Rationale Erklärungen stehen bei uns hoch im Kurs

Marionettenfiguren

Inwieweit sind wir überhaupt Akteure, die wissen, was sie tun? © Thomas Quine under cc

Philosophen definieren uns als Wesen, die das Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen spielen. Gemeint sind rationale Gründe, die der Erklärung dienen, warum wir das tun, fühlen oder denken, was wir äußern, sofern sich das nicht unmittelbar aus dem Kontext ergibt. Wenn es draußen regnet und jemand dort einen Schirm aufspannt, erübrigt sich die Frage, warum er das tut. Passiert dasselbe jedoch in der Wohnung sind Fragen erlaubt oder sogafr gefordert.

Die Antwort, die der Mensch unter dem Einfluss eines posthypnotischen Befehls gibt, lautet ja nicht, dass er auch nicht so genau weiß, warum er das gerade gemacht hat, sondern er schwört Stein und Bein, dass er das, was er tat, selbst genau so wollte und er kann das begründen. Normalerweise reichen uns Begründungen, wenn sie plausibel erscheinen. Also ab wann dürfen wir Begründungen ernsthaft bezweifeln?

Freud war bei seinen eigenen Erkenntnissen selbst nicht ganz wohl. Er, der im Buch des Unbewussten so mutig ein ganz neues Kapitel geschrieben hat, vertraute darauf, dass die Stimme des Intellekts zwar leise sei, sich aber letztlich durchsetzen würde. Kernberg, ein bekennender Freudianer, weist das mit den Worten: „Wenn das keine Illusion ist, weiß ich nicht, was eine Illusion ist“[2] zurück und erklärt, dass Freud an anderen Stellen, ganz konträr zu dieser Aussage, sehr wohl erkannte, dass es Bereiche gibt, die immer unbewusst sind und bleiben, wir werden unsere unbewussten Motive nie ganz los.

Die Kohärenz, Konsistenz oder einfach innere Folgerichtigkeit einer Erklärung ist im daher Grunde nicht so viel wert. Sie ist eher als Ausschlusskriterium zu verstehen. Wenn eine Erklärung inkonsistent ist, ist sie falsch, aber wenn sie konsistent ist, ist sie nicht automatisch richtig. Denn auch die Prämissen, die Grundvorausetzungen des logischen Schließens, können ja hinterfragt werden. Man darf den Zweifel nicht zu weit treiben, das geht schnell in eine paranoide Richtung und zerstört die rationale Basis der Sprachspiele, aber angesichts der Rationalisierungen sind Zweifel erlaubt.

Freud war sicher niemand, der ein Happy End versprochen hat, aber trotz allem vertraute er der Kraft der guten Gründe, denn seine Psychoanalyse ist letztlich nichts anderes als deren konkrete Anwendung. Ein Patient, der unter einem neurotischen Konflikt leidet, ist sich seiner eigentlichen Wünsche oft gar nicht bewusst. Da auch er sein Leben als ein plausibles Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen lebt, wird er für seine Art zu leben gute Erklärungen haben und das können jene Rationalisierungen sein, die wir kennen gelernt haben. In ihnen werden etwa bestimmte Triebwünsche verdrängt, in der Weise, dass man ernsthaft meint, überhaupt keine Wünsche in dieser Art zu verspüren, ja, oft sogar, dass das überhaupt das Letzte sei, was man wolle.

Freud glaubt das nicht und ist der Meinung, dass der Mensch nicht nur eine körperliche Grundausstattung hat, zu der Herz, Lungen und Nieren gehören, sondern auch eine psychische, zu der auch der Aggression und Sexualität gehört. Nun sind genau das die Bereiche, die in unserer Kultur am meisten kontrolliert werden müssen. Da es schwer ist im ständigen Widerspruch zu leben und diesen auch zu empfinden, haben sich bestimmte Verhaltensweisen etabliert, eine ist, dass man sexuelle und aggressive Wünsche verdrängt. Ein unbewusster Schritt, an dessen Ende die Überzeugung steht, man sei in dieser Situation überhaupt nicht wütend oder sexuell erregt, ja im Gegenteil, man könne nicht mal verstehen, wie Menschen dabei so empfinden können.

Der zwanglose Zwang der besseren Argumente

Die ganze etwas idealisierte Sicht auf das eigene Leben ist das, was Freud unseren privaten Mythos nennt. Für all unsere Verhaltensweisen haben wir eine passende Rationalisierung. Im Gegensatz zu dem, was man oft meint, ist die Psychoanalyse erfrischend lebensnah, denn auch wenn Freud klar war, dass der private Mythos erheblich geschönt ist, so war er doch der Auffassung, dass der Mensch, wenn er mit diesem leichten Irrtum gut leben kann, dies ruhig tun soll und ohnehin tun wird. Freud verstand, wenn der Leidensdruck nicht erheblich ist, unterzieht sich niemand einer Psychoanalyse.

Dann aber, wenn der Leidensdruck groß ist, hat die Psychoanalyse etwas anzubieten, nämlich die Infragestellung des privaten Mythos. So wie man sich sieht, kommt man mit der Welt nicht mehr klar, die Rationalisierungen klappen nicht mehr. Sie klingen immer noch logisch, aber sie stimmen mit dem Ganzen was man erlebt nicht mehr überein. Die Analyse macht ein Angebot, das sich etwa so beschreiben lässt: Angenommen, dass was Sie über Sich sagen, stimmt. Aber nehmen wir weiter an, dass es da noch etwas gibt, etwas, was Sie von Sich selbst nicht wissen, was Sie aber abtreibt. Wollen wir uns diese Version mal gemeinsam anschauen? In letzter Konsequenz geht es darum, dass dem Patienten die Version plausibel erscheint, plausibler als seine eigene. Das kann nur im stillen Vertrauen darauf geschehen, dass man ein Stück weit doch Herr im eigenen Haus sein kann. Aber das dauert.

Das Rätselhafte an der Rationalisierung ist aber auch, dass man nicht weiß, wie weit dieser Ansatz eigentlich geht. So wie die übliche Geschichte des eigenen Ich (der private Mythos) im Grunde in allen Fällen ein plausibler Irrtum ist, es nur nicht in allen Fällen (Be)Handungsbedarf gibt, solange man sich gut fühlt, so ist ja auch die Frage gestattet, woher man denn wissen soll, dass die Erkenntnisse der Psychoanalyse erstens, wahr und zweitens, das Ende sind? Ihre pragmatische Wahrheit erweist sich in dem Maße, wie Symptome verschwinden und des dem Patienten gelingt, seine neurotischen Symptome gegen echte Probleme einzutauschen. Aber ist nicht gerade das die Pointe der Rationalisierung, dass wir auf plausibel klingende Erklärungen abfahren, ohne dass diese in einem tieferen Sinne richtig sein müssen?

Damit müssen wir uns wohl abfinden, aber wir haben immerhin auf dem Weg eine Menge über uns erfahren. Wir sind diejenigen Wesen, die von einander Gründe verlangen und diese auch bereitwillig geben und die Rationalasierung zeigt uns in fast satirisch überspitzter Art, dass wir selbst dann Gründe anbieten, wenn sie falsch sind, Hauptsache sie klingen plausibel. Wir geben sogar uns selbst fortwährend Gründe, indem wir versuchen unser Verhalten vor uns selbst zu rechtfertigen. Wir wollen, dass zeigen Rationalisierungen ganz klar, keine Wesen sein, die die Kontrolle abgeben, es ist uns wichtig wenigstens eine Geschichte parat zu haben, sie so klingt, als sei das was mit uns passiert jederzeit unter unserer Kontrolle und uns voll bewusst. Ich weiß, was und warum ich etwas tue. Nur gibt es oft noch eine Ebene dahinter, jene weniger ideale, die die Analyse offenlegt in der ich all das an mir sehe, was ich früher ausblenden konnte. Damit hätte man ein größeres, umfassenderes Ich, wenn man damit umgehen kann.

Es gibt auch immer wieder Ansätze, die den ganzen Ich-Gedanken infrage stellen. Nun sind die meisten dieser Ansätze nicht sonderlich intelligent, sondern ergehen sich in Selbstwidersprüchen. Am besten sind vielleicht buddhistische Ansätze die dem Ich (der Seele und Gott) absprechen eine letzte Wirklichkeit zu sein, aber man muss dann auch verstehen, was damit gemeint ist. Dies oder das zu glauben ist auch dort nicht die Lösung. Sich davon zu überzeugen, dass das Ich immer weiter werden kann, den privaten Mythos hinter sich lassen und zu einem reifen Ich werden kann, das diese Reise dann bis in Bereiche spiritueller Erfahrungen fortsetzt, ist sicher ein großes Ziel. Dann kann man sich die Frage nach dem Ich noch mal ernsthafter vorlegen.

Quellen