Wir sind doch keine Sechsjährigen

Jeder sieht durch seine Brille die Welt anders. © Mattiece David under cc
Bernd Stegemann hat im Freitag, in einem Gastkommentar geschrieben:
„Folgt man dieser Logik von Reiz und Reaktion, so sperrt man den Zeitgenossen ins Gefängnis eines pawlowschen Hundes. Dann liegt der Gedanke nah, dass man mit ihm nur noch erzieherisch kommunizieren darf. Das Framing Manual bietet ein Kompendium solcher bevormundenden und herablassenden Sprachfloskeln. Wüsste man nicht, dass es sich um ein Handbuch für die ARD handelt, so bekäme man den Verdacht, die geheime Propagandafibel eines totalitären Regimes entdeckt zu haben, an deren Ende sie sich ziemlich unverhohlen zu ihrer Ideologie bekennt: „Kontrollierte Demokratie statt jeder, wie er will.“
Spätestens an dieser Stelle hätten die verantwortlichen Auftraggeber der ARD das tun müssen, was sie von jeder anderen demokratischen Institution des Landes einfordern würden, bei der sie eine solche Fibel entdeckt hätten: Sie hätten den Alarmknopf betätigen müssen. Doch anstatt die Anweisungen nach der ersten Lektüre dankend zurückzuweisen, ließ man sie zwei Jahre intern kursieren.“[3]
Später fährt er fort:
„Liebe ARD, Eure Zuschauer sind nicht alle sechs Jahre alt, und der beste Grund für den Rundfunkbeitrag ist Euer Programm. Bestätigt bitte nicht die falschen Vorwürfe Eurer Kritiker, indem ihr Euch mit einer Methode verteidigt, die genau die Manipulationsmittel und moralische Überheblichkeit verwendet, die euch fälschlicherweise vorgeworfen werden. Eure Stärke liegt nicht in der moralischen Bevormundung der Zuschauer, sondern in der Kraft der Argumente und der Freiheit der einzelnen Meinung.“[4]
Es ist in der Tat die aller simpelste Idee in der Psychologie, das uralte Reiz-Reaktionsschema, das hier Pate steht. Als müsse man jeden Ball fangen oder zu sabbern beginnen, wenn die Glocke ertönt.
Das Ringen um die Deutungshoheit
Was hier in Semantikfloskeln, oft garniert mit Neurosprech angepriesen wird, ist nichts anderes als das Ringen um die Deutungshoheit, nur nicht mehr allein mit Argumenten, sondern mit Tricks aus der Kiste der Kognitionspsychologie, die an sich klasse ist, wenn man der Verlockung widersteht, sie zu verabsolutieren.
Die Assoziationsmaschine, die den Unentschlossenen sagt: Wenn du es nicht weißt, dann erklären wir es dir, die Reiz-Reaktions-Muster auf die Semantik überträgt, bringt uns als Erklärung neue Einblicke, aber damit wird nicht alles andere pulversiert. Schön, wenn man endlich herausfindet, dass Begriffe und Gefühle, Gesten und Bewegungen, Körperhaltungen und Arten des Auftretens tatsächlich eine Wirkung haben, aber das weiß die Psychosomatik schon seit ewigen Zeiten, als analoges Denken ist es noch viel länger bekannt.
Der genaue Zusammenhang und die Gewichtung der einzelnen Bereiche ist nach wie vor unbekannt. Es gibt eine grobe Hierarchie, der zufolge auf den unteren Stufen der Entwicklung der Persönlichkeit die momentanen Affekte über die rationalen Entscheidungen dominieren. Das kehrt sich dann irgendwann – wenn es passiert, schon in der frühen Kindheit – um und dann dominiert die Rationalität, das Vernünftige über die spontanen Affekte und Emotionen, die Folgen sind häufig die bekannten Neurosen, bei denen man sich in einigen Gebieten des Lebens nicht frei und ungehemmt entfalten kann, meistens in den Bereichen des kreativen, spontanen und/oder sexuellen Selbstausdrucks. Läuft alles ideal, kann man zu einer Art Gleichgewicht zwischen spontanem Ausdruck und kognitiver Entwicklung gelangen, eventuelle höhere Stufen lassen wir hier weg.
Die ganze Idee, dass Emotionen doch den größeren Einfluss haben, der gerne mal von Neurobiologen unterstützt wird, ist auch in diesem Fall selbstwidersprüchlich, denn um das zu glauben, müssen erneut wissenschaftlich nachvollziehbare und also rationale Argumente her. Rationalität muss abermals als Beweis herhalten, dass die Rationalität kaum etwas, die Emotionen aber viel wert sind.
Doch noch etwas ist beim fröhlichen Rahmenspiel zu beachten. Es gibt keine universalen Begriffe und somit auch keine Assoziationsgitter, die bei allen gleich sind. Denken Sie mal an Weihnachten. Was kommt Ihnen da in den Sinn? „Stille Nacht“, der Christbaum, Schnee, Familie, die Mitternachtsmesse, Weihrauchduft, „O Tannenbaum“, die Krippe, Geschenke, Kerzenlicht, die Kindheit, Zimtssterne, Kartoffelsalat, Karpfen. Irgendwas davon wird sicher dabei sein. Aber ist es immer feierliche Sehnsucht, die da evoziert wird? Vielleicht nicht, wenn Sie einem anderen Glauben angehören, oder Atheist sind. Wenn bei Ihnen mal der Baum abgebrannt ist oder der alljärhliche Streit vorprogrammiert war. Das sind dann sehr individuelle Assoziationsketten. Wenn der Frühling kommt, heißt das dann Freude, Sonne, Aktivität und Lebenskraft? Ja, bei vielen, aber bei anderen eben auch Allergie, Rückzug, Zecken, Angst vor Sonnenlicht und so weiter.
Kurz gesagt, Bedeutung ist individuell, jeder hat seine inneren Muster und zwar oft drei. Eine Ebene, die sich ganz gut framen lässt, eine etwas tiefere, die schon – vor allem familiär geframed ist – dort finden wir die Glaubenssätze der Kindheit und eine letzte, die tief in der Psyche verankert ist, wo wir die Resultate von Kindheitsereignissen unter dem Einfluss von Spitzenaffekten finden.
Und davon noch mal abgesehen, die Bedeutungsverschiebung von Begriffen finden wir auch bei all den Menschen, die sich dann tatsächlich mit einem Thema intensiver auseinandersetzen und dann oft nicht mehr dieselben Assoziationen entwickeln, wie die Menschen, die bei der normalen Interpretation bleiben. Nach allem was man weiß gibt es keine letzte Bedeutung der Begriffe, sondern ihre Bedeutung ist ihr Gebrauch, eine Auffassung zu der die beiden Philosophen Ludwig Wittgenstein und Willard Van Orman Quine kamen.
Gewissen Lenkungen durch eine Reihe recht allgemeiner Begriffe sind sicher möglich, aber vor einer Gehirnwäsche braucht niemand Angst zu haben. Gerade weil die geistige Welt immer mehr in Splitter zerfällt, ist ein übergreifendes Framing, selbst wenn man wollte, kaum noch möglich.
Gemischte Beispiele
Wie stark Framing nun wirklich ist, ist unbekannt, wie es genau wirkt, auch. Kann man das Bewusstsein der Massen wirklich steuern? Es ist immer ein Ritt auf der Rasierklinge.
So gelten die Versuche der Atomlobby, mit der Bevölkerung zu diskutieren, als Paradebeispiel einer Bauchlandung der Öffentlichkeitsarbeit. Die Genlobby hat daraus gelernt und verkündet nur noch geframte Nachrichten, Erfolge oder baldige Hoffnungen auf Erfolge. Beliebt sind bei uns beide nicht. Vielleicht sind aber auch einfach die Argumente der Lobbyisten nicht sonderlich gut.
Der Ruf eines Menschen kann völlig ramponiert sein, wenn er in den Zusammenhang mit irgendeinem Skandal gebracht wird. Denn, irgendwas bleibt immer hängen, so heißt es, bleibt dann hängen, wenn man in einen bestimmten Deutungsrahmen eingefügt wurde und sich nicht mehr dagegen wehren kann. Die Assoziationsmaschine läuft dann auf Hochtouren.
Andererseits heißt es, dass es keine schlechte Presse gibt und es gibt Untersuchungen, dass auf längere Sicht jemand davon profitiert, dass er im Gespräch war, weil irgendwann vergessen wird, in welchem Kontext das war. Beispiele wird man für beide Seiten finden.
Es gibt auch boshaftes Framing, das aber offenbar keinen größeren Schaden anrichtet, obwohl es das augenscheinlich soll, weil auch das, was ständig und immer wieder negativ im Gespräch bleibt, eben mindestens im Gespräch bleibt, vielleicht schließt das Negativ-Framing sogar die Reihen der Anhänger fester, die sich sagen: Jetzt erst recht.
Verzweifelt gesucht: Der größte Rahmen
Sehr interessant ist die Frage nach dem Deutungsrahmen, der am größten ist. Gibt es einen Frame, der alle anderen enthält? Die Versuche eine Antwort zu finden offenbaren, wie kompliziert das Thema der Rahmensetzungen und Deutungsangebote ist. Man könnte beispielsweise auf die Idee kommen, dass die Physik den größten Rahmen darstellt, weil alles Physik ist. Diese Behauptung isgt allerdings eher eine ontologische These, nicht unplausibel, aber das Problem ist, dass die Physik einerseits wahnsinnig spannend ist, andererseits nichts von dem was unser Menschsein ausmacht auch nur im Ansatz berührt, es kommt dort einfach nicht vor. Liebe, Überzeugungen, Interessen, Weltbilder, Hobbys, Beziehungen, die Physik sagt uns gar nichts dazu.
Oder Astrophysik und Kosmologie, die irgendwie den weitesten weil größten Einzugsbereich haben und wirklich alles betrachten, inklusive der Frage ob wir nicht in Abermilliarden Multiversen leben. Aber auch da fragt man sich, was es mit uns zu tun hat? Aber sind wir überhaupt relevant? Mit dem Blick auf Historie und Ausdehnung, eindeutig nicht, aber da ist ja noch die Frage nach dem Bewusstsein. Wir wissen gar nicht, was das ist, können aber sicher sein, eines zu haben. Das richtet den Blick in jene Bereiche, nach innen. Aber wo ist dieses „Innen“ überhaupt? Und ist da nun wieder der größte Rahmen zu ziehen, kosmisches Bewusstsein, oder eher der persönliche, die nicht aufzulösende individuelle Mixtur, zu der auch meine Einstellungen und Weltbilder gehören. Alles das ist nur angedacht, man kann sich ewig damit beschäftigen, mit der Frage nach dem wichtigsten Frame.
Framing im therapeutischen Kontext
Auch in einigen Therapieverfahren gibt es Framing, dort auch Priming genannt und es hat das Ziel ein Menschen, der an einer fixen Verarbeitung bestimmter Gedanken oder Zusammenhänge leidet, bewusst einen neuen Kontext zu eröffnen. Wer es gewohnt ist, seine Welt immer gleich zu deuten, muss zunächst einmal erleben, wie tiefgreifend Gewohnheiten uns beeinflussen und dann, dass und wie er diese ändern kann. Das hier verwendete Framing hat also eine Bezug zur eigenen Biographie und kann sehr hilfreich sein.