umfallende Dominosteine

So stellen sich manche unser Menschsein vor: Wir bekommen einen Impuls und geben ihn weiter.

Kant arbeitete die seltsame Kraft zur Synthese heraus, Hegel fragte, ob sie nicht ein riesiges Wunder sei und ihre explosive Rückseite viel ursprünglicher.

Die Kraft zur Synthese meint hier einen ‚Ort‘, an dem der unendliche Strom der Eindrücke gebündelt wird. Auf der einen Seite eine Banalität, die Dinge der Welt erscheinen uns als Einzeldinge: Autos, Katzen, Bäume und dem steht ein Ich gegenüber, was in die Welt schaut und dort eben diese Einzeldinge erkennt. Auf der anderen Seite ist das schon ein riesiges Wunder und es wird immer seltsamer, ja mehr man einzelnen Fragen nachgeht, über die wir im Alltag ganz problemlos etwas wissen. Etwa, dass eine Katze lebendig ist und ein Auto nicht.

Ohne dem groß nachzugehen, sind es Informationen, die uns dazu bringen, etwas als Katze oder Auto zuverlässig zu identifizieren und diesen weitere Eigenschaften zuzuschreiben, weil diese nun mal allen lebendigen oder motorisierten Einzeldingen zukommen. All das passiert im Ich, das die Bündel an Informationen abgleicht und passend zuordnet und von der Katze weiß, dass sie Wasser braucht und sich fortpflanzen kann. Vom Auto, dass es einen Motor hat und von denkenden Wesen für einen bestimmten Zweck gebaut wurde.

Das Ich hat zum einen diese Kraft zur Synthese, zum anderen besteht es aber auch selbst aus ihr. Denn was ist das Ich? Eine Reihe von Identifikationen, die man sich zuschreibt und um sie sich zuschreiben zu können, muss man sie auch anderen zuschreiben können. Wenn Petra sich anders erlebt als Paula, muss sie ja wissen, was bei ihr anders ist, sie muss also sich und Paula erkennen und unterscheiden.

Was uns auf der physischen Ebene oft noch spielend gelingt, misslingt öfter auf der psychischen und das ist eine reiches Thema für die Psychiatrie und Psychotherapie.

Ich und Gehirn

Eine auf den ersten Blick elegante Lösung besteht darin, dass Ich einfach zu etwas zu machen, was im Gehirn entsteht. Die Schwierigkeit bestand anfangs darin, dass man meinte, per bildgebender Verfahren bestimmte Bereiche identifiziert zu haben, in denen etwa Farbeindrücke oder Sprache verarbeitet oder ‚hergestellt‘ wurden, nur einen Ort im Hirn für das Ich fand man eigentlich nicht.

So griff man zuerst zur Dirigenten Metapher, das Ich sollte der Dirigent sein, die einzelnen Hirnareale das Orchester. In einer Welt materialistischer Erklärungsansätze, wie unserer, stellt sich allerdings die Frage, wo dieses Ich denn nun eigentlich sein soll, denn aus dem Off kann es schlecht Einfluss auf das physische Gehirn nehmen. Also erklärte man das Ich irgendwann zur Illusion, weil man keines fand, dann entdeckte man auf einmal wieder zehn oder mehr verschiedene, der halbwegs aktuelle Stand ist, dass man bei vielleicht 8 gleichzeitig im Gehirn verteilten Bereichen ist, die aktiv sind, wenn das Ich angesprochen ist.

Allerdings erklärt auch das nicht, wie die seltsame Kraft zur Synthese nun zustande kommt, wie man gute von schlechten Gründen unterscheidet, woher Logik kommt – ich kenne niemanden, der das aus Durchblutungssituationen oder selbstlernenden neuronalen Netzen ableiten kann – warum man von etwas überzeugt ist und gerade davon und nicht etwa vom Gegenteil, wann man Einwände gelten lässt und wann nicht und so weiter.

Und dann ist da eben dieser seltsame Punkt in uns, der, nachdem wir uns alle Vor- und Nachteile einer für uns sehr wichtigen anstehenden Entscheidung angehört und eine Nacht drüber geschlafen haben, uns diese Entscheidung treffen lässt und damit einen Strich unter die Sache zieht. Keiner weiß, wie das geht, aber wir alle wissen, dass es geht. Das ist ein fundamentaler Unterschied zur Gesellschaft und zu Systemen.

Man sagt immer gerne ein Land, eine Firma, eine Organisation habe sich entschieden. Nach demokratischen Spielregeln, sollten alle fair sein, den Wunsch der Mehrheit akzeptieren und mitspielen, als sei es auch der eigene Wunsch. Soweit das Ideal, das vielleicht öfter erreicht wird, wenn es gut läuft, aber im Krisenmodus verabschieden sich immer mehr aus dem System, wo dies möglich ist, sabotieren es oder leisten nur noch Dienst nach Vorschrift. Und eine 52:48 Entscheidung in einem System was nicht rund läuft, führt zu Lähmungen und Dysfunktionen. Anders beim Individuum: Man nimmt den Job an oder nicht, heiratet oder lässt es, man kann endlos hadern, aber bei den meisten Menschen ist mit der getroffenen Entscheidung der Weg frei.

Diese Entscheidung und der Weg zu ihr, all das Abwägen, die Gewichtung der verschiedenen Argumente, die dazu gehörenden Emotionen, so wie die grundlegenden Werte und Ziele eines Menschen, warum und wie jemanden etwas überzeugt, kann die Hirnforschung nicht erklären, neuronale Netze hin, Bildgebung und Statistk her. Die seltsame Kraft zur Synthese ist jedoch da, das sehen wir einfach an den Entscheidungen unseres Lebens, die nicht immer so wichtig sind, dass wir das große Besteck auspacken, aber wenn es nötig ist, können wir genau das.

Um behaupten zu können, dass das Ich nur eine Ausgeburt des biologischen Organs Gehirn ist und ganz und gar erklärend auf die dortigen Parameter zu reduzieren, müsste man deutlich mehr wissen, als es der Fall ist. Man weiß über die synthetische Kraft von dieser biologischen Basis aus, so gut wie nichts. Einen Ort hat man bislang nicht ausmachen können.

Die Weitergabe von Ideen

Wenn wir Nachkommen in die Welt setzen, so haben diese einige genetische Informationen von uns und wenn diese sich weiter fortpflanzen, bleiben unsere Gene der Welt erhalten, wenngleich sie sich immer mehr verändern, da jedes Mal ein Partner mit eingekreuzt ist. Ideen können jedoch auch weiter gegeben werden. In Form von Rezepten, Arten und Weisen etwas zu erledigen, zu schauen, auf Menschen einzugehen, aber auch in Texten, Lieder, Kunstobjekten.

Auch da bündeln und verdichten wir ja Ideen, etwa, wenn man in einer Karikatur mit wenigen Strichen den mit den typischen Äußerlichkeiten auch den Charakter eines Menschen erfasst und überzeichnet. Ebenfalls, wenn wir bereits kreisende oder irgendwie verstofflichte Ideen aufgreifen und auf unsere Weise interpretieren. Wenn ein Text oder Kunstwerk uns selbst inspiriert oder wir in der Ehe aus Mitgliedern verschiedener Kulturen eine Fusion herstellen.

Die Weitergabe von Ideen ist zugleich immer ein Akt der Interpretation, das heißt, etwas wird immer wiederholt und doch auf so eigene Weise interpretiert, dass es neu ist. Ein Paradebeispiel ist die klassische Musik. Seit Jahrzehnten spielen Orchester immer die selben Stücke: die Noten, Tonhöhe, Takt und weitere Vorgaben kann man nicht einfach ignorieren und doch sind die Interpretationen des Gleichen immer anders, so dass manche als Referenzwerke gelten und das nicht, weil man alle Noten richtig gespielt hat, sondern weil man einen bestimmten Aspekt in den Vordergrund rückte.

Manchmal öffnet man auch die Idee zu völlig neuen oder zumindest lange verschlossenen Räumen. Bei Hochsprung sprangen alle vorwärts über die Latte, bis der Amerikaner Dick Fosbury jene Flop-Sprungtechnik entwicklte, die sich bis heute gehalten hat. „Schon zehn Jahre davor war es Fritz Pingl, der diese Sprungart bei den österreichischen Leichtathletik-Meisterschaften zum ersten Mal vorstellte. Sie fand allerdings keine internationale Aufmerksamkeit, da Fritz Pingl nie an internationalen Meisterschaften teilnahm.“[1]