Die Familie unterm Weihnachtsbaum

Geld regiert vielleicht nicht nur die Welt, sondern verzerrt unsere Sichtweise vielleicht noch fundamentaler als wir glauben. © Tim Reckmann under cc

Dass die Familie unterm Weihnachtsbaum vereint gar kein christliches Urmuster ist, sondern eine historisch relativ moderne Lebensform und dabei sowohl die Familie im Sinne von Vater, Mutter und Kindern, als auch der Weihnachtsbaum neu sind, ist hier und da bekannt, doch gerade auf der Ebene des religiösen Brauchtums und der Familienstruktur erleben wir als Zeitzeugen drastische Veränderungen.

Religion ist in Europa und insbesondere in Deutschland im steilen Sinkflug begriffen, die religiöse Bindung und Bildung sinkt und auch wenn Weihnachten als Konsumfest noch gefeiert wird, der religiöse Bezug ist vielen kaum noch bekannt. Aber auch die Familie wird seit einiger Zeit ziemlich umgekrempelt, die Mehrzahl der Haushalte sind heute schon Singlehaushalte, wie dieser Trend sich weiter entwickelt, weiß im Grunde niemand. Ob er fortschrittlich oder bedenklich ist, hängt von dem ab, der drauf schaut, was die einen als Niedergang der Werte betrachten, deuten andere als modernes Leben, wieder andere sehen die Bewegung als ambivalent an, Ende offen.

Der Bewertungsfehler liegt in dem Fall darin, dass wir unsere Familienstruktur, zu sehr zurück projizieren, schon wenige Jahrhunderte in unsere Vergangenheit blickend, herrschte ein anderes Familienverständnis, noch weiter zurück und in andere Kulturen blickend, ist die Lage noch anders.

Um die richtigen Modelle wird gerungen und da lauert gleich der nächste moderne Bewertungsfehler, nämlich der, zu glauben, dass die neueren Formen automatisch auch die besseren sind. Aktuell lernen wir aber dazu, weil wir offener und selbstkritischer in die Welt blicken und die Kräfteverhältnisse sich verschieben. Noch die deutsche Einheit wurde von nicht wenigen Ostdeutschen als eine Art feindlicher Übernahmen empfunden, was vielleicht zu herbe ist, aber inzwischen erkennt man, dass auch die ostdeutsche Geschichte facettenreicher ist, als man lange anzunehmen gewillt war.

Geld und Wert

Was bislang einfach und bekannt klang, wenngleich es oft alles andere als leicht umzusetzen ist, bekommt bei unseren Vorstellungen über Geld und Wert eine ganz andere Dynamik, jedenfalls wenn man Eske Bockelmann folgt, der das Buch Das Geld: Was es ist, das uns beherrscht geschrieben hat.

Seine These ist so ungewohnt wie – falls sie stimmt – folgenreich. Seiner Meinung nach gab es in der Vergangenheit und in vielen, sehr stabilen Weltreichen kein Geld. Das irritiert uns, weil wir fest davon ausgehen und wissen, dass es frühe Münzen gibt (und was sollen die anderes sein, außer Geld?) und auch meinen um die Entstehung des Geldes zu wissen. Diese Geschichte klingt immer ähnlich, nämlich ungefähr so:

Immer schon haben die Menschen Dinge oder Vorformen von Dienstleistungen miteinander getauscht. Die einen vermuten, seit 5000 Jahren, andere sagen, dass der Tausch den Menschen begleitet, seit er Mensch ist, also irgendwann seit der Steinzeit. Und da ist irgendwann einfach zu lästig und zu aufwändig ist 10 Schweine gegen 500 Kilo Tomaten zu tauschen, ging man dazu über, mit Geld zu handeln, denn ein paar Münzen sind leicht mitzuführen und als universales Zahlungsmittel kann man es überall gegen alles eintauschen, was man haben möchte. Von dieser Geschichte, des fairen Tauschs von Wert gegen Wert, der sich im Wandel der Zeiten verändern konnte, sind wir nahezu alles überzeugt.

Laut Bockelmann aber ein Bewertungsfehler, der erneut unsere heutige Situation auf die Vergangenheit überträgt. Aber Bockelmann belässt es nicht bei der Behauptung, sondern weist akribisch und argumentativ stark nach, dass das ganze Modell des Werttauschs keineswegs eine uralte, sondern historisch recht neue Erfindung darstellt, er datiert sie auf das späte Mittelalter, die dann allerdings einen solchen Siegeszug angetreten hat, dass wir uns fragen, wie es denn sonst gelaufen sein soll, damals und welchen Zweck Münzen haben sollen, wenn nicht den Zahlungsmittel zu sein.

Tatsächlich findet Eske Bockelmann treffende Antworten, an die man sich aber heran tasten muss, um ein Verständnis dafür zu gewinnen, wie es in vergangenen Zeiten tatsächlich gewesen sein könnte. Bockelmann entwirft dabei das Bild einer archaischen Gesellschaft, deren Reste wir heute noch sehen. Etwa im Mitbringsel, wenn wir eingeladen sind. Die Idee dabei ist nicht Wert gegen Wert zu tauschen, sondern eher ein gesellschaftlichen Gepflogenheit zu folgen. Dies tat man, weil es dazu gehörte und man es tun musste, wollte man nicht einen herben Gesichtsverlust erleiden, also schenkte man, war dabei eher mürrisch doch das Geschenk war oft nicht dazu da, dass es behalten wurde, sondern es wurden bei passender Gelegenheit weiter gegeben. Gut war, wenn alles im Fluss blieb und niemand übermäßigen Besitzt anhäufte. Eine Idee, die uns heute fremd ist und die wir für utopisch halten, doch es hat sie lange gegeben.

Um den Nebel zu lichten kann man Bockelmann in der spannenden Sendung des philosophischen Radios lauschen.
Sein Folgerungen sind dann auch anders als gewohnt. Bereits in der Einleitung lesen wir:

„Einige wenige Leute versuchen sich deshalb bereits am Leben jenseits des Geldes. Sehr viel stärker jedoch ist die entgegengesetzte Reaktion, nicht die intensive Suche danach, wie das Geld zu überwinden, sondern danach, wie das Geld zu retten und zu bewahren wäre. Einflussreiche Initiativen machen Vorschläge, die es bereits bis zur Volksabstimmung gebracht haben. Da sollen die Banken kontrolliert werden, soll eine Transaktionssteuer mäßigend einwirken oder eine andere geschickt angebrachte Steuer den rechten Einhalt gebieten. Die „Entschleunigung“ des Marktes sei notwendig oder die Abschaffung von Zins und Zinseszins. Etwas wie „Vollgeld“ soll für stabilen Geldwert sorgen oder ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ dafür, dass keinem mehr das Geld ausgeht. Einmal nähren Regionalwährungen die Hoffnung, mit ihnen werde des Geld insgesamt besser funktionieren, einmal wird ihm eine sichere Zukunft in weltweit flottierenden Bitcoins prophezeit. Oder man will das Geld per Gesetz kurzerhand darauf verpflichten,gut zu sein, damit sich unsere kapitalistische Wirtschaft schlicht nach Vorschrift aus einer bedrohlichen und bedrohten in eine Gemeinwohlökonomie verwandle.“[1]

Das Ich

Das Ich könnte ein weiteres Glied in der Kette sein. Was es letztlich ist, wie und wann es genau entstanden ist, das wissen wir eigentlich nicht. Es gibt die verschiedensten Vorstellungen, aber ist das Ich des europäischen 21. Jahrhunderts dasselbe, wie zu allen Zeiten? Es dauerte, bis sich ein Ich bildete, aber wo genau seine Untergrenze liegt, ist unklar. Wenn es sich im Spiegel erkennt? Wenn es etwas will? Wenn es etwas anderes will, als andere? Wenn es reflexiv agieren kann?

Andererseits hat der Buddha vor mehr als 2500 Jahren das Ich schon recht präzise beschrieben und das geschah nicht in Europa. Es verändert sich, immer wieder, während wir leben. Dennoch bleibt ein gewisser Kern erhalten, der uns auch als 50-Jährige auf das Kindergartenfoto schauen lässt, mit dem Empfinden, dass ich das war, damals, aber eben ich.
Und doch kann dieses Ich in Massenregressionen, beim Sex oder Gipfelerfahrungen mit anderen und anderem verschmelzen, vielleicht nur ein Stück weit, aber immerhin. Ist Ichsein die grundlegendste aller Perspektiven, die nie zu hintergehen ist oder der früheste Bewertungsfehler?

Quellen