
Eine Situation, in der sich nicht nur Männer oftmals ausgeliefert fühlen. © Eric Hunsaker under cc
Auf die Frage, warum Männer nicht zum Arzt gehen, gibt es mehrere Antworten, die jeweils aus unterschiedlichen Lagern kommen.
Darüber hinaus kann man das Thema zu der Frage erweitern, wie Männer denn nun eigentlich sind. Da gibt es sehr unterschiedliche Antworten und das Thema gewinnt dann durchaus eine erhebliche Wucht. Das klingt etwas theoretisch, daher können wir es an einer konkreten Frage erläutern, nämlich der aus der Überschrift.
Warum gehen Männer nicht zum Arzt?
Natürlich ist das eine Zuspitzung, auch Männer gehen zum Arzt. Vor allem dann, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Nun gibt es aber auch bei den Männern keine homogene Grundgröße, die sie alle vereint. Zumindest ist das die Frage, ob es etwas gibt, was Männer zu Männern macht und damit von Frauen prinzipiell unterscheidet?
Es gibt drei Antworten darauf, die mit unterschiedlichen weltanschaulichen Lagern in Verbindung stehen:
Das biologische Lager
Ja, es gibt klare Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die biologischer Natur sind und die man auch nicht wegdiskutieren kann. Diese betreffen viele Aspekte der biologischen Erscheinung. Es mag Bereiche geben, in denen einige Frauen manchmal ausgeprägtere männlichere Erscheinungsformen haben als einige Männer und umgekehrt, in denen es Männern so geht, dass sie weiblicher erscheinen als Frauen, aber am Ende bleiben in der Menge doch Unterschiede, die man nicht negieren kann.
Diese Unterschiede beziehen sich nicht nur auf rein körperliche Aspekte, sondern ebenso auf psychische Eigenschaften. Auch da gilt, dass es feminine Eigenschaften unter Männern und maskuline bei Frauen gibt, aber auch hier dominieren am Ende des Tages die geschlechtstypischen Unterschiede.
Das gendertheoretische Lager
Nein, es gibt keine letztendlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen und das führt so weit, dass man eher zur Frau oder zum Mann gemacht wird, als es von Anfang an zu sein. Biologische Unterschiede existieren zwar auch für die meisten Gendertheoretikerinnen, aber sie gehen nicht so weit, dass man dazu berechtigt ist eindeutige Lager oder eben Geschlechter zu postulieren, vielmehr gibt es ein Kontinuum, das biologische und soziale Aspekte enthält und sich auf viele Komponenten erstrecken kann.
Dazu gehört die eigene Identifikation mit einem Geschlecht, die männlich, weiblich oder divers sein kann, die sexuelle Objektwahl. Die Art und Weise, wie oder als wer man sich fühlt, kann beträchtlich von der Zuschreibung durch andere abweichen, oder dem, wie man ’gelesen’ wird.
Das psychologische Lager
Hier lautet die Antwort: Einerseits …, andererseits … .
Es gibt kein letztliches psychologisches Lager das genau eine eindeutige Auffassung vertritt, auch kein biologisches oder gendertheoretisches, aber es gibt starke Tendenzen. Im psychologischen Lager gehen sie in die Richtung, dass man anerkennt, dass es sowohl biologische als auch soziokulturelle Aspekte unser individuelles Sosein gibt. Nicht nur, dass diese irgendwie in uns vermischt sind, sondern, dass diese miteinander wechselwirken. Das heißt es gibt eine Rückkopplung von biologischen, soziokulturellen und auch individualpsychologischen Faktoren, in der Psychologie sind diese lange schon unter Begriffen wie psychosomatisch und später dann biopsychosozial bekannt.
Dazu kommt, dass die biologischen und psychosozialen Faktoren so eng miteinander verbunden sind, dass sich eine klare ursächliche Zuordnung irgendwann nicht mehr sinnvoll durchführen lässt. Beide sind verwachsen und bilden ein Amalgam, so wie man Kaffee und Milch vielleicht noch theoretisch entmischen kann, aber praktisch nicht mehr.
Warum gehen Männer nicht zum Arzt?
Es gibt mehrere denkbare Begründungen, im Lichte der obigen Lager. Arztbesuche sind fast immer mit Stress verbunden. Man hat Schmerzen, ist hilflos und weiß nicht, wie die Ergebnisse ausfallen, bei Labor- oder Vorsorgeuntersuchungen. Dazu muss man oft warten und kann den Stress auch nicht ausagieren. Man muss ruhig bleiben, damit der Arzt untersuchen kann, kein Kampf oder keine Flucht ist möglich.
Der Paradefall ist hier der Zahnarztbesuch. Man liegt auf dem Rücken, ist bei Schmerzen zur Passivität verurteilt und gerade an den eigenen Waffen wird noch manipuliert, wenn man es archetypisch betrachtet. Hilfloser kann man sich kaum fühlen und das, so behaupten manche aus dem biologischen Lager, fällt Männern schwerer als Frauen, wenn nicht in allen Fällen, so doch wenigstens statistisch. Der Grund sollen die Hormone sein. Bei Gefahr will man sich wehren oder flüchten, zumindest aktiv sein, Passivität soll Frauen viel leichter fallen als den Männern.
Nun könnte man sagen, dass man doch weiß, dass der Arzt nur helfen will und im Grunde auf unserer Seite ist. Aber da kommt gleich die nächste Problematik ins Spiel, die typisch männlich ist. Zumindest wird das behauptet. Männer können Hilfe nicht besonders gut annehmen. Für Frauen soll es in Situationen, die sie selbst nicht bewältigen können, eine Auszeichnung sein, wenn ihnen jemand hilft, von Männern wird es eher als Demütigung empfunden. Auch hier wird biologisch argumentiert, nämlich mit dem Verhältnis von Testosteron, das bei Männern statistisch bei weitem stärker im Blut kreist und das steht neben Kampf auch für Konkurrenz. Das Hilfsangebot eines Mannes an einen anderen kann aus dieser Sicht auch eine Überlegenheitsgeste sein: Komm, ich helf‘ dir, du schaffst es sowieso nicht, ich kann oder weiß das viel besser.
Auf der anderen Seite steht das Oxytocin, das auch das Kuschel- oder Bindungshormon genannt wird und im Körper der Frauen in größeren Mengen vorkommt. Daher, die größere Fähigkeit sich anzupassen und die empfundene Aufwertung, wenn da jemand ist, der sich um mich kümmert.
Aus Sicht des biologischen Lagers sind Männer also doppelt schlecht dran, wenn sie zum Arzt gehen. Wenn sie gestresst sind, können sie nicht gemäß der biologischen Dispositionen agieren, Kampf und Flucht sind keine guten Optionen, und sich anzuvertrauen, vielleicht auch noch einem Mann, einem potentiellen Konkurrenten, das ist eine zusätzliche Herausforderung.
Archetypen und die Grenzen der Biologie
Nun ist an den Aussagen über den Hormonstatus aus allem möglichen Lagern Kritik geübt worden. Die feministischen und gendertheoretischen Einwände werden aus einen Reflex heraus oft abgetan, bei dem es aber eher um politische Zuspitzungen geht. Auch aus der biologischen Perspektive kann man Kritik an den oft zu großen Vereinfachungen üben, aber große Vereinfachungen sind eben griffig und bieten eine schnelle Orientierung. Schaut man genauer hin, wird es auch in der Biologie fisselig.
Biologische Erklärungen sind hilfreich, wenn sie in ein Gesamtkonzept eingebettet werden. Sie überschreiten die Grenze zum Biologismus, wenn sie die Deutungshoheit beanspruchen und das letzte Wort haben wollen. Dann wird Wissenschaft zur Ideologie.
Eine interessante Variante bringt die Rede von den Archetypen ins Spiel. In der Wissenschaft werden sie so gut wie nicht erwähnt, man kennt sie von Platos Philosophie und von Carl Gustav Jungs Psychologie. Aber auch im Dao de Jing oder indischen Religionen und Weisheitslehren geht es um archetypisch weibliche und männliche Formen.
Aber was sind nun eigentlich diese Archetypen? Die Antwort lautet, dass das nicht klar ist. Alles in allem gelten Archetypen als Muster, die die gesamte Wirklichkeit durchziehen, sowohl die physische, biologische, soziale und die der Gefühls- und Ideenwelt.
Wenn darüber diskutiert wird, wie Männer und Frauen denn eigentlich sind, wird häufiger auf archetypische Muster zurückgegriffen, als dies gewöhnlich bewusst ist. Biologische Erkenntnisse werden eher begründend eingeflochten, denn die Muster sind älter als die Fähigkeiten den Hormonstatus zu analysieren. So lautet denn auch die ernstzunehmende Kritik an der Vorstellung, wie Frauen und Männer denn sind und zu sein haben, dass es sich dabei letzten Endes um eine unablässige Wiederholung alter Stereotypen handelt, die von den damaligen, fast immer und überall patriarchalen Mustern geprägt wurden.
Die archetypischen Muster wären dann also gar nicht archetypisch, sondern historisch gewachsene Rollen und Strukturen, die dann zu ihrer eigenen Begründung herangezogen werden und das ist eine zirkuläre, also unzulässige Begründung. Dem kann man aber entgegenhalten, dass die Tatsache, dass das Patriarchat historisch so stark dominierte, ja durchaus auf Unterschiede zwischen Männern und Frauen hinweist.
Wie sind Männer denn nun?

Wie ist er nun wirklich, der Mann? © Klaus Wessel under cc
Die Antwort ist relativ einfach: heterogen. Dasselbe gilt für Frauen. Das heißt, das eine Element, was alle Männer und alle Frauen verbindet und vom anderen Geschlecht und Diversen unterscheidet, mag es vielleicht statistisch gesehen geben, die Frage ist jedoch, wie groß der Einfluss ist. Klar ist zumindest, dass Kinder in aller Regel beide Geschlechter-Rollen aufnehmen, sogar in gleichgeschlechtlichen Beziehungen, da hier beide Partner ebenfalls Vater- und Mutter-Rollen integriert haben. Die Frage ist daher, wie diese Rollen interpretiert und das heißt vorgelebt werden.
Orientieren wir uns an dem Modell von Lawrence Kohlberg, dann gibt es große Unterschiede in der Einstellung und dem Verhalten von moralisch präkonventionellen, konfessionellen und postkonventionellen Männern. Das heißt, es gibt auch große Unterschiede in der Einstellung und im Verhalten zum anderen Geschlecht oder auch zur Idee der diversen Geschlechter, sowie mit allen anderen Bereichen des Lebens.
Seit den 1970ern erleben wir in Deutschland eine starke Frauenbewegung, die viel durchgesetzt hat und von der auch Männer zum großen Teil heute profitieren. Wie bei allen Bewegungen, die etwas Neues durchsetzen wollen, gab es Übertreibungen, die zusammen mit den veränderten Bedingungen der Arbeitswelt dafür sorgten, dass die Rolle der Eltern und insbesondere der Väter untergraben und mitunter entwertet wurde.
Inzwischen gibt es eine Trendwende, aber auch die Einsicht, dass Männer sich neu definieren müssen. Vermutlich läuft das schon recht organisch und unkompliziert die ganze Zeit mit, mit einigen abweichenden Bewegungen. Die Gleichberechtigung der Frauen ist ein sehr gutes Stück vorangekommen, das moralisch konventionelle Verhalten ist bei Männern und Frauen sehr ähnlich: Man stellt sich Schritt für Schritt und passt sich an die neuen Gegebenheiten an und hat irgendwann das Gefühl, man habe im Grunde immer schon diese Einstellung gehabt.
Die Einstellung postkonventioneller Männer ist heterogen. Es gibt einige, die den Feminismus unterstützen, aber ebenfalls einige, die eine Männerbewegung oder Emanzipation der Männer fordern und eine Benachteiligung von Männern und Jungen in einigen Bereichen anprangern. Alles in allem aber in einem konstruktiven Sinne, das heißt, es geht nicht um einen Kampf der Geschlechter, sondern ein letzten Endes faires Miteinander, bei unterschiedlichen Prämissen. Eine eher präkonventionelle Bewegung sind Incels, die eigene Erlebnisse gefühlter Ablehnung durch Frauen zum oft rechtspopulistischen Programm erhoben haben und Frauen verachten.
Es gibt ebenfalls Männer, die nach etlichen erfahrenen Ungerechtigkeiten, die es um das Sorgerecht gab, nun ihr negativen Erfahrungen zum privaten Feldzug machen und kaum noch vom eigenen Schicksal abstrahieren können. Doch auf der anderen Seite gibt es auch sehr viele, zu viele Frauen, die Erfahrungen mit Gewalt und sexuellen Belästigungen, sexualisierter Gewalt gemacht haben. Wenn wir das ganze Bild zeichnen wollen, muss man erwähnen, dass es maximale Berechnung und unfaires Verhalten, sowie Gewalt in Beziehungen auch von Seiten der Frauen gibt. Für betroffene Männer ist das oft extrem belastend, weil das Thema öffentlich nicht beachtet wurde und die Männer zudem noch als „Waschlappen“ angesehen wurden. Zuletzt muss man sagen, dass es auch sexuellen Missbrauch an Kindern gibt, der von Frauen ausgeht, auch das wurde zu wenig beleuchtet.
Doch erstens sind diese Fälle weit in der Unterzahl, wichtiger ist aber, dass es nicht ums Aufrechnen gehen kann. Wie wollen wir miteinander leben? Wollen wir uns wirklich unsere Schandtaten vorhalten und versuchen aufzurechnen, wer schlimmer ist? Um dann was zu tun? Uns zu rächen und das Unglücksrad weiterzudrehen?
Und die Arztbesuche?
Auch die sind eine Frage der jeweiligen psychischen Struktur. Es ist durchaus so, dass Männer ein ausgeprägtes Körperbewusstsein und eine große Sorge um ihren Körper haben können, auf Bewegung, Ernährung und Entspannung achten und in sinnvollen Fällen zum Arzt gehen, weil sie über ihren vielleicht biologisch etwas längeren Schatten zu springen gelernt haben und kooperieren.
Es wäre allerdings zu vereinfacht zu sagen, dass man jede Vorsorgeuntersuchung mitnehmen sollte. Dafür gibt es mehrere Gründe, die in der Ärzteschaft auch immer wieder diskutiert werden, es geht um die Relation von Nutzen und Schaden. Hat man zu viele unklare oder falsch positive Befunde, ist der immense Stress, der dadurch ausgelöst wird, samt einem halben Dutzend Folgeuntersuchungen, mitunter größer als der Nutzen.
Nicht immer lebt der planende Mensch besser, als der dem Schicksal sich ergebende. Und Lebensqualität ist durchaus ein Argument. Zudem ist Früherkennung extrem sinnvoll, aber keine Vorsorge. Auch das gilt es zu bedenken und zuletzt hat man alles Recht, die Prämissen seines Lebens selbst zu setzen, dann aber auch die Verantwortung der Konsequenzen, für sich, aber auch für andere. Insgesamt nichts, was man in ein einfaches schwarz/weiß-Muster pressen kann, es ist immer der einzelne Mensch zu betrachten und seine Geschichte, aber auch die Schlüsse, die zuerst er aus dieser zieht.
Oft heißt es, dass Männer zu etwas bereit sind, wenn es gelingt, ihnen etwas als Spiel zu vermitteln, das wäre dann eine gesellschaftliche Aufgabe, über das Thema hinaus. Es gibt keinen Grund die generelle Hoffnung zu verlieren. Es kommt auch hier auf jeden einzelnen Menschen an.
Und unsere gemeinsame Zukunft?
Gemeint ist nicht nur die von Männern und Frauen, aber auch die. Kurz gesagt, ich bin wirklich nicht glücklich darüber, dass Männer und seien sie auch alt und weiß, in Kommentaren entwertet werden. Diskriminierungen sind Diskriminierungen, egal in welche Richtung und ein ’damit die mal sehen, wie sich das anfühlt’-Revanchismus, mag im ersten Moment nachvollziehbar sein, aber schon beim oberflächlichen Nachdenken entlarvt er sich als aus der menschlich unteren Kajüte.
Ich sehe ein, dass Übertreibungen notwendig sind, um Veränderungen voranzubringen, weil sich bei unseren behäbigen Strukturen sonst zu wenig bewegt und das oft viele zu langsam. Dennoch bleibt so manches Foulspiel nichts weiter als das und ideologisch verbrämter Hass ist nicht besser, als der demonstrativ zur Schau gestellte, den irgendwelche seltsamen männlichen Gewaltphantasien, die außer Fremdschämen und Kopfschütteln, wenig in mir auslösen, nur, dass ich sehe, dass es sich eben auch um verletzte Menschen handelt, die die Unterstützung bräuchten, die sie leider oft nicht annehmen können.
Man muss sich nicht hassen oder entwerten. Bei mir kamen stets andere Stimmen besser an. In einer versuchten Aufarbeitung der Übergriffe der Kölner Silversternacht 2015/16 gab es Versuche von linker, feministischer Seite sich gegen die Vereinnahmung des Themas durch Rechtspopulisten abzugrenzen. Das ist als Motiv verständlich, in der Durchführung war das oft einfach gruselig. Eine Stimme war anders, die von Teresa Bücker, die einen anderen Sound hatte und offen eingestand, dass die Feministinnen es nicht alleine schaffen. Ob hier auch Männer angesprochen wurden, am Ende ihres „Das geht #ausnahmslos alle etwas an„-Artikels, weiß ich nicht, man könnte es meinen oder einfach eigenständig tun.
Ich hatte über die letzten beiden Jahre eine sich aus einem Zufall ergebende Arbeitsbeziehung mit einer jungen Frau, die mir irgendwann erzählte, dass sie sich in der Gegenwart von Männern generell unwohl fühlt. Auf meine Nachfrage nach schlechten Erfahrungen, sagte sie, dass sie keine brauche, weil sie genug Fälle kennt, bei denen die Erfahrungen der Frauen schlecht waren. Mich hat das berührt und dazu gebracht mich selbst zu fragen, ob ich es als Mann eigentlich wollen kann, dass Frauen sich in unserer Gegenwart generell unwohl fühlen. Meine Antwort ist, dass ich das nicht will.
Die Antwort ist klar, aber der Weg dahin ist so wenig eindeutig, wie die Frage, warum Männer nicht zum Arzt gehen. Ein breite Debatte darüber, wie wir alle hier in Deutschland miteinander leben wollen, ist notwendig, schon weil wir es hinbekommen müssen, wenn wir leben wollen.