Weitere Phantasien seien noch kurz angerissen:

Merkt der, wenn ich lüge?

Frau neben Pinochio Puppe

Lügen sind in einer Therapie äußerst kontraproduktiv. © kindonelli under cc

Tatsächlich bin ich mehrfach offen oder durch die Blume gefragt worden, ob man denn in einer Therapie tatsächlich die Wahrheit sagen muss und ob das wohl bemerkt wird, wenn man es nicht tut. Eine an sich merkwürdige Vorstellung, dass einem jemand helfen soll, wenn man nicht erzählt, wo der Schuh drückt, aber etwas, was sich in der Therapie in der Regel schnell legt, wenn der Therapeut sich genau das zu fragen traut, was er wissen will. Oft haben merkwürdigerweise Therapeuten dort Hemmungen, taktvoll aber klar zu fragen.

Auf der Seite dessen, der mit der Wahrheit nicht so gerne rausrücken möchte, kann nur die Idee stehen, dass der Therapeut ihn im Angesicht der Wahrheit verurteilen wird, ja, verurteilen muss. Oft sind es Geschehnisse oder Phantasien die beim Patienten mit Schuld oder Scham besetzt sind, aber Therapeuten sind Helfer und keine Richter. Sie helfen, die eigene Wahrheit zu finden, ihr näher zu kommen, sie sagen nicht, wie man leben soll und geben nur in Ausnahmen konkrete Tipps.

Warum kann man die eigene Wahrheit eigentlich keinem zumuten? Da steckt oft viel Selbstverurteilung dahinter, schon der Nachbar könnte denken: „Wieso, ist doch nicht so schlimm?“. Therapeuten haben in aller Regel schon sehr viel gehört und sind nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen, mit vermeintlich schrägen Gedanken konfrontiert zu sein, die oft nur allzu menschlich sind, ist ihr Beruf. Man darf ihnen die Wahrheit zumuten.

Das führt zu der nächsten gar nicht so seltenen Phantasie:

Die lachen sich über mich kaputt

Es gibt die Idee, dass Therapeuten sich nach Feierabend zusammensetzen und nichts besseres zu tun haben, als über ihre merkwürdigen Patienten zu lästern. Wenn sie überhaupt über Patienten mit Kollegen kommunzieren, dann eher in Situationen, wenn sie meinen, therapeutisch nicht weiter zu kommen. Ansonsten haben auch Therapeuten ganz gerne mal Feierabend und eher wenig Lust die Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Gerade Therapeuten müssen lernen einen Schnitt zu machen, denn in ihrem Beruf ist es fatal, nicht abschalten zu können.

Irvin D. Yalom rät in seinem lesenswerten Buch „Der Panama-Hut: oder Was einen guten Therapeuten ausmacht“ dazu, Erklärungen nicht so ernst zu nehmen. Patienten und Therapeuten halten oft andere Momente der Therapie für bedeutend. Dem Patienten ist es in der Regel wichtiger, dass jemand da ist, vielleicht erinnert er auch einen bestimmten Blick oder ein Lächel. Therapeuten halten oft ihre Deutungen und Erklärungen für maßgebend, die, wenn ein Therapeut sie gefunden hat, dem Patienten (in der Phantasie des Therapeuten) unweigerlich helfen werden.

Doch längst findet der Patient nicht alles genial, was der Therapeut so empfinden könnte und erfahrene Therapeuten wissen, dass es immer wieder Rückschläge gibt, dass dicke Bretter zu bohren sind, dass es das große Vergessen und Nichtverstehen gibt. Ob Deutungswiderstand, eine Verleugnung oder ein Rückfall hinter bereits gewonnene Einsichten, Therapie verläuft fast nie linear und besteht auch nicht aus einem andauernden Feuerwerk an Einsichten und Erkenntnissen. Es gibt zähe Durststrecken und sogar Rückschritte, da hilft oft nur Geduld.

Aber, es gibt die großen Momente in der Therapie durchaus, eine spontanes Begreifen all der Konsequenzen eines Themas oder die beiläufig fallen gelassene Bemerkung eins Patienten, die nach vier Jahren Therapie alles verändert. Wer das alles aushält kann von einer Psychotherapie ungeheuer profitieren, die kann das Leben wirklich tiefgreifend verändern und sie ist in den meisten Fälle die Mühe wert.

Kommen wir zum Schluss zu einer Art metapsychologischen Frage:

Sind Psychotherapeuten Zuhälter des Establishments?

Eine Frage die man mit einem klaren Jein beantworten kann. Der Sinn der Psychotherapie besteht einerseits darin, ein reifes und starkes Ich zu etbalieren und die Ich-Schwäche zu verringern. Auf dem Weg dorthin ist es erst einmal nötig, dass man lernt ein Teamplayer zu sein und sich ein Stück weit einzuordnen. Wenn nicht aus Überzeugung, so doch wenigstens antrainiert, so dass man weiß, was man tun muss, wenn kaum zu beherrschende Impulse über einen hereinbrechen.

Das ist durchaus im Interesse der Gesellschaft, aber zugleich profitiert man auch selbst davon, wenn man nicht ständig mit der Welt im Clinch liegt, in der Gefahr steht, inhaftiert zu werden oder sein Leben (und das anderer) in brisanten sexuellen Begegnungen aufs Spiel setzt. Das Überleben zu schützen ist die erste Pflicht auch des Psychotherapeuten und da geht es dann weniger darum, den Patienten gefügig zu machen, so dass er endlich auch von der Gesellschaft ausgenutzt werden kann und nicht mehr den reibungslosen Ablauf stört, wie man manchmal hört, sondern ihn, manchmal vor sich selbst, zu schützen.

Es hängt vom Patienten ab, wohin die Reise geht. Denn es kann genauso gut sein, dass ein Patient nach den Regeln des öffentlichen Lebens tadellos funktioniert und einen fast beneidenswertes Leben führt, sich aber hundeelend fühlt. Dann ist das Ziel nicht noch länger im gesellschaftlichen Korsett zu bleiben, sondern seinen Weg im Leben zu finden und wo der lang führt, bestimmt die Gesellschaft nur am Rande mit. Reguliert wird er, zumal, wenn es einem schlecht geht, vom eigenen Gefühl. Einer Instanz der man oft nicht über den Weg traut, vielleicht auch, weil man gelernt hat zu gut zu funktionieren und eigene Impulse allzu lange zu missachten.

An dieser Stelle geht es längst nicht mehr darum zu fragen, was denn Gesellschaft, Eltern oder Ehepartner erwarten, sondern zu klären, wie denn die eigene Melodie des Lebens geht und sich zu trauen ihr zu folgen. Eine große und schöne Aufgabe und auch hier kann die Psychotherapie oft besser als jedes andere Mittel helfen, den Weg zum eigenen Ich, was dann irgendwann in gesunder Autonomie entscheidet zu ebnen und zu verbreitern.