Von der Magie zur Wortmagie

Pirouetten können sehr anmutig sein. Bei fundamentalen Werten hält sich die Anmut des Kreiselns allerdings in Grenzen. © Peter Tully under cc
Magie ist out, ist – wenn man sich überhaupt ernsthaft damit beschäftigt – was für Spinner, meint man. Magie aber nicht. Natürlich würde man auch als seltsam deklariert, wenn man Magie ernst nehmen würde, aber der Trend unter Linken, Feministinnen und Antirassismus-Aktivisten ist bestimmte Wörter zu bannen oder auf den Index zu setzen. Sprache ist zu gendern, es gibt das N-Wort, das Z-Wort, so was nimmt man nicht in den Mund, es sei denn man ist Provokateur oder extrem gedankenlos.
Es ist nicht nur die Kunstpause bei Politiker:innen, es entstehen eigene Begriffe, Denkfiguren und Strukturen auch jene Machtstrukturen, die man vorgeblich dekonstruieren möchte. Wenn weißen Menschen (obwohl es ja keine Rassen geben soll) erklärt wird, sie könnten nur Rassisten sein, dann ist das mindestens ein doppelter Rassismus im Namen des Antirassismus. Aber zwischen queer, woke, cis-gegendert, kultureller Aneignung, PoC, toxischer Sprache/Männlichkeit und Whataboutism spannt sich ein eigener Kosmos auf, von Sichtweisen, Einstellungen, oft auch Denk- und Sprechverboten, bei denen man meint, dass, wenn Begriffe nicht mehr verwendet werden, so auch nicht mehr gedacht wird. Das ist Magie. Was man ausspricht, ist real, spricht man es nicht aus, existiert es auch nicht mehr.
Gegen diese Denkfiguren gibt es verschiedene Einwände. Wer behauptet, dass weiße Menschen ihre mitunter wirklich rassistischen Einstellungen nicht aufarbeiten können, weil sie in ihrer Rolle gefangen sind, leugnet ebenso wie bei der Einstellung, nur Homosexuelle könnten homosexuelle Menschen und nur behinderte Menschen könnten andere Behinderte wirklich verstehen, die grundlegende Fähigkeit zur Empathie. Wer denkt, am Gebrauch von Begriffen klebte automatisch eine ganze Ideologie, hat Quine und/oder Wittgenstein nie gelesen oder nicht verstanden.
Ein echtes Schmankerl ist aber der Whataboutism. Man hörte davon oft in politisch sich links verstehenden Kontexten. Whataboutism heißt grob gesagt, auf eine Kritik nicht zu einzugehen und statt dessen: „Aber du“ oder etwas in der Art zu sagen. Man äußert sich also nicht zum angeprangerten angeblichen oder tatsächlichen Fehlverhalten, sondern wenn etwa Männer pauschal als aggressiv kritisiert werden und ein Mann darauf auf ein aggressives Verhalten von Frauen hinweist, heißt es, das sei Whataboutism: Lenkt nicht ab, sondern stellt euch endlich der Kritik ist die Botschaft … gewesen.
Inzwischen hat sich das Rad der versuchten Deutungshoheit weiter gedreht. Putins Angriffskrieg wird von vielen Menschen als Angriffskrieg gesehen, manche sehen das anders, insbesondere politisch sehr rechte und sehr linke Menschen. Teils aus unterschiedlichen, teils aus sich überlappenden Gründen. In der Linken ist der Begriff des Whataboutism nun nicht mehr attraktiv. Wenn man über Putins Krieg reden möchte, gehört es zum Spiel auf die NATO, den Westen und seine Doppelmoral hinzuweisen. Den Punkt kann man machen, wenn man sich aber vorher mit Händen und Füßen gegen den Whataboutism gewehrt hat, ist das einfach die Doppelmoral, die man anderen unterstellen möchte. Man will einfach die Deutungshoheit haben, koste es, was es wolle und sei es die eigene Aufrichtigkeit.
So wird aus dem Selbstwiderspruch eine Selbstdekonstruktion. Die immer feineren Verästelungen der laut eingeforderten Rücksichtnahme brechen ab, wenn der Feind meines Lieblingsfeindes aktiv wird. Wer es nicht schon beim dreifach diskriminierenden Narrativ der alten, weißen Männer gemerkt hat, der kann hier die nächste komplette Kehrtwende in kurzer Zeit hinlegen, manche schaffen das so oft, dass man glauben kann, sie hätten einen Brummkreisel unter ihren Vorfahren.
Mit Rechten reden – Härte im Diskurs
Mit dem anderen ernsthaft zu reden, heißt ihn einerseits zu kritisieren und andererseits seine besten Argumente stark zu machen – wenn und weil man den anderen ernst nimmt. Auch dort, wo jemand vielleicht unglücklich formuliert, geht es nicht darum ihn auszugrenzen, sondern zu schauen, was er eigentlich meinen könnte. Gerade auch bei jenen, deren Einstellung einem nicht passt, so wächst man, alles andere ist nur das Echo in der eigenen Blase.
Rechte geben sich in der Regel keine größere Mühe konstruktiv oder sensibel zu wirken, iht Diskursverhalten ist voll von Häme, Schadenfreude und Gewaltphantasien. Gerade wenn es gegen die eigenen Feinbilder geht und davon haben Ganzrechte in der Regel genug. Aber da ist noch eine andere Seite, die Rechten immer wieder unterstellt wird: Dass sie übermäßig auf Kameradschaft, Chorgeist, eine besonders intensive Form von Treue und Loyalität wert legen. Eine Treue, die sich gerade dann beweist, wenn alle anderen abhauen, in Ausnahmesituationen, wenn man zur Schicksalsgemeinschaft wird, werden muss. Da beweist sich, wer ein echter Kerl ist und nur die Härtesten bleiben übrig.
Ich weiß nicht, ob es Lust an der Unterwürfigkeit, am stumpfen Dienen und Gehorchen in dem Ausmaß gibt, in dem es, vor allem Deutschen, aber auch rechten Gruppierungen immer wieder unterstellt wird, mir scheint das eher ein sekundäres Motiv zu sein, primär ist der Wunsch nach Gemeinschaft, nach Verschmelzung in und mit der Gemeinschaft. Oft ein regressiver Wunsch, aber ein kaum gewürdigtes und ungeheuer wichtiges Motiv. In extremen Regressionen wenn man eine Schicksalsgemeinschaft wird, dominiert nicht mehr Angst, sondern ein Einheitsgefühl, eines der Verschmelzung. Das ist vielleicht das stärkste und am wenigsten beachtete Gefühl … und wir sollten es bergen und nicht verhöhnen, denn wir brauchen es alle. Es gibt noch andere Wege um dorthin zu gelangen.
Der andere Punkt ist die das Ich aufwertende Freude, Teil einer besonderen Gemeinschaft zu sein, in der man eben füreinander da ist. Die Familie könnte es sein, aber oft genug ist sie es nicht. Die Gesellschaft sollte füreinander einstehen, das empfinden viele anders. Da sind extremistische Gruppierungen attraktiv, die sich fast immer darüber definieren, den Mainstream, das Konventionelle abzulehnen, statt dessen meint man selbst bessere, edlere, wahrere Ziele zu verfolgen. Dafür wird man von der Gesellschaft abgelehnt, was aber intern als Auszeichnung verstanden wird, so kommt es zur wohlbekannten, aber schlecht verstandenen Mischung zwischen elitärem Bewusstsein und einer Opferidentität, weil man ja ausgegrenzt wird. In der Linken ist man tendenziell freiwillig Opfer, das narzisstisch Elitäre zieht hinterher. Die Rechte betont oft die Überlegenheit und der eigene Opferstatus kommt im Schlepptau.
Der Wunsch nach stabilen Beziehungen, nach Kameradschaft ist als Wunsch absolut nachvollziehbar, ebenso wie der Wunsch noch etwas anderes zu haben, als nur im Alltag zu funktionieren: die Verschmelzung. Wo rechte Positionen in Menschenverachtung und Niedertracht übergehen, muss man sie zurückweisen. Wo man Motive, wie die dargestellten, auch wenn sie schlecht vorgetragen werden, bergen und fruchtbar für den Diskurs machen kann, sollte man das tun. Es gibt gute Gründe für Verlässlichkeit, die man auch Solidarität nennen kann und für die Integration von Praktiken der Außeralltäglichkeit in unsere Lebenswirklichkeit zu plädieren – als die andere Seite des Alltags.
Sei hart – Der Eintritt ist nicht frei
Manche religiöse Gemeinschaften, Logen, Männerbünde aber auch kriminelle und subkulturelle Organisationen, knüpfen an die Mitgliedschaft in ihnen bestimmte Bedingungen, oft sind es Initiationsriten, die andere zu Mitgliedern der Gemeinschaft machen. Für Organisationen die die Gesellschaft verachten, besteht der Vorteil darin, dass jemand, der selbst eine kriminelle Handlung als Mutprobe oder Initiation bestehen musste, nun gebunden ist, er kann nicht einfach wieder gehen.
Aber das ist nicht alles, gleichzeitig gibt es allen ein gutes Gefühl, wenn jemand bereit ist für die Gemeinschaft Opfer zu bringen, man sieht, dass man sich ein Stück weit auf einander verlassen kann. Ist die Treue wechselseitig, sind fortan alle aus der Gemeinschaft auch für den Neuling da und man kann auch ein Netzwerk von Unterstützern zurückgreifen. Ab da kann man sich in der Regel hocharbeiten. Man muss sich noch mehr bewähren, das muss nicht immer ein kriminelles Milieu sein, auch das Militär, der Sport und Firmen kennen diesen Weg nach oben, ebenso religiöse Gemeinschaften, Sekten und Logen. Je geheimer und elitärer sie sind, umso reizvoller wirken sie auf viele Menschen. Organisationen in denen der Eintritt frei ist und in denen jeder gleich ist, sind nicht so attraktiv.
Man hört manchmal Hierarchie, Härte und sich etwas erkämpfen zu müssen, sei typisches Konkurrenzdenken oder auch männliches Denken. Weibliches Denken sei weniger ausgrenzend. Blenden wir die Frage wie viel Klischee da drin steckt mal aus. Momentan scheinen mir die männlichen und weiblichen Anteile in unserer Gesellschaft ziemlich unglücklich zusammengeschraubt zu sein.
Kinder, die erst mal bedingungslose Liebe brauchen, müssen sich diese zu oft durch Leistung erkämpfen, was fatal ist. Menschen, die als Einwanderer seit einigen Generationen mit uns leben und längst unser ‚Wir‘ sind, werden misstrauisch beäugt, wenn der Name zu fremd oder die Haut zu dunkel ist. Das ist tatsächlich lupenreiner Rassismus. Zur gleichen Zeit überschwemmen Helicoptereltern ihre Kinder mit Lob, egal was sie tun, werden von einigen bei Migranten Einstellungen toleriert oder gefeiert, die bei uns ein ‚No go‘ sind, wenigstens sollte man unendliches Verständnis aufbringen und rhetorische Figuren, die man eben noch scharf kritisierte – der Whataboutism – werden nun durchgewunken, weil die Ideologie über die intellektuelle Redlichkeit dominiert.