Dass wir unsere Freiheit verlieren ist immer wieder Thema gewesen in den letzten Jahren, in oft hoch erregten Debatten.
Vermeintliche oder tatsächliche Anlässe gab es wie Sand am Meer. Sprachregelungen, Coronaregeln, nun der Krieg in dem wir irgendwie mit drin hängen, mit seinen vermuteten Folgen für den Winter und den schon überall spürbaren bei den Preisen. Man ist verärgert, über die, die über unser Leben bestimmen und sieht sich häufig in seiner Freiheit beschnitten. Da Freiheit eine wichtige Größe ist, verständlich, auch wenn der Begriff manchmal instrumentalisiert wird.
Umso seltsamer aber, dass es immer wieder Themen gibt, bei denen man recht klar zeigen kann, dass, wo und wie unsere Freiheit wirklich den Bach runter geht, allerdings schauen viele ungerührt auf die Themen und das exzessive Datensammeln gehört dazu. Jeder weiß, irgendwie ist da was, aber zugleich weiß man auch nicht so recht, was man dagegen tun soll, also tut man nichts. Dabei ist das Thema wirklich wichtig, geht uns alle an und auch aus egoistischer Sicht sollte man ein paar Dinge wissen.
Die meisten Menschen wissen im Großen und Ganzen, dass wir ausspioniert und Profile von uns erstellt werden. Meistens, so meint man zurecht, um uns gezielt zu bewerben. Wenn man in die Fänge von Kriminellen gerät, so ist das Pech, aber selten und man hätte eben besser aufpassen oder geschickter agieren müssen. Aber wenn man das tut und selbst vorsichtig ist, wird einem auch nichts passieren, so die landläufige Meinung, die aber höchstens zur Hälfte stimmt.
Drei Irrtümer
Ich habe nichts zu verbergen
Das hört man oft, vielleicht eher von älteren Usern und es ist die innere Abwägung zwischen dem was man bekommt, an Möglichkeiten zur Sicherheit und dem was man gibt, weil man in der Regel kein Schwerkrimineller ist. Wenn aber durch die Daten, die man zur Verfügung stellt auch nur ein Schwerkrimineller gefasst ist, ist es das wert, so argumentieren manche. Eine Art Bilanzargument.
Privatsphäre war gestern, damit muss man sich abfinden
Die Einstellung findet man eher bei jüngeren Menschen. Es gehört heute einfach zum Leben dazu, seine Daten überall preiszugeben und das durchaus auch gerne zu tun, sonst ist man einfach von vielem ausgeschlossen, was einem Spaß macht. Man betont auch hier die Wechselseitigkeit, bekommt etwas, zum Beispiel gute Software und dafür gibt man auch gerne ein wenig von sich preis. Das kann auch als Teil einer neuen Sharing-Kultur betrachtet werden, die sich als netter und offener betrachtet. Auch die etwas fatalistische Einstellung, dass sämtliche Versuche sich zu schützen sowieso nichts bringen, kann man hier noch zuzählen.
Ich passe auf, also betrifft mich das nicht
Ein andere Gruppe ist halbwegs fit, was das Thema angeht und so ist man der Meinung, dass man geschickt genug ist, um nicht erfasst zu werden. Man ist mit seltenen Betriebssystem, VPN oder TOR unterwegs und insofern fühlt man sich gut geschützt, was die anderen machen, ist einem egal, ist deren Problem.
Besonders tricky könnte man sich fühlen, wenn man sich der Datensammelwut komplett verweigert, indem man auf Computer, Smartphone, Payback Cards und dergleichen völlig verzichtet, um digital größtenteils unsichtbar zu sein. Das macht zwar kaum jemand, aber selbst dieses Verhalten könnte demnächst schon zum Eigentor werden.
Was ist eigentlich die Gefahr des exzessiven Datensammelns?
Kommen wir direkt auf den zentralen Punkt zu sprechen, denn der ist gar nicht so leicht zu verstehen. Es geht nicht vorrangig darum unsere persönlichen Daten auszuspionieren, um genau zu wissen, wie sich jemand verhält und ihn oder sie höchstpersönlich auszurechnen. Im ersten Moment klingt das erleichternd, wenn man hört, dass man als Individuum weniger im Fokus der Aufmerksamkeit steht, aber gerade darin liegt das Problem, besonders für uns einzelne User. Denn hier kommt noch ein zweiter Aspekt mit ins Spiel und beiden bedingen einander wechselseitig.
Unternehmen die Daten sammeln sind vor allem daran interessiert riesige Mengen an Daten zusammen zu führen. Das Verhalten von Gruppen mit bestimmten markanten Übereinstimmungen ist besser zu erfassen, je mehr Datensätze zur Verfügung stehen, wer als konkrete Person dahinter steht, ist erst einmal egal, wichtig ist es an sehr viele Daten zu kommen. Diese Daten werden nun ausgewertet und sortiert und daraus ergeben sich Verhaltensprofile aus den Millionen Korrelationen jener, die so ähnlich sind, wie Sie.
Wo Daten fehlen, werden sie vom Algorithmus ergänzt und ob diese Daten dann Ihnen und Ihrem Leben höchstpersönlich entsprechen ist dem Algorithmus egal, es wird einfach das angenommen, was auf der Basis der vielen Daten anderer am wahrscheinlichsten ist.
‚Aber bei mir ist es doch ganz anders‘, könnte man da vielleicht manchmal mit einigem Recht einwenden, das mag sein, ist aber bereits Teil des Problems. Denn, werden Sie die Chance haben darzustellen, dass und in welchen Bereichen Sie ganz anders sind, als der Algorithmus errechnet hat? Da müssen Sie optimistisch sein, wenn Ihr zukünftiger Vermieter, Arbeitgeber, Kreditgeber oder ihre Versicherung wird sich vielleicht mehr für die scheinbar so objektiven Daten der Sammler und Händler interessieren, als für das was Sie sagen und darum werden Sie im Zweifel überhaupt nicht persönlich angehört, sondern gleich übergangen oder einsortiert.
Vielleicht zahlen Sie demnächst einen deutliche höheren Preis als andere, einfach weil sie in einer Region wohnen, in der sich die meisten das teurere Angebot spielend leisten können. Oder anders herum, Sie brauchen einen Kredit, wohnen aber in einer Gegend, in der die meisten als nicht kreditwürdig gelten. Schon sind Sie drin, auch wenn Ihre finanziellen Verhältnisse vielleicht von anderen abweichen, aber dazu werden Sie nicht mehr befragt.
Vielleicht zeigt ihr Internetverhalten, dass die Auswahl der Musiktitel, Filme oder angeklickten Artikel jenen ähnelt, die zusätzlich Antidepressiva einnehmen, dass bei Ihnen eine Depression vorliegt oder einfach nur wahrscheinlich ist. Schon hängen Sie wieder drin. Vielleicht interessiert das demnächst auch ihre Krankenkasse oder den Arbeitgeber, die dann sagen: ‚Och nö, lieber nicht‘, oder Beiträge entsprechend anpassen.
Vielleicht ähnelt Ihr Profil aber auch jenen vom Menschen mit Suchtproblemen, mangelnder Impulskontrolle oder krimineller Neigung. Der Lebensversicherer, Vermieter oder Arbeitgeber könnte denken, dass andere doch besser geeignet sind, aus reiner Vorsicht. Und schon wieder hängen Sie drin, oder besser gesagt, sind Sie raus. Ohne die Möglichkeit Einspruch zu erheben, denn Sie wissen ja gar nicht, wer auf welche Daten zurück gegriffen hat. Man will ja in der Regel nicht gleich mit einem Gerichtsverfahren, bei dem man den anderen zwingt offenzulegen, was seine Quellen waren, eine Beziehung beginnen, zumal man dann erst recht als komischer Vogel daher kommen würde.
Und wenn die Daten gar nicht stimmen?
Die Frage ist also nicht, ob die Daten zu 100%, 87% oder auch nur zu 71% stimmen und dass oder wie genau man Sie persönlich erfasst hat, sondern die Gefahr liegt darin, dass es für Menschen, die mit Ihnen demnächst zu tun haben immer einfacher werden wird, auf Daten von anderen, die Ihrem Verhalten sehr ähnlich sind, zurückzugreifen und wenn es auch nur recht wahrscheinlich ist, dass Sie so ähnlich sind, wie jene, die aufgrund bestimmter Korrelationen ein Risiko darstellen … warum nicht den einfachen Weg gehen und jemand anderen wählen, dessen statistisches Risiko deutlich geringer ist, als Ihres?
Wenn Sie gar keine Daten hinterlassen, könnte genau dieses Verhalten Sie unattraktiv machen, denn wenn man kaum etwas über Sie findet, warum sollte man nicht auch hier, einfach zur eigenen Sicherheit auf jemanden zurückgreifen, über den man bereits zuverlässige Daten zur Verfügung hat? Keine Daten hinterlassen zu haben, ist also bereits ein Risiko, nicht weil man dann automatisch als Terrorist gilt, sondern ein unsicherer Kandidat ist und schon fliegt einem der gedachte Vorteil von eben als Nachteil um die Ohren.
Es wird sicher nach wie vor auch Menschen geben, die den persönlichen Eindruck höher bewerten, aber mit jedem Jahr in dem es einfacher wird an Daten zu gelangen, wird diese Gefahr wachsen. Sie werden nicht mal merken, dass und wo Sie übergangen werden. Aber vielleicht wenn Sie umziehen, Ihre Versicherung wechseln oder sonst etwas machen wollen und plötzlich gar kein und nur ein sehr teures Angebot erhalten oder man Ihnen mitteilt, dass man leider einen geeigneteren Kandidaten gefunden hat.
Die Unternehmen, die diese Daten sammeln lassen sich nicht in die Karten gucken, welche Daten genau, wie korreliert werden und vermutlich werden die Algorithmen ständig angepasst, vielleicht von anderen Algorithmen weiter optimiert. Es gehört zum Geschäftsmodell von allen die etwas verkaufen, auf die Qualität und Nützlichkeit der Produkte hinzuweisen und je öfter man hört, nach 100 Klicks wüssten Social Media Unternehmen besser, wer man ist, als der eigene Lebenspartner oder man selbst, um so mehr ist man geneigt das zu glauben. Wenn Sie Vermieter sind, würden Sie eher jemanden nehmen, der ein 28% Risiko hat ein Mietnomade zu sein, als jemanden der ein 41% Risiko hat, auch wenn Sie niemals erfahren werden, wie man diese Daten überhaupt ermittelt hat.
Meine Daten schaden anderen und die Daten anderer schaden mir
Beides ist ineinander verzahnt. Warum das so ist, sollte klar sein. Ich bin Teil jener Menge, deren Daten abgegriffen werden und mit meinen Daten und denen anderer, lassen sich bestimmte Muster erkennen, die Vorhersagen für Menschen mit ähnlichen Mustern wahrscheinlicher machen. Manchmal zu ihrem Nutzen, aber keinesfalls immer. Zugleich schaden die Daten der anderen mir, wenn mein Muster nämlich in das bestimmter anderer fällt, die meine Disposition zu irgendeiner Einstellung oder einem Verhalten wahrscheinlich macht. Noch einmal: Ob diese Prognosen tatsächlich stimmen, ist nicht der entscheidende Punkt.
Wo fallen Daten an? Überall. Jede Suchmaschinenanfrage, App oder jede digitale Dienstleistung, aber auch Social Media Kontakte, Bewegungsprofile und Einkäufe lassen sich mit den Daten anderer koordinieren und weisen irgendwann bestimmte Regelmäßigkeiten auf.
Nicht ich als Individuum bin gemeint und interessant, sondern ich als jemand der Datensätze hinterlässt. Die Datensätze die andere hinterlassen werden gleicher Weise auf mich angewendet, nämlich auf mein Nutzer-, Käufer- Bewegungsverhalten, das dann, in die Gruppe jener Nutzer einsortiert wird, die ein bestimmtes ähnliches Nutzerverhalten zeigen. Es wird darüber hinaus noch mit bestimmten anderen für Interessenten spannenden Daten korreliert, je nach dem, wer es ist, der sich informiert und diese Datensätze, verpackt in eine Serviceleistung kauft. Die Datensätze selber sind der Rohstoff derer, die damit handeln.
Aber eine auf den Datensätzen basierende Einschätzung von Einkommen, Zuverlässigkeit, sexueller Orientierung, Kinderwunsch, psychischen Problemen, Krankheitsdispositionen oder was auch immer, kann man durchaus erhalten. Alle blicken entsetzt nach China, wo aus den Daten ein soziales Profil erstellt wird, doch bei uns ist es kaum anders, nur dass die Daten nicht in der Hand der Regierung zusammengeführt werden, sondern in privatwirtschaftlichen Unternehmen.
Man kann sich darüber streiten, was schlimmer ist, aber am Ende kann beides missbraucht werden und das ist auch bei uns längst schon der Fall. Es könnte alles noch schlimmer werden, daher ist es ein Weg auf das Problem aufmerksam zu machen und zu erklären, wo und wie wir unsere Freiheit verlieren.
Quelle und Dank:
Dieser Beitrag ist wesentlich beeinflusst von einer Ausgabe der Sendung ‚Das philosophische Radio‘: Wie schützen Sie Ihre Privatsphäre im Netz?, vom 29.08.2022, in dem ehemalige Programmierer und heutige Philosophieprofessor Rainer Mühlhoff seine Gedanken ausführt, die ich hier zusammengefasst habe. Hören Sie zur Vertiefung des wichtigen Themas gerne die oben verlinkte, inspirierende Sendung.