Es muss nicht immer alles perfekt sein, man muss sich nur damit identifizieren können

Auf Herz zu setzen, ist im Spiel des Lebens eine gute Option. © Theo Crazzolara under cc
Mir geht es schlecht! Was soll ich tun? Zu der Bilanz[lonk] kann man im Laufe seines Lebens durchaus kommen. Aber bevor man zum großen „Ach, was wäre es schön gewesen wenn, …“ ansetzt, könnte man sich damit beschäftigen, was man eigentlich vom Leben erwartet hat, was eingetreten ist, was nicht, was man unbedingt noch nachholen möchte, welchen Bereichen man überhaupt nicht hinterher trauert und welche vollkommen neuen Wege, Interessen und Möglichkeiten sich vielleicht erst mitten im Leben oder sogar durch etwaige Beschränkungen ergeben haben.
Der Wunsch nach Perfektion und fragwürdige Praktiken wie eine Selbstoptimierung werden immer öfter als eher lebenserschwerende Ansätze erkannt, andererseits bringt es auch nichts sich das Leben künstlich schön und die Probleme und Enttäuschungen klein zu reden. Scheitern und Niederlagen gehören zum Leben dazu, manche sagen, erst an ihnen zeige sich der wahre Charakter, zumindest mehr, als wenn alles wie am Schnürchen läuft. Kann sein, jedenfalls gehören die Schrammen und Narben zur eigenen Biographie dazu und je breiter man aufgestellt ist, umso eher kann man diese in seine Biographie integrieren, die dann mit Brüchen und Wendungen auch noch um Längen spannender ist, als die aalglatte Erfolgsgeschichte, die einem sowieso niemand abnimmt.
Aber vor allem resultiert aus all den Bedürfnissen und Erfahrungen, alten Sehnsüchten und neuen Zielen im besten Falle ein Selbstbild mit dem man eins ist und das man weder meint verstecken oder weiter optimieren zu müssen. Wer immer nur mehr und noch mehr will, kommt nie an und ist es bisher nicht. Denn das heißt ja nichts anderes, als mit dem bisher Erreichten und Erlebten nicht zufrieden zu sein. Nun ist auch das aus verschiedenen Gründen unterschiedlich verteilt. Der eine ist schnell zufrieden, der andere will ein wenig mehr, verurteilen muss man auch davon nichts. Wer erst bei turmhohen Erwartungen zufrieden ist, sollte nachforschen, ob es wirklich die eigenen sind.
Wer dafür geliebt wird, dass er einfach da ist, wird sich im Leben halbwegs geborgen fühlen. Wer immer etwas leisten oder Kunststückchen vorführen muss, um anerkannt oder überhaupt bemerkt zu werden, gönnt sich (und anderen) auch später im Leben eher nicht anzukommen und einen Gang rauszunehmen, Allerdings kann man auch die andere Seite überziehen, wenn Kinder zugrunde gelobt werden.
Es geht um mich. Immer.
Eine gewisse Selbstzufriedenheit und Selbstsorge kann und sollte sein, denn es geht in meinem Leben stets um mich. Das heißt nun nicht, dass ich andere vernachlässige. Schon der Urvater des Hedonismus, Epikur, wollte seine Liebsten nicht leiden sehen, weil ein mitfühlender Mensch das nicht ertragen kann. Dennoch stehe ich immer im Zentrum meiner Welt. Es ist wirklich meine Welt, denn ich erlebe als einziger genau die Freuden und Ängste, Projektionen und Realitäten, Ansprüche und Gelassenheiten, die mein Leben einzigartig machen. Ein subtile Mixtur, die immer auch gemeinschaftlich geteilte Komponenten hat – man kann wie andere auch Christ sein, sich für die Umwelt engagieren, vegan essen oder Klavier spielen – aber die weiteren Zutaten, die ich stets auch mit anderen teile, aber in genau dieser Kombination mit immer weniger Menschen, machen meine Individualität aus.
Jedem ist etwas anderes wichtig, jeder gewichtet seine Neigungen unterschiedlich stark, irgendwann kommt der Punkt an dem man ein einzigartiges Individuum ist. Es ist nicht egal, was man tut, es hat Konsequenzen, mindestens für meine Welt, für die Welt meines Erlebens. Ob Ethiker, Rilke, Buddhisten, die Erfindung des Individuums im Westen oder die Weisen anderer Religionen, sie alle sagen uns, dass es nicht egal ist, was wir tun, fühlen und denken. Und das schließt sogar die Situationen ein, in denen es so aussieht, als sie das Denken, Fühlen und Handeln des Einzelnen, sowie seine Motive doch beliebig.
Dem Buddhismus wird gerne nachgesagt, er negiere das Ich, was irgendwie auch stimmt, aber in einer sehr speziellen Weise. Denn auf der anderen Seite gibt es im Buddhismus auch keine Aufforderung zur Selbstkasteiung. Wenn ich gelobe, das Leid zu lindern, wo immer ich ihm begegne, was ein sehr nobles Gebübde ist, dann ist, wenn ich entsetzlichen Hunger habe der einfachste Weg dazu, mich satt zu essen – es muss ja keine gierige Völlerei sein – um das Leid in der Welt etwas zu lindern. Die Buddhisten vertrauen darauf, dass es genug Leid auf der Welt gibt, so dass man auch dann noch helfen kann, wenn es einem selbst gut geht.
Anders ausgedrückt: Die Welt wird nicht schlechter, wenn es mir gut geht, sondern besser. Das ist keine Einladung zu einem ignoranten Egoismus, denn Übungen in Empathie gehören ebenfalls zum integralen Bestandteil des Buddhismus, ja, sind deren Kern. Es kann dem empathischen Menschen auch nicht gut gehen, wenn andere Leiden, aber es macht die Welt nicht besser, wenn ich mich zur Strafe nun auch noch quäle und selbst verdamme. Und eine der Pointen ist, dass der maximal unempathische Mensch gerade nicht glücklicher ist.
Doch man muss kein Buddhist sein, um das zu verstehen oder umzusetzen. Mir geht es schlecht! Was soll ich tun? Verstehen, dass man ein einzigartiges Individuum ist, das im Zentrum seiner Welt steht. Das hebt mich nicht heraus, denn es gilt für alle anderen Menschen (und fühlenden Wesen) ebenso. Verstehen, dass man das Recht hat, es sich gut gehen zu lassen. Verstehen, dass man nie weiter sein kann, als auf der Höhe seiner aktuellen Erkenntnis. Man ist aufgefordert sich Mühe zu gehen, aber so gut wie all unsere Erkenntnisse sind retrospektiv, wir sehen erst nachher wie borniert wir waren und was wir falsch gemacht haben. Es ist gut, sich das zu verzeihen, gleichzeitig kann man gerade dadurch auch den anderen verzeihen, die ebenfalls nur von der Höhe ihrer gegenwärtigen Erkenntnis her agieren können. Das auszubalancieren, ohne dabei sich oder andere zu verdammen, sondern immer mehr Verständnis für sich selbst und andere aufzubringen, ist der Weg um gelassener mit den Unzulänglichkeiten der Welt und von sich selbst umzugehen. Innen und Außen sind nicht getrennt. Andere mit in den sorge- und liebvollen Blick zu nehmen ist einer der nachhaltigsten Wege zum eigenen Glück.