Astrologie als andere Sichtweise

Astrologie ist weltweit verbreitet, hier die Variante aus Bhutan © Zachary Collier under cc
Astrologie ist also nicht die Übersetzung von einer Sprache in eine andere, sondern eine ganz andere Betrachtungsweise. Nicht wie vom Englischen ins Deutsche und dann Französische, sondern wie in Algebra oder Musiknoten. Da das nicht geht, ist es eben ein ganz anderer Blick.
Wir denken oft alles ließe sich nach einem bestimmten Prinzip auflösen. Etwa, ob etwas wahr oder falsch ist. Das geht, im Sinne einer vorher aufgestellten Behauptung, dass etwa ein Bauwerk 1835 errichtet wurde, 37 Meter an der höchsten Stelle misst und aus Bruchsteinen besteht.
Aber in der Rechtssprechung geht es um einen eigenen Modus, nicht unbedingt Wahrheit, sondern Recht. Beide überlagern einander, sind aber nicht identisch. Nicht verurteilt zu werden, heißt nicht im landläufigen Sinne unschuldig zu sein. Moral ist ein weiterer Modus, aber auch Wirtschaftlichkeit oder biologische Fortpflanzung, Nutzen oder religiöser Glaube, alles Modi die sich nicht nach wahr/falsch auflösen lassen. Die Astrologie ist eine weitere dieser Sichtweisen.
Da sie mit Deutungen arbeitet, muss sie sich der Frage stellen, ob diese Deutung zutrifft, aber in einem lockereren Rahmen. Einerseits ist die Astrologie deterministisch, andererseits offen. Deterministisch, indem sie behauptet, dass es bestimmte Konstellationen gibt, die durchdrücken auf die Ebenen der Welt, gemäß der Prinzipien und ihrer astrologischen Verhältnismäßigkeit. Offen, in dem sie behauptet, dass es nicht die eine Art und Weise gibt, in der sich das astrologische Schicksal erfüllen muss, sondern mehrere mögliche Spielarten die Prinzipien zu leben und zu erfüllen. Die äußere Manifestation, die einen überfällt ist nur eine davon, die bewusste Auseinandersetzung mit der Themenkonstellation eine andere. Dafür muss man natürlich die astrologische Denkweise etwas verstehen oder man findet einen intuitive Zugang zu dem, was das Schicksal von einem will.
Insgesamt erinnert der Ansatz nicht zufällig ein wenig an Platon, bei dem es einen durchgängigen Übergang von der materiellen in die Welt der Ideen gibt. Wir gewichten die Grundlage heute anders, für uns ist alles was real ist eine Form der Materie und die Ideen erwachsen aus dem Zusammenspiel derselben. Für Platon war es gerade umgekehrt. Aber da ist noch etwas anders. Wir unterteilen die Welt aus pragmatischen Gründen in mehrere Ebenen. Die Physik erklärt die Zusammenhänge der unbelebten Materie, mit der Biologie ist man auf einer Ebene, die physikalisch nicht mehr zu erfassen ist. So bricht man an der Stelle ab und erklärt auf der Basis biologischer Prinzipien weiter, bei denen man davon ausgeht, dass sie letztlich weiterhin physikalisch sind, nur die Erklärung so komplex wäre, dass der Aufwand nicht lohnt oder man es schlicht nicht schafft die Hintergründe darzustellen. Geht man weiter zu geistigen Prozessen, so nimmt man an, dass diese erneut eine biologische (und also letztlich physikalische) Basis haben, aber die Darstellung ist natürlich noch komplexer.
Wir müssen letztlich abwarten, ob es gelingt, die Basis der Logik, der Argumentation, des Sinns und vieles andere aus dem Gehirn oder Algorithmen herzuleiten, bislang stützt sich die Wissenschaft auf Argumente, kann diese aber nicht erklären, weder neuro-, noch evolutions- oder soziobiologisch. So entsteht ein Dualismus der Erklärebenen, der pragmatisch sinnvoll ist, aber in einen erkenntnistheoretische Dualismus oder Pluralismus führt und in eine ontologische Basis, auf der man davon ausgeht alles sei eins, nämlich Materie. Das passt nicht zusammen, zudem hat der Dualismus das gravierende Problem nicht erklären zu können, wie denn nun die eine Ebene mit der anderen korrespondiert. Wenn alles Materie ist, muss man auch erklären, wie aus Materie Bewusstsein wird und zwar jene Art Bewusstsein, dass wir als User tagtäglich benutzen.
Wir planen, gewichten, reflektieren, fühlen und gleichen das mit unser Ratio ab. Wir träumen, manche meditieren, haben bewusste und unbewusste Anteile, können logisch argumentieren, überzeugt sein, trennen aus unserer Sicht gute von schlechter Argumenten und im Grunde wissen wir nicht viel darüber, wie das alles funktioniert. Aber wir gehen jeden Tag damit um, wir tun vieles von dem was ich aufzählte ja ständig.
Bei Platon ist das anders, der geht von einem schleichenden Übergang vom Geist zur Materie und zurück aus, auch das befriedigt nicht vollständig, Jürgen Habermas:
„Der Reduktionismus, der alle mentalen Vorgänge deterministisch auf die wechselseitigen kausalen Einwirkungen zwischen Gehirn und Umwelt zurückführt und dem „Raum der Gründe“ oder, wie wir auch sagen könnten: der Ebene von Kultur und Gesellschaft, die Kraft zur Intervention bestreitet, scheint nicht weniger dogmatisch zu verfahren als der Idealismus, der in allen Naturprozessen auch die begründende Kraft des Geistes am Werke sieht. Der von unten ansetzende Monismus ist im Verfahren, aber nicht in seiner Konklusion wissenschaftlicher als der Monismus von oben.“[1]
Die Erlösung aus der Materie
Das ist das Angebot der Astrologie, vielleicht etwas urplatonischer. Die Vorstellung lautet, dass alle Aspekte der Welt nicht auf eine gemeinsame Wurzel zurück gehen, sondern die getrennten Ebenen, wie etwa Materie – Leben – Affekte – Ratio senkrecht durch gemeinsame Urbausteine, Urprinzipien verbunden sind, die sich immer wieder neu anordnen und deren Verhältnismäßigkeit sich dann auf den verschiedenen Ebenen ausdrückt.
Der astrologische Deal geht dabei in etwa so: Was man auf einer der Ebenen stärker, bewusster lebt, je mehr man sich also um den spezifischen Themenkomplex kümmert, umso weniger manifestiert er sich auf einer anderen Ebene. Der Rest ist ausprobieren, ob das wirklich klappt. (In der nächsten Folge gibt es dazu praktische Vorschläge.)
Die Konstellation der Himmelskörper soll dabei die Ebene sein, auf der man recht unbeeinflusst von anderen Überlagerungen das Wirken der Urprinzipien beobachten kann, wobei die Zuschreibung der Himmelkörper und ihrer Eigenschaften auch nicht zufällig ist. Vielleicht sogar der schwächste Punkt der ganzen Astrologie, bei der es letztlich darum geht, ein Gespür für Zeitqualitäten zu entwickeln. Da wir in einem Weltbild leben das Zeitqualitäten gar nicht kennt, sondern nur quantitativ mit Zeit umgeht, ist das bereits die Herausforderung, in anderen Kulturen gibt es dieses Verständnis durchaus.
Aber hier kommt der andere Blick ins Spiel. Wenn jemand ständig Unfälle macht, vielleicht etwas unkonzentriert, trottelig oder hektisch ist, so kann man versuchen, ihm mehr Ruhe, Struktur und Konzentration beizubringen, aber man kann auch anders an die Sache heran gehen und sagen: Okay, da ist jemand, dem einfach schnell langweilig wird und der in festen Strukturen eingeht, statt aufblüht. Zwang und Drill werden nur noch mehr ungewollte Sabotage erzeugen, aber so jemand ist vielleicht bestens geeignet, als Ideengeber, für eine Kreativabteilung, als Springer oder für ein Rotationssystem im Job. Und schon hätten wir uns auch einem astrologischen Urprinzip genährt, in dem Fall Uranus/Wassermann.
Man kann sich problemlos das Gegenteil vorstellen. Menschen, die Verlässlichkeit, feste Strukturen und Routinen brauchen und lieben. Die mit Hingabe sortieren, ordnen und alles in Systeme bringen, die mit Kreativität, Improvisation und free style heillos überfordert sind. Und wir hätten ein oder zwei andere astrologische Prinzipen gefunden.
Das große Ganze
Es geht nicht um ein entweder/oder. Uns sollte klar werden, dass wir verschiedene Möglichkeiten haben, die Welt zu betrachten und die Gemeinsamkeit aller ist, dass sie bestimmte Aspekte in den Vordergrund bringen und anderen damit in den Hintergrund rücken. Das eine große allumfassende System gibt es nicht. Der Blick auf alles wird zwar hier und da beansprucht, gerechtfertigt ist er selten bis nie.
Da bildet auch die Astrologie keine Ausnahme. Eine gibt es aber vielleicht doch. Im Ich treffen alle Systeme der Weltbetrachtung wieder zusammen. Unser Ich ist im Grunde gelebte Synthese, alles was wir wissen und gehört haben wird hier verarbeitet. Sehr vieles – eine große Stärke – wird auch wieder vergessen oder aussortiert, wenn nicht sogar von Anfang an ignoriert. Hier muss sich auch Astrologie bewähren.
Bei mir waren es besondere Umstände, die mich auf die Astrologie aufmerksam machten, zwei Jahre zuvor hätte ich die betreffenden Bücher vielleicht nicht angerührt oder kopfschüttelnd nach einigen Seiten weg gelegt. Zu der Zeit war ich jedoch offen und entdeckte in dem Gesamtsystem selbst eine innere Logik und Stimmigkeit, auch wenn sie natürlich mit dem brach, was zum wissenschaftlichen Kanon gehörte.
Doch das ist lediglich der erste Schritt, die Astrologie muss natürlich dann auch überzeugen. Solange man mit den bei uns gut einstudierten Erklärungen durchs Leben kommt und sich abgeholt fühlt, wird man sich nicht mit der Astrologie auseinandersetzen. Warum auch? Eher wenn es nicht so läuft, manche Erklärungen nicht befriedigen, vielleicht auch einfach aus Neugier- oder Forschergeist oder wenn seltsame Erfahrungen im Leben gehäuft auftreten, oder als eine Art Gesellschaftsspiel.
Wie nach den Gedanken zur Astrologie ein lohnender Zugang zu einer Praxis aussehen könnte, dazu mehr beim nächsten Mal.
Quellen:
[1] Jürgen Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion, Suhrkamp 2005, S. 169f