
Der Tsunami, der 2011 Japan traf, war extrem traumatisierend und hinterließ eine Trümmerwüste. gemeinfrei, U.S. Marine Corps photo by Lance Cpl. Garry Welch under cc
Das psychische Trauma oder Psychotrauma gehört zu den breit getretenen Begriffen, zum einen in der Psychologie, zum anderen, wenn über Psychologie geredet wird oder wenn etwas von psychologischen Laien diagnostiziert wird.
Im ICD-10 wird das Trauma unter F 43.1 definiert, als
„… ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“[1]
In der Wikipedia finden wir als Beispiele:
„Naturkatastrophe oder menschlich verursachtes schweres Unheil – man-made disaster – Kampfeinsatz, schwerer Unfall, Beobachtung des gewaltsamen Todes Anderer oder Opfersein von Folter, Terrorismus, Vergewaltigung, Misshandlungen oder anderen Verbrechen.“[2]
Hier wurde bereits aus der Vergangenheit gelernt, als man ungefähr alles zum Trauma erklärte, was den Nachteil hat, dass der Begriff jede Trennschärfe verliert und obendrein überhaupt nicht mehr klar, wer nun ein behandlungsbedürftiges Trauma erlitten hat, wenn es überspitzt gesagt als Trauma bewertet wird, wenn man sich kurz die Hand an der Herdplatte verbrannt hat.
Ein psychisches Trauma ist überwältigendes Ereignis, dessen Ausmaß man nicht in sein Weltbild integriert bekommt oder wie wie bei Wiki finden:
Fischer und Riedesser definieren Trauma in ihrem Lehrbuch der Psychotraumatologie (S. 79) als:
„[…] ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt.“[3]
Soll heißen, ein psychisches Trauma ist ein Ereignis von erheblicher Größenordnung oder Intensität und das ist bereits der erste und vielleicht häufigste Fehler, den man findet, wenn davon gesprochen wird, dass jemand traumatisiert ist, der ‚Traumatisierung‘ fehlt oft das Trauma.
Wann ist man traumatisiert?
Eine wichtige Frage, weil sie schwer zu beantworten ist, im Grunde sogar nur aus dem Rückblick: Wenn jemand unter einer der in ICD-10 unter 43.- aufgeführten „Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen“ leidet, als da wären: Akute Belastungsreaktion, Posttraumatische Belastungsstörung
und Anpassungsstörungen. Aber bereits die Anpassungsstörung geht fließend in den Bereich der Depressionen über, Bereiche, die sich ohnehin überschneiden können.
So gut wie jeder kennt Situationen, in denen man sagt oder denkt: „Das hat mich jetzt umgehauen.“ „Was? Ich bin geschockt.“ „Das muss ich erst mal verarbeiten.“ Ist das bereits Ausdruck eines Traumas? Nicht unbedingt. Es kann sein, dass man auch ein schockierendes Ereignis verarbeiten kann, das braucht sicher, je nach dem seine Zeit, aber es ist möglich und dann handelt es sich nicht um ein Trauma. Auch im ICD-10 finden wir:
„Obwohl weniger schwere psychosoziale Belastungen („life events“) den Beginn und das Erscheinungsbild auch zahlreicher anderer Störungen dieses Kapitels auslösen und beeinflussen können, ist ihre ätiologische Bedeutung doch nicht immer ganz klar. In jedem Fall hängt sie zusammen mit der individuellen, häufig idiosynkratischen Vulnerabilität, das heißt, die Lebensereignisse sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten und die Art der Krankheit zu erklären. Im Gegensatz dazu entstehen die hier aufgeführten Störungen immer als direkte Folge der akuten schweren Belastung oder des kontinuierlichen Traumas. Das belastende Ereignis oder die andauernden, unangenehmen Umstände sind primäre und ausschlaggebende Kausalfaktoren, und die Störung wäre ohne ihre Einwirkung nicht entstanden.“[4]
Es reicht also auch nicht aus, dass man sich plötzlich erschreckt oder gar heftig erschreckt, das Ereignis muss schon gravierend sein, auch wenn Menschen unterschiedliche Grade an psychischer Verletzlichkeit aufweisen können. Wer sich also im Dunklen erschreckt danach ein anderer Mensch ist, ist vielleicht besonders empfindlich, aber er hat kein Trauma erlitten. Wird man über Stunden oder Tage als Geisel genommen, so gilt das als Trauma, ebenso Krieg, Folter, schwere Erdbeben, Tsunamis oder wenn man sieht, wie jemand totgeschlagen wird.
Typisch dafür, dass man ein Ereignis nicht verarbeiten konnte, sind
„das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann.“[5]
Denn das sind Beschreibungen der posttraumatischen Belastungsstörung, bei der sich das Erlebte immer und immer wieder quälend aufdrängt.
Medizinisches Trauma und psychisches Trauma
Häufiger als man denkt, kommt es zu terminologischen Verwirrungen zwischen Medizinern und Psychologen. Denn in beiden Sprachen existiert der Begriff des Trauma und bedeutet etwas anderes. Diese Problematik ist relevant, denn es gibt immer mehr Bereiche, in denen Mediziner und Psychologen zusammen arbeiten.
In der Medizin ist Trauma einfach eine Verletzung des Körpers durch Schlag, Stich, Sturz oder Stoß, aber auch Verbrennung, Unterkühlung, Strom und so weiter, also etwas, was ständig vorkommt. Jeder blaue Fleck ist ein Trauma des lebendigen Gewebes, aber längst nicht alles, was ein medizinisches Trauma auslöst, löst auch ein psychisches Trauma aus.
Andererseits kann ein oben definiertes psychisches Trauma auch auftreten, ohne dass dem Menschen ein Haar gekrümmt wird (etwa, wenn man Zeuge einer entsetzlichen Gewalttat wird), es muss also ebenfalls kein medizinisches Trauma vorliegen, um ein psychisches zu erleiden. Aber es gibt Schnittmengen, bei denen man körperlich und psychisch verletzt wird, wenn man brutal verletzt oder vergewaltigt wird.
So simpel es klingt, so ist es doch an dieser Stelle zu Missverständnissen gekommen, die schnell geklärt werden können, es aber dann auch sollten.
Das psychische Trauma und chronische Aggression

Schwere Autounfälle können traumatisieren. © Brad Greenlee under cc
Weitaus schwieriger ist es den Einfluss von traumatisieren Ereignissen und chronischer Aggression zu differenzieren. Das psychische Trauma wurde oben definiert, darin hieß es unter andrem, dass „ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer“ vorliegt. In der Regel wurde ein Trauma als einmaliges Ereignis definiert. Was aber, wenn ein gewalttätiger Mensch, der Familienvater ist, Frau und Kinder über Jahre drangsaliert? Wenn es immer wieder zu Gewaltexzessen kommt, wenn zu Hause der schrecklichste Ort der Welt ist und kein Nest der Geborgenheit. Wenn also das Trauma kein einmaliges Ereignis ist, sondern der dramatische Regelfall?
In diesem Fall sprach man nicht von einem Trauma, sondern von chronischer Aggression und was vielleicht auf den ersten Blick marginal erscheint, weil die Folgen in beiden Fällen fürchterlich sein können, ist doch von hoher Bedeutung, da Diagnose und Therapie in eine andere Richtung gehen. Inzwischen hat sich dafür die Unterscheidung zwischen Typ-I-Trauma, das kurzfristig und einmalig ist und Typ-II-Trauma, das lang anhaltend oder wiederholt ist. Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob es sinnvoll ist, das, was den Begriff Trauma spezifisch macht, zu kassieren. Ein langes und kompliziertes Thema, aber verkürzt kann man sagen, dass chronische Aggression, die mit den so schädlichen Spitzenaffekten verbunden ist, tendenziell etwas ist, was man gewöhnlich in jungen und jüngsten Jahren erleiden muss, in denen man gerade die wiederholten Situationen nicht beeinflussen oder einfach gehen kann. Tragischerweise werden in diesem Alter auch die folgenreichsten Ursachen gesetzt und hier ist die häufigste Folge die Identitätsdiffusion, die anzeigt, dass eine schwere Persönlichkeitsstörung vorliegt, deren Hauptursache die chronischen Aggressionen und Spitzenaffekte sind. Diese führen zu einer Spaltung zwischen Kognition und Affekten/Emotionen, also zwischen dem, was man denkt oder versteht und dem was man fühlt und empfindet.
Ein psychisches Trauma kann jedoch in jeder Phase des Lebens auftreten und auch bei ansonsten psychisch gesunden Menschen. Man kann auch mit 20 oder 50 Opfer einer Entführung werden, einen Krieg oder ein schweres Erdbeben erleben. Die Folgen sind mitunter schrecklich, aber anders als wenn man chronischer Gewalt oder chronischem sexuellen Missbrauch ausgesetzt ist, oder bezeugen muss.
Auch die Therapie des psychischen Traumas und der schweren Persönlichkeitsstörung ist eine deutlich andere, darum ist diese Unterscheidung ungeheuer wichtig.
Die schlechte Nachricht
Sowohl Traumatisierungen, als auch chronische Aggressionen haben mitunter fürchterliche, fremd- und selbstzerstörerische Folgen, die alles andere als eine Bagatelle sind. Menschen, die ein psychisches Trauma erlitten haben sind von den Folgen oft gepeinigt und selbst erfahrene Traumatherapeutinnen wie Luise Reddemann sehen viele Fälle, in denen man lindern kann, in denen aber eine komplette Heilung kaum möglich erscheint.
In einigen Fällen ist es so, dass es zu Retraumatisierungen im Rahmen einer Psychotherapie kommt, nämlich dann, wenn ein Trauma von einem Patienten abgespalten wurde, die Erinnerung im Rahmen der Therapie wieder hoch kommt.
Längst nicht alles, was als psychisches Trauma verkauft wird, ist eines, aber wenn Menschen dann eines erlitten haben, stellt das oft ihr gesamtes Leben auf den Kopf und das ihrer Mitmenschen gleich mit. Wir sind zum Glück seit Jahren keine Kriege mehr gewöhnt, doch nach dem Ersten Weltkrieg kamen viele der an den fürchterlichen Kämpfen beteiligte Menschen als sogenannte Kriegszitterer wieder, ein Symptomenkomplex der heute weitgehend als posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) gedeutet wird und der zeigt unter welchem immensen Druck diese Menschen gestanden haben müssen. Wir erleben PTBS heute wieder, in einer Zeit wo wir erstmals wieder mit einer äußerst geringen Zahl, heimkommender Soldaten konfrontiert sind, die schwer unter dem, was sie in Kriegsgebieten wie etwas Afghansitan erlebt haben leiden und eine diagnostizierte PTBS haben. Dass sich die Formen psychisch bedingter Symptome häufig ändert ist ein interessantes und vielfach bestätigtes Phänomen.
Die gute Nachricht
Eine gute Nachricht ist, dass es vermutlich zu dem Thema heute insgesamt mehr positive und mutmachende Nachrichten gibt, als schlechte. Selbst das ICD-10 gibt Anlass zur Hoffnung: „Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.“[6]
Man versteht, auch durch Fehler immer besser, was bei einem Trauma hilft. EMDR ist eine die bewusste Aufarbeitung und rationale Einordnung umgehende Therapieform, bei der mit der Hilfe eines Therapeuten eine als traumatisch erlebte Situation (die nicht immer ein echtes psychisches Trauma sein muss), durch eine Kombination von einer Wiedererinnerung dessen, was erlebt wurde, die man auch Konfrontation nennt und Augenbewegungen von links nach rechts und wieder zurück, denen man zuschriebt (als Analogie zu den Rapid Eye Movements (REM) des Schlafs), das Geschehen zu bewältigen und zu verarbeiten.
Inzwischen geht man davon aus, dass die Augenbewegungen an sich verzichtbar sind und die Konfrontation der wesentliche Faktor ist, dennoch sollte man daraus nicht machen, der Rest sei nur Quatsch, denn die Augenbewegungen können in ritualisierter Form ihre eigene Kraft gewinnen, in dem man weiß, wie man mit Erlebnissen umgeht, man kann sie wegwischen, wie Regen von der Windschutzscheibe.
Auch das klassische Arsenal der Traumatherapie wird immer besser und kann sich durch unseren Wissenszuwachs weiter ausdifferenzieren. Von besonderem Interesse ist dabei auch das Thema Resilienz. Resiliente Menschen überstehen nicht nur normale Alltagsschwierigkeiten besser als andere, es gibt immer wieder auch Menschen, die entsetzliche Erfahrungen erstaunlich gut wegstecken können. Wenn man versteht, was bei diesem Menschen anders ist und was ihre Stärke ausmacht, könnte dies wiederum dafür genutzt werden traumatisierten Menschen besser zu helfen.
Auffallend ist dabei, dass es – wie auch in anderen Bereichen des Lebens – immer wieder auf den generellen Rahmen anzukommen scheint, mehr als auf Medikamente oder spezielle Therapiemethoden. Im Leben einen Sinn zu sehen und das Geschehen in ein Weltbild integrieren zu können, das auch außergewöhnliche und traumatische Belastungen integrieren kann, kann man nicht therapeutisch verordnen, sind aber Eigenschaften die bei der Analyse von schützenden Persönlichkeitsanteilen immer wieder auftauchen, bei Spontanheilungen, dem Einfluss der Psyche auf den Körper und eben auch bei dem Erleben von stark belastenden äußeren Faktoren, so dass man die Frage, ob es Ereignisse gibt, bei denen man zwingend traumatisiert ist, annähernd verneinen kann. Aber schon der Durchschnittsmensch ist zäh, so dass er viele Erlebnisse besser verarbeiten kann, als man meinen sollte.
Sinn oder die Einordnung des Ereignisses in ein tragfähiges Weltbild, sowie sich als selbstkompetent (oder geborgen) im Rahmen dieses Weltbildes zu erleben, das scheinen hoch bedeutsame Fähigkeiten zu sein. Früher versuchte man dies als eher irrelevantes Beiwerk abzustreifen doch heute erleben gerade diese Faktoren wieder ihre Renaissance. Nicht selten können gerade auch belastende Lebensereignisse oder sogar ein psychisches Trauma oder Todesangst Türen öffnen, um diese Bereich neu zu sortieren.