Die Rechten haben von den Linken gelernt

Mann mit Kappe im Gesicht udn Kopfhörern, entspannt sich

Erst mal chillen. Die Devise vieler, denen alles zu viel ist. © Stephan Mosel under cc

Klassischerweise war es die Rolle der Linken, die Gesellschaft und das ‚Schweinesystem‘ zu kritisieren und sich in einigen Fällen als Revoluzzer oder Held zu fühlen, wenn man es durch die Inanspruchnahme von Geld aus demselben von innen zerstört hat. In hart linker Logik ein revolutionärer Akt. Kampf durch Nichtstun, eine gute Idee. Denn das System, das ist klar, ist kapitalistisch und faschistisch und von Grund auf falsch, das beste was es tun kann ist, zu bluten.

Allerdings muss man heute kein Linker oder Ganzlinker mehr sein um diese Auffassung zu teilen. Die ‚Demokratur‘, in der man nicht mehr sagen kann, was man wirklich denkt, ohne Maßregelungen und Sanktionen von der linksgrünversifften Verschwörung gegen das eigene Volk, so klingt der Gesang, den wir nun auch aus der anderen politischen Ecke hören. Nun sind nicht mehr alle Migranten die Opfer des ganz und gar faschistischen Landes, sondern die wahren Opfer sind die Deutschen, die von der eigenen linksradikalen Regierung abgeschafft werden sollen.

Was wiederum für Linke ein böses Narrativ ist, was gar nicht geht, eine fixe Idee von alten, weißen Männern ist, die die Welt beherrschen und Angst um ihre schwindende Vormachtstellung haben. Durch die Idee alte, weiße Männer zu bashen, haben linke Neofeministinnen gleich zwei Kunststücke geschafft: Zum einen, haben sie in eine Formulierung Altersdiskriminierung, Rassismus und Sexismus gepackt, zum anderen und für unser Thema relevant, haben sie dadurch endgültig auch die letzte verbleibende Gruppe der Welt zu Opfern gemacht, die ganze Welt besteht nun also aus Menschen, die sich, wenn sie es drauf anlegen, als Opfer fühlen dürfen.

Was diese neuen Opfer auszeichnet, ist, dass sie am Rand stehen und dort auch bleiben möchten. Sie verachten die Gesellschaft und besonders den Mainstream, auch wenn sie in und von diesem weiterhin und oft im fröhlichen Widerspruch zu den Behauptungen, prima leben. Von Freiheit wollen diese Menschen oft nichts wissen, eher betonen sie, dass es keine Freiheit gibt und wir alle gleichgeschaltet und manipuliert werden.

Freiheit bedeutet für sie, dass sie tun und lassen können, was immer sie wollen, auch andere demütigen oder beleidigen, denn, so ihr Argument, auch ihnen spielt man schließlich übel mit. Da will man nur ein bisschen hetzen und schon wird man gemaßregelt, scheiß Land. Eigentlich geht es bei Licht betrachtet ja allen so, dass sie nicht in alle Richtungen ihren Hass versprühen dürfen, aber einige kommen damit gut klar, anderen fühlen sich dadurch als unterdrückte Opfer einer Meinungsdiktatur. An der Stelle ist inhaltlich nicht immer zu entscheiden, wer nun recht hat, denn das Etikett Verschwörungstheoretiker wird manchmal recht schnell aufgeklebt, es gibt durchaus echte Verschwörungen, zudem steht Meinung gegen Meinung, Lager gegen Lager, die mitunter von anderen Prämissen ausgehen, das lässt sich nicht immer nach richtig oder falsch auflösen.

Das laute Opfer

Wir sind dadurch in der mitunter paradoxen Situation, dass man sich fast dafür rechtfertigen muss, wenn man nicht alles zum kotzen findet. Und wenn man nicht alles in Bausch und Bogen verteufelt, steht man sofort gerade für all das, was diejenigen, die sich als Opfer fühlen hassen und verachten und das kann schon mal eine längere Liste werden. „Ja Du, Du willst das doch“, heißt es dann, auf einmal ist man für so ziemlich alles seit den Dinosauriern verantwortlich, das Opfer hingegen, sonnt sich in seiner gefühlten Unschuld. Das Opfer will ja nur, was eigentlich ganz normal ist, nur die anderen sind offenbar sogar zu dumm, das zu verstehen.

In all der Erregung ist eine Frage oft ganz hilfreich: Würde man das, was man für sich einfordert, auch anderen zugestehen? Und da geht es nicht um den konkreten Inhalt. Wer Hetze und Gewalt liebt, hat nichts dagegen, wenn andere auch so agieren, aber das ist an der Stelle nicht gemeint. Gemeint ist, ob man, wenn man gerne seine Vorstellungen von Welt und Miteinander durchsetzen möchte, dies anderen auch gestattet. Oft findet man die eigene Art zu denken, zu fühlen und zu leben natürlich besser, aber das gilt für die Vertreter anderer Ansätze ebenso.

Wer Gegenrede nicht ertragen kann und die anderen am liebsten mundtot machen würde, darf sich nicht darüber beschweren, wenn dies auch mit ihm geschieht. Will man also, dass wirklich jeder sagen kann, was er denkt, so muss er dies andererseits auch den anderen zugestehen. Es ist zudem nicht ohne Ironie, dass eine Vielzahl von Diskussionen genau über die Themen stattfindet, über die angeblich niemand reden darf.

Aber bleiben wir fair. Auch der heute viel gepriesene Pluralismus hat das zentrale Problem, andere gerne mundtot zu machen. Wer das Bunte selbst nicht schätzt, den sollte man nicht zu seinem Glück zwingen, wer als Pluralist die Stimmen Andersdenkender abwürgt, ist nicht besser, als der, den er meint kritisieren zu müssen. Noch das empfindsame Selbst hat mit einigen Selbstwidersprüchen zu kämpfen.

Der Narzissmus der Ohnmacht liegt in beiden Fällen darin, dass man von der Richtigkeit der eigenen Position bereits vollkommen überzeugt ist und den anderen zwar gerne erklärt, wo und warum sie sich irren, aber zum Dialog ist im Grunde niemand bereit, wechselseitige Pathologisierungen. Das Opfer sieht sich zwar im Recht, aber einer Gesellschaft von Irren gegenüber, entsprechend enthemmt darf man auftreten, irgendwo zwischen Rechthaberei, ständiger Kränkung[link] und chronischer Wut die sich die Klinke in die Hand geben.

Das entspannte Opfer

Wie das laute Opfer fühlt sich auch das entspannte Opfer in Umständen wieder, die es nicht gewollt hat, aber das entspannte Opfer denkt sich: „Da machse nix. Erst mal chillen.“ Man kann nichts dazu, dass die Welt so ist, wie sie ist, aber nun ist sie nun mal so, also macht man das Beste draus. An sich gar kein schlechter Ansatz, wobei man gerne vergisst, dass die Welt ja keine Spieluhr ist, die irgendwann mal aufgezogen wurde und jetzt ganz einfach abläuft, sondern in ständigem Wandel begriffen. Man kann eingreifen, aber dem entspannten Opfer ist das zu anstrengend.

Die Mittel der anderen sind ja nahezu unbegrenzt, da ist nun nichts zu wollen. Es gibt auch hier willige Helfer, die in aller Ausführlichkeit gerne ausführen, wie manipuliert wir doch alle sind. Wasser auf die Mühlen der Entspannten, die nun sagen können: „Siehste, meint der auch. Abgesehen davon, bin ich eigentlich auch zu nichts zu gebrauchen. Andere sind klüger, zäher, mutiger, ich schaff das alles nicht. Da machse nix.“

Wo dem lauten Opfer gleich der Hemdkragen aufplatzt, bleibt das entspannte Opfer chronisch unerregt. Alles ist hier auf Dekadenz gestellt, wenn die Welt schon untergeht, dann auf zur letzten großen Party. Da ist es hilfreich, wenn die Szenarien möglichst apokalyptisch sind, damit man sich täglich vergewissern kann, dass auch wirklich alles zu spät ist. Eine Abwehr der Verantwortung, die man hat. Verantwortlich sein kann nur der, der was tut. Wer Entscheidungen verweigert bleibt unschuldig, so ist jedenfalls die Rechnung. Aber Unterlassung ist auch ein Vergehen. Wer allerdings im Weltuntergangsszenarien im Wochentakt bombardiert wird, der schaltet irgendwann innerlich ab, wird depressiv oder lebt kurz und heiter.

Der Narzissmus der Ohnmacht

Narzissmus setzt oft doppelte Standards. Ich kann mir erlauben, was anderen verboten ist, weil ich in einer ganz anderen Liga spiele. Das Spielfeld ist breit, von einer Verleugnung realer Probleme, bei denen man dann natürlich nichts machen muss, bis zu einer Abwehr der Verantwortung, weil man einer gewaltigen Macht gegenüber steht, bis zu einer verqueren moralistischen Haltung, die in ihrem „Ich hab‘ das nicht gewollt und mich hat man auch nicht gefragt“, eine Abwehr moralischer Verantwortung im Namen der Moral ist. Ich bin was Besseres, nun seht mal zu, wie ihr die Karre wieder aus dem Dreck zieht.

Ob arm und hilflos oder notorisch besserwisserisch und überlegen, man fühlt sich entlastet und das ist bequem. Entlastet, das einzufordern, was man eigentlich möchte: Wenn man dich nicht gefragt hat, was hättest du denn gesagt, wenn man es getan hätte? Warum hast du dich nicht eingemischt? Zu anstrengend? Das ist auch die Lösung beim sekundären Krankheitsgewinn, das aktiv und offensiv einzufordern, was man durch sein Kranksein erzwingt.

Man erwartet, dass andere das tun, was man selbst zu leisten nicht Willens ist – denn nur so funktioniert dieses Spiel – weil das ja hieße, sich gerade zu machen und Rückgrat zu zeigen. Statt dessen hat Deutschland „Rücken“. Abwehr der Verantwortlichkeit und Projektion von Schuld sind sehr menschliche Züge, aber sie machen weder frei noch glücklich. Wenn nun aber buchstäblich jeder, der es drauf anlegt sich zum Opfer stilisieren kann, funktioniert auch das Spiel nicht mehr. Der Narzissmus der Ohnmacht besteht dann nur noch in dem Wettbewerb, wem es dreckiger geht. Eine neue Ohnmacht macht sich breit und mit ihr eine seltsame Zufriedenheit.

Quellen