Seine Ambivalenz, der Narr

Loki, ein nordischer Gott und Trickster, mit narrenähnlichen Attributen. gemeinfrei, Wikimedia under cc
Der Narr ist ziemlich eindeutig auf seine Rolle festgelegt, doch das Kuriose an dieser Festlegung ist, dass es eine auf die Rolle des Nichtfestgelegtseins ist. Die Narrenfreiheit besteht darin, dass man tun und lassen kann, was man will, dafür allerdings einen sehr niedrigen sozialen Rang bekleidet. Allein durch seine Existenz ist der Narr ein Ärgernis und die Strafe dafür wird jedem vor Augen geführt, die soziale Degradierung. Gleichzeitig ist der Narr aber ein stummer Mahner und beleuchtet eine Seite, die immer auch in uns vorhanden ist, aber lieber nicht zum Vorschein kommen sollte, will man nicht ebenfalls den guten Ruf verlieren. Andererseits: Ist des Ruf‘ erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert. Man hat sich die Freiheit des Narren erworben, indem man seinen guten Ruf in der öffentlichen Zuschreibung verloren hat. Baut man ihn sich nun geduldig wieder auf oder nimmt man die Narrenrolle an?
Aber das ist es eben auch: Der Narr ist nicht einfach gescheitert, verbittert, gefallen, frustriert, er provoziert uns gerade dadurch, dass er in vielen Fällen eine Frohnatur ist und mit Leichtigkeit und Unbedarftheit durchs Leben läuft.
Das würden wir oft genug auch gerne tun, allerdings ohne den Preis des sozialen Abstiegs zu zahlen. Der soziale Abstieg ist etwas, was mit einem gewissen Grauen verknüpft ist, denn wir sind soziale Wesen und Anerkennung ist uns wichtig. Anerkennung, zur Not in der niedrigsten Form, des wahrgenommen Werdens.
Aber es ist nicht nur ein Grauen, denn der Narr bekommt ja Aufmerksamkeit und er tritt nicht (mehr) in Konkurrenz mit den anderen. Er ist raus aus der Nummer, die immer auch etwas aufreibend ist, nämlich, sich im Mainstream über Wasser zu halten. Man muss sich seinen Ruf nicht nur erarbeiten, sondern auch aufrecht erhalten. Wer von hier aus abrutscht, fällt tief. Über Menschen, die es nicht ertragen können, urplötzlich und oft genug unverschuldet arbeitslos zu werden und die dann endlose Monate so tun, als würden sie weiter zur Arbeit gehen, sind schon etliche Fernsehreportagen gedreht worden. Was ist jetzt närrischer, die Simulation, der echte Narr oder eine Gesellschaft, in der Menschen sich zu so einer Simulation genötigt fühlen, weil zu arbeiten fast schon alles ist?
Es sind die merkwürdigen Situationen, in denen jemand von allem Druck befreit ist, wenn er sozial gescheitert ist und es ihm gerade dadurch besser als vorher geht. Die Selbstgenügsamkeit des Narren, dem es einfach egal ist, was die anderen von ihm denken, ist gleich die nächste Provokation. Sowas tut nur ein Narr, andererseits wäre es uns manchmal auch ganz gerne gleichgültiger, als uns das Urteil der anderen dann tatsächlich ist.
Der echte Hofnarr vergangener Zeiten ist ebenfalls eine ambivalente Person. Einerseits wurden zumeist behinderte oder kleinwüchsige oder andre aus der Norm fallende Menschen zur Belustigung als Hofnarren gehalten, zum anderen waren es Menschen, die sich absichtlich dumm oder ungeschickt anstellten und eine Rolle spielten.
Die vielen Rollen der Narren
Da der Narr mit nahezu allen Konventionen bricht, muss er deren Gegenseite leben und verkörpern. Überall gibt es Zustände, die gespiegelt werden wollen und die der Narr, mal plump und töpelhaft, mal bauernschlau aber als Trickster auch weise spiegelt.
Ist es nun mächtig oder ohnmächtig, der Narr? Er ist ja kaum zu bestrafen, da er nichts zu verlieren hat, er darf ungeschminkt sagen, was er denkt, tun und lassen, was er will, das sind im Grunde Privilegien, die sonst so gut wie niemand genießt. Allerdings wird er auch verlacht, gemieden und vermutlich auch sonst nicht sonderlich gut behandelt, das möchte man im Gegenzug dann eher doch nicht. Vielleicht lacht der Narr aber auch einfach über solche spießigen Abwägungen. Mächtig ist auch, wer sich selbst genügt, denn er braucht die anderen zur Bestätigung nicht. Aber ob das ein erstrebenswertes Ziel ist?
Wer regelmäßig über Grenzen geht, wird aber auch zum Bewohner mehrerer Welten, kennt sich zumindest dort aus und wird somit in natürlicher Weise zum Brückenbauer. Könnte es zumindest sein. Mit dem Trickster ist oft das Motiv des Diebstahls verbunden, ein Raub ein Betrug, den wir vom Prometheus kennen, der den Himmlischen das Feuer raubte, um des den Menschen zu geben. Der Beginn einer Kulturtechnik, wenn der Mensch das Feuer beherrscht, gleichzeitig stehen Licht, Feuer, Helles auch immer für den Intellekt, die Verstandeskräfte, die den Menschen über das bloß Kreatürliche erheben und ihm gleichzeitig einen freien Willen schenken, von der eine der äußersten Formen die Narrenfreiheit ist.
Auch der Narr wird dort, wo er Missstände anprangert oder spiegelt zum Moralisten, mindestens zum Mahner, er ist nicht einfach nur verrückt. Der Eulenspiegel wird zum Gesellschaftsspiegel, Kindermund tut Wahrheit kund, wie der Mund des Narren es auch tut. Allem Getue zum Trotz, die simple Wahrheit ist, dass der Kaiser nackt ist. Die Spiegelfunktion ist ungeheuer mächtig, aber man macht sich nicht beliebt, wenn man die Projektionen einfach zurück gibt oder ins Leere laufen lässt. Doch auch die Spiegelung einer Projektion ist ein Angebot, sie zu erkennen und zurück zu nehmen. Auch das ist eine Brücke, über die man gehen kann, eine Brücke hin zu einer neuen Perspektive.
Auch heilige Narren sind in vielen Traditionen bekannt, auch sie versuchen selten etwas anderes als Erwartungen zu enttäuschen und ihre Schüler auf eine noch radikalere Form der Freiheit hinzuweisen. Dabei verhalten auch sie sich zuweilen vollkommen anders als erwartet, mitunter erscheint ihr Verhalten sogar ausgesprochen mitleidlos zu sein. Dabei soll das Erwachen in der radikalsten Form stattfinden. Auch sie scheinen um ihr öffentliches Erscheinungsbild oder ihre guten Ruf nicht ein Fitzelchen besorgt zu sein und ihr Verhalten wird von vielen Menschen als närrisch oder verrückt angesehen.
Es ist leicht die Weisen zu entwerten, weil viele von ihnen auf Konventionen wenig bis keinen Wert legen. Doch nicht nur der spirituelle Lehrer erscheint als närrischer Störenfried, bisweilen sind es die Hohepriester der Vernunft selbst, die närrisch wirken und schwer verstören. Der Philosoph Sokrates, einer der Ahnherren der Vernunft, tröpfelte, wie der mythische Prometheus und in gewisser Weise auch die Schlange, das Sinnbild des Teufels, das Gift der Vernunft und der Erkenntnis in die Gesellschaft. Sokrates in dem er allen, die eine Position in besonderer Weise verehrten klar machte, dass sie, von dem Inhalt ihrer Verehrung überhaupt keine Ahnung haben. Denn den Mutigen, Tugendhaften oder Weisen zu bewundern, ist das eine, zu wissen und es auch sagen zu können, was denn Mut, Tugendhaftigkeit und Weisheit sind, das steht auf einem anderen Blatt und das hat viele weiße Stellen.
In der Gestalt des Tricksters kann der Narr nahezu göttliche Macht besitzen und gilt auch als Gegenspieler Gottes, dadurch, dass er aber nicht eindeutig dem guten oder bösen Pol zuzuordnen ist, auch als ein Überwinder der Polarität[link], was ebenfalls für den Narren gilt. Nicht nur an die niederen Seiten erinnert uns die Narrenfreiheit, auch daran, dass es neben der Entscheidung für eine der beiden Seiten immer auch einen dritten, über- oder untergeordneten Standpunkt gibt.
Im Tarot spielt der Narr ebenfalls eine Rolle. Tarot ist in seiner profanen Form ein altes Kartenspiel, in dem der Narr die Funktion des Jokers innehat und alle anderen Karten sticht oder übertrumpft. In einer esoterischen und von der Kabbala inspirierten Lesart ist es eine bildhafte Darstellung des archetypischen Lebenswegs des Menschen. Dem Narr ist in diesem Weisheitsblatt der Wert 0 zugeordnet und der Narr gilt als Bindeglied zwischen der letzten und der ersten Karte, wahlweise manchmal auf einer höheren Ebene.
Die Gesellschaft braucht ihre Narren
Die Gesellschaft braucht ihre Narren, die ihr die Grenzen ihres Schubladendenkens vor Augen führen. Die Botschaft ist, dass der Ausstieg möglich, der Preis den man dafür zu zahlen hat, aber hoch ist. Mit Anerkennung hat man nicht zu rechnen, vor allem in einer Gesellschaft, die recht eindeutige Positionen vertritt und stark polarisiert ist. Diese Polarität von Gut und Böse kann man unterlaufen oder überwinden. Der Narr könnte kein Narr sein und als solcher nicht wirken, wenn es die Ordnung der Gesellschaft nicht gäbe. Insofern braucht der Narr seinerseits die Gesellschaft.
Die Botschaft des Narren ist konstant die, dass es neben den als vernünftig angesehenen Zielen einer Gesellschaft stets auch ein naheliegenderen Weg zum Glück und zur Unbeschwertheit gibt. Vielleicht nicht dadurch, dass man durchgehend auf eine Konventionen pfeift, wie der Narr es demonstriert oder sie durch eine vermeintliche Übererfüllung ad absurdum führt, wie wir es in der Figur des braven Soldaten Schwejk finden, sondern auch indem er uns auf den Weg der Heiligen Narren und verrückten Weisheit einlädt.
Eine Gesellschaft braucht, wie der Mensch, Ordnung und Chaos, Struktur und Kreativität, beide bedingen einander, als Extreme sind beide nicht lebensfähig, weil Leben den Wechsel der Pole bedeutet. Wider jede Vernunft und statistische Chance nimmt sich der Mensch immer wieder mal die Narrenfreiheit und wird zum Sandkorn im ganz großen Getriebe der Maschine, zu der wie Welt gemacht wurde. Gibt es eine Verantwortung des Narren? Fragte man den Narren, so wäre seine Antwort vermutlich ein lautes Lachen …