Wenn man sagt, man habe »aus dem Bauch heraus« entschieden, eine Entscheidung nach Bauchgefühl getroffen, was meint das eigentlich? In diesem Artikel befassen wir uns mit der oft unterschätzten, häufig milde belächelten Intuition. Was genau heißt Intuition? Und wo wird die Entscheidung nach Baugefühl überhaupt getroffen?

Moralische Algebra versus Münzwurf

Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie man zu einer Entscheidung gelangen kann. Man könnte rational und mit kühler Analytik einer Entscheidung des Verstandes folgen. Andererseits könnte man frei aus dem Bauch heraus handeln und sich um logische Argumente nicht scheren. Oder man streckt hilflos beide Arme in die Luft und gibt sich geschlagen, weil einem vom vielen Abwägen der Kopf qualmt. Aus der Überforderung heraus wird alles egal und man entschließt sich, die Entscheidung dem Zufall zu überlassen. Nachfolgend wollen wir diese Entscheidungsfindungen veranschaulichen.

Rationale Entscheidungsfindung: Nur die Logik zählt!

Neuronen Schrift Alessandro Prada

Intuition und Neuronen: Wer ist wann wie beteiligt? (All changes made to the image settings are applied to the selected photo only.) © Alessandro Prada under cc

Der amerikanische Naturwissenschaftler, Schriftsteller und einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika Benjamin Franklin lebte von 1706 bis 1790 und gilt als Begründer der sogenannten Moralischen Algebra. Diese Methode bezieht sich darauf, eine Pro- und Contra-Liste zu schreiben, um zu einer stabilen und pragmatisch orientierten Entscheidungsfindung zu gelangen. Nachdem der Entscheidungssuchende über mehrere Tage alle Gründe aufgelistet hat, können diese im Anschluss gewichtet und gegeneinander aufgerechnet werden. In Abhängigkeit davon, in welcher Tabellenspalte der bessere Wert ist, wird eine Entscheidung gefällt.
Eine andere Methode wäre, nachdem man alle »Pros« und »Cons« in den Tabellenspalten aufgeführt hat, immer zwei einander ähnlich stark gewichtige Argumente (je ein »Pro« und je ein »Con«) wegzustreichen. Es können beispielsweise auch zwei schwächere Argumente einem stärkeren Argument aus der anderen Spalte gegenübergestellt werden und daraufhin eine Streichung erfolgen. Übrig bleiben verschiedene Punkte auf beiden Seiten, auf deren Basis man dann die Entscheidung fällen kann.

Eine Investition in Wissen bringt noch immer die besten Zinsen.

Benjamin Franklin (1706-1790), amerikanischer Naturwissenschaftler, Schriftsteller und Staatsmann

Am Ende einer sehr sorgfältigen tabellarischen Auflistung kann es vorkommen, dass man vor dem Blatt Papier sitzt und alle Argumente deutlich für eine Seite der Tabelle sprechen. Jedoch tief in uns drinnen spüren wir dieses Gefühl, das eine andere Sprache spricht …

Der Zufall soll es richten: Kopf oder Bauch, ist mir egal …

Selbst bei einer Zufallsentscheidungsfindung können wir uns nicht austricksen. Am besten ließe sich diese wohl durch einen Münzwurf verdeutlichen.
Nehmen wir einmal an, wir wissen nicht, ob wir Kunstgeschichte oder Betriebswirtschaftslehre studieren sollen. Der Kopf schwirrt uns von dem Abwägen über die Studienrichtung in den letzten Tagen. Inzwischen ist uns alles egal – so glauben wir –, wir wollen einfach nur noch, dass das Grübeln endet. Über viele Tage haben wir uns vorab informiert, aber eigentlich hätten wir jenes nicht tun müssen. Denn wir wissen auch so, dass man mit einem Abschluss in Betriebswirtschaftslehre deutlich bessere Jobchancen auf dem Arbeitsmarkt haben wird. Demgegenüber steht das uns interessierende Studienfach der Kunstgeschichte, das sehr wahrscheinlich für die meisten Hochschulabsolventen in einer eher »brotlosen Kunst« enden wird. Die Jobs in den Wirtschaftsunternehmen sind deutlich mehr gestreut im Vergleich zu den raren Festanstellungen in den Museen oder Universitäten. Die Pro- und Con-Liste bräuchtest du demnach gar nicht erst führen, weil diese ganz klar für ein betriebswirtschaftliches Studium spräche und Argumente wie »mehr Interesse an Kunstgeschichte« oder »mehr Lebenszufriedenheit im Beruf« unter Umständen zwar für einen Menschen eine hohe individuelle Gewichtung haben könnten, aber weder die Miete noch das Essen bezahlen würden.

Die Zufallsentscheidung als Simulation der Realität

In einem solchen Fall bietet sich nun die Zufallsentscheidung mit einem Münzwurf an. Sie dient in gewisser Weise als Simulation der Realität, weil sie uns unsere Zukunft als unumstößliches Szenario verdeutlicht. »Zahl« bedeutet Kunstgeschichte. Und »Kopf« bedeutet Betriebswirtschaftslehre, jenes Fach, wozu unsere Eltern, Oma, Opa, der Hochschul-Studienberater, der Arbeitsmarkt und unser Kopf uns raten. Wir werfen also die Münze hoch und lassen sie auf den Boden oder in unsere Hand fallen. Gespannt schauen wir auf die zur Ansicht liegende Seite und entdecken …

Es ist der »Kopf« der Münze. Der Kopf der Münze steht für unsere Kopfentscheidung: Betriebswirtschaftslehre. Mit der Münze sind die Würfel unserer Lebensentscheidung gefallen, so glauben wir. Doch schon in der nächsten Sekunde spüren wir dieses ungute Gefühl in der Magengegend, das eigentlich eine komplett andere Sprache spricht. Nach und nach beschleicht uns der Verdacht, dass dieses Gefühl im Grunde das einzig wahre Gefühl sein könnte … Es ist das Gefühl, wozu wir wirklich stehen.

Entscheidung nach Bauchgefühl: Ich fühle, also bin ich

Schwangere auf dem Sofa

Inwieweit werden Entscheidungen nach Bauchgefühl im Bauch getroffen? © george ruiz under cc

In einer Welt, in welcher das Rationale viele Jahre in den Vordergrund gestellt wurde, könnte sogar in wissenschaftlicher Hinsicht der Bauchentscheidung mehr Platz eingeräumt werden, wie dieses Interview des Handelsblatts mit dem ehemaligen Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Gerd Gigerenzer zeigt. Wir zitieren:

Wir sind mit unseren Untersuchungen am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung seit Jahren dem Phänomen auf der Spur, dass man mit heuristischen Methoden, also mit einfachen Faustregeln, in vielen Fällen schneller, ökonomischer und auch besser entscheiden kann als mit komplexen analytischen Methoden. … Weil wir in einer Welt der Unsicherheiten leben. Große Teile der ökonomischen Forschung haben sich mit der Frage der Optimierung beschäftigt, aber diese setzt eine stabile Welt voraus, in der es keine Überraschungen gibt und alle Unsicherheiten quantifiziert werden können.

Gerd Gigerenzer, deutscher Psychologe und Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

Intuition: eine Definition

Gemäß dem Dorsch Lexikon der Psychologie bezeichnet Intuition eine »eingebungsartige, nicht durch Erfahrung oder Überlegung, sondern durch unmittelbares Erfassen des Wesens einer Wirklichkeit gewonnene, der Offenbarung ähnliche Einsicht«. Soweit, so gut.

Auf den ersten Blick scheinen die rational gefällten Entscheidungen, welche man anhand logischer Überlegungen tätigt, im Gegensatz zum Bauchgefühl zu stehen. Beispielsweise ließe sich die oben erwähnte tabellarische Gegenüberstellung an »Pros« und »Cons« für die Kopfentscheidung formulieren.
Doch, wie gesagt, viele von uns kennen das Gefühl, dass man sich trotz sorgfältiger Überlegung dennoch für die andere Seite entscheidet. Wie kommt das?

Jeder Mensch macht im Leben eine Vielzahl von Erfahrungen. Selbst wenn man sich nicht mehr explizit an alle erinnern kann, so bleiben doch bewusste und unbewusste Schlussfolgerungen daraus bestehen – manchmal sogar nur als ungutes oder eben wohliges Bauchgefühl, welches man mit der Bewertung einer Sachlage verbindet. Letztendlich macht uns die Erfahrung zu dem Menschen, der man ist. Und die Quintessenz davon lautet auch: Intuition.

Aber wo sitzt die Schaltzentrale für intuitive Entscheidungen? Wird die Entscheidung nach Bauchgefühl im Bauch getroffen? Im Kopf? Oder in beidem?

Intuitives Handeln: Bauch versus Kopf

Dass es sich um zwei getrennt voneinander existierende Systeme handeln könnte – Ratio versus Intuition, Kopf versus Bauch -, scheint auf den ersten Blick eingängig zu sein. Ist es doch eine Zeit lang der in Forschung und Gesellschaft vorherrschende Konsens gewesen. Doch ganz so klar voneinander abzugrenzen, sind sie nicht, die soggenanten Bauch- und die Kopfentscheidungen.

Manche Kognitionspsychologen halten die Theorie zweier Systeme der Entscheidungsgewinnung für nicht effizient. Stattdessen gehen sie von nur einem System aus, welches eher dem Ökonomieprinzip der Natur entspräche und auf dem Weg zur Entscheidungsfindung hin und wieder ins Bewusstsein vordringt (Ratio) oder eben nicht (Intuition).

Diskutabel ist zudem, über welche Gehirnregionen sowie neuronalen Verbindungen sich an der Entscheidungsgewinnung beteiligte Systeme erstrecken.

Fühlen, bevor du weißt, warum

Gehirn Vernetzung Universum Datenstrom

Existiert der freie Wille? Neurokognitive Forschungen finden Überraschendes. © Praveen Kumar under cc

Horr et al. (2014) untersuchten in ihrer neurowissenschaftlichen Studie die Aktivitäten im Gehirn bei der intuitiven Entscheidungsfindung. Den Probanden wurden Bilder vorgelegt, welche zwar stark fragmentiert waren, aber so, dass noch ein Objekt erkennbar war. Im Gegensatz dazu zeigte man ihnen Bilder, die so stark zerpixelt waren, dass kein Objekt auszumachen war. Die Versuchsteilnehmer sollten nun die Objekte auf den Bildern benennen. Mittels MEG wurde die neuronale Aktivität aufgezeichnet. Es zeigte sich, dass die neuronale Aktivität im Orbitofrontalen Cortex früher begann als in Hirnarealen, welche für die eigentliche Objekterkennung zuständig sind. Der Orbitofrontale Cortex ist demgegenüber an der Korrektur emotionaler Stimuli beteiligt und ist unabdingbar hinsichtlich erlernter Emotionen. Mit anderen Worten: Du fühlst es, bevor du weißt, warum. Ergo: Intuition. Vermutlich entsteht im Orbitofrontalen Cortex die Entscheidung nach Bauchgefühl, nicht alleinig, aber mit großen Anteil.

Entscheidung nach Bauchgefühl im Bauch?

Inwieweit hat nun der Bauch an sich mit dem Bauchgefühl zu tun? Klar ist, die Beobachtung Vieler, ein ungutes Gefühl zunächst im Bauch zu verspüren, ohne explizit zu wissen, warum, ist nicht von der Hand zu weisen. Möglicherweise spielt das sogenannte enterische Nervensystem eine Rolle, »ein in der Darmwand lokalisiertes intrinsisches Nervengeflecht, das sich entlang des gesamten Magen-Darmtraktes – vom Ösophagus bis zum Anus – zieht.« (zitiert nach spektrum.de) Dahingehend steht die psychologische Forschung noch am Anfang.

Wie gut ist Intuition?

Wagen wir uns noch weiter vor: Einige Hirnforscher wie zum Beispiel Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Roth von der Universität Bremen formulieren es deutlicher: Vernunft ist begrenzt, Emotionen und die Intuition steuern unser Handeln schlussendlich. Vernunft wägt ab, steuert womöglich gegen. Der Bauch jedoch hat das viel größere Gewicht. Manchmal haben Entscheidungen aus dem Bauch sogar soviel zu sagen, dass wir nicht einmal konkret formulieren können, warum wir uns so entschieden haben, wie wir uns entschieden haben.

Freier Wille: Wer entscheidet wirklich?

Dem Nucleus Accumbens, einer Gehirnstruktur, die Teil des Belohnungssystems ist, schenkte die Forschergruppe um Knutson von der Stanford University besondere Beachtung. In ihren fMRI-Studien zeigte sich, dass im Gehirn der Probanden schon zwei Sekunden, bevor sie eine risikofreudige Entscheidung trafen, der Nucleus Accumbens aktiv wurde. Trafen sie dagegen eine weniger optimale, aber risikovermeidende Entscheidung wurde die Anterior Insular (Inselrinde) aktiv – allerdings auch diesmal wieder, bevor die Probanden glaubten, eine Entscheidung getroffen zu haben. Folglich stellt sich für zukünftige Forschungen die Frage: Wie stark ist unser Bewusstsein überhaupt an Entscheidungen beteiligt? Denn so wie es aussieht, scheint die Entscheidung nach Bauchgefühl – bewusst oder unbewusst getroffen – diejenige zu sein, die uns hauptsächlich durchs Leben leitet.