Wir müssen uns trauen auf Egoisten einzugehen

Irgendwo auf einem Hochsitz kam Dirk über viele Stunden ins Nachdenken. Rolf Dietrich Brecher under cc
Begriffe wie Flugscham oder andere Konstrukte bringen nichts. Es wird heute mehr geflogen denn je, in Deutschland und die Zulassungen neuer SUV steigt ungerührt von der Klimadebatte. Bevor wir das Problem wieder auslagern und auf andere projizieren und uns fragen, wie man denn nur so egoistisch und verbohrt sein kann – und wie man das bestrafen könnte – könnten wir versuchen Egoisten zu verstehen.
Wenn das Klima ein Thema ist, bei dem wir empfindlich sind, weil wir meinen, hier stünde einiges auf dem Spiel und demzufolge sei es keines mehr, sondern bitterer Ernst, dann ist klar, dass wir gereizt sind. Wir sind sauer, über so viel Rücksichtslosigkeit bei den wirklich wichtigen Dingen, aber was die wirklich wichtigen Dinge sind, das wandelt sich. Andere werden beim Thema innere Sicherheit gereizt, manche schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn es um den Wirtschaftsstandort geht, manche wollen einfach nur mal genug Geld haben um überhaupt das Klima schädigen zu können, anderen liegt das Thema Armut und Pflege im Alter im Magen, anderen, dass gerade die Jugend bluten muss und natürlich hat jeder seine Tipps, was man doch eben nur mal tun müsste.
Egoisten fragen: Warum sollte ich? Was hab‘ ich davon? Ihnen zu antworten, dass sie so nicht denken dürfen und sie wütend zu beschimpfen hat offenbar bislang nicht so viel gebracht. Vor allem, weil wir bei anderen Themen aus Sicht der anderen ebenso schnell Egoisten werden. Da wird die Idee der Mensch sei eben generell ein Egoist, guten Gewissens verabschieden dürfen, können wir fragen, warum hier jemand so gedankenlos erscheint.
Die Gründe kann man nachvollziehen. Wieder was. Wieder etwas, was man unbedingt machen soll und oft das Gefühl hat, dass man verzichten soll, dass man obendrein mit seinem bisherigen Leben falsch liegt, falsch lebt, falsch ist. Heute vielleicht in einer Situation, in der viele das einmal zu oft gehört haben. Man will sich nicht mehr länger an der Nase herum führen und erzählen lassen, wie toll das Leben doch eigentlich ist.
Da wir in Deutschland aber statistisch glücklicher sind, als in den letzten Jahren, zugleich auch immer mehr Menschen bei uns Neues erleben wollen, bleiben für die statistisch ebenfalls wahrgenommene wachsende Aggression offenbar diejenigen übrig, die sich abgehängt fühlen, darunter viele Ostdeutsche, aber eben nicht nur.
Eine Erfolgsgeschichte?
Wenn die wirtschaftliche Lage sich verbessert, die Stimmung der schlecht Gelaunten aber dafür richtig mies wird, könnte das den Grund haben, dass es eben nicht allein ums Geld geht, zumal viele rechte Protestwähler gar nicht arm, sondern eher wohlhabend sind. Geht hier einfach eine Ära zu Ende und wie tut sie das? Dirk ist wahrlich nicht der Prototyp des linken Ökos, aber er ist selbst auf die Idee gekommen, die nun seine ist. Den anderen will man so gerne mit Verboten nachhelfen, doch das heißt oft nur drauf zu dreschen.
Hier soll der Einzelne in Haftung genommen werden für etwas, was er so eventuell selbst nicht will und nie wollte. Verbote, da klingt sofort mit, Verbote für die Normalbürger, die anderen finden bekannte Schlupflöcher. Nun bin ich kein Anhänger der Opfererzählungen, aus mehreren Gründen, nicht zuletzt, weil diese ausgedehnten Opferidentitäten auch den Opfern am Ende nicht gut tun. Wo also ist die gesunde Mitte zwischen berechtigter Kritik und verständlichem Ärger einerseits, Trauer und Überforderung andererseits und einer Perspektive für die Zukunft, die man gerne mitgestalten würde?
Dirk ändert sein Leben dramatisch, das entspricht seinem Typ, richtig oder gar nicht, war seine Devise. Nicht jeder ist so und machen wir uns nichts vor, Dirks Weg ist anstrengend und klingt nach Verzicht. Verzicht und Verbote führen schnell zu der Reaktion: Jetzt soll das also auch noch lassen. Und natürlich tut man das nicht und tut vielfach erst recht, was man eigentlich nicht tun soll. Zumal, wenn das Leben einen ohnehin nicht auf die Sonnenseite gestellt hat.
Dirks Geschichte enthält aber noch zwei andere Botschaften. Anstrengend war es, ja. Aber der Gewinn überragt den Verlust. „Ich komm‘ nicht mehr zurück“ sagt Dirk und meint damit hinter seine einmal gewonnene Einsicht. So ist es in der Tat, wenn es einmal klick gemacht hat, ist man seiner Einsicht ausgeliefert, aber immerhin ist es die eigene. Man kann sich nicht mehr länger selbst was vormachen und will es auch nicht. Denn das ist der andere Punkt, den Dirk unterstreicht: „Das Leben heute hat eine bessere Qualität als das alte Leben.“ Dirk weiß, wofür er aufsteht und das ist gut.
Wahrgenommen. Ernstgenommen. Angenommen.
Dirks Geschichte sollte uns Sorgen machen, wenn man das Thema Klima ernst nimmt. Der Berg ist steil, viel mehr als Lippenbekenntnisse sind noch immer nicht zu sehen. Aber wie in Neue Realitäten dargestellt ist das Klimathema nur eines von vielen Themen, die relevant sind und auch nicht mehr aufzuschieben, was den Berg im Grunde noch steiler macht.
Aber das ist kein Grund zur Verzweiflung, sondern ein Teil einer möglichen Lösung und dessen, was uns fehlt, nicht mal obwohl, sondern weil der Berg steil ist. Hier winken neue Möglichkeiten sich zu bewähren, auch abseits der Fixierung auf Lohnarbeit. Wenn Menschen mehr Geld haben und sich dennoch als Bürger zweiter Klassen fühlen, hat das andere Gründe. Sie wollen, wie wir alle, wahrgenommen, statt ignoriert, ernst genommen, statt von oben belehrt und angenommen, statt ausgegrenzt werden.
Was ihnen fehlt ist eine Rolle, die gesellschaftlich akzeptiert ist und das sind solche, in denen man anerkannt und nicht nur bezahlt wird. Das soll die Notwendigkeit seinen Lebensunterhalt bestreiten zu müssen nicht klein reden und erst recht nicht dagegen ausgespielt werden. Das Leben in unserem Land hat sich fundamental geändert, viele haben Lust darauf, manche überfordert das und eine Gesellschaft ist keine Bergetappe der tour de france, in der immer mehr zurückfallen und darf es auch nicht sein. Gerade in einem geburtenschwachen Land können wir jeden gut gebrauchen, vermitteln aber vielen ein konträres Gefühl.
Was hat der Egoist davon, warum sollte er sich einsetzen? Für die uns allen so wichtige Anerkennung. Ein Ziel im Leben. Das Gefühl zu wissen, wofür man lebt. Wissen Sie es? Vor allen Dingen, ein Zugewinn an Lebensqualität, auch in Zeiten, von denen es heißt, man würde nun eigentlich nicht mehr gebraucht, im Alter. Otto Kernberg, der große Psychoanalytiker unserer Tage arbeitet noch immer, mit 90! Jürgen Habermas, ein philosophisches Schwergewicht, hat im selben Alter gerade ein Buch vorgelegt, dessen purer Umfang schon beeindruckt: Über 1700 Seiten! Dirks Geschichte kennen wir nun. Sehr viele andere wollen noch erzählt werden, die Zeiten dafür sind gut.