„Jetzt beginnt die Zeit des Tages für Familie und Freunde„, kommt Rahde* uns, sein Rad schiebend, am frühen Nachmittag vor dem Bürogebäude entgegen. Etwa zeitgleich mit uns würde seine Frau mit Lara von der Arbeit beziehungsweise dem Kindergarten eintreffen und dann nähme man daheim eine kleine Obstmahlzeit zu sich und bespräche den weiteren Tag.
Während wir mit dem Rad zu den Rahdes fahren, spricht der Familienvater an, wie wichtig ihm mittlerweile geworden ist, ausreichend Zeit für Familie und Freunde zu haben.
Für Familie und Freunde braucht man Zeit
Seit der Geburt von Lara und der Neudefinition der Familie, habe sich auch ihr Umfeld verändert, so Rahde. Es fing damit an, dass einige ihrer Freunde, von denen sie glaubten es wären gute Freunde, die Rahdes belächelten, als sie ihre Arbeitszeiten reduzierten, um mehr Zeit für Familie und Freunde zu haben. Statt Akzeptanz ernteten sie Spott, weil sie sich „für das Kind aufgaben“. In dieser Zeit haben Rahde und seine Frau gelernt, was wahre Freundschaft bedeutet.
Freundschaft trotz Uneinigkeit
Wenn die Meinungen auseinandergehen, zeige sich der wahre Wert von Freundschaften, so Felix Rahde. Nur dann könne es gleichberechtigte Freundschaften geben. Man wolle den anderen weder ein schlechtes Gewissen bereiten, weil man die Familie stärker in den Mittelpunkt rückt, noch würden er und seine Frau sich dadurch besser fühlen, weil sie es anders als andere machten. Eigentlich hätten sie ihren neuen Lebensweg selbst nie zur Sprache gebracht, überlegt Rahde. Sie hätten auch nie einen Hehl daraus gemacht, weil Freunde nur am Wochenende Zeit für Familie und Freunde hatten, während die Rahdes auch unter der Woche an den Nachmittagen verfügbar waren. Dafür könnten sie eben nicht mehr in den Urlaub fliegen, wie sie es früher zweimal im Jahr gemacht hatten, weil das Geld eben knapper sei. Stattdessen zelten sie oder machen Urlaub auf einem Bauernhof. Es sei einfach ihr Weg – nicht mehr, nicht weniger.
„Fühlen die anderen sich vielleicht unwohl in eurer Gegenwart, weil sie diese Zeit nicht aufbringen können oder wollen?“, fragen wir. „Womöglich konfrontiert man sie mit ihren eigenen ursprünglichen Idealen?“, setzen wir provokant nach. Neben uns radelt Rahde und überlegt. Eine Zeit lang schweigen wir. „Ich weiß es nicht“, antwortet Rahde schließlich. Aber dies sei weder seine Absicht noch seine Aufgabe, anderen irgendetwas „vorzuleben oder aufzuzeigen“. Dann sagt er: „Wenn sie selbst wirklich überzeugt von ihrem Lebensstil sind, dann wäre es doch eigentlich kein Problem, andere Ansichten zu akzeptieren.“
Inzwischen treffen wir bei den Rahdes zu Hause ein: eine kleine Wohnung, aber ausreichend, so scheint es.
Familienzusammenhalt wichtiger denn je
Nachdem wir der nachmittäglichen Obstmahlzeit beisaßen und wir uns nun auf dem Weg zu einem See befinden, erklärt Rahde uns derweil: „In der heutigen Gesellschaft werden Kinder als Feinde betrachtet. Man muss auf sie Macht ausüben, sie erziehen, damit sie funktionieren, so der gängige Tonus.“ Rahde schüttelt den Kopf. „Aber Lara hat sich nicht ausgesucht auf dieser Welt zu sein“, spricht Rahde dann. „Wir wollten sie. Also sollten wir sie auch respektieren und gleichwertig behandeln.“ – „Funktioniert denn das?“, fragen wir. „Tanzt sie euch nicht irgendwann auf der Nase rum?“ Rahde wiegelt ab mit den Worten, dass Kinder von sich aus innehätten, ein Teil der Familie sein zu wollen. „Sie machen mit und sind bereit dazu, so man es ihnen erklärt, aber auch zuhört.“ Gemeinschaft und Absprachen, mit denen alle leben könnten, seien wichtig, neue Werte für die Familie.
Als wir die Rahdes am See zurücklassen und dankend ablehnen, dem Grillabend mit den Großeltern beizuwohnen, stellen wir fest, dass eigentlich nichts Besonderes dazu gehört, um wertvolle Momente im Leben zu schaffen: Zeit für Familie und Freunde zu haben, gegenseitige Akzeptanz und Unterstützung, im Einklang mit Natur und Gesellschaft zu leben, schaffen neue Ideale, die die Menge an Geld nicht aufzuwiegen vermag.
*Name von der Redaktion geändert