da lautet:

Leistung, Fortschritt, Wachstum, Wissenschaft und Technik, Moderne, Humanismus, Fleiß, Vernunft und Differenzierung, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat.

Aber auch hier besteht keine Notwendigkeit jeden Begriff als Teil des Ganzen zu denken. Die Linke schafft es ja selbst Wachstum zu kritisieren – also ein Element heraus zu brechen – und die anderen Aspekte des naturalistischen Gesamtkonzepts, was auf einen linearen Fortschritt ausgerichtet ist, dennoch zu unterstützen. Gerade das emotional oft stärkste, weil inhaltlich nicht zu rechtfertigende Band, geschmiedet zwischen Wissenschaft und Humanismus ist dabei eine Schwachstelle. Eine Schwachstelle deshalb, weil die Wissenschaft im Grunde amoralisch ist und sich daher mit dieser oder jedner Idee verbünden kann – und das leider immer wieder auch bewiesen hat. Also suchte man sich gerne die Koalition zwischen Wissenschaft und Humanismus, als Garant für den vermeintlichen Fortschritt auf allen Ebenen.

Inhaltlich sind die beiden überhaupt nicht verwandt, aber es klingt halt gut, wenn Wissenschaft, Fortschritt und Humanismus in einem Atemzug genannt werden. Der Fortschritt selbst ist ein Trip, wenn er kein Ziel definiert. Fortschritt muss nicht automatisch besser sein. Heute haben weltweit deutlich mehr Menschen Übergewicht. Das ist Fortschritt, weil es eben neu ist, aber sicher nicht gut. Die Wissenschaft hat in den Terrorregimen dieser Welt oft eine erbärmliche Rolle gespielt, einzelne Idealisten haben sich quer gestellt, die Mehrheit hat sich jedoch stromlinienförmig angepasst. Aber der Humanismus, der ist doch toll, oder?

Yuval Noah Harari zieht uns in Eine kurze Geschichte der Menschheit diesen Zahn. „Zwar verehren alle Humanisten den Menschen, doch sie können sich nicht darauf einigen, was den Menschen genau ausmacht.“[3] Er unterscheidet liberale Humanisten, die behaupten, tief im inneren Wesen des einzelnen Menschen seien Sinn und Bedeutung, moralische und politische Autorität zu finden, die uns zu den Menschenrechten führen und der Idee der größtmöglichen Freiheit für die größtmögliche Zahl an Menschen. Zudem sozialistische Humanisten, für die Idee der Chancengleichheit aller Menschen eintreten. Außerdem die evolutionären Humanisten, die sich auf der Basis der Evolutionstheorie gegen universelle Werte der Menschheit wenden, sondern, der Evolution folgend der Auffassung sind, der Mensch könne zum Übermenschen oder zum Untermenschen mutieren. Also gilt es, das Reine und Schöne zu bewahren. Harari resümiert:

„Heute spricht zwar niemand mehr davon „minderwertige Rassen und Völker“ ausrotten zu wollen, doch viele denken darüber nach, mithilfe neuester biologischer Erkenntnisse Übermenschen zu züchten.

Gleichzeitig tut sich ein immer größerer Graben zwischen den Glaubenssätzen des liberalen Humanismus und den neuesten Erkenntnissen der Biowissenschaften auf, der sich nicht mehr ignorieren lässt. Der liberale Rechtsstaat und die liberale Demokratie gehen von der Überzeugung aus, dass jedem Menschen eine heilige, unteilbare und unveräußerliche menschliche Natur innewohnt, die der Welt Sinn und Bedeutung verleiht und von der alle moralische und politische Macht ausgeht. Das ist nichts anderes als die christliche Vorstellung von der freien und unsterblichen Seele des Menschen, wenngleich in einem anderen Gewand. Doch in den vergangenen zwei Jahrhunderten haben die Biowissenschaften diese Vorstellung zunehmend infrage gestellt. Im Innersten des Menschen haben sie keine Seele gefunden, sondern nur Organe. Unser Verhalten wird nicht vom freien Willen gesteuert, sondern von Synapsen, wie sie auch Schimpansen, Wölfe und Ameisen haben. Unser Rechtsstaat und unsere Demokratie kehren diese unbequemen Wahrheiten gerne unter den Teppich. Wie lange wird es noch dauern, bis wir die Mauer zwischen der biologischen und juristischen Fakultät einreißen?“[4]

Dabei hatten wir doch gerade gelernt, dass die Religion die Quelle allen Übels sei. Esoterik wurde dann die Happy-Version davon, doch linke Kritiker meinten dort dasselbe Motiv zu finden. Dem Inneren des Menschen wird nichts zugetraut, ein Band was Linke und nicht wenige Naturalisten vereint. Vielleicht hat Harari ja Recht und der eigene humanistische Schatten wird projiziert, weil der Humanismus doch so hübsch klingt und Antihumanist ein billig zu habender Vorwurf ist, gegen jene, die die stille assoziative Reihe nicht beachten.

Keiner dieser Begriffe in der Reihe ist heilig oder gänzlich unbelastet, eine innere Verbindung zwischen Wissenschaft, Fortschritt, Humanismus, Vernunft, Moderne und so weiter kann man ziehen, man muss es aber nicht. Wie im ersten Teil erwähnt, die Reihe dieser Begriffe hängt eher davon ab, dass sie immer zusammen aufgezählt werden, ein inferentieller Zusammenhang ist nicht zu sehen, die Assoziation wird zur Gewohnheit, aber das ist eben selbst nicht rational.

Vorrangig darum erscheint jemand, der ein Gegner der (Schul-)Medizin ist gegen die Wissenschaft zu sein, damit auch antimodernistisch, antihumanistsich, gegen Fortschritt und Vernunft, mit anderen Worten ein mindestens sehr naiver Mensch, wenn nicht ein Spinner oder gar Faschist. Im Grunde eine Immunisierung gegen Kritik und selbst irrational, da assoziativ oder einfach propagandistisch. Wiederhole immer die Verbindung der gleichen Begriffe und irgendwann schleift sich diese Verbindung ein.

Wird das oft genug praktiziert, wird aus jemandem der Globuli schluckt auch ein Feind der Menschenrechte. Wer an natürliche Gegebenheiten oder eine göttliche Einheit erinnert, ist ein reaktionärer Antimodernist. Wer in Krankheit mehr sieht, als ein zufälliges Geschehen, ist mindestens verdächtig.

Eine neue Wissenschaft am Horizont?

Durch viele Wissenschaften weht heute ein neuer Wind. Die Esoterik mit ihrem Einfluss von den späten 1970er bis in den ausklingenden 1990er hat den Fehler gemacht, es oft bei einer hübschen Version, beruhend auf oberflächlichen Ähnlichkeiten zu belassen. Eine Version, deren Problem kein latenter Faschismus war, sondern eine zu große und wohlmeinende Oberflächlichkeit. Jeder der irgendwie guten Willens was, konnte dabei sein, in einer an sich der gleichberechtigten Welt, in der alle Recht hatten, Männlichkeit, das Ego, Analyse und Rationalität und im Schlepptau auch die Wissenschaft, besonders die ‚Schulmedizin‘ als kalt und herzlos galten.

Alles was anders als bei uns war, war gut. Wissenschaft und Technik, Heimat und Christentum, das ging gar nicht. Je ferner, je mythischer und ursprünglicher etwas war, umso besser, ob Getreide oder Religion. Die Mondin und die Große Mutter führten das Regiment und Hexe war kein Schimpfwort, sondern oftmals eine Auszeichnung. Es wurde zu flach, zu süßlich, zu kitschig, kurz es wurde regressiv, aber eben zu einer Regression auf die erste Ebene, des Kindes des Latenzperiode. Das Faschismus lauert aber ein Stockwerk tiefer und erfordert eine weitere Umdrehung der Regression. Diese war in einigen magischen Logen durchaus zu finden, die in der breiten Öffentlichkeit aber keinerlei Bedeutung hatten.

Vergessen wir nicht, was der Biologismus in Form eines Richard Dawkins oder der Hirnforschung angerichtet haben, im Namen der Wissenschaft und oft ohne kritische Begleitung. Die Abrechnung mit Dawkins ist so erfolgt, wie es die Wissenschaft oft tut, er wurde einfach nicht mehr erwähnt. Von Aufarbeitung war da nichts, seine Thesen eines grundlegenden Egoismus, mit einem Hang zur Kooperation aus Eigennutz (reziproker Altruismus) ist jedoch nicht ohne, in schöner Koalition mit dem Humanismus, der von seinen Weggefährten besonders in Deutschland gerne angeführt wird. Und „die Mauer zwischen der biologischen und juristischen Fakultät“ (Harari) wollten die frühen Protagonisten der Hirnforschung dann in ihrer kurzen Sturm und Drang Phase liebend gerne einreißen. Das Strafrecht sei zu überdenken, wenn der Mensch doch erwiesen von seinem Hirn ferngesteuert wird. Finde den Fehler.

In der sympathischen Absicht eine neue Geschichte unseres Menschseins zu suchen, kommt in einem WDR Feature von Geseko von Lüpke eine Reihe Wissenschaftler und Denker zu Wort. Vom bekannten Astrophysiker und Journalisten Harald Lesch über den Systemtheoretiker Ervin László bis zum buddhistischen Mönch Thích Nhất Hạnh, der vom Interbeing, dem ‚Intersein‘ spricht. Das Dinghafte, das physikalisch-mechanistische Bild in dem man dem Universum unterstellt tot zu sein, gehöre der Vergangenheit an.

Statt dessen sei der Mensch kein separates Wesen, sondern mit anderen verbunden. Organistisch verbunden, sei der Mensch, so László. Wer den Himmel berechnen könne, kann alles berechnen, auch den Menschen, so dachte man in der Aufklärung, sagt Lesch. Mathematisiert, quantifiziert, berechen- und manipiulierbar, aus empirischen Daten abgeleitet und all das sei völlig falsch, so der Astrophysiker.[5]

Im Grunde wird in dem Feature alles, was Wissenschaft, Vernunft, Fortschritt und Co. ausmacht zerschreddert, zugunsten einer Weltsicht, die ziemlich esoterisch klingt. Das Universum soll eher organisch als mechanistisch gedacht werden. Man kann darüber streiten, weil ich glaube, dass die Biologie die größten Verwüstungen angerichtet hat, auch in jüngster Zeit und weil Physik einfach gegen Biologie und System auszutauschen beileibe kein Fortschritt sein muss, wie Ken Wilber in Eros, Kosmos, Logos schon vor 25 Jahren ausführte.

Der Hass auf die Erzählung einer organischen Welt kommt daher, dass damit die lose Reihe von Begriffe in ihrer Halt-Losigkeit erkennbar wird:

Leistung, Fortschritt, Wachstum, Wissenschaft und Technik, Moderne, Humanismus, Fleiß, Vernunft und Differenzierung, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat.

Das ist beliebig und keinesfalls innerlich verbunden, weil die scheinbare Vernunft, der Humanismus, die Freiheit alle auseinander streben. Die große linke und naturalistische Gegenerzählung beruht auf einem Mythos der vor unseren Augen zerbröselt. Esoterik, oder moderner: Spiritualität, Ökologie, Religion und weitere Vertreter einer ganzheitlichen Sicht haben eine Gegengeschichte. Es ist die Geschichte eines sinnerfüllten Universums, in dem es für jeden einen Platz gibt. Eine an sich schön Vision, da wir vielen doch heute mehr oder minder explizit sagen, dass es besser wäre, es würde sie nicht geben.

Man kann sich drüber streiten, ob diese Sicht nicht vielleicht nur etwas Sinn und Bedeutung in die Welt pumpt, weil wir das brauchen. Aber weil wir das brauchen, brauchen wir Erzählungen. Und dass die Mischung aus Wissenschaft & Technik, Fortschritt & Humanismus mehr als eine Erzählung ist und die Wahrheit abbildet, wird uns mehr und mehr als eine immer weniger erklärende und glaubhafte Story bewusst.

40 Jahre nach dem Erstversuch sollten wir die Fehler von damals nicht wiederholen. Es ist nicht alles gleich gut. Aus einer letztendlich spirituellen Perspektive mag dies so sein, aber man muss dann auch erläutern können, was man genau damit meint und diese Perspektive kennen und einnehmen können. Es ist unbedeutend, ob man an Verschmelzungen und Einheitserfahrungen glaubt, es könnte jedoch wichtig sein, sie zu erleben. Diese Einheit fordert den Einzelnen als Individuum, nicht als amorphes Teilchen, ohne Sinn, Verstand, Gefühl und Absicht.

Es geht um den Diskurs von Menschen, die mehr gesehen haben, aber dies zugleich auch einordnen können, statt nur zu schwärmen oder zu raunen. Es gibt sehr viele Formen einer erwachsenen Spiritualität. Diese muss auf die Elemente von sozialem und wissenschaftlichem Fortschritt nicht verzichten, sondern sortiert diese neu. Die politisch-ideologische Fehldeutung verwechselt die Ähnlichkeiten faschistischer und anderer Erzählungen und setzt diese zu sehr absolut und verschweigt die bedeutsamen Unterschiede. Es mag sein, dass man in einer spirituellen Weltsicht (falls man eine solche dort überhaupt noch braucht) seinen Platz einnimmt. Je mehr man unverwechselbares Individuum ist, das seine eigenen Akzente einbringt, umso besser. Das Rädchen im System und die Zelle im Organismus, die einfach nur klaglos mitmachen, sind eine Möglichkeit zu leben, es gibt keinen guten Grund, warum es die einzige oder eine privilegierte sein soll. Kritik, auch von links, wird weiter gebraucht, doch sie muss präziser werden und auf der Höhe der Zeit sein.

Quellen