Worin liegt das Schlechte des Guten?

Katze im Fenster

Ich seh‘ da kein Haus. © Jimmy B under cc

Die Zweifel sind die Stimme der aufkeimenden Reflexion. Man stellt sich vor, wie es auch sein könnte, jenseits des Weges, der irgendwie die ganze Zeit vorgezeichnet schien. Wenn der Weg vorgezeichnet ist, ist das durchaus nicht immer ein Nachteil, denn man weiß früh, wo man hin will, welche Rolle man in der Welt spielen spielen soll.

Der Nachteil ist, dass das Leben dann fremdbestimmt ist. Wenn die Eltern ein gut gehendes Geschäft haben, steht oft fest, dass der Sohn oder die Tochter es mal übernehmen werden. Weil dies ja auch irgendwie vernünftig, gut laufend und etabliert und außerdem Familientradition ist. Oft war das stille oder offene Erwartung, über die gar nicht mehr groß diskutiert wurde: „Wenn du dann mal den Laden übernimmst … .“ So werden Fakten geschaffen.

Ob auf diese oder subtilere Weise, man verliert seine reflexive Individualität oder genauer, gelangt nicht an den Punkt, an dem man diese aufbauen kann. Man erfüllt äußere Vorgaben und Erwartungen und böse gesagt, wird man im schlimmsten Fall zur perfekten Stangenware. Genau so, wie anderen, Eltern, „die Gesellschaft“ oder die Werbeindustrie einen haben wollte.

Die perfekte Kombination ist, eine Marionette zu schaffen, die von sich denkt, sie sei frei und von anderen, dass sie alle manipulierte Schafe seien. Wenn man diese Idee einmal geschluckt hat, ist sie so leicht nicht mehr aus dem Kopf zu kriegen, schon allein deshalb, weil es sehr viele Menschen gibt, die so denken und es die vermutlich bei uns am weitesten verbreitete Entwicklungsstufe ist, die mythisch-rationale.

Nun ist die Geschichte um diesen Entwicklungsdrehpunkt aber alles andere als einfach und hat mehrere Haken. Zunächst der relativ offensichtliche: Wenn die Bahn des Lebens vorgezeichnet ist, ist es meine höchste Aufgabe in diese Rolle zu schlüpfen, gelingt das nicht, ist es mein Fehler. Ich habe mich einfach nicht genug angestrengt oder bin nicht klug oder talentiert genug. Daraus resultiert eine tiefsitzende Überzeugung: Ich darf keine Fehler machen.

Das mal nicht nur im narzisstischen Sinne, denn der damit oft einhergehende Perfektionismus hat zwei Arme, näheres in: Perfektionismus. Dieser Perfektionismus nagt und geht oft mit Kontrollzwängen einher. „Hab‘ ich auch alles richtig gemacht, an alles gedacht, nichts übersehen?“ Ein niederdrückendes Gefühl was oft mit der Angst vor Schuld und Versagen einhergeht. Die Lösung wäre auch hier einfach, man könnte und müsste den Rat geben, einfach und in vielem mal etwas lockerer zu werden. Nur ist damit niemandem geholfen, am wenigsten denen, die an diesen Zwängen leiden.

Doch das ist nur die eine Seite. Das Schlechte des Guten hat noch mehrere andere Aspekte.

Entwicklungsstress

Denn nach diesen Rollen zu leben ist nicht falsch. Es ist für die Menschen richtig, die mit mehr überfordert wären. Nun sind wir zu einem guten Teil so geschaffen oder gedrillt, dass wir hoch hinaus wollen. Wir wollen nicht zu denen gehören, die sagen müssen, dass sie überfordert sind und deshalb nicht mehr mitkommen und lieber wieder in ihrer alte, geordnete, vielleicht etwas enge, aber doch sichere und überschaubare Welt zurück wollen. Wobei es wichtig ist, das nicht zu miefig und gestrig zu denken. Es geht nicht um die Rollenbilder von 1950, sondern von 2017. Das Haus in dem man sitzt, aus dessen Fenster man in die Welt blickt und aufrichtig sagt: Tut mir leid, ein Haus sehe ich nicht.

Der bärtige Jungpapa mit der nerdigen Brille, dem Vollbart und der rasierten Brust, der ganz natürlich macht, was er möchte und sich gut dabei fühlt. Weil er vielleicht noch einen Job hat, mit dem er happy ist, eine Frau, die er liebt und mit der es gut läuft und sich einfach, bei allem Stress, den jeder mal hat, sehr viel nach angekommen und alles richtig gemacht anfühlt: „Yeah, wir sind’s!“ Und mit welchem Recht könnte man diesen Menschen sagen, dass sie mehr wollen müssen? Die Zweifel, ob das alles war oder ist, falls sie kommen – sehr oft kommen sie auch nicht – kommen dann schon von selbst. Warum die schönen Jahre zerstören?

Psychotherapie bedeutet den Menschen zu sich zu führen, aber das kann eben auch sein, dass dieses Ich mit der Rolle, die es spielt vollkommen ausgesöhnt ist und sich prächtig fühlt. Und seinen Platz im Leben gefunden zu haben, ist gut und richtig.

Und aus dem gleichen Grund ist es gar nicht in allen Fällen gut gegen die angebotene Rollen zu opponieren. Der Anzug kann ja perfekt passen. Ob er passt und man sich in ihm wohl fühlt, entscheidet man selbst.