Hinterkopf im Stuhl hinter Gardine

Einfach dasitzen, abwarten und vielleicht einen Tee trinken … mal sehen. Drew Coffman under cc

Antriebslosigkeit ist ein Phänomen, was uns häufig im Rahmen psychischer Erkrankungen begegnet, hervorragend bei der Depression bei der es reaktiv zu einer Erschöpfung kommen kann, da alle Kräfte verbraucht sind oder bei einer generellen Neigung zur Depression dazu, dass phasenweise immer wieder sehr wenig innerer Antrieb besteht.

Unsere inneren Antriebe

Wenn wir über Antriebslosigkeit reden, dann lohnt sich immer auch ein Blick auf das Gegenteil, den Antrieb. Da finden wir zum einen die Triebe, bestehend auf Affekten, die als Teil des Kommunikations- und Motivationssystems beschrieben werden, das passt. Wenn die Affekte sich in früher Kindheit bündeln, dann zu Eros und Thanatos, dem berüchtigten Todestrieb, die wir zeitgemäß in Liebe und Aggression übersetzen können. Affekte geben uns – und schon dem Säugling – die Möglichkeit, auf die Umgebung zu reagieren, durch ein Bekunden von Lust und Unlust. Zu diesen beiden Hauptgruppen, der guten und schlechten/bösen Reize, ballen sich die Erfahrungen dann zusammen, die Reize, auf die man aversiv reagiert und deren Kontakt man zu vermeiden sucht, zur Gruppe der schlechten/bösen Objekte, die Reize auf die man positiv reagiert versucht man auszudehnen oder zu wiederholen, sie bilden die guten Objekte.

Was anfangs noch halbwegs klar erscheint und bei Säuglingen noch am ähnlichsten ist, verschwimmt im Laufe der Entwicklung. Reize oder Objekte, auf die alle Menschen eindeutig ablehnend oder positiv reagieren weichen zunehmend einer Ambivalenz, die individuell ist. Freud erkannte das, als er sich dem Masochismus zuwandte, einer Form des erlebten körperlichen und/oder psychischen Schmerzes, von dem man meinen sollte, er werde von allen Menschen abgelehnt, was aber nicht der Fall ist.

Unsere inneren Antriebe sind in der Regel eine Empfindung und Suche von Lust und Zufriedenheit oder eine Vermeidung von Unlust und Unzufriedenheit, auf der anderen Seite ein Gefühl der Pflicht etwas tun oder zu lassen zu sollen. Beides muss sich nicht ausschließen, es fühlt sich gut an, wenn man das, was man tun sollte, auch gerne tut, aber nicht immer tut man es auch gerne, Hausaufgaben oder Zahnarztbesuche sind sicher sinnvoll, jedoch nicht immer schön. Die individuelle Mischung aus Pflicht und Lust führt dann dazu, dass Menschen aktiv werden. Sollte man zumindest meinen.

Wenn sich außen nichts tut, aber innen

Bei dem ungarischen Autor Péter Nádas ist das anders. Wenn er über ein neues Buch nachsinnt, dann macht er erst einmal … nichts. Er liegt auf dem Bett und tut überhaupt nichts. Zehn Minuten, drei Stunden oder gar Tage? Nein, zwei Jahre soll er das für seinen Roman „Buch der Erinnerung“ gemacht haben, also nichts, nicht einmal Notizen. Er schaute nur, was in ihm passiert, wie die Dinge sich ordnen, oder vielleicht auch nicht.[1] Wie ein Zen Meister. Aber nicht jeder der einfach so da liegt oder sitzt, schreibt danach sehr dicke Bücher oder ist ein Zen Meister.

Nádas tut äußerlich nichts, aber in ihm tut sich dafür umso mehr, gleiches gilt für den Zen Praktizierenden, der versucht innerlich zur Ruhe zu kommen und bequem zu sitzen. Obwohl sich äußerlich nichts tut, passiert innerlich jede Menge. Antriebslosigkeit ist das nicht, hier richtet sich der Antrieb lediglich nach innen. Kurioserweise tut sich aber auch in Menschen, die unter negativen Formen der Antriebslosigkeit leiden, manchmal jede Menge. In ihnen rattern die Gedanken in ihnen stapeln sich die Motive, dessen was sie wollen und sollen, so dass es irgendwann einfach zu viel ist und sie oft bei maximaler innerer Unruhe oder Anspannung äußerlich nichts hinbekommen. So wollen schon – haben manchmal auch zu lange, zu viel gewollt – aber sie können nicht oder nicht mehr. Oft ist das der Fall, wenn die Pflichtkomponente zu lange größer ist, als die der Lust.

Aber nicht alle Menschen, die äußerlich nichts tun, sind von einer großen inneren Aktivität ausgefüllt und man weiß nicht immer, was man davon halten soll. Ist das Pathologie oder sind diese Menschen einfach so?

Die Abwesenheit von Neugier

Neugier ist ein Antrieb, der das Leben lebenswert macht und zeigt, dass jemand ein Interesse an neuen Dingen hat. Manchen Menschen geht diese Lust auf Neues aber ab, sie bevorzugen das, was sie kennen und wollen nichts anderes sehen und hören. Zwar nehmen sie die eine oder andere Neuigkeit ihres gewohnten Umfeldes auf, aber ansonsten interessieren sie sich für so gut wie nichts. Gespräche mit ihnen beschränken sich auf den Austausch der basalen Information, möglichst in gedrängter Form, was man dazu denkt oder empfindet interessiert sie nicht, schon gar nicht ein längeres Gespräch darüber.

Ihr Leben ist oft stark strukturiert, man könnte es auch als eintönig bezeichnen, aber mit dieser Bewertung wären die Betroffenen vermutlich nicht einverstanden, sie würden es wohl geordnet und geregelt nennen. Man ahnt eine gewissen Nähe zum Zwanghaften, aber auf der anderen Seite ist das sicher die bessere Alternative, wenn Emotionen zu bedrohlich wirken oder jahre- bis jahrzehntelang aus einem Leben ausgesperrt wurden. Weil da nichts ist, was einen bewegt oder es zu viel wäre, wenn man an eigene Emotionen gelangt? Man weiß es nicht.

Wenn sich antriebslose Menschen mal auf das Wagnis einlassen etwas Neues zu erleben und es ihnen sogar gefallen hat, bedeutet das nicht, dass sie dies auch wiederholen wollen. Man kennt es ja nun, das Neue. Vielleicht brauchen antriebslose Menschen einfach nicht so viele neue Eindrücke, wie andere. Das könnte durchaus eine Tugend sein, der Reizhunger auf der anderen Seite ist nun auch nicht immer eine Erfüllung. Vielleicht sind sie aber auch nur schneller überfordert und müssen die neuen Eindrücke erst sortieren oder sie sind einfach nicht tiefer an etwas interessiert, schon gar nicht an einer näheren Beschäftigung mit etwas.

Im Museum war man schon mal, das Internet kennt man auch, jede Beschäftigung die über das „Kenn‘ ich, weiß ich, war ich schon“ hinaus geht, würde eine Eigeninitiative erfordern, die bei der Antriebslosigkeit einfach nicht vorhanden ist. Man müsste einen zweiten Blick wagen, sich auf etwas einlassen, sich wirklich mit etwas oder jemandem beschäftigen und daran haben diese Menschen kein Interesse oder es überfordert sie maßlos. Es hat ja seinen Sinn, wenn alles hübsch geordnet, geregelt, geplant und sauber ist, nichts stört die sterile Ruhe und die eher unnötigen bis lästigen Emotionen, mit denen man dann von Seiten anderer konfrontiert ist – einem antriebslosen Menschen müssen so gut wie alle anderen maßlos überdreht vorkommen – erinnert eventuell an eigene eingefrore Gefühle.

Kein Bedürfnis oder keine Fähigkeit zu lernen

Normalerweise lernt man automatisch, wenn man etwas öfter wiederholt, weil man bestimmte Muster erkennt, bestimmte Fähigkeiten ausbaut, einfach durch die Macht der Gewohnheit, ob man eine Sprache spricht, ein Spiel spielt, Auto fährt oder sonst etwas. Für manche Formen der Antriebslosigkeit gilt das nicht, sie lassen an narzisstische Pathologien denken. Auch antriebslose Menschen haben gewisse Talente, die ihnen dabei helfen, sich in diesen Bereichen nicht sonderlich anstrengen zu müssen. Die anderen Bereiche interessieren sie einfach nicht genug, um sich damit abzugeben. Im Zweifel sogar noch, wie jeder andere, sich von der Pike an alles zu erarbeiten, daran hindert sie eine Antriebslosigkeit, die in Bequemlichkeit übergeht. Menschen mit narzisstischer Tendenz leben ganz gerne bequem, vor allem die anderen sollen dafür sorgen, dass die eigene Komfortzone nicht angekratzt wird.

Antriebslose Menschen können offenbar auch Dinge ganz gerne machen, vor allem mitmachen, für die Eigeninitiative reicht es dann in aller Regel nicht, ohne dass sich größere Lernerfolge einstellen. Solange antriebslose Menschen etwas machen, sind sie halbwegs bei der Sache, tiefer gehende Gedanken dazu, eine Vor- oder Nachbereitung, Training oder sich Informationen einzuholen, nein, so weit reicht das Interesse dann doch nicht. Wenn antriebslose Menschen auf der Stelle stehen bleiben und ein Gebiet nicht durch Talent oder schnelle Auffassungsgabe sofort durchdringen, sondern die anderen alle an ihnen vorbei ziehen, brechen sie die Tätigkeit in aller Regel gekränkt ab. Wenn etwas noch mit Aufwand verbunden ist, nein, das dann lieber doch nicht.

Neben depressiven, zwanghaften oder narzisstischen Einschlägen, kann man noch an Hemmungen denken. Hemmungen sich auszudrücken oder zu zeigen, vielleicht weil das nie gefördert wurde, weil es dafür nie Lob oder Aufmerksamkeit gab. Gehemmte Menschen würden dann schon gerne, aber sie haben Angst etwas falsch zu machen oder andere mit ihrem Sosein zu belästigen, doch viele antriebslose Menschen sehen erst gar keinen Sinn darin, dies zu tun, was hat man denn davon, wozu unnötiger Aufwand? Wenn man weiß worum es geht, ist man im Bilde, ein zweiter Blick ist nicht nötig.

Selbstzufriedenheit oder Überforderung?

Die Frage, ob und wann etwas pathologisch ist, kann nie restlos befriedigend beantwortet werden und ist im starken Maße von dem kulturellen Kontext abhängig. Wenn antriebslose Menschen einfach überfordert sind, dann ist ihr Rückzug und ihre Routine für sie vielleicht der beste Weg. Man könnte natürlich an eine Therapie denken, aber das ist oft ein langer und harter Weg und wenn sich nicht irgendwann eine gewisse Lust an neuen Möglichkeiten einstellt, wenn der Korken nicht aus der Flasche springt, dann sind die Versuche doch mal Eigeninitiative zu entwickeln irgendwann einfach eine chronische Überforderung und Mensch kein Gewinn. Menschen, die unter Antriebslosigkeit leiden, wollen diese oft gar nicht los werden, sondern eher ihre Ruhe haben.

Eine gesunde Möglichkeit der Antriebslosigkeit ist in einem hohen Grad von Selbstzufriedenheit zu sehen. Man braucht einfach nicht mehr an Input. Was man wissen will, das erfährt man schon. Wenn man sein eigenes Leben im Griff hat, braucht man nicht haufenweise Abwechslung und Action. Es reicht einem im Zweifel, wenn man im Sessel oder Schaukelstuhl sitzt und in die Welt blickt. Von manchen spirituell erleuchteten Meistern ist ebenfalls überliefert, dass sie einfach still dasitzen und nichts tun, ganz eins mit sich und der Welt. Sie deswegen behandeln zu wollen, hieße wohl, zu viel Antrieb zu haben.

Quellen