Gute Flüchtlinge, schlechte Flüchtlinge?

Soldaten bei einer Ordensverleihung

Haltung wird oft als soldarische Eigenschaft verstanden, das muss aber nicht so sein. Sie hat etwas mit Achtung vor den eigenen Werten und psychischer Stabilität zu tun. © ResoluteSupportMedia under cc

Unser Menschenbild sagt uns, dass es diese Unterscheidung für uns nicht geben sollte, unser Wunsch nach Wirtschaftswachstum sagt uns das Gegenteil. Die Flüchtlinge aus der Ukraine behandelt wir, fast etwas verschämt, anders. Auch das wird gerne auf ein Motiv reduziert, wobei es in der Regel mehrere sind. Oft wird die Religion angeführt, aber wir sind ja im Grunde kein sonderlich religiöses Land mehr, was auch für die Ukraine gilt, insbesondere in der jungen Bevölkerung, ähnlich, wie bei uns. Ein Unterschied der nicht gerne zugegeben wird, ist die Hautfarbe. Ukrainer sehen im wesentlichen aus wie ‚wir‘, wobei ‚wir‘ schon deutlich heterogener aussehen, als vor einigen Jahrzehnten. Ein anderer Grund dürfte sein, dass die ukrainischen Flüchtlinge überwiegend Frauen mittleren Alters sind und nicht junge Männer.

Bis vor 30 Jahren ein Viertel der Deutschen in Zeiten eine Jahrzehnte währenden Trennung in einer von den Sowjet-Staaten geprägten Diktatur gelebt und da die Bilanz der Wende gemischt ausfällt und an einer heimlichen Russlandliebe, die mit angeblich zuverlässigen Wirtschaftsbeziehungen festgehalten wird, will man sich nicht eingestehen, dass man die Zeit nicht zurückspulen kann. Es gibt auch in dieser Frage eine andere Position.

Ein Aspekt der in die komplexe Gesamtkonstellation passt, ist, dass wir nicht richtig realisiert haben, dass unsere Demokratiesattheit stark mit einem Demokratiehunger der Ukrainer kontrastiert, die sich wirklich dafür entschieden haben, anders zu leben, als zuvor. In all der Heterogenität und Widersprüchlichkeit, die es auch dort gibt, aber inzwischen mit einem sehr genauen Wissen darüber, was man nicht will. Dort wird auch für die Werte gekämpft, die wir kaum mehr beachten, obwohl es doch unsere sind.

Oder sind das gar nicht mehr unsere Werte? Weil das alles zu Wischi-Waschi ist und mit Haltung und Respekt nichts mehr zu tun hat? Aber was suchen wir dann eigentlich?

Inszenierung als Kämpfer gegen Eliten

Es gibt eine kuriose Mischung derzeit, aber eine, die man durchaus ernst nehmen muss, mindestens sollte man versuchen die Hintergründe zu verstehen. Kurios ist, dass es häufig zu einer Koalition von Altlinken und Neurechten kommt, denen aus verschiedenen Gründen Amerika, die NATO und der Westen suspekt ist und ihn im Würgegriff von Eliten sehen.

Als Lösung wird oft von den einen ein Form von Liberalismus und Anarchismus von den anderen gesehen. Beiden gemeinsam ist die Idee, dass der Staat sich heraushalten soll. Die positive Idee könnte man so formulieren: Niemand sollte über irgendwen bestimmen. Aber dann wird es schon diffuser. Die einen glauben an eine grundgute Natur des Menschen, der von sich aus kooperiert, wo immer man ihn lässt. Dass Aggression eine Grundkraft in uns ist, wird geleugnet und als Folge bereits schädlicher Einflüsse gesehen. Der Mensch ist gut oder zumindest in der Lage, sich rational vom Guten zu überzeugen.

Auch die andere Seite dieser seltsamen Koalition denkt, dass die Natur alles regelt, nur eben gemäß dem Recht des Stärkeren. Alles ist Kampf, geführt durch offene Gewalt, aber auch andere Stänge der Macht.

Dazu gesellt sich eine Gruppe die insgesamt ihrem Selbstverständnis nach relativ unpolitisch ist. Durch manchmal übereilte Zuschreibungen hat man sie ins rechte Lager sortiert, vielleicht einfach, weil sie Heilpratiker sind. Die Themen Gesundheit und Ideen einer natürlichen Lebensweise sind bei uns eine starke Quelle abweichender Meinungen, denen oft zu schnell das Etikett der Fortschrittsfeindlichkeit angedichtet wird. So formiert sich eine bunte Protestbewegung die sich erst mal nur darüber einig ist, dass sie dagegen ist. Gegen die Eliten und den Mainstream, von dem sie annehmen, dass er brav dorthin strömt, wo er soll.

Dass die Argumentation jener, die gestern gegen die ‚Corona-Diktatur‘ und heute ‚für den Frieden‘ sind, zuweilen etwas wirr, weil vollkommen widersprüchlich ist, haben wir im Artikel über Pazifismus ausgeführt. Das Problem ist, dass die Zuschreibungen, wer warum als ‚Rechter‘ angesehen wird, in vielen Fällen nicht weniger wirr sind. Auch das haben wir in Die politisch-ideologische Fehldeutung näher beleuchtet.

Wenn wir weiter kommen wollen, müssen wir uns klar machen, dass es auf beiden Seiten gute Gründe für die Position gibt, aber ebenso oft erheblich zu kurz gesprungen wird. Wenn wir Das kaputte Wir langsam heilen wollen, müssen wir weg von den Überschriften und Stereotypen, hin zu den Gründen und der einfachen Fragen, die wir uns selbst stellen müssen, nämlich wie wir alle in Zukunft zusammen leben wollen.

Zwischen den Extremen liegen Gründe

Aber wie ist es denn nun: Sollen wir einfach alles sprengen und sich neu organisieren lassen? Nach dem Motto: Kann nur besser werden. Man mag sich ja auch nichts mehr sagen lassen. Mit Respekt ist meist der vor den eigenen Ansicht gemeint. Was man von anderen fordert, will man ihnen nicht immer gewähren. Das führt zu einer schroffen Asymmetrie. Die stellt sich ein, wenn man dem Recht des Stärkeren freie Bahn lässt. Das Recht des Stärkeren führt zu mafiaähnlichen oder extremistischen Strukturen, im großen Stil zum Faschismus. In diesen Strukturen sind Stärke und in der Folge bedingungslose Loyalität – aus der berechtigten Sorge, dass dereinst ein Stärkerer kommen könnte – die einzigen Werte. Das Individuum hat sich in den Dienst zu stellen, der Lohn ist das Gefühl der Verschmelzung wenn es gut läuft und des gemeinsamen Untergangs in der Schicksalsgemeinschaft, wenn es nicht läuft, aber das ist dennoch für einige attraktiv.

Dass und warum diese Verschmelzungen als wichtig angesehen werden, ist ein vernachlässigter und schlecht verstandener Aspekt, der in Die falsch erzählten Geschichten der großartigsten Empfindungen – Verschmelzungen und Einheitserfahrungen (1) näher beleuchtet wird.

In unserer Gesellschaft werden Werte mehr und mehr als überflüssig angesehen und kommen unter Beschuss. Sie gelten als irgendwie erfunden und aus der Zeit gefallen und wie schon erwähnt, wenn es darum geht Geschäfte zu machen, werden Werte gerne mal kurz vergessen. So wird nach und nach das Geld zum einzigen Ziel, das zu haben ist das, was letztlich zählt, so glauben es zumindest viele. Das Recht des Geldes und des Stärkeren gehen dann auch schon mal ganz gerne eine Koalition ein.

Kann man sich über Haltung und Respekt nur beömmeln? Ist das etwas, mit dem man arme Schlucker bei der Stange hält? Durchaus nicht, wenn man sieht und versteht, dass sich an Werten zu orientieren eine Frage auch des Respekts vor sich selbst und der psychischen Stabilität ist. Nach inneren Überzeugungen richtet man sich auch, wenn niemand zuschaut und einen kontrolliert und doch will man nicht gegen die Prinzipien verstoßen, die man in Ehren hält. Man kann stolz auf sich sein und auch das stabilisiert in einer Zeit von Sinnkrisen und Selbstzweifeln.

Vielleicht verfehlt man sie manchmal, wie es mit Idealen oft der Fall ist, aber man hat welche und im Idealfall kann man vor sich und anderen auch begründen, warum man sie hat und ihnen folgt. Aus sorgsamen Begründungen kann auch eine Abfolge der Werte entstehen. Man muss um sie ringen und das heißt Begründungen zu verlangen und sich nicht mit Floskeln und Phrasen an die Kette legen zu lassen. Diesen Denkweg muss nicht jeder gehen, aber er steht allen Menschen grundsätzlich offen.

Gibt es nun die Werte die höher rangieren als andere? Man kann komplexe Fragen nicht auf einfache Antworten runter brechen, jede und jeder der eine Antwort will, muss selber denken. Aber in Erfolgsfall ist man sicher, weiß, was man vor sich und anderen rechtfertigen kann und kann ertragen, dass man manches offen lassen muss und kann.

Respekt heißt in diesem Regionen Symmetrie, man muss einander wechselseitig respektieren, zwinge ich den anderen, achtet er mich nicht, sondern hat Angst oder beugt sich einem Zwang. Haltung heißt, den schwierigen Weg des Arguments weiter zu gehen, die besten Argumente des anderen zu bergen und stark zu machen, aber auch die eigenen zu vertreten, so lange, bis man eventuell vom Gegenteil überzeugt wurde. Haltung und Respekt heißt dann, dankbar einen Schritt weiter zu sein, weil man eventuell widerlegt wurde und es heißt den anderen zu respektieren, den man selbst widerlegen konnte, der einen aber dazu brachte, die eigenen Prämissen erneut zu prüfen.

Quellen:

[1] https://www.n-tv.de/leute/Kuss-koennte-fuer-The-1975-teuer-werden-article24330075.html