
Der Wunsch nach Kontrolle zeichnet sich manchmal durch übergroße Ordnung und Sortiererei aus. © Erich Ferdinand under cc
Der Wunsch nach Kontrolle gehört zum Menschen. Wir wollen die Ereignisse unserer Umgebung erstens, verstehen und zweitens, einen gewissen Einfluss auf sie ausüben können, dann fühlen wir uns wohl und sicher. Verstehen wir nicht, was passiert oder sind uns die Hände gebunden, fühlen wir uns oft unbehaglich, manche werden ärgerlich und aggressiv, andere ziehen sich still und verunsichert zurück.
Wann man beginnt, sich unwohl zu fühlen, ist individuell verschieden. Manchen gelingt es recht problemlos Dinge geschehen zu lassen und sie finden das spannend, andere haben größere Probleme mit dem Loslassen und mit Überraschungen.
Positive Kontrolle
Der Wunsch nach Kontrolle ist zunächst einmal nichts Schlechtes, in einer Vielzahl von Lebensbereichen sogar ausgesprochen wichtig. Um die tragischen Fälle von falsch amputierten Gliedmaßen zu minimieren, wird ein Patient im Krankenhaus zig mal kontrolliert, bis er dann sediert auf dem OP-Tisch liegt. OP-Material wird einzeln abgezählt, damit im Körper nichts vergessen wird. Bei solchen und anderen Ereignissen des Alltags sind wir über eine gute Kontrolle dankbar und allen Kontrollinstanzen ist gemeinsam, dass sie dann gut sind, wenn sie geräuscharm und reibungslos funktionieren, so dass man von ihnen möglichst wenig mitbekommt und sie unser Leben möglichst nicht beeinträchtigen.
Der Straßenverkehr wäre ein anderes Beispiel, bei dem, bei einer Einhaltung gewisser Regeln das Große und Ganze gut funktioniert und auch die Logistik der diversen Paketdienste ist maximal ausgefeilt, so dass ich jederzeit den Überblick über ‚meine Lieferung‘ haben kann. Vermutlich funktioniert das alles inzwischen sogar zu gut, so dass bei manchen fast täglich irgendwas ins Haus geliefert wird.
Aber so wie es Überwachungsstaaten gibt, in denen alles ausspioniert und verwertet wird, was nur eben geht, so gibt es auch Menschen, die von einer maximalen Kontrolle träumen.
Narzissmus und der Wunsch nach Kontrolle über andere
Narzissmus ist eng mit dem Wunsch nach Kontrolle verbunden, was vor allem tiefe Beziehungen sabotiert. Narzissmus begegnet uns dort, grob gesagt, in zwei Varianten, einer zwar egozentrischen, aber doch gutartigen, in der Narzissten beliebt sein und gemocht werden wollen und einer aggressiven bis bösartigen, auch wenn beide Formen in einander übergehen.
In der gutartigen Form ist der Narzisst umgeben von einer Aura der Uneigennützigkeit, die aber immer verknüpft ist, mit Symbiose- oder Verschmelzungsphantasien. Der andere soll so werden, wie man selbst ist. Das ist in der Liebe ein recht organischer Part, weil man sich durch die Liebe ohnehin extrem für einander interessiert. Narzisstische Beziehungen sind selten symmetrisch, insofern sucht man jemanden zum konstanten idealisieren, die andere, wohl häufigere Variante ist, dass man sich jemanden sucht, der einen selbst idealisiert und bewundert. Die Themen und Interessen des Narzissten sind in der Beziehung dann oft die wichtigen, die des anderen werden klein geredet, als das, was doch an sich jeder kann und leistet, der Part des Besonderen, manchmal auch unverstandenen Genies oder jedenfalls des großen Rätselhaften, den niemand versteht, weil er irgendwie ganz anders ist oder empfindet, hat der Narzisst, dessen Kontrollspiel oft damit beginnt, den anderen ebenfalls narzisstisch zu erhöhen. „Du bist der/die erste, der/die mich wirklich versteht. Was ich dir erzählt habe, habe ich noch niemandem erzählt.“ Damit ist man schon mal anders als die anderen und in einer exponierten Position, ebenfalls besonders. Das schmeichelt einem. Setzt allerdings schon wie Vorzeichen: Man ist toll, weil man den anderen so gut versteht und ihm nahe kommt.
Zugleich ist man nämlich davon abhängig diesen anderen Menschen besonders gut zu verstehen und wenn man das nicht (mehr) tut, ist man augenblicklich wie alle anderen und damit degradiert. Ein subtiles Spiel, oft auch von narzisstischen Menschen nicht bewusst gespielt. So zieht man den anderen langsam in die Welt der eigenen Interessen, was nicht schlimm wäre, würde man sich in ähnlicher Weise auch für die Welt des anderen interessieren. Bei Narzissten gelten in der Regel nur die eigenen Themen als die wirklich relevanten, die anderen dürfen den unwichtigen Rest machen, der eben auch gemacht werden muss, aber was wirklich zählt, sind die eigenen Interessen. Das bringen Narzissten, oft mit Charisma und Überzeugungskraft, dann gerne auch den auserwählten Anderen bei.
Da die eigenen Themen die wichtigen sind, wird der/die andere schrittweise herangeführt, gerade genug, um den Narzissten gebührend bewundern zu können. Oft tarnt sich die narzisstische Kontrolle auch als Sorge. Der andere weiß ja gar nicht, wo überall welche Gefahren lauern und davor muss man ihn schützen: „Ich will doch nur dein Bestes.“ Wie die Eltern früher, nur ist das eben Ausdruck von Asymmetrie, nicht von einer Beziehung auf Augenhöhe. Auch der Wunsch, man solle stets vollkommen ehrlich zueinander sein, den Narzissten oft entwaffnend offen vorleben, ist dem oft unbewussten Wunsch nach Kontrolle geschuldet. Auch die ehrlich empfundene Sorge um den anderen, der vielleicht wirklich Dinge tut, die gefährlich oder ungesund sind, kann narzisstisch sein, wenn die primäre Angst die ist, den Partner zu verlieren und man folglich alles tut, um ihn zu verändern. Das kann ein normal besorgter Hinweis sein, wenn jemand wirklich ungesund oder gefährlich lebt, aber irgendwann stellt sich die Grundsatzfrage, ob man es dem anderen zugestehen kann, eben so zu sein, wie er oder sie nun einmal ist und ob man nicht lernen sollte, mit den eigenen Ängsten und Sorgen umzugehen, statt den anderen, gemäß der eigenen Bedürfnisse, zu ‚optimieren‘.
Die dritte Variante der narzisstischen Partnerwahl ist die eher kühle Auswahl nach sozialem Status, also eine Anpassung an das, was von den Kreisen, in denen ich mich bewege, erwartet wird. Die attraktive Frau an seiner Seite, zum vorzeigen. Ein vierte, das perfekte Paar, siehe dazu vertiefend: Narzissmus in der Liebe.
Subtile und aggressive Kontrolle
Der Wunsch nach Kontrolle wird beim Fortschreiten der narzisstischen Pathologie in der Regel stärker. Man will jederzeit und immer wissen, was der/die Andere macht, wo er/sie ist und am besten auch, wenn genau der/die Andere denkt und empfindet. In geringem Umfang ist es normal, sich nach einer Party spielerisch abzusichern, ob die Beziehungswelt noch in Ordnung ist, aber, es kann sein, dass jede Begegnung eifersüchtig beäugt wird.
Die Kontrollstrategie besteht oft darin, dass dem in in der Asymmetrie unterlegenen Partner ständig erklärt wird, wie minderwertig er ist und dass er froh sein kann, dass sich jemand – der Narzisst – gefunden hat, der es, aus Güte und Wohltätigkeit mit ihm aushält und sich um ihn kümmert. Dass gerade auch Narzissten ihre Partner brauchen, kann von ihnen nicht konfrontiert werden. Sie sind es, die den anderen oft noch mehr brauchen, als dieser sie und der dankbar sein müsste, dass der andere es mit einem anstrengenden Kontrollfreak aushält.
Stets wird jedoch dem Anderen suggeriert, es würde niemanden geben, der sich mit ihm einlassen würde und dann und wann gibt es auch Momente, in denen Narzissten umschalten und betont liebenswürdig sein können und ihren vermeintlich wahren Kern zeigen. Auch das kettet den oder die andere an den narzisstischen Menschen, das Wissen, wie er oder sie mal war und auch sein kann. Daran hält man fest und ernährt sich davon, wohingegen die Gegenwart oft weniger schön ist.
Narzissten erwecken oft den Anschein, sich dem anderen auszuliefern. Zum einen, durch ihre radikale Forderung nach Ehrlichkeit, die sie oft vorleben, weil sie ihren eigenen Wunsch nach Kontrolle nicht kennen oder nicht richtig einordnen können und einen Hang zu verletzender Offenheit (in der es als Wahrheit verstanden wird, dem Anderen zu sagen, wie minderwertig er ist), zum anderen durch Geschichten von früher, als sie mal sehr enttäuscht wurden. Damals hatte man sich anvertraut und geöffnet, aber das eigene Vertrauen wurde schwer enttäuscht. Das gibt es und das kennen viele Menschen, aber es kann auch die Ouvertüre zu der Oper „Wag‘ es ja nicht, mich ebenfalls zu enttäuschen“ sein. Natürlich hat man Verständnis für so eine Erfahrung, aber mit der Drohung, man verhalte sich genau, wie der oder die anderen damals, kann man gerade einen verständnisvollen Partner gefügig machen, denn man will den Anderen ja nicht verletzen.
Mit der Zeit kann dies aber auch ein Druckmittel werden, das jeden Widerspruch im Keim erstickt und in Formen der emotionalen Erpressung übergehen oder mit diesen kombiniert werden kann.
Eine weitere narzisstische Variante ist, dass mit der geglückten Eroberung, manchmal auch mit einem anderen Ereignis, wie der Hochzeit, das Interesse am anderen auf Null sinkt, was vom Partner, der nur noch missachtet oder offen beleidigt, schlecht behandelt oder komplett ignoriert wird, wie ein unausgesetzter Alptraum vorkommt, die Hintergründe ebenfalls in Narzissmus in der Liebe.
In einer fortgeschrittenen Eskalationsstufen der Pathologie geht es um immer mehr Lust an der Kontrolle um ihrer selbst willen. Das Ziel ist, den anderen demütigen und quälen zu können und mit ihm tun und lassen zu können, was man will. Einfach, weil man es kann.
Der paranoide Wunsch nach Kontrolle
Narzissmus und Paranoia sind die ergänzenden Aspekte der Psyche, die im Gesunden beginnen und sich im hoch Pathologischen vereinen. Beim Narzissmus finden wir eine gewisse unbewusst lustvolle Komponente der Kontrolle, bei der paranoiden Einstellung ist die Lustkomponente eher reduziert, hier regieren Misstrauen und Argwohn. Den Partner will man kontrollieren, weil man überzeugt ist, ihn besser zu kennen, als er sich selbst und genau weiß, was er wirklich tut oder vor hat.
Das Resultat sind oft regelrechte Verhöre und wenn diese nach Jahren so weit führen, dass der Partner die Nase voll hat und geht, kann der paranoide Mensch immer sagen: „Ich hab’s doch von Anfang an gewusst.“ Dass sein konstantes Misstrauen, gegenüber dem Partner, der nichts richtig machen kann, bei diesem zu massiven Frustrationen führt, hat der Paranoiker nicht auf dem Schirm, denn er hat schon oft erlebt, dass er am Ende des Tages recht hatte.
Dass er sich zum einen, selektiv nur heraussucht, was in sein Weltbild passt und zum anderen durch sein Verhalten erst das auslöst, von dem er denkt, es sei immer schon da gewesen, passt nicht zu seinem geschlossenen Weltbild, in dem der Triumph es von Anfang an besser gewusst zu haben, offenbar höher rangiert, als die Aussicht ein glückliches Leben zu führen. Menschen aus der paranoiden Gruppe misslingt das oft, wobei viele an sich schon wollen, aber es eben nicht hinbekommen, Vertrauen aktiv vorzuschießen. Die Befürchtung dann erst recht an der Nase herum geführt zu werden, dominiert über die Chance auf unbeschwertere Zeiten.
Der neurotische Wunsch nach Kontrolle

Die Welt des Zen ist klar, einfach, kontrolliert und strukturiert, doch das ist kein Selbstzweck. © John Gillespie under cc
Narzissten haben die Angewohnheit, aus ihrem kompensatorischen Größenselbst heraus resultierend, die Kontrolle an sich zu reißen, weil sie der Überzeugung sind, sie könnten im Grunde alles besser, als irgendwer sonst. Nur, weil es eben so viel ist, muss man Dinge delegieren, aus narzisstischer Sicht dann den unwichtigen Kram, den sowieso jeder machen kann. Alles Wichtige weiß man natürlich nach wie vor am besten. Aus dieser letztlich aufgeblasenen Selbstsicherheit heraus, kontrolliert, kritisiert, verunsichert und drangsaliert man dann andere und erwartet von ihnen perfekte Leistungen, von denen man denkt, man würde sie selbst abliefern, ohne zu erkennen, dass das sehr oft nicht der Fall ist oder sich auf Spezialgebiete beschränkt, von denen man meint, sie seien die wichtigsten der Welt.
Der neurotische Wunsch nach Kontrolle ist vollkommen anders motiviert. Neurotische Menschen, vor allem zwangsneurotische, sind exzessiv genau, ordentlich und gründlich, kontrollieren die Dinge, die sie tun und manchmal auch andere, doppelt und dreifach, aber aus der Angst heraus nicht zu genügen und einen Fehler zu machen. Diese Menschen sind sehr verantwortungsbewusst und haben intensive Schuldgefühle, wenn sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden und eine Aufgabe nicht zu mindestens 99,5 % erledigt haben.
Die Schuldgefühle, aber in Fällen anderer Zwangsstörungen auch das Aufkommen anderer Gefühle, müssen sofort durch das Schaffen von Ordnung, durch dem Kontext nicht angemessene Aufzählungen von richtigen, aber belanglosen Bagatellen und Planungen des Alltags unterdrückt werden. Nicht nur das vermeintliche Versagen im Angesicht einer übernommenen Aufgabe, sondern jedes zu intensive Gefühl, muss sofort wieder in das Korsett der Zwangsrituale gesteckt werden. Da wird sortiert, geordnet, gesäubert und geplant, bis die Welt wieder steril und in Ordnung ist.
Erledigen, wegwischen, saubermachen und abarbeiten, das sind die Aktionen, die einem ein kurzes Gefühl der Befriedigung verschaffen, nicht einfach so, sondern weil man rechtschaffen etwas dafür getan hat. Was der Zwangsneurotiker übertreibt, ist aber ebenfalls ein Teil von uns allen, setzen wir uns Ziele und erreichen diese, ist das ein erhebendes Gefühl.
Wo Paranoiker die Verantwortung dafür, dass die Welt nicht in Ordnung ist, stets auf dumme, leichtsinnige oder bösartige Andere schieben, nehmen depressive Menschen die Schuld auf sich. Ständig fühlen sie sich dafür verantwortlich, dass etwas nicht funktioniert, sie jemandem zur Last fallen, denken, dass die anderen böse auf sie sein müssen und das nur nicht sagen, weil sie gut erzogen sind. Die Antriebslähmung depressiver Menschen führt mitunter dazu, dass ihnen die Kontrolle entgleitet und sie Schwierigkeiten haben, den Alltag zu bewältigen, was ihre Gefühle von Schuld jedoch nur vergrößert, in anderen Formen kann jedoch auch exzessive Arbeit eine Form der Selbstbestrafung sein. Auch die Angst nicht zu genügen ist ein Motiv für exzessive Kontrolle, oft im Sinne einer Gründlichkeit, die den Schaden minimieren will, weil man meint, ohnehin nicht gut genug für die Welt zu sein und dann wenigstens das Bisschen, zu dem man in der Lage ist, halbwegs ordentlich hinbekommen will.
Im Allgemeinen sind neurotische Patienten – auch wenn Zwänge und Depressionen sich quer durch alle Ebenen oder Achsen der vergangenen DSM Klassifikationen erstrecken, die man nicht zuletzt deswegen wieder aufgegeben hat – in ihrer Darstellung und ihrem Empfinden viel weniger großartig oder allwissend, als Menschen mit Kontrollwünschen aus der Ebene der schweren Persönlichkeitsstörungen. Es sind eher tüchtige, fleißige und bescheidene Menschen, mit einem hohen – und manchmal zu hohen – Selbstanspruch und während Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen Spitzenleistungen von anderen erwarten und man es ihnen in der Regel nichts recht machen kann, haben neurotische Menschen einen hohen Anspruch an sich selbst, fühlen sich verantwortlich und wollen es vor allem anderen irgendwie recht machen und sind dabei oft strenger und selbstkritischer, als diejenigen, die ihnen eine Aufgabe übergeben haben. Der Sound ist hier ein generell anderer.
Psychosomatik und der Wunsch nach Kontrolle
Menschen, die sehr kontrollierend sind, können sich schlecht Situationen anvertrauen, die sie nicht überblicken und einschätzen können. Sie können oft auch im übertragenen Sinne schlecht locker oder loslassen. Wenn sie mal einen Körperteil locker lassen sollen, sind sie manchmal steif wie ein Brett, wenn sie sich anderen anvertrauen sollen, in Gegenwart anderer die Augen schließen oder sich mit dem Rücken zu einer Menge setzten, passiert ähnliches. Oft signalisiert das schlechte Erfahrungen, für die man nichts kann, die aber erklären, warum man doppelt und dreifach aufpasst, in diesem und jenem Sinne nicht locker lässt oder locker lassen kann und die Kontrolle nicht hergeben mag.
Wenn diese Menschen sich mit Hilfe von Drogen entspannen, achten sie oft darauf, dass es nicht zum völligen Kontrollverlust kommt, ein wenig lockerer will man sein, aber das Heft nicht aus der Hand geben.
Auf der anderen Seite ist diese Verknüpfung auch ein Weg zu lernen, die Kontrolle in bekömmlichen Dosierungen abzugeben. Menschen, deren Wunsch nach Kontrolle groß ist, leiden mitunter selbst darunter, dass sie nicht anders können. Sie spielen dieses Spiel schon seit Jahren, dort befinden sie sich auf gewohntem Terrain und unter emotionalem Druck siegt die Macht der Gewohnheit, also der Wunsch zu kontrollieren und alles was stört, in die Bahnen einer routinierten Ordnung der Gesprächsführung oder des Wegräumens, Planens oder Saubermachens zu pressen.
Der Weg über den Körper kann auch eine Möglichkeit sein, sich ein Stück weit zu öffnen und anzuvertrauen. Man darf auch hier nicht den Himmel versuchen auf die Erde zu holen, was für viele normal ist, ist für jemanden, der Angst davor hat, die Kontrolle loszulassen, eine Belastung und Stress, manchmal auch zu viel. Wenn andere sich wohl fühlen, wenn sie sich einfach mal treiben und loslassen können, ist das für Kontrollfreaks eine riesige Überwindung.
Der Körper kann helfen, weich zu werden, sich anzuvertrauen, bei einer Massage, bei Vertrauensübungen zu zweit, in der Geborgenheit des Thermalwassers, beim Yoga, wenn Sex kein Sport ist und so gibt es unzählige Möglichkeiten, nicht nur den Ziel- und Leistungsaspekt in den Mittelpunkt zu rücken, sondern einfach mal versuchsweise gar nichts zu wollen, sondern nur zu erleben. Für Kontrollfreaks eine vollkommen neue und andere Welt, aber wer sich drauf einlassen will, wird zig Möglichkeiten finden, die ihm helfen, zu bemerken, dass die Dinge laufen zu lassen auch eine Erlösung und Befreiung sein kann. Vor allem, wenn man sowieso nichts dran ändern kann. Die Balance zwischen Demut und Gelassenheit auf der einen, Willensstärke und Tatkraft auf der anderen Seite zu finden und vielleicht auch ein in unserer Kultur gar nicht so verbreitetes Gespür für Zeitqualität, den passenden Moment, in dem die Dinge geschehen zu lassen eine Kraft ist, die einen unterstützt, ist langwierig und individuell.
Überhaupt ist sich in andere Kontexte zu begeben etwas, was für Menschen mit einem zu großen Wunsch nach Kontrolle zu einer Art Therapie in Eigenregie werden kann, wenn sie mitbekommen haben und konfrontieren können, dass ihr Verhalten für andere sehr anstrengend sein kann. Es kann auch helfend und Struktur gebend für andere sein, aber stellt mitunter eine Reduzierung des eigenen Lebens dar, weil man von bestimmten Gefühlen abgeschnitten ist.
Bei Kontrollfreaks ist der Weg zum anderen Kontext nicht weit und bedeutet zumeist nur eine Kleinigkeit zu ändern und zu schauen, was dann in einem passiert. Wenn man das protokollieren möchte, was einige Menschen mit Kontrollwünschen gerne tun, dann eher das, was man fühlt, als den Zeitpunkt des Beginns und die Dauer. Was passiert eigentlich zwischen den Terminen? Zwischen dem, was man abarbeitet? – Und wenn ich etwas tue: Habe ich schon den nächsten Termin im Kopf und denke daran Hauptsache pünktlich fertig zu werden? Was erlebe ich eigentlich vom Leben – immerhin von meinem – außer der knappen Freude, pünktlich fertig geworden zu sein und was will ich sonst noch erleben? Was erlebe ich, wenn ich einen Termin abarbeite? Erlebe ich etwas, außer der Frage, wann es vorbei ist? Was? Das sind Fragen, die zu dem Spektrum der neurotischen Menschen passen.
Eine lohnenswerte Lebensaufgabe
Kontrollfreaks mit eher schweren Persönlichkeitsstörungen sind vor andere Herausforderungen gestellt. Denn sie erleben ihr Leben gerade als besonders intensiv und sehen sich oft ausgestattet mit einer geistigen Durchdringungskraft und oft auch mit einer Gefühlstiefe, die die vieler anderer bei weitem überragt. Deshalb fühlen sie sich bei der Deutung, dass Kontrolle Gefühlserfahrungen reduziert überhaupt nicht angesprochen. Manchmal gibt es sogar eine starke Neigung zu besonders intensiven Erfahrungen.
Doch hier ist es etwas anderes. Die Intensität kontrastiert mit der Fülle der Emotionen. Bei Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen geht es häufig um alles. Es wird viel entwertet, aber bei dem, was einen interessiert ist man Feuer und Flamme und schmeißt sich rein, was einem eine gewisse Bedeutung gibt. Paranoide Menschen sind eher die großen Checker, narzisstische eher jene, die eine emotionale Tiefe erleben, die allenfalls andere Genies nachvollziehen können.
Was ihnen fehlt, ist jedoch die emotionale Breite, die Viefalt. Es sind wenige Empfindungen der Ekstase und der Niedertracht der anderen, Raum für Zwischentöne und Ambivalenzen gibt es nicht. Von dieser Welt sind Menschen mit einer Ich-Schwäche ausgeschlossen, was sie oft neidisch diese Welt als oberflächlich, halb oder lauwarm entwerten lässt. Und tatsächlich ist das Erleben der Gefühlsbreite, die mit dem Auftauchen qualitativ neuer Emotionen verbunden ist, in gewisser Weise sedierend. Die Entspannung kommt also nicht daher, dass man sich von Gefühlen kühl distanziert und sie und alles kontrolliert, sondern dadurch, dass man sich auf sie einlässt.
Hier muss man wirklich Neuland betreten und Emotionen einüben, die man noch nie gefühlt und erlebt hat. Das kann zur Lebensaufgabe werden, aber es ist eine lohnende, weil sie die Qualität sämtlicher Beziehungen verändert, in aller Regel überwiegt der Gewinn den Verlust.
Der Wunsch nach Kontrolle und wann er zu weit geht
Es gibt leichte bis normale Zwangsstörungen, die einem helfen den Alltag zu bewältigen, indem sie Ängste und Unsicherheit minimieren. Das kann anderen aber gehörig auf den Senkel gehen und es ist die Frage, wo das Leid überwiegt, ob und wie man sich einigen kann.
Die Denkmuster von Menschen mit Zwängen sind oft die, dass man wie beim Schach einen Eröffnungszug macht, aus dem alles weitere abgeleitet wird und an einem Spiel teilnimmt, dessen Regeln unkorrigierbar sind. Dass der Weg beim Gehen entsteht und es nicht nur Regeln gibt, oder solche, die von Fieslingen gebrochen werden, sondern auch einen positiven Bruch gibt, ist der ‚Aufstieg‘ in eine andere Liga, in der andere Regel gelten, als in der Welt davor, in der Vertrauen herrscht, statt Macht und Strategiespielen. Das ist für Menschen, die stark kontrollieren unvorstellbar und wird daher als naiv oder süßlich entwertet, zumindest aber mit Argwohn betrachtet.
Vertrauen kann man nicht verstehen, weil es keine letzte Sicherheit dafür gibt, warum man jemandem vertrauen sollte, man muss springen oder sich fallen lassen. Irreversible Entscheidungen gibt es zwar auch, aber der Weg entsteht öfter als man denkt, beim Gehen.
Der Wunsch nach Kontrolle gibt uns Menschen aber auch Struktur. Es mag banal erscheinen, dass man aufsteht, um sein Pflichtprogramm zu absolvieren, aber immerhin weiß man, wofür man lebt und aufsteht. Nicht alle haben dieses Glück. Im Zen wird die formale Strenge sogar genutzt, um im besten Fall zu einer Spontaneität und Freiheit durchzubrechen, die man nie gekannt hat. Auch das geht.