Gerade erstmalige Psychodiagnosen sind für Betroffene oft erschütternd und lösen viel Leid aus, da ist die Frage: Stimmt meine Diagnose?, nachvollziehbar. Gestern war ich noch völlig normal, heute bin ich krank und dann auch noch psychisch krank. Was jetzt? Was heißt das eigentlich? Und wie sicher kann ich sein, dass das überhaupt stimmt? Denn anders als bei Röntgen- oder Laborbefunden gibt es hier keine objektiven Daten, so ist zumindest oft der Eindruck, man ist also mehr oder weniger der Willkür des Diagnostikers unterworfen und de könnte sich ja irren, unfähig, oberflächlich oder bösartig sein, das weiß man aber eben auch nicht so ganz genau, weil man sich überrumpelt fühlt und nicht weiß, wie man das herausfinden soll.
Vieles davon kann man aufklären und die Frage, Behauptung oder die damit zusammen hängenden Weltanschauung hinter der Frage betrachten.
Die Diagnose ist schlimmer, als das dahinter liegende Problem
So hört man es manchmal. Über die Bedeutung von Diagnosen und Kategorisierungen in der Psychotherapie können Sie unter dem Link mehr erfahren, hier wollen wir eher erkunden, wie sicher man sich bei der Diagnose denn sein kann. Dennoch stellen sich bei obiger Einstellung Fragen, nach den Auswirkungen und Folgen einer Psychodiagnose.
Zum einen kann eine Diagnose stigmatisierend sein. Andererseits muss niemand die Diagnose erfahren und hier liegt ein Bereich, bei dem man die leichtfertige Preisgabe der Datensicherheit und die Aufgabe der Privatsphäre kritisch sehen kann und muss. Vielleicht ist es gut, wenn der Partner erfährt, was mit einem los ist – aber auch das muss nicht immer sein – vielleicht, wenn es wenige, enge Freunde erfahren, damit man bei Bedarf über sich reden kann, aber ein breiteres Umfeld geht es nichts an, schon gar keinen Arbeitgeber oder Vermieter.
In einem uninformierten Umfeld kann eine Psychodiagnose einen negativen Einfluss auf das weitere Leben haben, deshalb sollte man damit nicht unbedingt hausieren gehen, es sei denn, man entscheidet sich bewusst ein Zeichen zu setzen, um die Bevölkerung aufzuklären.
Wie eine Diagnose aufgenommen wird, ist in starkem Maße eine Frage von Alter und Herkunft. Manche ältere Menschen haben noch erlebt, dass „verrückt“ zu sein bedeuten konnte, dass man ermordet oder weggesperrt wird, im Rahmen der „Rassenhygiene“ des Naziregimes aber auch in der DDR und der alten Bundesrepublik, waren die Bedingungen in Heimen und Psychiatrien mitunter schrecklich bis unmenschlich und in allen totalitären Regimen besteht die Tendenz Regimegegner über fragwürdige psychodiagnostische Krankheitsdiagnosen kalt zu stellen und wegzusperren und so bequem zu entsorgen. Ein institutioneller Missbrauch, den man aufarbeiten kann und aus dem man lernen muss. Es gibt noch immer Probleme, doch insgesamt hat sich die Situation bei uns in den letzten Jahrzehnten dramatisch gebessert. Aber auch hier steht die Frage im Hintergrund, woher man eigentlich weiß, ob eine Diagnose wirklich stimmt.
Auch wenn man selbst kein Opfer oder Zeitzeuge dieser Geschehnisse ist, viele Familien werden von solchen Schicksalen durchzogen sein und die Angst vor der Diagnose schwingt dort aus nachvollziehbaren Gründen mit. Je jünger Menschen sind, umso so unbelasteter sind sie in der Regel von dieser Problematik. Eine andere Frage ist die des sozialen Milieus, wenn man aus einem Umfeld kommt, das überhaupt keine Erfahrungen mit Psychotherapie oder Psychiatrie hat, ist das Misstrauen vermutlich größer, als wenn diese Erfahrung Teil der eigenen Kultur ist, eine andere Frage ist, wie die eigene Weltanschauung ideologisch zu Psychotherapien steht. Dazu unten mehr.
Verunsicherung ist erst mal nicht schlimm
Mit einer Diagnose geht in aller Regel eine bestimmte Verunsicherung einher, außer in den Fällen, in denen jemand fühlt, dass irgendwas mit ihm nicht stimmt, aber niemand etwas findet. Hier kann eine Diagnose entlastend sein, weil man nun das Gefühl hat, dass endlich jemand ernst nimmt, dass man etwas hat. Oft ist es aber anders herum und man ist durch die Diagnose verunsichert, manchmal sogar erschüttert.
Das Schlimmste an einem psychischen Problem sollte nicht die Diagnose sein, aber ein gewisses Maß an Verunsicherung ist nicht schlecht, da diese eben auch Offenheit bedeutet. Somit ist die Diagnose, auch wenn sie verunsichert, dadurch nicht schlecht, sondern ein guter Einstieg in eine Therapie. Denn nun kann man sich und den Therapeuten fragen, was das denn nun heißt und das Unheimliche oft recht schnell auf ein normales Maß schrumpfen. Man kennt sich im Psychodschungel und seiner Terminologie zunächst einmal einfach nicht aus. Das Internet ist heute manchmal eine Hilfe, manchmal auch nicht. Man kann sich schnell informieren, aber erst mit ein wenig Ahnung kann man die wichtigen von den weniger wichtigen Aussagen trennen, ist man neu, ertrinkt man manchmal in der Flut der Informationen und nicht immer ist man einen Schritt weiter.
Deshalb, verunsichert zu sein, heißt bereit zu sein, für Änderungen, offen zu sein und das ist eine gute Voraussetzung. Völlig konsterniert zu sein, ist zu viel, aber das können Therapeuten auffangen.
Eine Diagnose soll helfen!
Eine Diagnose hat neben dem, was sie für Patienten bedeutet, zunächst einmal sehr technische Seiten. Das sollte man auch deshalb nie vergessen, weil es über Verunsicherungen hinweg helfen kann. Es ist nicht nur wichtig, sondern auch richtig sich klar zu machen: Ich bin noch immer der gleiche Mensch, wie gestern und keine ICD Nummer, keine Borderlinerin, kein Zwangsneurotiker, kein Narzisst oder keine Depressive. Ich habe noch den gleichen Musikgeschmack, die gleichen Freunde und Hobbys und auch meine Psyche hat sich nicht geändert. An erster Stelle Mensch, nun versehen mit einer Diagnose, keine wandelnde Diagnose, mit einem Rest Mensch in sich. Das ist keinesfalls nur eine Wortspielerei.
Für Therapeuten ist eine Diagnose kein Drama, sondern eine Notwendigkeit. Sie sitzen einem Menschen gegenüber, der in der Überzahl aller Fälle freiwillig zu ihnen kommt, oft sogar erhebliche Wartezeiten in Kauf nehmen musste und der Hilfe sucht. Wenn die Chemie stimmt, will man diesem Menschen helfen und damit man das tun kann, muss man es rechtfertigen, dafür braucht man eine Diagnose, die eine Notwendigkeit zur Therapie belegt, auch vor den Krankenkassen, die die Zahlung genehmigen müssen.
Anfang der 1980er kam die Idee in Mode, dass Psychotherapie ein Mittel der Erkenntnis für jeden Menschen sein könnte, was zweifellos stimmt, aber diese Zeiten sind vorbei, wir sind viel funktionalistischer geworden. Psychotherapie ist uns heute weniger ein Mittel der Selbsterkenntnis, denn der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, zwei Aspekte, die sich allerdings nicht ausschließen.
Stimmt meine Diagnose? Wie sicher kann ich sein? Das ist die Frage, die uns hier leitet und sie zerfällt in mehrere Aspekte. Einige findet man bei sich:
- Der Leidensdruck
Freuds altes Kriterium ist immer noch gültig. Wenn ich mich nachhaltig schlecht fühle und nicht weiß, wie ich das aus eigener Kraft ändern kann, ist es richtig an eine Psychotherapie zu denken. Das ist relativ unumstritten und so wie wir bei manchen älteren Menschen eine Weigerung finden, sich therapieren zu lassen, gibt es bei jüngeren Menschen heute manchmal sogar den gegenteiligen Trend. Manchen Problemen des Lebens halten sie nicht mehr stand, sondern sie fühlen sich überfordert und wollen eine Therapie. Eine Psychotherapie kann einem nicht die Probleme des realen Lebens nehmen, wohl aber helfen, die realen Probleme von denen, die mehr oder weniger aus einem selbst kommen und daher auch dort am besten zu lösen sind, zu unterscheiden.
Der Leidensdruck ist leicht zu erkennen, durch die Frage an sich selbst: Geht es mir eigentlich schlecht? Das kann jeder am besten selbst beantworten, je längerfristiger das Problem ist, um so dringender ist es. Nicht jeder Tag ist schön, nicht immer ist man gut gelaunt, manchmal ist auch der Partner verstimmt und das zieht einen runter, es gibt Streit in der Beziehung, zwischen Freunden oder bei der Arbeit, all das belastet und auch die gesellschaftliche Großwetterlage kann einen betrüben. Aber man wird im Normalfall immer wieder auch schöne Tage kennen, in denen der Ärger minimiert ist und man sich an Kleinigkeiten vom Herzen erfreuen kann. Wenn das völlig fehlt, ist auch das ein Indikator für eine Therapie.
- Wie ist es mit meinen Mitmenschen?
Leiden sie eventuell unter mir und meinem Verhalten? Das ist bereits schwieriger, denn wenn man gewohnt ist primär auf sich selbst zu achten, bekommt man oft nicht mit, wie es den anderen geht. Nicht selten denkt man, alles sei in bester Ordnung, bis der andere auf einmal die Koffer packt und geht. Da merkt man dann, dass mein Gegenüber einen abweichenden Eindruck hatte.
Wer denkt, dass sich die Frau (seltener: der Mann) das niemals erlauben kann, weil sowohl ich als auch sie weiß, dass sie von mir abhängig ist, ist das ein Indiz für eine sehr asymmetrische Beziehung. Das Problem bei solchen Konstellationen ist, dass man sie gar nicht so problematisch findet, sondern genau richtig. Was insofern noch leicht zu verstehen ist, wenn man der dominanten Part ist. Warum so eine privilegierte Sonderstellung aufgeben? Aber auch der unterlegene Teil einer solchen Beziehung traut sich oft nicht zu, es besser haben zu dürfen. Wer wissen will, was die anderen denken, kann sie fragen. Wenn man sein Umfeld nicht nachhaltig eingeschüchtert hat, bekommt man auch eine Antwort. Wenn andere unter einem leiden, ist eine Therapie gerechtfertigt, zumindest, wenn man den Wunsch hat, daran etwas zu ändern.
Man kann auch die besten Freunde fragen, oder Menschen, von denen man das Gefühl hat, dass sie grundehrlich sind oder irgendwelche anderen Personen, die einen gut genug kennen und denen man vertraut. Wenn man generell niemandem vertraut und auch nicht der Meinung ist, dass überhaupt irgendwer ehrlich ist, so ist auch das ein Hinweis darauf, dass man von einer Therapie profitieren könnte, hinderlich ist nur, dass man sich aus den genannten Gründen auf sie nicht einlassen kann.
Das gegenteilige Problem hat man, wenn man die Mitteilung von Vertrauenspersonen bekommt, dass man eine Therapie ganz gut gebrauchen könnte, aber dies in die Richtung umdeutet, dass die das eigentlich gar nicht so meinen und man allgemein zu den Menschen gehört, die keine Probleme haben oder dazu neigen, diese zu bagatellisieren.
- Geht es mir besser, oder nicht?
Läuft eine Therapie eine Zeit lang, gibt es ein einfaches Indiz für die Qualität. Man merkt, ob es einem besser geht oder eben nicht. Nicht zwingend, nach der ersten Stunde, aber manchmal auch das, weil man sich frei reden konnte, aber so nach 10 Sitzungen sollte man etwas merken und zwar im Alltag. In der Therapie dürfen ruhig die Fetzen fliegen, man kann dort irrtiert, traurig, frustiert und verärgert sein, aber der Alltag sollte besser klappen.
Therapeuten sind Helfer aber kein Freunde. Sie verhalten sich komisch, nämlich anders als im Alltag, sie lassen Freundschaft auch nicht zu. Sie wollen und müssen eine professionelle Distanz waren, was nicht heißt, dass sie kalt wie ein Fisch sind, aber sie sollten sich nicht dazu verleiten lassen, sie mit dem Patienten gegen den Rest der Welt zu verbünden und auch das andere Angebot des Patienten nicht annehmen, sich (mit dem strengen Eltern- oder Über-Ich) gegen ihn zu verbünden.
Dennoch, manchmal passt es nicht und dann sollte man eine Therapie beenden oder gar nicht erst beginnen. Man kann eine Therapie jederzeit abbrechen, sollte das aber möglichst nicht tun. Darum gilt es vorher zu schauen, ob man zusammen passt, der Patient muss sich überlegen, ob er mit diesem Menschen zusammen den schwierigen Weg durchs Innere gehen kann. Man sollte eine Nacht drüber schlafen und sich auf sein Gefühl verlassen.
Wann und wie oft sollte ich den Therapeuten wechseln? Stellt man fest, dass man überhaupt nicht zusammen klar kommt und dies auch nicht aufzuklären ist, oder gibt es Fälle, in denen es zu privaten Annäherungen kommt, ist es ratsam die Therapie zu beenden.
Stimmt meine Diagnose? Wie sicher sind sich die Psychotherapeuten? Wie sicher können sie überhaupt sein?