Ehre und Pflichterfüllung

Haus mit Spitzdach, Ansicht von unten, zwei Bäume bilden Portal

Der Barkenhoff, eine Künstlerkolonie, in der die Uhren früher schon anders tickten. © Carsten Börger

Wir haben heute das Gefühl, dass bestimmte Begriffe und vor allem die damit zusammenhängenden Gefühle der Verantwortung und des Angesprochenseins verloren gegangen sind. Einerseits klingt ein Begriff wie „Anstand“ zwar anständig, aber irgendwie auch antiquiert. „Pflicht“ hat inzwischen eine Konnotation der Gefangenschaft, dabei war die Pflichterfüllung aus Einsicht in die Notwendigkeit mal einer der edelsten Begriffe. Besonders belastet ist der Begriff der „Ehre“ bei uns. Die einen denken dabei sofort an die sogenannten „Ehrenmorde“, die anderen haben dabei völkische Assoziationen von Ehre und Vaterland.

Dabei ist es ja nicht falsch, etwas als Ehrensache zu betrachten oder sich geehrt zu fühlen. Gut 100 Jahre zurück war auch bei uns der Begriff der Ehre unproblematisch und positiv aufgeladen. Seine Ehre zu verlieren, erschien entsetzlich und wurde mitunter als ein schlimmerer Verlust empfunden, als einen Arm, ein Auge oder sogar sein Leben zu verlieren. Der Gedanke, für eine Idee, ein Ideal sein Leben zu lassen, der Gedanken, dass die Ehre zu verlieren schlimmer als der Tod ist, der uns heute so fremd und unzivilisiert erscheint, war vor etwa 100 Jahren bei uns durchaus verbreitet.

Dass man jemanden attraktiv findet, weil ihm die Uniform so gut steht, ist ein für heutige Verhältnisse einerseits ferner Gedanke, wenn man jedoch Uniform als das sieht, was angesagt ist, könnten es die Tattoos am Hals, das Piercing und der Vollbart sein, der eben heute einige Männer attraktiv erscheinen lässt.

Der Umgang mit Autoritäten

Als ich einmal meine kurz nach dem Beginn des 20. Jahrhunderts geborene und natürlich in dieser Zeit sozialisierte Oma zum Arzt brachte, erzählte sie mir, dass der Arzt ihr weh getan hätte und sie die Untersuchung so eigentlich kein zweites Mal wolle. Ich fand das vollkommen einsichtig und sagte ihr ganz ohne Hintergedanken, dass sie das doch dem Arzt sagen solle. Meine Oma lachte, als wenn ich einen guten Witz gemacht hätte, aber ich verstand zur damaligen Zeit die Pointe nicht richtig, sozusagen ein generationenbedingter Übersetzungsfehler. Für meine Oma war es vollkommen unmöglich einem Arzt zu sagen, er solle etwas anders machen, das wäre wie Gotteslästerung gewesen. Das allerdings war mir damals nicht klar.

Die Autoritätspersonen früher waren der Arzt, der Lehrer, der Pfarrer, der Polizist das waren die Menschen, die gebildet waren und lesen konnten und es waren fast immer Männer. Künstler wie Heinrich Heine, Carl Spitzweg, Wilhelm Busch, Gustav Meyrink, Kurt Tucholsky und Karl Kraus demonstrierten beispielhaft und in bunter Aufzählung, dass es mit der bedingungslosen Autoritätsgläubigkeit auch in früheren Zeiten nicht in allen Bereichen der Gesellschaft weit her war. Und in Künstlerkolonien wie dem Barkenhoff in Worpswede und dem nahen Fischerhude waren schon damals auch immer wieder Frauen herausragend. Doch Künstler waren zu allen Zeiten Sonderlinge, nicht selten die Avantgarde der Gesellschaft und für den Mainstream galt, dass der Mann das Sagen hatte und das nicht selten in einer diktatorischen Art und Weise, wenigstens jedoch in einer gewissen, als natürlich empfundenen Dominanz.

Das hatte neben für uns heute relativ offensichtlichen Nachteilen, auch Vorteile, neben einer größeren gesellschaftlichen Klarheit und Stabilität der Rollenmuster, gab es – durch diese auch bedingt – einen intensiveren Ödipuskomplex, wie in Warum wir den Ödipuskomplex brauchen und Narzissmus in der Gesellschaft dargestellt und ich glaube, die Bedeutung dieser ödipalen Wirkung/stabilisierenden Funktion wird heute dramatisch unterschätzt und brächte Licht in und Lösungsansätze für so manche Diskussion, die wir heute unter der Überschrift politisch führen und in denen sich Generationenfragen ganz praktisch verbergen.

Die Tugenden, auf die man sich irgendwann offensichtlich mal verlassen konnte, zerrinnen uns heute zwischen den Fingern, zumindest ist das der Eindruck, den man manchmal haben kann.

Zwischen den Weltkriegen

20 oder 30 Jahre und ein Weltkrieg später entsteht aus dem Deutschen Kaiserreich die Weimarer Republik und geht schnell in die Goldenen Zwanziger über, die allerdings kürzer währten, als der Name vermuten lässt. Es war noch immer recht normal ein halbes Dutzend Kinder zu haben und der inzwischen einsetzende demographische Knick war unbemerkt, weil auf hohem Niveau. Die Bevölkerung war jung und vital, man wollte leben, fühlte sich jedoch auch kollektiv gekränkt und gedemütigt und schnell wich die aufkommende Lebenslust der Verunsicherung der Weltwirtschaftskrise.

Deutschland war in dieser Zeit alles andere als ein Entwicklungsland, sondern ein Land der Dichter und Denker, das inzwischen auch Tatkraft zeigte, in kriegerischer aber auch technischer Hinsicht. Vielleicht war der Einfluss des deutschsprachigen Raums nie größer als in den letzten Jahrzehnten vor dem Zweiten Weltkrieg, wenn man die Epoche über die Romantik bis in die Klassik zurück verfolgt. Umso ärger die Demütigung und umso stärker der Wunsch nach sozialem Ansehen.

Auch das hat mit Begriffen und Gefühlen des Stolzes, der Ehre und der Selbstachtung zu tun, 1917 erst wurden in Deutschland Duelle gesetzlich verboten. Die Idee war grundsätzlich bereit zu sein für seine Überzeugungen oder die Aufrechterhaltung der Ehre zu sterben. Menschen, die in dieser Generation sozialisiert wurden nahmen die Stimmung und Haltung mit und frühe Einstellungen verliert man auch nicht mehr so schnell. Gerade mal 100 Jahre ist es her, da diese Haltung abebbte, ausdimmte. Was ist davon geblieben?