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Bergwanderung vier Menschen

Härte und Ausdauer können uns verdienten Stolz und eine bessere Aussicht ermöglichen. © Freddie Ablazed under cc

Auf den ersten Blick scheint die Lage in vielen Aspekten völlig hoffnungslos und verfahren. ‚Coronaleugner‘ gegen ‚Schlafschaf‘, ‚Putinversteher‘ gegen ‚Ach ja, der Wertewesten‘, übertriebene Härte bis zur Häme und Menschenverachtung gegen bedingungslose Liebe und eingefordertes Verständnis und wenn es nichts bringt, war man eben nicht verständnisvoll genug.

Auf den zweiten Blick braucht man nur anzuerkennen, dass wir beide Bausteine brauchen und dann ist vieles gar nicht mehr so schwer. Die Liebe der Eltern zu ihren Kindern sollte man geschenkt bekommen, man sollte sie sich nicht erarbeiten müssen. Wo man es muss, ist der Nährboden für Narzissmus bereitet. Die Liebe unter Partnern ist zu einem Teil bedingungslos, da man sich eben verliebt und auch nicht so genau weiß, warum nun ausgerechnet der oder die, zu einem anderen Teil muss die Liebe aber auch beantwortet und gepflegt werden.

Dem anderen, ob im Alltag oder Diskurs sollten wir auf der Basis eines grundsätzlichen Vertrauens als Vorschuss begegnen, ohne naiv zu sein. Wird das Vertrauen enttäuscht, kann und sollte man es, nach Klärungsversuchen, entziehen, will man sich nicht selbst verleugnen.

Auf der Basis der grundlegenden Liebe zu Kindern und Partnern und des Vertrauens gegenüber Fremden und Ferneren kann und sollte man Forderungen an andere stellen. Wir sollten uns gegenseitig etwas zutrauen und zumuten und den anderen Angebote machen und Wünsche äußern, sowie auf ihre Angebote und Wünsche hören. Praktikable Lösungen findet man fast immer, wenn man es will. Den Fähigeren kommt mehr Verantwortung zu, die grundlegenden Rechte müssen allen zukommen, damit die Gesellschaft fair ist. Wenn viele motiviert werden können mitzumachen, kann man das Verhalten derer, die könnten, aber nicht wollen sanktionieren. Dafür muss man die, die wollen, aber nicht können, nicht unausgesetzt diskriminieren, der bürokratische Sadismus ist eine Unsitte und zerstört unsere Gesellschaft.

Alltagstauglichkeit am Beispiel der Ängste

Wir sollten die künstliche und schlecht begründete Trennung von Individuum und Gesellschaft reduzieren. Konkret heißt das, dass wir auf der Basis von Vertrauen und Solidarität auch etwas verlangen dürfen. Engagement, so dass Gesellschaft ein Spiel auf Wechselseitigkeit ist oder gute Gründe, warum man seinen Teil nicht beitragen kann oder will. Ängste und Depressionen, die beiden häufigsten psychischen Erkrankungen bei uns, können ein Grund sein, dass jemand nicht kann und verzweifelt ist.

Menschen mit Ängsten und Depressionen brauchen zunächst erst mal unsere Solidarität, nicht unser Misstrauen, dass da einer auf Psyche macht. Fragen Sie mal jemanden mit einer Spinnenphobie, auf was der alles verzichtet und wie der Alltag wirklich aussieht. Mit einer sozialen Phobie sind Sommerurlaub, Kino oder Restaurantbesuch oft kein Spaß, sondern ein Martyrium. Von Panikattacken aus dem Nichts und generalisierter Angst ganz zu schweigen.

Und doch brauchen diese Menschen, neben diversen Arten der Unterstützung und Therapie auch Erfolge, damit das Selbstbewusstsein wieder (oder erstmalig) wachsen kann. Sie dürfen nicht als Opfer ihrer Gene, Eltern oder der kalten Leistungsgesellschaft festgeschrieben werden. Hilfe zur Selbsthilfe ist das was hilft, auch weil man bei Ängsten durch manches einfach durch muss. Da ist es gut zu wissen, dass man durch kommt. Nicht nur zu einem Leben, was sich so gerade noch irgendwie ertragen lässt, sondern zu einem neuen, sinnerfüllten, lebenswerten und zufriedenen Leben. Mentale Härte ist ein Punkt dabei, er hat nichts mit Abstumpfung zu tun. Menschen mit Angst sind in der Regel überempfindlich gegen viele Eindrücke.

Sei hart ist bei echten Angstpatienten deshalb kein schlecher Rat, weil die Ängste oder die Angstbereitschaft mit dem Alter weniger und schwächer werden. Der Höhepunkt liegt statistisch bei 37 Jahren. Aber man findet in der Zeit seine Routinen und Wege und die Angst lässt wohl auch biologisch nach. Menschen mit 80 bis 90 sind oft vollkommen angstfrei.

Man muss aber gar nicht so lange warten, sondern kann auch selber etwas tun. Nämlich sein Leben umschreiben, inklusive seiner Ängste. Ängste können einem peinlich sein, dann schämt man sich zusätzlich zur Angst noch, wenn man immer weniger hinbekommt, wird man oft noch depressiv und wenn man dann noch im falschen Moment liest, das seien die Gene oder das Gehirn, ist man völlig bedient. Diese fatalistischen Aussagen sind zu einem hohen Maße dummes Zeug. Sie entlasten manche Menschen, die dann das Gefühl haben, sie könnten nichts dazu und wenn das so ist, ist es gut. Aber sie belasten anderen, die sich von der Biologie festgenagelt fühlen.

Alle ‚Ja, aber ich bin doch wirklich ein Loser‘ Skripte können von uns umgeschrieben werden und das ist kein Betrug an der Realität. Es ist eine Komponente eines selbstbestimmten Umgangs mit dem Leben in Angst eine Kraftquelle zu sehen, für die man sich nicht schämen muss. Sei hart, grab‘ tiefer, mach‘ weiter, es gibt viele Wege da raus.

Von der Wortmagie zur Magie

Magie sollte out sein, sie ist es leider nicht. Hilfe zur Selbsthilfe, das kann man auch als liebevolle Härte bezeichnen. Man stellt dem anderen nicht den Stuhl vor die Tür, sondern traut ihm zu, eigene Schritte zu gehen. Später größere, ganz wie man mag und kann. Die Autonomie zu vergrößern heißt nicht, dass man unsolidarisch ist.

Wissen, wollen, wagen und schweigen sind magische Grundkomponenten, die den antiken vier Temperamenten zugeordnet sind. Man soll sie ausgleichen. Es gibt magische Lehrbücher, ein ebenso abgefahren-verrücktes, wie grundsolides Buch ist Der Weg zum wahren Adepten von Franz Bardon. Das richtig abgefahrene Zeug kommt im zweiten Teil des Buches über zehn Stufen. Doch es beginnt mit Stufe 1 und der häufig wiederholten Ermahnung weder zu hasten, noch zu springen. Natürlich hält sich niemand daran, dann fällt man auf die Nase und kann man wieder von vorne beginnen. Innenschau, Ausgleich der Temperamente, Disziplin. Doofe Sachen, die man freiwillig nie tun würde, hier tut man sie. Vielleicht getrieben von Größenwahn, Machtgelüsten, letzter Hoffnung oder was auch immer. Still sitzen, Visualisieren, Atemkontrolle, immer wieder. Körperübungen, solche für die Gefühlsebene und den Geist.

Ein ungeheuer dichtes Buch, nichts für drei Wochen oder Monate, sondern Jahre, Jahrzehnte oder viele Leben, sagen einige. Verrückt eben. Aber auf den ersten Stufen eben auch solide, stabilisierend und eine Fusion von Disziplin, Sinn, Ausgleich und der Möglichkeit Ansprüche an andere zurück zu schrauben und sich selbst in die Pflicht zu nehmen.

Wir müssen alle Stufen der Entwicklung integrieren, wenigstens ihre positiven Seiten. Die negativen kennen wir zur Genüge. Regression, Narzissmus und Paranoia in der Gesellschaft, in diversen Ausprägungen. Überall Kampf um die Deutungshoheit im Diskurs, alles scheint erlaubt, sogar Krieg in Europa ist wieder möglich. Vieles zerfällt und der Pluralismus, der nur einen Teil der Fragmente integrieren will, ist so unzureichend, wie ein harter Egotrip es auch ist. Viele der endgültig überwunden geglaubten Strukturen sind magischer oder mythischer Natur und wir müssen erkennen, dass wir diese Aspekte nicht bekämpfen dürfen, sondern einbetten müssen. Je schneller wir das begreifen, umso besser.