Das Zeigen ist kinderleicht. Buchstäblich. Kleine Kinder, so um ein Jahr, zeigen auf Bilder in einem Buch und unterstreichen die Geste oft mit einem „Da“. Die Geste des Zeigens ist so fundamental, dass sie einem unserer Finger, dem, der am häufigsten benutzt wird, seinen Namen gegeben hat: dem Zeigefinger.
Das Zeigen macht nur Sinn in einer Umgebung, in der man auch verstanden wird. Wer einfach „Da“ sagt und auf etwas deutet was er haben oder erklärt haben möchte, dessen Geste aber unerhört bleibt, der wird die Gestikulation irgendwann einstellen, da sie sinnlos ist. Das Zeigen setzt also einerseits eine verstehende, aber andererseits auch erklärende Umwelt voraus. Auf das „Da“ folgt Mutters Erklärung, dass das da ein Hund ist, dies Papas Auto und jenes eine Zitrone.
Heutige Kommunikation ist ein Kompositum aus einerseits gesprochener Sprache, die es uns ermöglicht abstrakte Welten zu erschaffen und zu beschreiben, anderseits hat Kommunikation noch eine ältere Wurzel, das Affektsystem, das es höheren Säugetieren erlaubt eine gezielte, auf das Individuum zugeschnittene Brutpflege zu betreiben. Beides ist heute untrennbar miteinander verbunden, so dass wir Mimik, Gestik, Tonfall und Begriffe in einem Fluss und kombiniert einsetzen. Es fällt uns jedoch heute noch auf, wenn Wortinhalt und Körpersprache nicht zusammenpassen.
Praktisch einfach, theoretisch schwer
Etwas was jedes Kind kann, verbirgt den Teufel gerne im Detail, so auch hier. In der Forschung zur künstlichen Intelligenz (KI) und Robotik hat sich das sogar bis zum Begriff von Moravec’s paradox herauskristallisiert, in dem gesagt wird, dass all das von dem man zuvor dachte, es sei ungeheuer schwer, wie hochkomplexe Logik, sich als leicht erwiesen hat – Computer besiegen uns heute problemlos und schon seit zig Jahren im Schach, neuerdings auch im intuitiveren und viel komplexeren Go oder bei Quizsendungen – allerdings erweisen sich Alltagsleistungen, die eben tatsächlich jedes Kind beherrscht, als ungeheuer schwer, weil das, was man intuitiv und auf den ersten Blick versteht, erstaunlich schwer zu formalisieren ist. Arm und Couch zu unterscheiden, etwas was umfällt aufzufangen, ins Badezimmer zu gehen und Spiegel zu holen, sind Akte, an denen sich die KI-Forscher immer wieder die Zähne ausbeißen.
„Das da“ hat genau wie „Ich“, „Jetzt“ und „Hier“ keine absolute Größenordnung, denn wenn der Autor „Ich“ sagt, ist dieses „Ich“ ein anderes, als wenn der Leser es sagt. Ist doch klar, zeigt aber, dass „Ich“ je nach Situation immer jemand anders ist. Wir verstehen das problemlos, aber der Akt als solcher ist hochkomplex, weil er keiner einfachen Wort-Welt-Bedeutung entspricht, in der „Ich“ immer der Autor genau dieses Textes hier ist.
Wenn „Ich“, „es“ oder „das da“ auch keine zeit- und ort- und sprecherlose Zuordnung haben, so heißt das auf der anderen Seite keinesfalls, dass die Zuordnung beliebig wäre. Bei der Gegenüberstellung eines Augenzeugen ist es schon wichtig, wer genau mit „der da“ gemeint ist. Es gibt nur wenig fixe Parameter, die immer dabei sein müssen, um etwas zu erkennen. Wenn ein Stuhl auch gewöhnlich vier Füße hat, würden wir einen dreibeinigen ebenso problemlos als Stuhl erkennen, Roboter nicht zwingend. Das „das da“ ist ein flexibler Akt und dass es ein solcher ist und wir ihn dennoch und auch das verstehen – dass er flexibel ist –, zeichnet uns aus.
Zeigen trennt Mensch und Tier
Auf etwas zu zeigen impliziert die Geste zu verstehen – sowohl der Zeigende, als auch der, der etwas gezeigt bekommt, müssen den gestischen Akt verstehen – und wir können die Entfernungen unterscheiden.
Das berührende Zeigen:
Das liegt dann vor, wenn wir direkt mit dem Finger auf das deuten, was wir meinen. Die Ich-Geste, mit der wir direkt auf unser Brustbein (oder Herz?) deuten, oder Kinder auf die Bilder in ihrem Buch oder der Patient auf eine schmerzende Stelle.
Allerdings meint auch die direkte Berührung nicht immer das Berührte. Tippen wir uns auf die Stirn und zeigen jemandem einen Vogel, wollen wir auf keine Besonderheit an unserer Stirn hinweisen, sondern dem Anderen bedeuten, dass er spinnt.
Das nahe Zeigen:
Es gibt ein Zeigen auf nahe oder mittlere Entfernung, das man bei Experimenten mit Tieren verwendet. Man stellt verschiedenen Tieren zwei Kisten hin, in einer ist Futter, in der anderen nicht. Deutet nun ein Mensch auf die Kiste mit dem Futter, so verstehen einige Tiere diese Geste, andere nicht. Oft erwartet man, dass die Tiere gemäß der ihnen zugeschriebenen Intelligenz der Menschenähnlichkeit abschneiden, also Affen am besten. Doch das ist nicht der Fall. Hunde schneiden weitaus besser ab, man erklärt das damit, dass sie über Generationen der Domestizierung gelernt haben, die Gestenn des Menschen zu verstehen. Überraschend gut schnitten aber auch afrikanische Elefanten ab, die nie in dem Stil domestiziert wurden. Vielleicht sind sie aber auch deshalb so gut, weil sie einen Rüssel haben, mit dem sie ebenfalls zeigen könnten, ob sie es tun, weiß ich nicht.
Das ferne Zeigen:
Das ferne Zeigen ist vielleicht der schwierigste Akt. Denn wenn wir auf etwas deuten und ein Ziel in weiterer Ferne meinen, darf der andere nicht auf unseren Finger schauen, sondern er muss begreifen, dass wir mit der Zeigegeste eine gedachte Linie meinen, die an unserem Auge beginnt und über die ausgestreckte Fingerspitze gedanklich zu verlängern ist, bis man auf ein fernes Objekt in der Verlängerung trifft, das gemeint ist.
Tiere zeigen nicht und lassen sich auch nichts zeigen. Wenn domestizierte Haustiere das nahe Zeigen noch verstehen, so doch das ferne Zeigen eher nicht. Wir lassen uns etwas zeigen und beibringen, die Worte sind mitunter synonym. „Komm‘, ich zeig es Dir“, meint zuweilen, dass man es dem anderen erklärt und beibringt, „Dir werd‘ ich’s zeigen“, ist jedoch eine Drohung, immerhin so zu verstehen, dass man dem anderen mal nachdrücklich erklärt, was er falsch gemacht hat.
Affen verstehen die Zeigegeste nicht, sie zeigen selbst nicht und zeigen zwar im übertragenen Sinne dem Nachwuchs bestimmte Praktiken, interessieren sich aber nicht dafür, ob diese auch begriffen wurden. Entweder die anderen können nun auch, was ihnen gezeigt wurde, oder eben nicht. Individualförderung, so dass man sieht, wer an welcher Stelle seine Schwierigkeiten hat und wo der Punkt ist, an dem jemand aussteigt, ist ihre Sache nicht.