Die Intuition ist eine wirklich rätselhafte Kraft. Ihr werden wahre Wunder zugeschrieben und zugleich kann man ihr in wichtigen Bereichen völliges Versagen attestieren. Viele schwören, sie könnten sich blind auf ihr Bauchgefühl verlassen, doch Tests erweisen immer wieder, dass man eher verlassen ist, wenn man seinem Bauchgefühl zu sehr vertraut.
Test gefällig? Der Umfang der Erde beträgt etwa 40.000 Kilometer. Gesetzt man hat ein Band, das einmal um die Erde gewickelt werden kann, nur ist dieses Band dummerweise einen Meter zu lang geraten. Dieses Band schwebt also ein kleines Stück über der Erde, wenn man es spannt. Nur, wie groß ist der Abstand des Bandes zur Erde?
Noch einer? Saskia studiert im vierten Jahr an einer staatlichen Universität. Im Alter von vier Jahren hat sie flüssig gelesen. Was ist ihr Notendurchschnitt? Lassen wir die Intuition mal arbeiten.
Die meisten attestieren Saskia überdurchschnittlich gute Noten. Klar ist, dass wir hier Assoziationen, wie frühes Lesen = hohe Begabung = hohe Intelligenz = gute Noten zugrunde legen und intuitiv verknüpfen. Nur gibt es keine wirkliche Korrelation, die auf den Zusammenhang von frühem Lesen und guten Uninoten verweist. Das Beispiel ist, neben viele anderen, eine, das die Schwächen der Intuition offenlegt, aus dem Buch Schnelles Denken langsames Denken von Daniel Kahneman.
Das vorherige Beispiel mit dem einen Meter zu langen Band ist von Brian Eno aus dem Buch Wie funktioniert die Welt? (Herausgeber John Brockman). Nicht wenige Millimeterbruchteile, nein, 16 Zentimeter schwebte das Band über der Erde. Viele hat die Intuition auch da im Stich gelassen.
Die Stärken der Intuition
Und doch gibt es auch die starken Seiten der Intuition. Weltbekannt ist August Kekulés Tagtraum, durch den er die Ringstruktur des Benzols intuitiv erfasste. Und auch Kahneman gesteht, dass Intuition bei Menschen wirksam ist, die gewohnheitsmäßig bestimmten Tätigkeiten nachgehen. Ärzte, Feuerwehrmänner und andere Experten, die plötzlich das Gefühl haben, dass hier was nicht stimmt – und richtig liegen.
Doch auch im Alltag lässt uns die Intuition keinesfalls immer im Stich. In Experimenten des Affektforschers Rainer Krause ließ man psychotische und „normale“ Menschen, die ihr Gegenüber und die Diagnosen nicht kannten, über banale Alltagsdinge miteinander stressfrei und ungezwungen reden. Nachher befragte man die Gesprächspartner einzeln zu ihren Eindrücken. Die Menschen mit Psychose berichteten nur von einem netten Gespräch, ihre Gesprächspartner bestätigten, dass sie sich eigentlich ganz nett unterhalten hätten, doch überdies sei da irgendwas merkwürdig gewesen. Bei der Begegnung mit anderen sind wir allerdings alle Experten und haben viel Routine.
Alles in allem ist die Routine schon eine gute Erklärung für die Intuition. Wir merken, ohne dass wir genau sagen können was nicht stimmt, dass etwas nicht stimmt, vermutlich weil wir Routinen sonst im Grunde gar nicht besonders wahrnehmen, wir tun einfach, was wir immer tun. Wenn uns dann jedoch irgendwas merkwürdig oder anders erscheint, hat das schon seinen Sinn und wir werden aufmerksam.
Intuition scheint die Dinge auf einem unbewussten, von uns nicht unbedingt zu beeinflussenden, Weg zu ordnen, die Einzelteile oft zu neuen Ganzheiten zusammenzusetzen.
Intuition in Grenzbereichen
Ein Geschäftsmann erleidet einen Autounfall und in der Nacht zuvor hatte seine Frau den Traum, dass etwas mit ihm passieren wird. So etwas gibt es, kann aber ganz simpel erklärt werden: Die Frau könnte einfach ständig in Sorge sein und nachdem 792 Mal nichts passiert ist, ist der Mann vielleicht nun in einen Unfall verwickelt, weil Unfälle leider passieren.
Überraschend viele dieser vermeintlich sonderbaren Zufälle sind zu erklären: Zwei alte Schwestern wohnen in getrennten Städten. Die eine hat die plötzliche Idee die andere mal wieder anzurufen, in dem Moment klingelt bei ihr das Telefon und die andere Schwester ist dran. Gedankenübertragung? Nicht unbedingt. Es könnte eine Fernsehsendung laufen, die alte Musik spielt oder das Leben von früher zeigt oder etwas in der Art. Die Schwestern könnten bei dem Ausflug in die Vergangenheit aneinander denken und das „spontane“ Gefühl haben, einander mal wieder anzurufen.
Und doch gibt es Fälle von Intuitionen bishin zu Synchronizitäten, die meines Erachtens nicht erklärbar sind, es sei denn, man deklariert sie als puren Zufall. Wie viele Ereignisse derart zufällig auftreten dürfen, damit der Zufall noch als Zufall (im Sinne von: hat keinerlei Bedeutung) gedeutet werden kann, und wann diese Erklärung nicht mehr zieht, ist vermutlich eine Glaubens- oder Geschmacksfrage.