Der kalkulierte Skandal

Volker Pispers

Volker Pispers, Pause oder Resignation? © Niko Bellgardt under cc

Unsere Gesellschaft ist komplex und keinesfalls primitiv. Wir befinden uns nach meiner Einschätzung zwar aktuell seit etlichen Jahren in einer Phase der gesellschaftlichen Regression, aber das durchaus auf hohem Niveau, denn der Eindruck, dass alles immer schlimmer und chaotischer wird, ist nicht durch Fakten gedeckt, wie wir hier zeigten und wie der kanadische Harvard Professor Stephen Pinker es sieht. Und innerhalb einer komplexen Gesellschaft, gibt es mehrere Spiele und eines davon lautet:

Erregt mich, aber nicht so sehr, dass ich mich ändern muss

Der wohlige Schauder, den wir uns beim allabendlichen Krimi holen, das gerüttelt‘ Maß an Empörung und Rührung auf dem heimischen Sofa reicht uns oft. Wir wollen uns erregen, aber nicht unbedingt ändern. Von der läppischen Fernsehzeitung über Versicherungen und Stromanbieter, wir bleiben dem Gewohnten treu. Auch da, wo wir von einem Wechsel echte finanzielle Vorteile hätten. Keine Veränderung, bei ein wenig wohl dosiertem Ärger ist das Prinzip, was offenbar sehr erfolgreich ist und dazu gehört eine, zumindest ein Stück weit verlogene Gesellschaft. Skandale und Skandälchen, schön und gut, immer her damit, aber doch bitte nicht ernsthaft mit Konsequenzen nerven. Und in der Tat, wir kennen das alles, es interessiert uns eigenartigerweise nur nicht. Es gibt Untersuchungen darüber, dass Artikel über Wege zu einem besseren und glücklicheren Leben durchaus und reichlich gelesen werden, nur liest man lieber über Waldspaziergänge, statt welche zu machen. Und so ein bisschen Ärger und faszinierende Angst scheinen uns ganz gut zu bekommen.

Dabei machen wir vor allerlei Paradoxien nicht halt. Wir sind für die Energiewende, aber bitte nicht in meinem Garten, für Flüchtlinge, aber bitte nicht nicht hier in der Straße und so weiter. Wasch‘ mir den Pelz, aber mach‘ mich nicht nass, ist nicht selten Teil der ganz normalen Lebensführung geworden. Leider macht der Wunsch in Watte gepackt zu werden langfristig nicht zufriedener sondern unglücklicher. Das wollen viele von uns nicht wahr haben, obwohl es das Ergebnis so ziemlich aller Ansätze zum Thema Glück ist.

Die perfekte Inszenierung beinhaltet auch Selbstkritik

In seinem vorerst letzten furiosen Auftritt beschrieb der Kabarettist Volker Pispers das Kabarett als eine Art des modernen Ablasshandels. Früher ging man in die Kirche und ließ sich vom Pfarrer die Leviten lesen, aber Kirche ist out und so ist das Kabarett zu einem Ersatz geworden, einem, bei dem man „sich die Kritik am eigenen Lebenswandel genau so folgenlos um die Ohren schlagen lässt, wie in der Kirche“. Seine Darstellung ist scharf, brillant, beißend und vielleicht tatsächlich, im hinteren Teil von Resignation durchdrungen. Hörenswert ist es allemal, selbst wenn man nicht jedem Detail zustimmt.

Selbstkritik gehört also durchaus dazu und doch scheint diese Form inzwischen Teil der großen Inszenierung zu sein, die durchaus nicht von äußeren und geheimen Kräften der Gesellschaft heimlich aufgedrückt wird, sondern wir wählen unser Schicksal in einem hohen Maße selbst. Da man das nicht unbedingt hören will, ist die Geschichte von den subtilen Strippenziehern und geheimen Verschwörungen abermals entlastend. Die „Wahrheit“ liegt vermutlich irgendwo in der Mitte, so dass es auch hier eine Kooperation der Selbst- und Fremdsedierungen gibt, mit der es unserer Gesellschaft lange Zeit gut genug ging. Eine etwas belogene aber auch verlogene Gesellschaft, die sich ganz gerne auch betuppen ließ, denn das war für alle eine offenbar zufriedenstellende Lösung. Aber irgendwas ist anders geworden, die Gesellschaft spaltet sich aktuell und ein Teil hat ganz offensichtlich das Gefühl, dass die Lügen und Widersprüche nun zu viel werden. Ob sie mit ihren Adressaten, wir der vermeintlichen Lügenpresse oder „denen da oben“ immer richtig liegen oder nicht allzu oft und schnell Projektionen aufsitzen, darüber kann und muss man streiten.

Fazit

Eine psychologische Analyse muss in Teilen anders ausfallen, als eine gesellschaftspolitische. Um bestimmte gesellschaftliche Errungenschaften zu verteidigen ist es wichtig, genau hinzuschauen, seine Stimme zu erheben und sich zu empören. Psychologisch ist es richtig, seinen Emotionshaushalt regulieren zu können, bestimmte Ereignisse und Zusammenhänge wirklich ausblenden zu können, die Arbeit auch im emotionalen Sinne nicht mit nach Hause zu nehmen und dem eigenen Umfeld einen gewissen Vorrang einzuräumen. Man ist nicht gut beraten, wenn man vor lauter Weltrettung sein eigenes Leben und seine engsten Beziehungen vernachlässigt.

Doch auf lange Sicht ist der eine Bereich ohne den anderen nicht denkbar. Das Individuum und seine Autonomie und sein Recht auf Privatheit muss genau so geschützt werden, wie man die Verantwortung des freien Individuums einfordern kann und darf. Das eine hängt mit dem anderen untrennbar zusammen und wenn es im Zuge der regressiven Aufgeregtheiten zu einer Einsicht und einer freiwilligen und verantwortlichen Einordnung in bestimmte Grenzen, mit der Zusatzoption, diese im Bedarfsfall begründet in die Wind schießen zu können, kommt, dann ist die Krise als Chance genutzt worden und die verlogene Gesellschaft kann sich berappeln und auf gewisse unhintergehbare Grundwerte neu verständigen.

Das ist der Teil, den wir alle zu leisten haben, doch im anderen wollen wir die Rolle der Medien kritisch beleuchten. Auch jenseits der üble und zumeist auch ungerechten Begriffs der Lügenpresse, gibt es Kritik, die man ernst nehmen muss und dieser widmet sich der zweite Teil.