Nicht nur bei Freud geht es immer um das Eine. © giulio nepi under cc

Die Ersatzbefriedigung gilt zum einen als ein weiterer Abwehrmechanismus in der Psychoanalyse, zum anderen ist darin eine Behauptung über die Triebe des Menschen und betrifft uns somit alle.

Die Ersatzbefriedigung ist ja schon dem Namen nach ein Ersatz für einen Wunsch, den man eigentlich gehabt hätte. Aus irgendwelchen Gründen kann man den eigentlichen Wunsch aber nicht erreichen. Vielleicht reichen die eigenen Möglichkeiten nicht aus. Man wollte vielleicht diesen oder jenen Beruf ergreifen, aber es hat mit dem Studium nicht geklappt. Vielleicht möchte man gerne eine bezaubernd hübsche Frau zur Partnerin haben, aber die eigene Attraktivität ist nicht hinreichend. Das ist vorstellbar, aber im Grunde alles noch kein Grund, für eine psychoanalytischen Tiefenbohrung.

Der Triebwunsch und seine Befriedigung

Die Ersatzbefriedigung stellt ein komplexes Geschehen dar. Wenn ein Mensch einem Trieb oder Drang folgt, baut sich, der Theorie gemäß, eine Spannung in ihm auf. Hat er sein Ziel erreicht und konnte er den Triebwunsch befriedigen, kommt es zur Entspannung. Die Spannung kann eine sexuelle sein oder aggressive, es kann sich um Trauer handeln oder Angst, die zu Kampf oder Flucht führen würde. Folgt einer sexuellen Spannung ein ausgedehnter Beischlaf, ist man am Ende im besten Fall glücklich und entspannt und für einen Moment ganz eins mit dem Partner und der Welt. Auch die gelebte Trauer entlastet.

Es kann aber auch eine kreative Spannung geben. Den Drang ein Buch zu schreiben, eine Sinfonie zu komponieren, seine Wohnung umzugestalten oder sein Auto zu tunen. Das gibt schon Anlass zu allerlei Diskussionen denn der kreativen Spannung wird oft unterstellt nicht die eigentliche Spannung zu sein, also nicht das eigentliche Ziel zu meinen, mithin, es ist schon eine Ersatzbefriedigung. Oder soll zumindest eine sein.

Ein schwieriges Thema, weil auch jemand, der regelmäßigen und erfüllenden Sex hat und seine Aggressionen vielleicht gut abreagieren kann, möglicherweise dennoch andere Wünsche hat. Hier kann man dann wieder spekulieren. Vielleicht ist der Sex nicht gut genug, man hätte es gerne anders, öfter, seltener, heftiger, zärtlicher, experimenteller, mit anderen oder was auch immer. Kann sein, nur werden diese Argumente natürlich niemals enden, dies könnte nur sein, wenn jemand zwischen den Phasen von Beischlaf zu Beischlaf vollkommen bedürfnislos ist, abgesehen von Essen, Trinken und Schlafen. Vielleicht noch ein kurzer ungehemmt geäußerter Ärger, ansonsten hangelt man sich immer wieder entspannend von Orgasmus zu Orgasmus. Es gibt Phasen im Leben, in denen das als Traum für den Rest reichen würde, etwa, wenn man frisch verliebt ist und das Beisammensein mit dem anderen alles ist, was man sich wünscht und braucht.

Es kam mir jedoch schon immer seltsam vor, dass es im Wesentlichen unerfüllte Menschen sein sollen, die Kreativleistungen erbringen, da diese quasi Ausdruck eines übergroßen Triebstaus seien. Wie in einer Talsperre baut sich da Druck auf, den man weder durch das Agieren von Aggressionen oder Sex abbauen kann und darum komponiert man. Womit wir bei der komplizierten Seite des Themas angekommen wären.

Der Ersatz für das eigentliche Bedürfnis

Hat man die Theorie einmal verstanden, leuchtet sie intuitiv ein. Da ist ein Wunsch, den man hat und wenn er nicht erfüllt wird, aus welchem Grund auf immer, ist da ja dennoch Druck im Kessel. Man will ja eigentlich, man kann oder darf nur nicht. Also hat man einen Überschuss an Energie, die sich verströmen will. Vielleicht wird man dann gereizter und streitsüchtiger, obwohl man eigentlich Sex will und man betätigt sich sexuell, obwohl man eigentlich wütend ist.

Der Versöhnungssex nach einem heftigen Streit ist manchen bekannt. Kann man sich aber nicht austoben, wie man es gerne will, bleibt der Energiestau vorhanden und bricht sich auf irgendeine andere Art Bahn. Man putzt die Wohnung, schreibt ein Buch, schraubt am Auto, mäht den Rasen, macht Sport, komponiert eine Sinfonie, malt ein Bild oder dreht einen Film.

Es gibt Biographien, die diese Theorie eindrucksvoll zu bestätigen scheinen. Es ist die verzweifelte große Liebe zu eben diesem einen Menschen, die sich schicksalhaft nie erfüllt, der Trieb ist da, aber er findet sein Ziel nicht. Wer sich nach der einen großen Liebe verzehrt dem nützt der Hinweis, man möge doch eine(n) andere(n) nehmen, es liefen doch genug herum, rein gar nichts. Es muss genau diese(r) eine sein, so will es Eros, der seine Pfeile abschießt, wie es ihm passt. So manche große Kunst hat ganz sicher dieses heiße Sehnen als Quelle.

Aber eben nicht jedes. Denn es gibt andere Biographien, bei der die Erklärung etwas bemüht wirkt. Es gibt bedeutende Kreative, die mit ihrer großen Liebe liiert sind, Menschen, die sich nicht nur künstlerisch sondern auch sexuell reichlich ausagieren und obendrein kein Blatt vor den Mund nehmen und vielleicht kennen manche es auch aus ihrem eigenen Leben, dass gerade in den Phasen glücklicher Zufriedenheit und Entspannung die besten Ideen geboren werden. Wenn man bei einem Thema, einem Lösungsversuch oder einer Ideenfinden nicht mehr weiter kommt, sollte man nicht immer angestrengter Warten oder Grübeln, sondern Spazieren gehen, Sport machen oder Sex, auf jeden Fall etwas ganz anderes, um den Kopf wieder frei zu bekommen.

Es ist die Entspannung, die uns gerade kreativ werden lässt. Freilich muss irgendeine Grundspannung dennoch da sein, denn wenn man einfach nur entspannt ist und vollkommen zufrieden damit, bleibt man einfach im Bett liegen. Oder man setzt sich irgendwo hin und schaut sich, eins mit sich und der Welt, den Frühling an.

Die Frage nach der Eigentlichkeit

Irgendwo dazwischen scheint der Weg also durchzuführen und läuft einigermaßen zwingend auf die Frage nach der Eigentlichkeit hinaus. Das heißt, worum es denn im Leben eigentlich geht. Das Leben lehrt uns, dass wenn man die Aufmerksamkeit, Zuneigung, ja sogar Liebe eines bestimmten Menschen sucht, es eben genau dieser sein muss und kein anderer.

Manchmal wollen wir dann auch mit diesem Menschen Sex haben. Man kann sich mit anderen ablenken, aber es ist nicht dasselbe. Und wie schon gesehen, wieso sollten es immer nur der Sex sein? Gibt es nicht auch noch andere Bedürfnisse? Essen ist der Sex der alten Leute heißt es manchmal. Dabei ist der orale Triebwunsch eigentlich der frühere. Wir kommen auf die Welt und leben nur weiter weil wir trinken können. Das orale Bedürfnis ist es, Dinge aufzunehmen, herein zu lassen. Auch in einem erweiterten Sinne, man will etwas von der Welt wissen, hereinlassen, sich aussetzen, Außen zum Innen machen.

Es gibt aber auch ein lustvoll erlebtes anales Bedürfnis, das mit der Ausscheidung (dem ersten Geschenk an die Welt) einher geht, aber vor allem mit dem Gefühl, die Ausscheidung kontrollieren zu können. Die Natur, läuft sozusagen anfangs noch durch das Kind hindurch, es macht einfach in die Hose, doch irgendwann lernt es, sich, seinen Körper und dessen Funktionen zu beherrschen, macht ins Töpfchen und wird dafür ausgiebig gelobt.

Sich zu kontrollieren und dafür Lob und Anerkennung zu bekommen, das hat Freud als das Prinzip der Kultur identifiziert. Wir lernen uns zu beherrschen unsere Impulse und Affekte zu kontrollieren und der Lohn ist, dass wir dazu gehören. Das anale Prinzip hat aber auch eine eigene Lustform, wenn die Kontrolle zum Selbstzweck wird. Im Zwang wird sie pathologisch, aber sich zu beweisen, dass man etwas nicht braucht, das kann erhebend sein. Das Fasten ist eine dieser Askesetechniken, gesund für den Körper und ein bewusster Verzicht auf etwas sehr Grundlegendes.

Der dritte Trieb ist der genitale, der dann später erst erwachen soll. Welcher ist nun der eigentliche? Oder sind sie es alle? Von der Phasenlehre hat man sich inzwischen verabschiedet, es gibt die ganze Zeit sexuelle, orale und anale Stimulationen, die auf das Kind einprasseln, die Themen werden nur zu bestimmten Zeiten vorrangig bearbeitet.

Aber was ist jetzt das Eigentliche? Die Rede von der Natur macht aus vielen Gründen keinen Sinn mehr, wir sind lange schon Mischwesen, die in einer Welt leben, in der Natur und Kultur höchstens noch theoretisch zu trennen sind, wenn überhaupt. Und so ist unsere eigentliche Lebenswelt auch keine natürliche, denn wir leben nicht eigentlich vor 40.000 oder 100.000 Jahren sondern heute. Darum ist es auch zu kurz gegriffen, zu sagen, es ginge in unserem Leben eigentlich darum zu Essen, zu Verdauen und Sex zu haben, das ist in jeder Hinsicht unterkomplex, hat man sogar bei Affen schon gefunden, dass der Wert der Nähe über dem der Nahrung steht. Wir sind Beziehungswesen, so sehr, dass zu ursprünglicheren und ’natürlicheren‘ Zeiten, es sogar einem Todesurteil gleich kam, wenn er aus der Gemeinschaft verstoßen wurde. Nicht weil diese Menschen sind nicht selbst hätten versorgen können, sie hatten größere Hirne als wir und waren ungleich fitter. Noch heute ist es so, dass soziale Ausgrenzung eine extreme Form der Strafe ist und auch so erlebt wird.