Mein Hund versteht mich

Das ist auch die Quelle der Einstellung, dass viele Menschen meinen, ihr Hund oder ihre Katze würde sie verstehen und wüsste genau, was es darf und was nicht. Der Klassiker ist, dass Menschen nach Hause kommen und der Hund sie „mit schlechtem Gewissen“, also unterwürfiger Haltung, an der Tür erwartet. Er weiß, so die Deutung der Besitzer, dass er was falsch gemacht hat. Nein, sagen die meisten Fachleute. Der Hund weiß nicht was richtig und falsch ist, aber er reagiert sofort auf unser Verhalten. Er merkt, wenn wir verärgert sind und versucht dann, durch angeborene Demutsgesten der Strafe zu vermeiden. Viele Haustierbesitzer würden dem jedoch widersprechen und das mit gar nicht mal schlechten Argumenten. Nämlich, dass der Hund schon von Anfang an irgendwie anders gewesen sei, als noch niemand sehen konnte, was passiert ist. Nun, das ist letztlich ein Ping Pong Spiel, bei dem wir aus Gewohnheit eher den Forschern recht geben, doch eigentlich ist es ein Kampf der Deutungen, der offener sein könnte, als manche glauben.

Tiere, so glaubt die Forschung, sind im Grunde komplizierte Reiz-Reaktions-Maschinen. Auf bestimmte Schlüsselreize reagieren sie per angeborenem Auslösemechanismus (AAM) und spulen dann ein starres Programm ab. Und zu einem Teil stimmt das auch, die Forschung hat hier viel geleistet. Auf bestimmte Reize reagieren manche Tiere deshalb immer und immer wieder, bis zur Erschöpfung und ohne Einsicht. Doch nicht alle Tiere funktionieren nach dem starren Muster. Aufgebrochen werden diese Muster dadurch, dass es bestimmte Hierarchien von Triebe gibt. Und welche Triebe dominieren entscheidet die jeweilige Situation, das Umfeld mit. Ein insgesamt dynamisches System, in dem das Tier nicht immer nur eine passive Rolle spielt.

Wer ist Markus Fiedler? Oder: Das Revierverhalten des Dreistachligen Stichlings

Manche Erklärungsmuster, die wir uns zurecht legen, übernehmen wir einfach, ohne sie zu hinterfragen. Wissen Sie noch, wer Markus Fiedler ist? Das ist der diplomierte Biologe und Lehrer, der den Film über die dunkle Seite der Wikipedia gedreht hat. In einem Interview zum Film erzählt er, von einer Fortbildung, die er besuchte, zum Revierverhalten des Dreistachligen Stichlings. Jeder, der sich früher mit Verhaltensforschung befasste, kennt den Dreistachligen Stichling. Das ist der Fisch, der angeblich auf den Schlüsselreiz der roten Bäuche seiner Artgenossen (oder Attrappen, die diesen Reiz imitieren) aggressiv reagiert und diese wieder und wieder attackiert, bis zur physischen Erschöpfung. Eine völlige Luftnummer, wie Markus Fiedler ausführt, die aber unreflektiert in die Ethologie Einzug hielt, da es sich um eine fragwürdiges Experiment mit genau einem Fisch handelte, und ewig lange dort verblieb bis sie gelöscht wurde und nun … erneut eingeführt werden sollte.[1]

Warum spielen Tiere?

Viele kennen die Antwort: Das Spiel ist kein Selbstzweck, sondern folgt einem evolutionären Nutzen. Im Spiel trainiert das Tier Fähigkeiten wie Fitness, Koordination, die es später braucht, das ist der Sinn dahinter. Oder? Der theoretische Evolutionsbiologie Prof. Dr. Peter Hammerstein bezweifelt diese Deutung inzwischen. Schon früher hätte es Experimente gegeben, bei denen man das Spiel von Katzen systematisch unterbrochen hat, so dass sie dieses Training nicht hatten. Man sollte erwarten, dass diese Katzen später Mäuse dramatisch oder wenigstens etwas schlechter fangen, als jene, die ständig üben konnten. Das Ergebnis war allerdings, dass es überhaupt keinen Unterschied gab und die untrainierten Katzen genauso gut Mäuse fingen, wie ihre trainierten Artgenossen.[2]

Das Tier ist nicht nur ein Container von Trieben oder (egoistischen) Genen, die es abspult, sondern das es wird zunehmend zu einem Akteur, in dem Maße, wie seine Freiheit wächst. Und das tut sie. Denn es kam in den letzten Jahren zu einem Umdenken in der Verhaltensforschung. Von der Art zum Individuum. Von der Arterhaltung als oberstem Antrieb, zur Durchsetzung erfolgreicher Individuen und der Weitergabe ihrer Gene. Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, doch im ersten Fall erkennt man zunehmend, dass es zwar Verhaltensweisen gibt, die typisch für Hyänen, Elefanten oder Löwen sind, aber es innerhalb der Art viel größere Unterschiede zwischen den Individuen gibt, als man bislang dachte, etwas was Haustierbesitzer oft bestätigen können.

Verstehen Hund und Katze uns nun? Oder reicht es, angeborenes Verhalten und einen unterlegten Zweck zu unterstellen, um das tierische Verhalten zu erklären? Diese Frage wird man ohne weiteres nicht beantworten können, weil die Beschreibung des Verhalten eines Tieres bereits eine Interpretation ist. Ethologen sind sich dessen bewusst und versuchen zunächst, sozusagen, in der praktischen Grundausbildung, alle deutenden Vokabeln, wie „freut sich“, „ist aufgeregt“ oder „ist ängstlich“ zu unterlassen und stur bei der Beschreibung des Tiers, seinem tatsächlichen Verhalten zu bleiben. Etwa, dass ein Tier in der Bewegung innehält und die Ohren aufrichtet, dass es sich auf den Rücken dreht und den Kopf nach hinten neigt und so weiter. Je präziser, desto besser.

Doch auch hier kommt der Tag, an dem man sich einen Reim auf das Verhalten machen muss und es deutet, will man versuchen zu erklären und nicht nur beobachten. In dem Moment stülpt man dem Verhalten aber bereits eine eigene Richtung und favorisierte Interpretation über. Das ist keine Kritik, sondern unausweichlich, nur sollte man es nicht vergessen. Wenn man diese Brille dann einmal auf hat, findet man gewöhnlich das, was man sucht. Auf einmal hat alles was passiert einen evolutionären Nutzen, beim Tier sowieso und manche Evolutions- und Soziobiologen übertragen diese Verhaltensweisen relativ ungefiltert auf den Menschen. Hier wir es erkennbar unrund und manche gehen dann nach dem Motto vor: Was nicht passt, wir passend gemacht.

Wir müssen flexibel bleiben. Vielleicht gibt es Dinge, die einfach Selbstzweck sind, die schön sind, weil Schönheit ein Ziel sein könnte. Andererseits hat man die Teleologie (Telos = Ziel) vollständig gestrichen. Doch mindestens Zwischenziele muss man wieder einführen. Wenn Menschen sich unterhalten, wollen sie sich verstehen, etwas klären und verfolgen ein Ziel. Man weiß nicht, wie weit das zu verallgemeinern ist. Der Bereich von Mensch und Tier, diese merkwürdige Kooperation über viele 10.000e von Jahren ist ja auch heute auch nicht von einem erkennbaren evolutionsbiologischen Nutzen. Aber Mensch und Tier bilden nach wie vor eine stabile Gemeinschaft, die wir weiter ausleuchten.

Quellen:

  • [1] KenFM im Gespräch mit: Markus Fiedler (Die dunkle Seite der Wikipedia), https://www.youtube.com/watch?v=4X-3-AwqkLQ 1:29:55 – 1:32:15
  • [2] Peter Hammerstein in der Sendung: Scobel, https://www.youtube.com/watch?v=dBltrlP-S2Q 09:50 – 10:55