Auf die Idee, dass Depressionen und natürliche Rhythmen in einem Zusammenhang stehen, kommt man am ehesten bei bei der Diagnose der Depression. Denn es gibt nicht den einen Indikator für eine Depression, es müssen mehrere Symptome für eine längere Zeit zusammen kommen. Auch wechseln immer wieder die die Moden und damit auch die Ansichten darüber, ob und ab wann etwa Trauer normal ist und wann die Trauer als depressives Symptom zu bewerten ist.
Der Mensch als Mischwesen
Zur Frage wie natürlich oder nicht der Mensch leben sollte, gibt es zahlreiche Meinungen, die insgesamt daran kranken, dass der Naturbegriff fürchterlich unklar ist. Es gibt eine Einigung im Ungefähren, fast jeder hat zur Natur, Naturschutz oder Naturnähe eine positive Einstellung, in der Werbung kommen Begriffe die mit dem Bild des Natürlichen spielen in Ernährung, Kosmetik, Kleidung und Lebensführung gut an und wenn wir krank sind, steht bei sehr vielen von uns etwas aus dem Arsenal der Naturheilkunde hoch im Kurs.
Fragt man jedoch genauer, was die Einzelnen unter Natur verstehen, so sind die Abweichungen so dramatisch, dass der Begriff kaum zu gebrauchen ist. Da wird die Kultur oft als Gegensatz zur Natur gesehen und definiert, andere jedoch sehe den Menschen als Produkt der Natur und damit auch alles, was ihm entspringt, wobei dann auch Atomkraftwerke, Magnetresonanztomographen und Raumstationen Naturprodukte wären, was vom Naturbegriff der Ferien auf dem Bauernhof weit entfernt ist.
Dennoch sind wir Mischwesen, haben einen Körper und mindestens der, seine Triebe und Affekte sind tief in der Natur, verstanden als biologisches Erbe, verwurzelt. Dabei ist der Körper sehr träge, über abertausende Jahre tut sich da einfach nicht viel, großartige Mutationen sind Fehlanzeige. Die letzte größere war, dass einige Menschen Laktose tolerieren, eine leichte Veränderung beim Zahnstatus, ansonsten alles ähnlich wie in der Steinzeit. Biologisch sind wir also noch Steinzeitwesen, allerdings mit der Lebensweise der Zivilisation. Die körperlichen Folgen sind hinlänglich bekannt: Übergewicht, Verdauungsstörungen, mangelnde Fitness, Zivilisationserkrankungen dieser und jener Art.
Dabei ist die Psyche robust, meint es gut mit uns und ist obendrein noch erstaunlich anpassungsfähig. Was können wir nicht alles ertragen, egal wie angeblich widernatürlich es ist. Blitzschnell kann zumindest der Teil, den wir Geist nennen würden, sich auf neue Situationen und Lebensstile einstellen. Wenn wenigstens der Rahmen stimmt und es scheint, dass einige einen größeren und stabileren und einige einen kleineren brauchen. Doch vermutlich war es nie anders und schon Tierreich wird es Tiere gegeben haben, die robuster und ängstlicher waren, andere hingegen neugieriger und zurückhaltender.
Was wir insgesamt Psyche nennen ist eine Mischung aus allerlei Faktoren, etliche davon sind körperlicher Natur. Der Mensch hat vermutlich in einzigartiger Weise gelernt sich verschiedensten Bedingungen anzupassen und der Körper macht da sehr gerne mit, wenn man ein Ziel hat und die Motivation stimmt. Doch der Zusammenbruch der Motivation ist gerade ein Hauptproblem der Depressionen.
Zerfall der natürlichen Rhythmen: Ursache und Symptom zugleich
Dabei sind depressive Menschen oft nicht unmotiviert, sondern hochmotiviert. Da ist oder war nur irgendwo der Punkt, an dem sie einfach nicht mehr konnten, oft schon vor Jahren. Ab da begann das Leben immer freudloser und anstrengender zu werden. Wichtig ist, dass nicht irgendwelche besonderen Herausforderungen im Leben sind, die es schwer, trist und zäh werden lassen, sondern der ganz normale Alltag, also das, was den anderen scheinbar so leicht fällt. Depressive Menschen sind gerade nicht jene, die keinen Biss haben und sich vorschnell hängen lassen, nicht selten sind es ehemalige Leistungsträger oder wenigstens Menschen, die oft sehr fleißig waren und in 20 Jahren Arbeit nie einen Krankenschein hatten, wie sie nicht ohne Stolz erzählen. Nur, auf einmal und irgendwann wurde es immer schwerer, doch gerade Menschen mit einer Neigung zur Depression sind es oft nicht gewohnt frühzeitig auf ihre innere Stimme oder ihren Körper zu hören, der ihnen schon seit längerer Zeit es etwas anderes und sagt, auf seine Art: Eigentlich kann und will ich nicht mehr. Depressive Menschen erfüllen dennoch zäh und oft unter Aufwand aller zur Verfügung stehenden, aber schwindenden Kräfte, weiter ihre Pflicht, weshalb der oft nicht mal böse gemeinte Hinweis, sich doch einfach mal etwas zusammenzureißen, bei ihnen so schrecklich deplatziert und nicht selten wie ein Stich ins Herz ist: Denn das tun sie ja bereits, oft seit Jahren und weit über die Grenzen des Erträglichen und mehr als die anderen sich vorstellen können.
Was zu Depressionen zwingend dazu gehört sind Störungen der Vitalfunktionen nicht selten gleich mehrerer. Essen und Trinken, Wachen und Schlafen, Sex, ein vernünftiges Verhältnis von Rückzug und sozialen Aktivitäten sind dabei oft betroffen. Typisch ist, dass der Appetit nachlässt und man einfach nicht nur keinen Hunger mehr hat, sondern die Lust am und aufs Essen ist nicht mehr da. Man sagt manchmal, Essen sei der Sex der alten Menschen, aber auch junge können ihre Spaß daran haben, es ist einfach eine Quelle der Lust im Leben. Bei depressiven Menschen zumeist nicht die einzige Quelle, die versiegt.
Auch beim Sex ist es oft vorbei mit der Lust und wenn Sexualität kein Spiel mehr ist, was Spaß macht, sondern selbst zur Pflichtveranstaltung wird, dann stimmt etwas nicht und ein weiterer Pfeiler dessen, was das Leben lebenswert macht, ist weggebrochen. Dasselbe gilt für weitere natürliche Bereiche des Lebens, mit denen es eigentlich keine Probleme geben sollte oder müsste, aber inzwischen gibt es kaum mehr irgendwelche Selbstverständlichkeiten im Leben, also Bereiche, die unproblematisch ablaufen.
Auch ohne tiefe psychologische Kenntnisse zu besitzen, ist erkennbar, dass dort, wo die Lust aufs Leben immer geringer wird und dort, wo Entspannung und Erholung immer weniger selbstverständlich sind, das Leben immer anstrengender und freudloser wird. Und so werden die Symptome der Depression selbst zu Ursachen einer Depression. Gelegentlich kann es vorkommen, dass im Zuge einer Depression, die viele Gesichter hat, die Lebensbereiche, die sonst eher reduziert sind, verstärkt auftauchen. Maßloser Hunger, vor allem auf Kohlenhydrate oder eine verstärkte sexuelle Aktivität. Doch das sind eher seltene Erscheinungen, häufiger ist Reduzierung. Gemeinsames Band bei den Depressionen ist aber eine Abweichen von der Norm, die für diesen Menschen bisher gegolten hat. Depressionen und natürliche Rhythmen haben einen großen Zusammenhang.
Der Schlaf- und Wachrhythmus
So gut wie immer in bei depressiven Menschen der Schlaf- und Wachrhythmus gestört. Depressive Menschen Schlafen oft schlecht. Sie Schlafen schlecht ein und/oder werden früh wach und sind dann oft gezwungen die immer gleichen, fruchtlosen Gedankenschleifen zu ziehen, ohne Fortschritt, oder Ergebnis, reines Grübeln, nicht selten sind es Gedanken von Schuld und Versagen, die einem da den Schlaf rauben. Entsprechend energiearm und ausgelaugt fühlt man sich den Tag über, bei starken Formen der Depression ist man kaum noch in der Lage seinem geregelten Tagesablauf nachzugehen, zu groß die Antriebsarmut, zu bleischwer das unbekannte Gewicht, was da auf einem lastet, als müsse man jede Bewegung in einer zähen, klebrigen Masse ausführen. So ist man oft erschöpft, findet aber erneut keine Erholung in einem tiefen und erquickenden Schlaf, so dass die zähe Geschichte sich fortsetzt und ins Bett gehen zu müssen, zur Horrorvorstellung werden kann.
Oft werden die Symptome, die bei einer Depression im Rahmen der Pathologie auftreten aber auch von außen induziert. Das Schlafbedürfnis ist individuell, manche kommen ihr Leben lang mit 4 bis 5 Stunden Schlaf in der Nacht aus, wenn man jung ist, schläft man länger, als im Alter. Schlafforscher empfehlen jedoch etwa 8 Stunden und diagnostizieren, dass wir kollektiv deutlich zu wenig Schlafen, durchaus mit negativen Folgen für die Gesundheit. Man kann das glauben, weil der Körper und auch die Psyche buchstäblich vieles im Schlaf machen. So bringen wir uns aber in die Situation, die der Depressive im Rahmen seiner Krankheit erlebt: Schlaflosigkeit, Erschöpfung, Übermüdung. Kunstlicht, und das blaulastige Licht der Smartphones und Computer sorgen dafür, dass der Körper auch abends noch eher aufgeputscht wird, statt abschalten zu können. Die Dauererreichbarkeit, die manche aus ihrer Arbeitswelt kennen, sowie der normale Stress, den man bisweilen hat, tragen ihren Teil dazu bei, dass viele heute nicht mehr abschalten können, zudem sorgen Alkohol und Schlafmittel oft noch dafür, dass die Schlafqualität sinkt und somit das, was den Schlaf eigentlich gesund macht, reduziert wird. Ein Teufelskreis.
Dennoch, wer jung fit und stabil ist wird all das gut ertragen und wenig Probleme haben. Man sollte aber im Hinterkopf behalten, dass es ein Baustein ist, den man dem Körper und seiner Psyche entzieht und auch immer mehr junge Menschen schwächeln inzwischen. Galten Studenten bisher als psychisch robust, so erkranken doch immer mehr von ihnen (und mehr als altersgleiche Nichtstudierende) an Depressionen, als Grund gelten Zeit- und Lerndruck.[1]
Die sind es auch, die die recht eigene, kleine, aber erwähnenswerte Gruppe der Workaholics oder leistungsorientierten Menschen ab und zu in die Knie zwingen. An sich sind diese durchaus glücklich mit ihren Stress und identifizieren sich voll mit der Leistung, inklusive dem wenigen Schlaf. Ausschlafen ist dort etwas für Pussies und Warmduscher. Durch Powernapping, Vitamine und vielleicht auch etwas Ritalin und Kokaik kann man sich effektiv erholen auf einem gefühlt hohen Level halten, meint man in dieser eigenen Welt, in der man die Kritikfähigkeit irgendwann verliert. Dennoch bricht auch hier immer mal wieder jemand zusammen und fällt in ein tiefes Loch der Depression.
Die Störung des Schlaf- und Wachrhythmus macht man sich auch therapeutisch zunutze, indem man durch bewusstes Schlaffasten (unter Aufsicht) depressive Patienten in gewisser Weise wieder die Reset-Taste drücken lässt, in der Hoffnung, dass der Körper seinen natürlichen Rhythmus wieder findet, was durchaus manchmal gelingt.