Im vorangegangenen Teil der Artikelserie wurden verschiedene Sichtweisen auf das Phänomen von „Narzissmus in Beziehungen“ besprochen, die persönliche, die therapeutische und die psychiatrische. Einerseits haben wir die Schilderungen der Betroffenen, die oftmals einen narzisstischen Missbrauch in der Partnerschaft erkennen lassen. Andererseits haben wir das überarbeitete Diagnosehandbuch für psychiatrische Erkrankungen, in dem zukünftig die Narzisstische Persönlichkeitsstörung wegfällt. Geben wir nachfolgend der Sichtweise der Betroffenen in einer missbräuchlichen Beziehung das Wort. Wie ist eine toxische Beziehung? Aus ihrer Sicht.

Sicht der Betroffenen: Wie eine toxische Beziehung ist

Seit jeher lernen Menschen nicht aufgrund irgendwelcher abstrakten Theorien oder gutgemeinter Ratschläge. Menschen lernen am besten durch einen gegenseitigen Erfahrungsaustausch sowie durch die Rückschlüsse, die daraus gezogen werden. Deshalb wird es Zeit, an dieser Stelle auch die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen, die selbst lange Zeit nicht wussten, was mit ihnen in der toxischen Partnerschaft geschieht. Vielleicht nahmen sie dank ihres Bauchgefühls die unterschwelligen Spitzen des Partners wahr, die Mikroverletzungen und Herabsetzungen. Dennoch schenkten sie ihnen nicht Gehör, weil sie ihrem Gegenüber mehr vertrauten als ihrem eigenen Gespür. Und außerdem, weil sie davon ausgingen, dass man ihnen in einer Partnerschaft mit der gleichen Liebe begegnen würde, die sie selbst bereit waren, zu geben.

Gerade in Zusammenhang mit dem narzisstischen Verhalten des Partners kann eine Beziehung schnell zu einem Ungleichgewicht mit einem gefährlichen Potenzial führen. Wie ist eine toxische Beziehung? Hier sind einige Erfahrungsberichte.

Idealisierung und Abwertung

Zwei Menschen haben handgreiflichen Streit

Wie ist eine toxische Beziehung? Eine Beziehung mit verbaler, emotionaler, körperlicher oder sexualisierter Gewalt. © Ian T. McFarland under cc

Die Wahrnehmung eines Betroffenen in einer toxischen Beziehung wird tatsächlich getrübt. Je nach Tageslaune des Partners wird man entweder positiv bewertet oder bei Bedarf abgewertet. Tags darauf wird die eigene Wahrnehmung wieder in Abrede gestellt. Versichert man sich rück: „Aber du hast doch gestern gesagt, dass …“, erhält man zur Antwort: „Das hast du falsch verstanden, ich meinte es eher so …“

Dass sich der Partner tatsächlich ambivalent verhält und seine Äußerungen und Ansichten wechselhaft sind, darauf kommen die Betroffenen nicht. Sie gehen zunächst davon aus, sie hätten es falsch verstanden, bis sie irgendwann aus dem Kreislauf der Wahrnehmungstrübung erwachen und ein Resümee ziehen.

Erfahrungen von Betroffenen

„Man weiß nie, was bei ihm los ist. Heute vergöttert er Dich, morgen straft er Dich ab. Ich war die ganze Zeit wie angeknipst und damit beschäftigt, ihn wieder zu beschwichtigen. Ich war immer auf der Hut, was als Nächstes kommt. Meine Nerven lagen blank.“

„Anfangs war er der Mann für mich, den ich immer wollte. Er war liebenswert und beschützend. Obwohl wir eine Stunde auseinander wohnten, hat er mich immer nach Hause gebracht. Er hat nicht nur geredet, sondern er war ein Mann der Tat. Doch das änderte sich von einem Tag auf den anderen. Er fing an, mich zu beleidigen, und wies mich zurück. Ich hatte keine Ahnung, was ich falsch gemacht hatte, noch wusste ich, was ich tun soll. Auf einmal war alles schlecht. Ich wollte begreifen, warum er so unzufrieden war. Dieser Mann hat mich schon nach so kurzer Zeit an Punkten in meiner Psyche verletzt, die niemand anders vorher getroffen hatte. Er konnte mit drei Sätzen einen Menschen so verletzen, wofür andere vermutlich zwanzig Sätze bräuchten. Aber er hat mich eben auch im positiven Sinn intensiv berührt und bei mir Gefühle ausgelöst, die ich nicht kannte.“

Funktionalisierung und Abstrafen

Selbst wenn einem ein emotional unnahbarer Partner stets mit freundlichen Worten begegnet, so kann selbst dahinter auch eine Funktionalisierung und Manipulation stehen. Ein ambivalentes, wertendes Verhalten findet allein dadurch statt, wie viel Zuwendung er schenkt beziehungsweise entzieht, je nachdem, ob man ein für ihn gewünschtes oder unerwünschtes Verhalten zeigt.

Erfahrungen von Betroffenen

„Mir ist relativ schnell klargeworden, dass er nicht ganz unkompliziert ist. Aber mein Gott, wer ist schon leicht? Aber dann wurde mir klar, dass er nicht nur seine Standpunkte vertrat, sondern ganz perfide und subtil ein falsches Spiel spielte. Er meckerte oder beleidigte mich nicht. Nein, er war ruhig und höflich. Lange Zeit habe ich gar nicht gespürt, was mir da widerfährt. Und doch wurde ich immer verunsicherter, ängstlicher und fahriger. Und dass ich eigentlich immer das Gefühl hatte, nicht gut genug für ihn zu sein. Ich kämpfte um seine Liebe, bettelte irgendwann sogar um Gespräche, Kuscheln und Sex. Er ließ mich mit leeren Komplimenten an der ausgestreckten Hand verhungern.
Wenn ich ihn fragte, ob alles in Ordnung sei, bejahte er zwar, aber er ließ mich im Regen stehen. Sein Verhalten war total distanziert mir gegenüber. Eine Form von stiller Folter. Wenn ich heute darüber nachdenke, weiß ich, dass ich mich unwohl in seiner Nähe fühlte. Aber ich blendete das Gefühl aus, strengte mich lieber noch mehr an, um ihn zu erreichen, wurde noch verführerischer, führte ein Schauspiel nach dem anderen vor ihm auf. Ich war gar nicht mehr ich selbst.
Gegen Ende, wenn wir uns stritten, schaute er mich eiskalt von oben herab an. Er war dann total herablassend und nahm mich überhaupt nicht für voll. Er war immer noch höflich dabei, aber ich spürte, dass er mich total abwertete und ich null an ihn herankam, um meine Bedürfnisse zu erklären. Alles ist nur Fassade bei ihm. Er war eigentlich immer total weit weg von mir, wir waren nie eine wirkliche Einheit. Das eine Mal wurde mir schlagartig bewusst, dass er leere Augen hat. Die sind wie tot. Mir kam es vor, als wäre in seinem Inneren nichts. Ich musste mich regelrecht zwingen, ihn zu verlassen.“

Selbstzentrierung und Desinteresse

sternenförmige Struktur an Wand

Für einen narzisstischen Charakter ist er selbst der Mittelpunkt des Geschehens. © Catedrales e Iglesias/Cathedrals and Churches under cc

Ein narzisstisch geprägter Mensch sieht sich selbst stets im Mittelpunkt. Er zieht in allem Rückschlüsse auf sich, nimmt vieles als Angriff wahr und verfügt – wenn überhaupt – nur über begrenzte Fähigkeiten, sich auf eine andere Person empathisch einzulassen. Meistens interessiert es ihn schlichtweg nicht, es sei denn, er trägt einen Nutzen davon.

Erfahrungen von Betroffenen

„Eines Nachmittags kam ich aus dem Krankenhaus nach Hause. Ich war völlig fertig, da meine Oma im Sterben lag und ich sie besucht hatte. Er spielte gerade Computer. Den Tränen nahe ging ich zu ihm, setzte mich auf seinen Schoß. Ich wollte eine Umarmung und mir alles von der Seele reden. Aber er schaute nur an mir vorbei auf den Bildschirm und sagte, ich soll ihn damit in Ruhe lassen. Das interessiert ihn nicht. Er hat ganz eigene Sorgen. Ich war fassungslos, aber ich respektierte seine Meinung und ich blieb.
Natürlich wurde es nicht besser, eher schlimmer. Er hielt Verabredungen nicht ein und stellte mich als hysterisch und einengend hin, wenn ich mich darüber aufregte. Er sprach nur über sich. Und er hat mich in vierzehn Ehejahren nicht einen einzigen Tag gefragt, wie es mir geht. Und das, obwohl ich ihn jeden Tag nach der Arbeit mit dieser Frage begrüßte. Heute finde ich es verrückt, dass ich überhaupt so lange geblieben bin. Aber ich war einfach noch nicht so weit.“

Beschimpfung und Bedrohung

Im Zuge der Gewaltspirale geht es in einer toxischen Beziehung gehörig bergab. Es kommt zu immer häufigeren und stärkeren Beleidigungen, manchmal Bedrohungen. Körperliche und sexuelle Gewalt ergänzen mitunter den emotionalen Missbrauch, bei gleichzeitiger Abhängigkeit des betroffenen Partners. Manche sprechen diesbezüglich von einem Bindungs- bzw. Entwicklungstrauma. Nachfolgend eine Schilderung:

Erfahrungen von Betroffenen

„Ich habe weinend vor ihm auf dem Boden gelegen und ihn angefleht, mich nicht zu verlassen. Ich war aufgelöst in meiner Verzweiflung, obwohl er mich schon Tage zuvor als dumme Fo… beleidigt hat. Ich hatte keinerlei Selbstachtung mehr. Alles, was ich wollte, war, dass er mich nicht verletzt. Ich brach vor ihm zusammen und lag auf dem Boden des Flures. Mit kaltem, hämischem Grinsen blickte er auf mich herab und sagte mir, dass ich der hässlichste Mensch auf der Welt sei. Ich weinte hysterisch, als er mir sagte, dass ich mich doch nur selbst bemitleiden würde. Dann ging er. Heute frage ich mich, wie er es schaffen konnte, dass ich mich so aufgelöst habe. Ich war komplett entwertet. Ich weiß bis heute nicht, wie das passieren konnte.“

Wir müssen reden

Das Wichtigste ist, dass die Betroffenen von emotionaler, körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt sich austauschen und sich dadurch eingestehen, dass ihnen ein Missbrauch, eine Misshandlung, passiert. Die vorangegangenen Aspekte in einer toxischen Beziehung sind nicht erschöpfend, darüber hinaus gibt es so viele Punkte mehr. Über die Kommentare unter diesem Artikel könnt ihr euch gern austauschen. Wie ist eine toxische Beziehung aus deiner Sicht?