DNS Modell, dreidimensional

Das Doppelhelix-Modell in dem unser Erbgut schlummert. © ynse under cc

Wie berechenbar sind wir im 21. Jahrhundert geworden? Waren es früher scheinbar hellsichtige Menschen, wie Hexen, Magier und Hypnotiseure, die in dem Ruf standen zu wissen, was andere denken und sie beeinflussen zu können, wurde dieser Staffelstab dann an die junge Wissenschaft der Psychologie weitergereicht. Anfang des 20. Jahrhunderts gelangen der Menschheit viele epochale Blicke ins Innere. Röntgen glückte es den Körper zu durchleuchten, die Physik drang über die Relativitätstheorie und Quantenphysik ins kuriose Innere der Materie vor und Freud tat, mit den anderen Pionieren der Psychoanalyse, einen Blick in die Tiefe der Psyche.

Das Jahrhundert verging und die Entwicklungen schritten fort, die Techniken wurden ausdifferenzierter. Die Psychologie spaltete sich in einzelne Bereiche auf, die das Verhalten des Menschen genauer unter die Lupe nehmen und in spezialisierte Segmente unterteilen sollte. Das Bild des Psychologen in der Öffentlichkeit wurde das eines Menschen, der einen mit durchdringendem Blick ansieht und unsere verborgensten Motive erspürt.

Doch das war längst nicht alles. 1953 wurden erstmalig die Forschungen von Crick und Watson zur Doppelhelixstruktur der DNS in Nature veröffentlicht. Die Geburtsstunde der Molekulargenetik, mit Auswirkungen auf die Erkennbarkeit und Berechenbarkeit des Menschen. Man suchte in der Folge im Erbgut nach jenen Abschnitten, die für Haarfarbe, Körpergröße, Intelligenz und das typische Verhalten von Menschen zuständig sein sollten, auch Verbrecher- und Aggressionsgene.

Auch soziobiologische Ansätze zur Erklärung des Menschen kamen auf. Bereits in den späten 1960ern erschien das Buch „Der nackte Affe“, des Verhaltensforschers Desmond Morris und wurde zum Bestseller. Es wies auf die oft hohe Ähnlichkeit des menschlichen Verhaltens, seiner Mimik, Gestik und Körpersprache, mit dem seiner tierischen Vorfahren hin.

Doch das Interesse an der Durchschaubarkeit des Menschen erfasste auch andere Bereiche. Auch die Werbung wollte wissen, wie der Mensch funktioniert, die damit assoziierte Marktforschung kam auf und spezialisierte sich ebenfalls immer mehr um den potentiellen Kunden zu verstehen.

Kriminalpolizei und Militär

Naturgemäß waren auch die Kriminalpolizei und das Militär daran interessiert, zu erkennen, wie Menschen ticken. Teil der Strategie war, am besten schon im Vorfeld zu erkennen, wie sich jemand unter bestimmten Bedingungen verhalten würde. Ein weiterer Versuch des Zugriffs auf die Black Box, die das Innere des Menschen nach Ansicht der Behavioristen unter den Psychologen sein sollte.

Auf militärischer Seite und auch bei Konzepten der Kriminalpsychologie versuchte man vor allem mittels der Spieltheorie das mögliche Verhalten der jeweils anderen Seite vorherzusehen und in die eigenen Strategien mit einzuberechnen. Frank Schirrmacher machte in seinem Buch „Ego: Das Spiel des Lebens“ deutlich, dass diese militärische Sicht auf das Verhalten des Menschen zunehmend auch andere Lebensbereiche erfasste und zu einer Algorithmisierung des Menschen führte. Ansonsten ist man auf dem militärischen Gebiet pragmatisch und interessiert sich für alles, was hilft die Absichten des potentiellen Feindes zu erkennen, sich selbst zu schützen und ihm zu schaden oder ihn mindestens zu kontrollieren.

Wie auch immer: Kriminalpsychologen, Farbpsychologen, Experten für Körpersprache und diverse populäre und wissenschaftliche Psycho- und Intelligenztests rückten unserem Inneren von allen Seiten näher, um zu erkennen, wer wir sind, wie wir sind und wie der andere ist.

Der Stand um 1990

Um 1990 war der dominierende Zweig der Psychologie der Behaviorismus, der das Verhalten des Menschen als konditioniertes Reiz-Reaktions-Muster sah, das man im Rahmen der genetischen Grenzen durch operante Konditionierungen verstärken und abschwächen konnte. Die tiefenpsychologischen Richtungen waren eher an den Rand gedrängt, galten sogar zuweilen als unwissenschaftlich. (vgl. dazu auch: Psychische Heilung). Parallel dazu arbeitete man weiter an der Entschlüsselung des Genoms, es wurde die Dekade des Gehirns eingeleitet und die Genomanalyse schritt voran. Technische Fortschritte (wie die Polymerase-Kettenreaktion) und die immer bessere fMRT waren massiv daran beteiligt.

Man war dem Inneren des Menschen auf der Spur, vor allem in der Werbung, die Produkte immer gezielter anpreisen wollte. Doch es gab auch psychologische Trends und Moden, die immer wieder versprachen, den Menschen, sein Denken und Verhalten durchschauen und vorhersagen zu können. So blickte man zum Beispiel auf die Körpersprache und schaute, was sie verrät, entgegen oder zusätzlich zu dem, was ein Mensch von und über sich sagt und bewusst preisgibt.

In der inzwischen recht populären Esoterik legte man Wert auf das analoge Denken, das von einem Bereich des Soseins auf andere schloss. Das Prinzip hieß, dass alles etwas über einen Menschen aussagt, nicht nur die Körpersprache, sondern auch, wie er spricht, sich kleidet, welches Auto er fährt oder Bücher er liest, Haustiere oder Hobbys er hat.

Doch das alles war nichts gegen die Neuerungen, die in den nächsten ungefähr 15 Jahren kommen sollten. In dieser Zeit wurde zusätzlich zu einer immer größeren Präzision der bekannten Bereiche noch das Profiling populär und immer mehr das Internet, das uns alle gläserner macht.

Nun dämmerte allmählich, dass von unserem, ehedem hoch privaten, Inneren kaum noch etwas übrig zu bleiben schien. Die Frage Wie berechenbar sind wir? schien beantwortet werden zu können und die Antwort hieß: vollständig.

15 ereignisreiche Jahre

Mann sitzt breitbeinig in Bahn, Frau sitzt eng verknotet

Hier erkennen auch Laien die Körpersprache © Greg Neate under cc

Es folgten Jahre, die es in sich hatten. Mehrere Entwicklungen liefen parallel:

Der Abstieg der Verhaltenstherapie

In der Psychologie büßte der Behaviorismus und mit ihm die Verhaltenstherapie ihre Dominanz ein. Das hatte drei Gründe:

  1. Die Verhaltenstherapie ist weiter gut und bewährt, aber in einem viel engeren und spezialisierteren Segment als zuvor, als man sie noch für eine Therapie für nahezu alle Probleme hielt. In anderen Bereichen bewährte sie sich jedoch nicht und es bleibt im Einzelfall zu prüfen, wann das Verfahren anzuwenden ist.
  2. Die Erkenntnisse der Hirnforschung brachten etwas Licht in die Black Box, als die das Gehirn zuvor galt.
  3. Ein Erstarken psychodynamischer Ansätze, vor allem in dem Bereich der schweren Persönlichkeitsstörungen, deren gesellschaftliche und therapeutische Bedeutung immer mehr ins Bewusstsein trat.

Die Ergebnisse der Hirnforschung

Die Dekade des Gehirns blieb nicht ohne Ergebnisse und nicht ohne Übertreibungen. Die Ergebnisse waren, neben vielen Details, die man nun besser verstand, vor allem die der Neuroplastizität des Gehirns. Heißt, das Gehirn ist weit weniger als angenommen ein starres Organ, dessen Funktion ein für alle mal feststeht, sondern hochdynamisch. Es verändert sich je nach den Anforderungen, die an es gestellt werden. Wenig trainierte Bereiche gehen unter, trainierte werden immer stärker ausgeprägt. Das hat ganz praktische Konsequenzen.

Die Übertreibungen betrafen die Diskussion um die Willensfreiheit, die durch die Hirnforschung noch einmal neu beleuchtet und angefacht wurde. Wir haben das Thema in dieser Reihe ausführlich behandelt.

Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms

Im Jahr 2001 wurde die Entschlüsselung des menschlichen Genoms offiziell verkündet, die endgültige Fertigstellung war dann in den Jahren 2003 und 2004. Nun, so schien es, waren wir noch ein Stückchen gläserner geworden, der Baukasten unseres Menschseins, auch unseres Wollens und Sein, war um etliches kompletter geworden.

Ein Erstarken des organisierten Atheismus

Gläubige Menschen und Atheisten gingen in Deutschland die allermeiste Zeit Hand in Hand, in dem Sinne, dass sie sich wechselseitig ignorierten und in Ruhe ließen. Leben und leben lassen. Das änderte sich in der Mitte der ersten Dekade des neuen Jahrtausends und im Fahrwasser einer Sicht, die die biologische Komponente des menschlichen Verhaltens und nicht selten auch einen Biologismus nach oben spülte. Den Biologismus unterscheidet von der Biologie, dass er Teilgebiete einer Wissenschaft verabsolutiert und in den Rang einer Weltanschauung erhebt.

Doch der Trend zu einer Biologisierung war da und er versprach, der Psyche und den letzten geheimen Winkeln unseres Innern, seine Geheimnisse zu entreißen. Die Gene bestimmen unser Sosein, unser Hirn macht, was wir denken und wie wir uns entscheiden und es ist, so hieß es, ist auch nichts anderes als ein Organ. Vielleicht etwas komplizierter, aber im Grunde wie Herz und Leber. Ein Naturprodukt, abhängig in seiner Funktion von natürlichen Zutaten und biologischen Voraussetzungen und so ist auch der Output reine Biologie. Unsere Gedanken seien im Grunde nichts anderes als Stoffwechselprozesse, ja sogar die Existenz eines Ichs bestritt man zwischenzeitlich, mit dem merkwürdigen Argument, man könne dies im Hirn nicht finden. Hat man den Biologismus erst einmal geschluckt, ist dies ein schlagendes Argument und es galt: Was man nicht messen kann, das existiert auch nicht.

Kriminalistik, Genanalysen und eine Popularisierung des Profilers

Auch in der Kriminalistik machte man weitere Fortschritte. Ungefähr ab dem Ende der 1990er und zunehmend in den Nuller Jahren konnte man bei Kriminalfällen immer mehr auf den genetischen Fingerabdruck und die Reihenuntersuchungen bei schweren Verbrechen zurückgreifen.

Zur gleichen Zeit wurde in der Öffentlichkeit der Profiler populär. Plötzlich schossen Berichte, Bücher und Fernsehserien über Profiler aus dem Boden. Ein wenig eine Reminiszenz an den guten alten Kriminalisten im Stile von Sherlock Holmes und den Psychologen mit dem durchdringen Blick, der alles versteht. Hier nun, so die Phantasie, blickt er auf einen Tatort, sieht eine Leiche in einer bestimmte Situation und schließt sofort, dass der Täter männlich und alleinstehend sein muss, geringe Bildung und eine Neigung zu Computerspielen hat, zuweilen kann der Profiler auch noch bizarre und präzise Details angehen, die uns staunen lassen.

Eigentlich ist der Profiler aber ein Tatortanalytiker und vergleicht, je nach dem wen man fragt, nur Tatorte miteinander, ohne auf die Psyche des Täters zu schließen. So die Aussage von Thomas Müller in dem Buch „Bestie Mensch“. Aus anderer Sicht versucht man eben doch Wahrscheinlichkeiten zu erörtern, die auch Rückschlüsse auf die Psyche zulassen. So zum Beispiel das Übertöten (Overkill) eines Menschen. Wenn man jemanden mit 40 statt mit 2 oder 3 Messerstichen umbringt, wird dies als klassische Beziehungstat gewertet. Der zufällige Dieb, dessen Opfer sich vielleicht unerwartet wehrt, will es sich vom Leib halten, sticht zu und rennt weg. Wer jedoch dutzende Male zusticht, will nicht schnell weg, sondern sich abreagieren, ist voll von aufgestauter Wut und Hass, dies sich hier entlädt, wenn man mit aller Kraft wieder und wieder zustößt.

Armeecollege am Computer

Taktik, Spieltheorie und Cyberwar. In der Armee spielt der Computer eine große Rolle. © U.S. Naval War College under cc

Mikroemotionen

Im Dunstkreis zwischen Psychologie, Kriminalistik und der Absicht, jemandem auf die Schliche zu kommen, sind in dieser Zeit auch die Mikroemotionen oder -expressionen und ihre Analyse populär geworden. Vor allem Paul Ekman hat hier Heldenhaftes geleistet und steht in der persönlichen Begegnung in dem Ruf, Gedanken lesen zu können, dabei hat er „nur“ trainiert, auf unsere Mikroemotionen zu achten. Die ersten Bruchteile von Sekunden nach dem Erhalt einer Nachricht, dem Blick auf ein Bild oder dergleichen, reagieren wir unbewusst und erst dann sind wir in der Lage unsere Mimik und Gestik zu kontrollieren, egal was wir für geübte Schauspieler im Leben sind. Also ein letztes sicheres Zeichen, dass wir zu durchschauen sind? Nur bedingt. Diese Methode kann Spannungen und Widersprüche in der Psyche anzeigen, aber es gibt Menschen, die von den merkwürdigsten Ideen und Ansichten zutiefst überzeugt sind und sie würden sich nicht verraten, weil sie keinen inneren Widerspruch empfinden.

Der Siegeszug des Internet

Weiter wurde in dieser Zeit das Internet populär und setzte sich in der heute uns allen bekannten Form durch. Das Smartphone ist heute so gut wie immer und überall dabei und nicht nur unser Aufenthaltsort lässt Rückschlüsse auf unser Verhalten zu, auch unser Onlineverhalten ermöglicht einen Grad an freiwilliger Überwachung, von dem Geheimdienste früher nur geträumt hätten. Allerdings gibt es eine ganze Generation von Usern, die das nicht im mindesten stört.

In den 15 Jahren nach 1990 ist das noch kein Faktor, weil der Siegeszug des Internet hier erst beginnt. Doch die Bewegung ist nicht mehr aufzuhalten.

Terror dringt in unser Bewusstsein

9/11 im Jahr 2001 ist zum stehenden Begriff geworden. Die mediale Allpräsenz dieser Anschläge und ihre Dauer über viele Stunden der Berichterstattung sorgten dafür, dass so gut wie jeder diese Anschläge über das Fernsehen miterlebte. Der Terror, ein Phänomen, was man eher weit weg wähnte, rückte uns in den nächsten Jahren immer näher und hält uns bis heute in seinem Bann.

Ein scheußliches Phänomen, aber ein guter Gradmesser dafür, wie es um die Fähigkeit zu wissen, was der andere denkt, denn nun tatsächlich bestellt ist. Denn von kaum jemandem möchte man derzeit genauer wissen, wie er tickt und was er vorhat, als vom nächsten potentiellen Terroristen.

Eine merkwürdige Wende der Hirnforschung

Noch, wir befinden uns etwa im Jahr 2005, ist der Umfang der Möglichkeiten des Internet nicht klar. Umso mehr jedoch schienen die Möglichkeiten der biologischen Methoden in den Himmel zu wachsen. Um die Jahrtausendwende war ein beispielloser Hype um die Hirnforschung ausgebrochen, teilweise von den führenden Protagonisten selbst befeuert, der Zug war kaum zu stoppen, zu allem und jedem befragte man nun die neuen Stars.

Doch die sich abzeichnende Wende betraf nicht allein die Hirnforscher, auch das eben entschlüsselte menschliche Genom brachte andere Ergebnisse mit sich, als zunächst gedacht. Aber der Reihe nach.

Die Hirnforschung war populär, aber man verdribbelte sich. Der Protest, oft von Seiten der Philosophie wurde immer lauter und geordneter. Der wesentliche Gegenspieler wurde die Position des Kompatibilismus, dessen Clou darin besteht, dass er unsere neuronalen Verschaltungen, ja sogar einen umfassenden neuronalen Determinismus, nicht leugnen muss, sondern stattdessen fragt: Gesetzt, wir sind vollkommen determiniert, wären wir dann tatsächlich unfrei? Die intuitive Antwort lautet, dass wir dann selbstverständlich unfrei wären. Aber mit den Intuitionen ist es manchmal so eine Sache und hier in jedem Fall. Die Antwort des Kompatibilismus lautet: Egal, wie determiniert wir wären, unserer Freiheit täte das keinen Abbruch (ausführlicher: Freiheit und Determinismus).

Zudem gibt es noch ein ganzes Bündel an ernstzunehmender Kritik an der Methodik, etwa die, durch Falschfarben und die sehr willkürlich zugeordnete Durchblutungssituation (Frage: Ab welchem Grad von Durchblutung beginnt denn Denken?) im Kopf, mit Denken gleichzusetzen oder die technische Frage der Auflösung der fMRT-Geräte und so weiter. Heute würde kaum noch einer die vollmundigen Behauptungen um 2005 wiederholen, erst recht sind die daraus abgeleiteten Implikationen (Änderung des Strafrechts) weit übers Ziel geschossen.

Bezogen auf unser Thema heißt das, dass wir heute noch immer nicht wissen, was jemand denkt, selbst wenn wir ihn unter den modernsten fMRT legen. Wir können gerade einmal ganz basale Affekte zuordnen und ungefähr wissen, dass jemand jetzt gerade sieht oder riecht, was jemand denkt, was die Eindrücke mit ihm machen, wann und warum sich jemand zum Beispiel radikalisiert und vielleicht einen terroristischen Anschlag oder ein sonstiges Verbrechen plant, das kann man nicht sehen. Selbst Hirnforscher schätzen die Situation heute oft vollkommen anders ein, auch ganz aktuell wieder.

Unser Erbgut

Etwa zur gleichen Zeit, als die Diskussion um den freien Willen hochkochte, wurde das menschliche Genom im Rahmen des Humangenomprojekts (HGP) vollständig entschlüsselt. Doch auch hier war auf einmal der Effekt zu beobachten, dass eine Zunahme unseres Wissens in Nichtwissen kippt:

„Anstatt die These vom genetischen Determinismus zu bestätigen, machten die Ergebnisse des HGP „schnell klar, dass es äußerst schwierig sein würde, von gewissen Genen auf bestimmte Eigenschaften zu schließen“. Es wurde vielmehr offensichtlich, dass es keine kausal gerichtete Beziehung zwischen Genotyp und Eigenschaft gab, „sondern es sich bei der Ausprägung phänotypischer Merkmale um einen hochkomplexen Prozess von Wechselwirkungen und Rückkoppelungen zwischen DNS, RNS, Proteinen und Zellplasma handelte“.“[1]

Mit einem Mal wurde klar, dass die Gene zwar nach wie vor in vielen Bereichen eine große Bedeutung haben, aber dass es eine andere Frage ist, welche der vorhandenen genetischen Informationen abgerufen werden. Die Rolle der Epigenetik trat mit einem Mal ins Bewusstsein und die epigenetischen Faktoren sind wiederum stark abhängig von der Umwelt und weiteren Faktoren. Der Blick in die Gene und ins Gehirn brachte neue Erkenntnisse, aber die lauteten, dass vieles bei weitem komplexer ist, als man es am Anfang dachte. Der Blick ins Innere, er blieb uns weiter verwehrt.

Stand heute: ein neuer Verbündeter, das Internet

Doch bei der Entschlüsselung unseres Innern gibt es einen neuen ernstzunehmenden Verbündeten, das Internet. Unser Kontakt mit dem Netz ist allgegenwärtig. Nicht nur wir, mit unserem Tablet, Smartphone oder dergleichen, auch immer mehr unserer Haushaltsgegenstände, wie Fernseher, Auto oder gleich das ganze Haus sind online, die Risiken und Nebenwirkungen ringen mit dem Nutzen.

So oder so fallen bei all dem jede Menge Daten über uns an, mitunter sehr intime. Viele davon veröffentlichen wir aber freiwillig, über die Likes bei Facebook. Eine große Studie hat dabei ergeben, dass Facebook uns nach 10 abgegebenen Likes besser kennt, als unsere Arbeitskollegen, ab 150 Likes besser als ein Familienmitglied und bei 300 Likes besser als unser Partner.[2] Manche sagen gar, dass die Onlinegiganten uns bereits besser kennen, als wir uns selbst.

Der Schlüssel zu unserem Innersten soll in den Algorithmen liegen. Algorithmen erkennen unser Off- und Onlineverhalten und das anderer im großen Stil. Sie verknüpfen unter anderem Gewohnheiten. Wer dies tut, tut auch das, mit einer gewissen statistischen Häufung. Das sind verschiedene Verknüpfungen, die über den Geschmack eines Menschen laufen können oder über seine Lebensumstände. Wer sich für Kinderwagen interessiert, interessiert sich tendenziell auch für Windeln, weil demnächst ein Kind zu erwarten ist. Wer Volksmusikinterpreten A mag, mag auch Volksmusikinterpreten B und tendenziell weniger Rap. Algorithmen wissen zwar nicht, was Kinder oder Musikgeschmack sind, aber sie können Beziehungen der Häufigkeit herstellen.

Wie berechenbar sind wir?

Wie sieht es nun aus in der Gesamtsumme? Wir können dem Menschen statistisch immer näher kommen, keine Frage. Doch es gibt Grenzen, die noch nicht überschritten werden konnten. Die Grenzen liegen bei dem, was man Erklärung nennt. Wir kennen zwei Arten von Erklärungen. Die erste wird deduktiv-nomologische Erklärung genannt und bedeutet, dass alles, was geschieht, auf dem Boden einer hinreichenden und endlichen Anzahl von Bedingungen geschieht. Es bedarf bestimmer Bedingungen, damit irgendwo ein Feuer entsteht. Das sind nicht irgendwelche Bedingungen, sondern sehr spezielle. Die Anwesenheit von Chlorgas und Hühnersuppe ist dafür irrelevant, brennbares Material, eine Wärmequelle und Sauerstoff sind hingegen relevant. Theoretisch bestehen diese Bedingungen auch für den Wunsch zu heiraten, ein Auto zu kaufen oder einen Terroranschlag zu begehen. Nur kennen wir eben nicht alle diese Bedingungen. Mehl, Butter, Zucker, Eier und ein Ofen (oder etwas in der Art) sind notwendige Zutaten um einen Kuchen zu backen, aber man muss ihn auch backen können und wollen. Und da kennen wir die hinreichenden Komponenten eben nicht. Vielleicht schätzt man vieles bereits sehr richtig ein, aber letztlich wissen wir nicht, warum sich der eine radikalisiert und der andere, unter ähnlichen Bedingungen, nicht. Es gibt nicht die Stelle im Hirn oder den Genen, die in Kombination mit bestimmten Ereignissen dazu führt, dass jemand zum Mörder wird. Zumindest kennen wir sie nicht. Die deduktiv-nomologische Erklärung sagt, dass wenn alle hinreichenden Ursachen zusammen sind, es logisch zwingend dazu kommen muss, dass A geschieht. Doch unsere Unkenntnis über die hinreichenden Zutaten reißt eine Lücke in die Idee der zwingenden Erklärung.

Das alternative Modell ist die induktiv-probabilistische Erklärung. Sie besagt, dass das Auftreten bestimmter Komponenten ein Ereignis immer wahrscheinlicher werden lässt. So lässt eine lange trockene Hitzeperiode im Sommer die Gefahr von Bränden durch achtlos weggeworfene Zigarettenkippen, Blitze oder auch spontane Entflammung steigen, aber gleich wie groß die Wahrscheinlichkeit von etwas auch sein mag, es muss nicht eintreten, der Zwang fehlt. Kurz und gut. Zwischen der Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Phänomens und dem tatsächlichen Eintritt klafft eine Lücke und wenn an einer Aktion ein Mensch beteiligt ist, ist diese Lücke oftmals seine Einstellung.

Diese kann sich, auch wenn das oft nicht der Fall ist, immer wieder ändern, mitunter dramatisch. Alles ist augenscheinlich so, wie es die letzten 20 Jahre war, doch auf einmal geht ein Mensch morgens nicht mehr zur Arbeit. Es gibt tatsächlich die Fälle, in denen jemand nur mal eben Zigaretten holen ging und nie wieder gesehen wurde. Es gibt plötzliche Meinungsänderungen, ohne dass wir wissen, warum gerade jetzt (und nicht schon vor 5 Jahren, letzte Woche oder nie).

Kehren wir wieder zurück zum Terrorismus. Wir wissen eben nicht, was bei jemandem auf einmal anders ist, so dass wir es sehen und sagen können, dass er demnächst einen Anschlag ausführen wird. Vielleicht ändert sich das Online-Verhalten dramatisch, wenn jemand zu allem entschlossen ist, aber vielleicht macht jemand auch alles weiter wie bisher. Dass Innere, es entzieht sich dem letzten Zugriff und der Mensch bleibt für seine Mitwelt immer ein Stück weit unberechenbar. Aber wir wissen auch immer genauer, dass innere Entscheidungen kein leeres Echo bilden, das irgendwo im Kopf verhallt, sondern, dass sie eine kausale Größe sind. Es ist schon wichtig, wie wir uns entscheiden.

Wie berechenbar sind wir? Vielleicht besser als vor 20 Jahren, aber unterm Strich doch immer noch recht wenig, leider auch bei wichtigen Entscheidungen nicht immer. Zum Glück auch bei wichtigen Entscheidungen nicht immer.

Quellen:

  • [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Humangenomprojekt#Geschichte
  • [2] https://news.stanford.edu/2015/01/12/personality-computer-knows-011215/