Auf den ersten Blick wirkt es abwegig, dass der Grund für viele Beziehungsprobleme ein Übermaß an Hilfsbereitschaft sein könnte. Das Drama-Dreieck des amerikanischen Psychiaters Stephen B. Karpman gibt weiteren Aufschluss dahingehend.
Das Drama-Dreieck: Spiel um Verantwortung und Enttäuschung
Das Drama-Dreieck beschreibt ein tradiertes Beziehungsmuster zwischen wenigstens zwei Personen. Die Beteiligten nehmen verschiedene Rollen ein, die mit Schuldzuschreibungen, übertriebener Verantwortungsübernahme und Enttäuschungen einhergehen. Die Konstellation der Personen zueinander und ihrem Verhalten kann auf nahezu jede persönliche soziale Interaktion angewendet werden, sei es im Arbeitskontext, in der Familie, zwischen Freunden oder eben in der Partnerschaft.
In dem Buch von Melody Beattie Die Sucht, gebraucht zu werden wendet die Autorin das Drama-Dreieck auf dysfunktionale Beziehungsmuster in Partnerschaften an und zeigt auf, dass es der Grund für viele Beziehungsprobleme sein kann. Dabei kann jeder Beziehungsbeteiligte je nach Situation und Zeit die verschiedenen Rollen einnehmen. Mitunter gehen die Wechsel rasend schnell.
Retter, Verfolger und Opfer: ein dysfunktionaler Kreis
Gemäß gängiger Rollenerwartungen sind viele von uns mit der Annahme großgeworden, dass es gut ist, hilfsbereit zu sein und andere Menschen zu unterstützen. Insbesondere in der Freundschaft oder Partnerschaft wollen wir füreinander da sein. Wir möchten unseren Teil dazu beitragen, dass es dem anderen gut geht.
Zu viel Hilfsbereitschaft kann jedoch in eine Übergriffigkeit ausarten und ist im Grunde mit einem dahinter stehenden Motiv von Kontrolle verknüpft.
Wer sich (als Retter) zu stark in die Probleme des anderen involviert und zu viel Verantwortung übernimmt, der läuft Gefahr, die Grenzen des anderen nicht zu wahren (Verfolger), und wird enttäuscht sein, wenn ihm der Dank für die Hilfe verwehrt bleibt (Opfer).
Eines vorweg: Der Retter ist nicht der Schuldige
Auch wenn wir im Drama-Dreieck an der Stelle des Retters einsteigen, ist er nicht als der Schuldige oder als der Verursacher anzusehen. Viele werden zum Retter, weil einfach niemand sonst die Aufgaben übernimmt. Sie glauben schlichtweg, keine andere Wahl zu haben – und so ist es manchmal auch –, weil sonst das Organisatorische im Leben den Bach runtergehen würde. Nicht selten steht der Retter vor der Wahl: entweder ich erledige es oder niemand macht es.
Haben wir in einer Partnerschaft einen, der sich für alles verantwortlich fühlt, und einen, der für sich keine Verantwortung übernimmt, ist die Passung perfekt. Das Drama-Dreieck als Grund für viele Beziehungsprobleme nimmt seinen Lauf.
Wann wir ein Retter sind: ein Beispiel
Als Retter im Drama-Dreieck neigen wir als fürsorgliche Beziehungspartner dazu, die Bedürfnisse des anderen vorweg zu erahnen. Wir sorgen uns übermäßig um ihn und machen seine Probleme zu unseren. Allzu rasch übernehmen wir die Verantwortung für Bereiche, die uns gar nicht betreffen, wie etwa die Computerspielhäufigkeit des Partners, seine schlechten Arbeitsbedingungen oder seinen Alkoholkonsum. Möglicherweise managen wir auch alles für ihn, sorgen dafür, dass er eine eigene Wohnung bekommt oder sich auf eine neue Arbeitsstelle bewirbt.
Bei gemeinsamen Kindern wird mitunter der Retter zu einem regelrechten Familienmanager, der völlig ausgelaugt ist, weil er sich um alle Angelegenheiten und die organisatorische Abstimmung bemüht, wohingegen der andere Erziehungsberechtigte sich verhältnismäßig entspannt zurücklehnt.
Der Gegenspieler des Retters wird es unter Umständen genießen, dass wir als Retter ihm alles abnehmen, doch natürlich kann unsere Kontrolle seines Verhaltens auch auf Reaktanz bei ihm stoßen. Trotzig wendet er sich dann ab, wenn wir seiner Meinung nach zu kontrollierend werden, weil wir ihm auch einige Aufgaben zuweisen, die er nicht erfüllen mag. Die nächste Stufe des Drama-Dreiecks ist erreicht: Wir werden zu Verfolgern.
Wann wir Verfolger sind: ein Beispiel
Der Ton wird schärfer in Bezug auf ein Thema in der Partnerschaft. Wir fragen, ob der andere das oder das erledigt hat, stellen ihn zur Rede, wenn er seinen Teil der Aufgaben nicht übernimmt. Schließlich wollen wir doch nur das Beste für ihn. Warum um alles in der Welt möchte der andere sich nicht helfen lassen? Wir werden wütend, verzweifelt und verhärten innerlich. Wir fühlen uns so, als würde niemand mit uns an einem Strang ziehen, dass das Leben läuft. Auf weiter Flur stehen wir alleine da. Die nächste Ecke des Drama-Dreiecks ist erreicht: das Opfer.
Wann wir ein Opfer sind: ein Beispiel
Menschen, die sich aufreiben und kümmern, werden nicht selten später erbost und fühlen sich benutzt, wenn sie nicht die nötige Anerkennung für ihre Arbeit bekommen. Sie geben mehr, als sie von ihrem Gegenüber erhalten. Vielleicht haben sie sogar etwas getan an Hilfe und Unterstützung, obwohl sie diese gar nicht geben wollten. Vielleicht fiel es ihnen nur schwer, nein zu sagen. Weil der andere ihnen leid tat. Die meisten von uns tragen diese »Warum immer ich …«-Glaubenssätze in sich. Warum werde ich schon wieder so behandelt? Warum passiert immer mir so etwas? Wieso bin immer ich derjenige/diejenige, die sich um alles kümmert? Wieder einmal wurden wir ausgenutzt und unsere Hilfe nicht gewürdigt.
Der Grund für viele Beziehungsprobleme: Mangelnde Abgrenzung
Dass ein jeder für sein eigenes Leben verantwortlich ist, ist nicht nur eine Floskel. Es ist eine Notwendigkeit, um aus dem Drama-Dreieck in Beziehungen auszusteigen. Die eine Seite ist die, dass man für Freunde oder den Partner da sein kann. Dem anderen unterstützend und beratend zur Seite steht. Letztendlich muss jedoch jeder selbst seine Probleme in den Griff bekommen.
Andernfalls verselbstständigt sich das Drama-Dreieck. Wir beschweren uns, dass der andere seine Verantwortung nicht übernimmt – und schlimmer noch: Wir vernachlässigen unsere eigenen Bedürfnisse und Verantwortlichkeiten, weil uns die Energie und Zeit dafür fehlt. Erneute Frustrationen sind nicht weit. Sie sind die Triebkraft und der Grund für viele weitere Beziehungsprobleme.
Erkenntnis schafft den Ausstieg
Wer nicht erkennt, wann er sich im Drama-Dreieck befindet, huscht in Freundschaften, familiären Verpflichtungen, auf der Arbeit und in der Partnerschaft ständig um die Ecken des Dreiecks und kommt nicht zur Ruhe. Letztendlich übernimmt er für alles Mögliche die Verantwortung, nur nicht für sich selbst.
Manche sind so erschöpft von ihrer Hilfsbereitschaft, dass sie nicht einmal mehr Empathie für ihr Umfeld empfinden, sondern einfach nur noch ärgerlich werden, weil schon wieder jemand nicht in seinem Leben klarkommt. Wie ein erschöpfter, ausgelaugter Superheld fliegen sie umher.
Viele der Retter fühlen sich sogar unbehaglich, wenn ihnen jemand Hilfe zukommen lassen möchte oder etwas Gutes tun möchte. Sie können es schlichtweg nicht annehmen. Übermäßige Hilfsbereitschaft darf nicht mit Zuneigung und Empathie verwechselt werden. Im Gegenteil: Wer einem anderen übermäßig viele Aufgaben abnimmt, glaubt doch, dass der andere es ohne ihn nicht schaffen würde. Aber wie soll jemand lernen, gedeihen und an den Problemen wachsen, wenn ihm alles abgenommen wird? Möchten wir wirklich daran glauben, dass jemand ohne unsere Hilfe nicht klarkäme? Wie viele Leben wollen wir auf die Weise vermeintlich retten?
Sei für dich da!
Auch wenn das Gefühl der Hilflosigkeit, weil der andere sich bezüglich seiner Verantwortlichkeiten nicht regt, oft schlimmer ist, als wenn wir die Dinge selbst erledigen: Es bleibt doch die Verantwortung des anderen. Nicht unsere.
Sobald wir mit dem Kümmern aufhören, werden wir unter Umständen Verärgerung ernten, was ein weiterer Grund für viele Beziehungsprobleme werden kann. Aber wie alles im Leben ist die Umstellung eine Frage der Gewöhnung. Letztendlich haben wir die Wahl bezüglich des Wohlergehens vom anderen oder dem unseren. Wir dürfen nicht riskieren, dass unser eigenes Leben zum Erliegen kommt, nur weil ein anderer seine Schritte im Leben nicht macht.
Du kannst jemanden unterstützen, aber ihm nicht die Entscheidung oder die Handlungen abnehmen. Das gilt altersentsprechend für die heranwachsenden Kinder, aber umso mehr gilt es für Partner, Familienmitglieder oder Freunde.
Wir sind auch so etwas wert, ohne dass wir übermäßig helfen oder uns nützlich machen. Die bloße Existenz reicht vollkommen aus. Beherzigst du die Tipps, kannst du zeitnah das Drama-Dreieck als Grund für viele Beziehungsprobleme ad acta legen. Für weitere Ansatzpunkte hier noch einmal der Hinweis zum Buch von Melody Beattie Die Sucht, gebraucht zu werden. Viel Erfolg bei der Umsetzung!