Der Eros. Wenn man von ihm getroffen wird, ist man verloren. © It’s No Game under cc

Wie damals und dort so unterliegen die Liebesbeziehungen in der heutigen Zeit einem Wandel. Kann man absehen, wohin die Reise geht?

Liebe ist heute einerseits omnipräsent. In Filmen, Serien, Büchern, aber auch in unseren privaten Gesprächen und Träumen dreht sich vieles um die Liebe. Das ist nicht neu, denn die Liebe ist ein Dauerbrenner in den Künstn der Welt. In unserer Zeit wird der Fokus oft auf neue Formen der Liebe gelegt und heiß diskutiert. Für die einen eine lange überfällige Überwindung letzter gesellschaftlicher Schranken, für andere ein Affront und eine Verrücktheit, die als zerstörerisch oder pervers empfunden wird.

Auch bei der Überwindung von Grenzen, die die heteronormative Gesellschaft setzt, geht es um Liebe. Nämlich um den Wunsch nach Anerkennung, dass eine Liebe, die nicht den bei uns üblichen Mustern entspricht, dennoch echte Liebe ist und nicht ein Modell zweiter Klasse oder gar pathologisch. Ein kontrovers und emotional diskutiertes Thema in das Weltbilder und Selbstbilder einfließen, wie auch bei anderen Themen. Um zu sehen, wohin die Reise vielleicht geht, ist es gut zu wissen, wo sie her kommt.

Das Versorgungsmodell

Liebesbeziehungen waren in der europäischen Vergangenheit stark von einem Versorgungsmodell beeinflusst. Bis weit in die europäische Geschichte zurück, herrschte das Modell des Versorgers vor, der deshalb das Sagen hatte, weil er der Versorger war. Anders als das Klischee es will, ist vor allem die christliche Religion ein wesentlicher Faktor, der die schroffe Asymmetrie der Zeiten des alten Griechenlands und Roms schrittweise abbaute, wenn auch nicht vollständig und nicht ohne eigene Verirrungen.

Dann wurde der Staffelstab an die Aufklärung weiter gegeben und Gunnar Heinsohn erzählt eine Variante der Fortsetzung:

„“Was ist wirklich abgelaufen? Frauen, die ihre Jungfernschaft bewahren, haben über ein paar Jahrhunderte europäischer Geschichte eben dadurch Aussichten auf einen ehelichen Versorger. Dieser benötigt eine eindeutige Beziehung zum Erbsohn und deshalb die Garantie, dass der einzige Sexualpartner seiner Gattin er selbst ist. Das weibliche Geschlecht muss sich Sexualunterdrückung gefallen lassen, aber im Gegenzug gibt es – ungeachtet der Vertragsunmündigkeit – einen Status als versorgte Ehefrau.

Der Kontrakt „züchtige Hausfrau“ gegen Versorgung unterminiert schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts die Transformation des europäischen Arbeitslebens in eine mehrheitlich von Lohnabhängigen bestimmte Welt. Diese haben kein Eigentum bzw. keine eigene Wirtschaft, die ihnen im Erbkontrakt mit dem übernehmenden Sohn Alters- und Krankheitsversorgung einträgt. Rein „ökonomisch“ verliert diese zur Mehrheit werdende Schicht das Motiv zur Fortpflanzung, die sich nun in eine bloß noch emotionale und biographische Option verwandelt. Entsprechend beginnt gegen 1875 in Europa der moderne Geburtenrückgang. Da auch bei „nur“ drei oder vier, statt bisher sechs oder acht Kindern pro Mutter eine Bevölkerung weiter kräftig zunimmt, bedarf es gegen 1900 eines regelrechten Entdeckers (Wolf, 1931, 61), um das Phänomen ins öffentliche Bewusstsein zu heben, indem es bis heute eine gänzlich ungebrochene Rolle spielt.

Seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zeigen Untersuchungen, dass zunächst die höheren Angestellten nach einer Partnerin suchen, die bereit ist, selbst zu verdienen und bei der Fortpflanzung in der Tendenz gegen Null zu gehen. Da diese Berufsgruppe um die attraktivsten Arbeitsplätze kämpft, versuchen ihre Mitglieder sich dadurch Konkurrenzvorteile zu verschaffen, dass sie Zeit, Energie und Geld nicht für Familien, sondern für Qualifikation einsetzen. In dem Maße in dem diese Gruppe wächst, nimmt die Zahl männlicher Versorgungsangebote an potenzielle Ehefrauen ab. Wollen diese Frauen gleichwohl überleben, müssen sie selbst erwerbstätig werden können, also Arbeits-, Miet- und Kaufverträge abschließen dürfen. Dafür ist die Gleichberechtigung zu erkämpfen. Sie besagt nichts anderes, als dass Frauen dieselbe Vertragsmündigkeit gewinnen wie Männer. Dieser Prozess wird in der Ersten Welt noch im 20. Jahrhundert weitgehend abgeschlossen.

Seitdem entwickeln Frauen zunehmend dasselbe Verhaltensmuster wie Männer. Um Konkurrenten – jetzt beiderlei Geschlechts – für attraktivere Karrieren ausstechen zu können, suchen sie eher bestmögliche Qualifikationen als eheliche Versorger. Dieser Kampf um materielle Gleichberechtigung – begonnen von den sozial ranghöheren Frauen – ist ungebrochen im Gange. Von 1875 (Deutsches Reich) bis 1975 (Westdeutschland) sacken die Geburtenzahlen pro 1000 Einwohner von 40 auf 8 herunter. (…) Der überkommene weibliche Verzicht auf voreheliche Sexualität wird mit dem Entfallen männlicher Versorgungsangebote hinfällig. Für eine Jungfernhaut bietet kaum noch jemand etwas. Also rebellieren die Mädchen gegen die herkömmlich Sexualerziehung und die Jungen profitieren ebenfalls davon. Das gegenwärtige Paradox, von den reichsten Territorien der Erde, die nicht imstande sind, sich aus eigener Fortpflanzung zu reproduzieren, löst sich also darin auf, dass Erwerbsquoten von Männern und Frauen von über 80 Prozent zwar den Reichtum steigern, aber die Verausgabung gerade der konkurrenztüchtigsten Lebensjahre für Vermehrung und Erziehung so gut wie unmöglich machen.“[1]

Das romantische Modell

So oder so, der Weg war frei für ein romantisches Modell der Liebesbeziehungen, bei denen einzig die Liebe zwischen den Partnern das entscheidende Motiv war. Es ging um alles oder nichts, das große Gefühl, vor allem auch der Männer, stand im Zentrum. Das Schmachten, das Sehnen, die Idealisierung bis zur Vergötterung, die es dem geliebten Menschen mal zu leicht machen kann, weil ja alles idealisiert werden kann und ein anderes mal zu schwer, weil die idealen Erwartungen schnell enttäuscht werden können. Wenn die Idealisierung zu groß ist und der idealisierte Mensch, als realer anderer gar nicht gesehen wird. Wenn sich also die Idealisierung um sich selbst dreht, verfehlt das romantische Modell sein Ziel, weil der andere Mensch aus dem Blick gerät. Es geht Schmachtenden nicht immer um den anderen, sondern zuweilen um das eigene große Gefühl.

Aber das romantische Modell hat eine Tür zu einer bestimmten Seite der Liebe geöffnet, die keineswegs neu ist, da die Erzählungen und Kunstwerke der Welt voll von der Stimme der Liebe sind, die immer sehr ähnlich klingt und sich selten abspeisen lässt, sondern oft aufs Ganze geht. Tod oder Glück, manchmal beides, die Leidenschaft der romantischen Liebe ist kompromisslos.

Nicht mehr der gesellschaftliche, ständische oder familiäre Nutzen entscheidet, einzig die Liebe, die innige Zuneigung zweier Menschen ist das, was zählt. Es gibt den Ausdruck, Liebe sei eine Revolution zu zweit. Liebe hat das Potential sich gegen alle Normen und Konventionen zu stellen, was nicht zuletzt daran liegt, dass Liebende und insbesondere verliebte Menschen einander selbst genügen. Alles ist schön, solange der Partner dabei ist, egal was man macht. Der Rest der Welt findet dann auch noch statt, ist aber Nebensache, die durchaus auch mit einer gewissen Leichtigkeit erledigt werden kann.

Wir wissen, dass diese Phase vorbei geht. Manche wollen sie konservieren und suchen immer wieder den Kick der Verliebtheit. Doch dann wird es wieder selbstbezogen, was dem Wesen der Liebesbeziehung widerspricht. In der richtigen Dosis zieht das romantische Modell der Liebe sowohl der Selbstbezogenheit, als auch dem Funktionalismus den Stachel. Das ist einer der Gründe, warum Liebe einerseits ersehnt wird, vermutlich von fast allen Menschen und andererseits gefürchtet, von jenen, die Menschen in Systeme einspannen wollen. Um das zu tun, muss man Menschen bestimmte Versprechungen machen, die oft an Bedingungen geknüpft sind. Liebe ist aber eine Versprechung die sich selbst erfüllt und das ganz augenblicklich, dadurch, dass zwei Menschen einander lieben. Diese Privatheit ist jenen, die andere einspannen wollen, suspekt, weil sie unkontrollierbar ist.

Die goldene Mitte

Sie ist kein schmaler Steg, sondern breit. Im Versorgungs- und romantischen Modell finden wir die beiden Aspekte der intimen Liebesbeziehungen, die Leidenschaft und die Sorge. Die romantische Idealisierung ist daher ein Aspekt, der in der Liebe immer vorkommt. Die Sorge bezieht sich nicht nur auf den oben dargestellten äußeren Teil der Versorgung, sondern meint wirklich die Sorge, das zärtliche Besorgtsein und ein echtes Interesse am anderen, den man zwar idealisiert, dennoch als eigenständigen Menschen sieht. Zugleich verschmilzt man mit ihm immer mal wieder, aus den Individuen, die aus anderen Beziehungssystemen und Konstellationen kommen wird eine Zweierbeziehung und auch die Sorge um diese Beziehung und die Bereitschaft Verantwortung für sie zu übernehmen finden wir in der goldenen Mitte.

Aus dem Miteinander zweier eigenständiger und sich wechselseitig respektierender Partner kann eine Gemeinschaft werden, die im besten Fall, was ihr Privatleben angeht, nur einander verpflichtet ist und eigene Regeln und Grenzen aufstellt. In der Sexualität können sie gemeinsam regredieren, sich sogar kurzfristig nur als Objekt betrachten, ekstatische Momente erleben und sich kurze Zeit später nicht nur als liebend verschmolzene, sondern auch wieder als eigenständige Partner wahrnehmen, von denen jeder auch seine eigenen Vorstellungn, Absichten, Empfindungen, Stärken und Schwächen hat, die man wechselseitig kennt, respektiert und schützt. Die Integration von Leidenschaft und Sorge heißt, dass sich beides nicht ausschließt und dass es dem Paar gelingt beide Aspekte zu leben, statt die Partnerschaft nur auf einen zu reduzieren.