Selbstregulation ist essenziell. Vor allem in einer Welt, die oft laut, schnell und fordernd ist, verlieren viele Menschen den Kontakt zu sich selbst. Wer ständig im Außen funktioniert, vergisst leicht, auf seine inneren Signale zu hören. Doch gerade diese Selbstwahrnehmung ist ein Schlüssel zu emotionaler Gesundheit. Die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu erkennen, zu steuern und angemessen mit ihnen umzugehen, bezeichnet man als Selbstregulation. Sie ist ein zentraler Bestandteil psychischer Stabilität und kann trainiert werden.
Selbstregulation: Was steht dahinter?
Selbstregulation beschreibt die Fähigkeit, die eigenen Gedanken, Gefühle und Impulse so zu steuern, dass sie mit den persönlichen Werten, Zielen und dem sozialen Miteinander in Einklang stehen. Sie ist eine Grundlage für emotionale Reife. Sie schützt uns davor, in emotional belastenden Situationen überzureagieren oder in destruktive Verhaltensmuster zurückzufallen. Diese Kompetenz ist nicht angeboren, sondern entwickelt sich über die Zeit – und lässt sich auch im Erwachsenenalter noch lernen und verbessern.
Dafür ist es jedoch zunächst wichtig, dass wir wieder mehr in uns hineinspüren, um zu bemerken, wie unsere Gemütslage ist.
1. Den inneren Zustand wahrnehmen
Viele Menschen wissen gar nicht, wie angespannt sie wirklich sind, bis sie bewusst darauf achten. Typische körperliche Anzeichen wie flache Atmung, verspannte Schultern oder hektisches Sprechen zeigen oft unbewusst an: Hier stimmt etwas nicht. Möglicherweise bin ich gestresst und habe zu viel Cortisol im Blut. In solchen Momenten lohnt es sich, einen bewussten Atemzug zu nehmen – tief ein und aus. Das allein kann schon helfen, einen Gang herunterzuschalten.
Ruhige emotionale Baseline schaffen
Regelmäßige kleine Achtsamkeitsmomente im Alltag unterstützen die Entwicklung einer ruhigeren emotionalen Baseline. Besonders hilfreich: Atemübungen, Meditation, Yoga oder der Aufenthalt in der Natur. All diese Methoden helfen, das Nervensystem zu beruhigen – eine wichtige Voraussetzung dafür, die Selbstregulation langfristig zu verbessern.
2. In Sicherheit fühlen
Seelische Belastungen zeigen sich nicht nur in Gedanken, sondern auch auf emotionaler und körperlicher Ebene. Bei Druck von außen geraten wir schnell unter Stress, haben Ängste und sind angespannt. Auch Druck von innen führt dazu: Nämlich, wenn wir uns dermaßen in katastrophisierende Szenarien gedanklich verstricken, dass wir uns selbst Angst machen, nicht entspannen können oder nicht in den Schlaf finden etc.
Für eine gesunde Selbstregulation und emotionale Reife ist es also auch wichtig, dass sich der Körper in Sicherheit fühlt, damit neue Denk- und Verhaltensmuster tief verankert wirksam werden können und wir unsere Gefühle oder unser Stresserleben erfolgreich regulieren können. Es reicht nicht aus, intellektuell zu wissen, dass man sich nicht mehr anpassen oder ständig Ja sagen muss oder dass man in einem abgesicherten Land lebt, in dem man rein theoretisch keine Existenzängste zu haben braucht. Die Erkenntnis muss auch körperlich gespürt und emotional verankert werden. Ein Gefühl von »Ich bin ruhig«, »Ich bin in Sicherheit« beziehungsweise »Ich darf das und mir passiert nichts« muss entstehen. Dieser Prozess braucht Zeit – und wiederholte, korrigierende Erfahrungen.
Beispielsweise haben wir früher in der Kindheit erlebt, dass wir uns nicht behaupten durften oder ganz allgemein destruktiven Familienstrukturen ausgesetzt waren. Haben wir versucht, für uns einzustehen oder verhielten wir uns nicht so wie gewünscht, passierte etwas Schlimmes: Mama oder Papa hatten uns »nicht mehr lieb«, schimpften oder ignorierten uns. Für Kinder fühlt es sich wahr an, ihre Sicherheit, ihr Fundament war in diesem Augenblick bedroht. Jetzt als Erwachsene können wir erfahren und spüren: Wir sind in Sicherheit und wir bleiben es, selbst wenn wir uns behaupten. Weil wir uns selbst diese Sicherheit schenken können.
3. Alte Muster loslassen, neue Wege wagen
Viele Verhaltensweisen, die uns heute das Leben schwer machen, haben in der Vergangenheit einmal funktioniert. Wer als Kind gelernt hat, die eigenen Bedürfnisse zugunsten von Harmonie zurückzustellen, hat damit womöglich Konflikte in der Familie vermieden oder sich Anerkennung gesichert. Doch im Erwachsenenalter behindern uns diese Muster oft mehr, als dass sie uns schützen. Der Weg aus diesen Automatismen führt über das bewusste Beobachten und das schrittweise Einüben neuer Reaktionen.
Das kann anfangs Unsicherheit auslösen. Wer zum ersten Mal klare Grenzen setzt oder ein ehrliches Nein ausspricht, fürchtet sich oft vor Ablehnung oder Zurückweisung. Doch je öfter wir erleben, dass nichts Schlimmes passiert – im Gegenteil, dass unsere Bedürfnisse ernst genommen werden –, desto mehr festigt sich das Vertrauen in das eigene Handeln. Das ist Selbstregulation in der Praxis. Indem wir uns immer mehr auf uns verlassen können, weil wir Grenzen setzen und für uns Sorge tragen, werden wir auch selbstbewusster.
Selbstregulation: Korrekturen durch Therapie
Bei Bedarf kann der Lernprozess der Selbstregulation in einer psychotherapeutischen Begleitung gezielt gefördert werden. Neue Denk- und Verhaltensmuster werden gemeinsam reflektiert, erprobt und angepasst. So entstehen sogenannte korrigierende emotionale Erfahrungen – Situationen, in denen der Mensch etwas anderes erlebt als das, was er aus der Vergangenheit kennt. Diese positiven Erfahrungen helfen, alte Überzeugungen und Ängste aufzulösen.
Auch Studien bestätigen die Wirksamkeit ergänzender Maßnahmen, um das Nervensystem zu beruhigen: Meditative Verfahren wie Yoga oder Atemtherapie können beispielsweise bei Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Borderline-Störungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) zu einer spürbaren Reduktion innerer Anspannung führen. Wichtig ist dabei jedoch immer die individuelle Abstimmung mit der behandelnden Fachperson, ob diese Maßnahmen als begleitende Therapiebausteine förderlich sind.
Selbstregulation lernen: sich selbst ernst nehmen
Der Aufbau von Selbstregulation bedeutet nicht, unangenehme Emotionen zu unterdrücken oder sich ständig im Griff zu haben. Es geht vielmehr darum, einen gesunden Umgang mit sich selbst zu finden. Gefühle wie Angst, Wut oder Scham gehören zum Menschsein dazu – sie wollen gesehen und verstanden werden. Nur so können sie sich auflösen.
Statt impulsiv zu reagieren oder sich selbst für die Gefühle zu verurteilen, hilft es, einen Moment innezuhalten. Diese Pause zwischen Reiz und Reaktion ist das Zeitfenster, in dem bewusste Entscheidungen möglich sind. Vielleicht ist es ein kurzer Spaziergang, ein Glas Wasser oder ein paar tiefe Atemzüge – all das kann helfen, die innere Balance wiederzufinden. Auch das bedeutet Selbstregulation.
Innere Sicherheit braucht Wiederholung

Yoga verhilft zu einer ruhigeren emotionalen Baseline und besserer Selbstregulation. © Miguel under cc
Neue Wege zu gehen, bedeutet nicht nur einmalige Einsicht, sondern kontinuierliche Praxis. Der Prozess der Transformation benötigt Wiederholungen, die bestätigen, dass die Änderungen im Denken, Fühlen, Erleben und Verhalten sich besser anfühlen und besser funktionieren als die alten Denk- und Verhaltensmuster. Unser Verstand mag schon weit voraus sein, doch das Gefühl braucht Zeit, um nachzukommen. Emotionale Umstrukturierung geschieht nicht über Nacht – sie wächst mit jedem einzelnen Schritt, mit jeder Situation, in der man sich neu verhält und damit gute Erfahrungen sammelt.
Gerade bei langjährig belasteten Menschen kann es hilfreich sein, den Fortschritt nicht nur an äußeren Erfolgen zu messen, sondern an der zunehmenden Fähigkeit, mit sich selbst mitfühlend umzugehen. Selbstregulation bedeutet auch, sich Pausen zu erlauben, sich Rückschläge zu verzeihen und an der eigenen Seite zu bleiben – gerade dann, wenn es schwierig wird.
Selbstregulation: Weg zu innerer Freiheit
Wer Selbstregulation lernen möchte, betritt keinen geraden Weg. Manchmal scheint man sich zu verlaufen, manchmal entdeckt man neue Pfade. Manchmal scheint man nicht voranzukommen oder nichts scheint richtig zu sein. Doch mit jedem Schritt wächst die Orientierung – und mit ihr das Vertrauen in die eigene innere Führung.
Das Leben lässt sich nicht vollends antizipieren, aber wir können lernen, uns seinem Verlauf hinzugeben, anstatt alles kontrollieren zu wollen. Wir können erfahren, erspüren, dass wir uns auf uns selbst verlassen können, ganz gleich welche Änderungen auf uns zukommen mögen. Selbstregulation bedeutet, die eigene innere Landschaft zu kennen, ihr mit Mitgefühl zu begegnen und darin allmählich Sicherheit und Halt zu finden. Es bedeutet, die innere Landschaft zu fühlen, aber sich nicht von ihr bestimmen zu lassen. Es ist ein Weg zurück zu sich selbst, der ruhig, bewusst und kraftvoll erfolgt. Damit in der Sinuskurve des Lebens die emotionalen Ausschläge nicht mehr wie Zacken sind, denen wir in Angst, Wut oder Minderwertigkeitsgefühlen ausgeliefert sind. Vielmehr sollen diese Zacken sich ebnen und zu einem gleichmäßigeren Verlauf führen, ohne dass starke emotionale Aufs und Abs uns ständig aus der Bahn werfen. Das wäre Selbstregulation par excellence. Damit verbunden sind auch verlässliche und klare Entscheidungen.
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