Gewalt hat viele Formen. Sie zeigt sich nicht zwingend über Schläge. Viel häufiger im Umgang mit dem Partner oder den Kindern ist die psychische Gewalt. Auch in welcher Konstellation sie stattfindet, hat viele Gesichter. So kann sie zum Beispiel nur von einem Partner ausgehen, wohingegen der andere in einer Art emotionaler Demutshaltung verharrt. Hierbei sind klassischerweise oft die Frauen betroffen, und die Männer sind die, welche psychische Gewalt ausüben. Der umgekehrte Fall existiert dennoch – und zwar häufiger als wir denken. Nur oder gerade weil Männer als Opfer nicht dem Klischee entsprechen, wird diese Variante häuslichen Terrors nur selten thematisiert. Psychische Gewalt kann ebenso von beiden Partnern in die Beziehung getragen werden, was so manches Mal in diversen Medien als temperamentvolle Streiterei abgetan wird.

Wer betroffen ist oder es zumindest vermutet, will nicht lange lesen müssen. Deshalb fangen wir gleich mit der Aufzählung an.

Psychische Gewalt: Wo fängt psychische Gewalt an?

Psychische Gewalt gleicht nicht selten einer Spirale der Verschlimmerung. Es fängt mit unterschwelligen Andeutungen an, bei denen die eigene Intuition beziehungsweise der Bauch ein ungutes Gefühl triggert, ohne dass man womöglich direkt benennen kann, was einen dermaßen an der Aussage des anderen verletzt hat (Beispiel: »Ach, dir kann ich das ja auch erzählen«, um deutlich zu machen, dass der andere keine so große Bedeutung im Leben hat).
Im Laufe der Zeit kann es sein, dass die unterschwelligen Andeutungen in offene Spitzen übergehen. Dies kann eine beiläufig erwähnte Aussage sein wie: »Du weißt doch nie, worum es in unseren Streits geht. Du verstehst doch immer alles falsch.« Merkt der Aggressor, dass er auch mit diesem Verhalten durchkommt, verliert er noch mehr den Respekt vor seinem Gegenüber. Folglich wird sein Ton schärfer und er geht noch mehr in die Abwertung: »Du raffst doch sowieso nichts mehr. Du bist nicht lebensfähig!« Über die Jahre kommt es eventuell in einer solchen Partnerschaft zum Schubsen des anderen in einem Streit. Oder zum Festhalten des anderen. Oder zum Werfen einer Bierflasche nach dem anderen, weil man vielleicht im Streit etwas zu viel getrunken hat. Aus psychischer Gewalt kann eine körperliche folgen.

Hier sind einige der Anzeichen von psychischer Gewalt in der Familie beziehungsweise in der Partnerschaft, bei denen man hellhörig werden sollte:

Isolation

Frau blond zwei Ohrringe traurig

Psychische Gewalt führt in die Einsamkeit. Häufig davon betroffen sind Frauen und Kinder. © Global Panorama under cc

Der Partner wird isoliert. Seine Freunde bzw. Familie werden als problematisch abgetan. Dies kann bis zum Kontaktverbot, Sperren des Telefons oder Einsperren des Partners gehen.

Zu Beginn einer Beziehung kann diese Isolationsabsicht vielleicht damit anfangen, dass der andere herummosert und quengelt, wenn der Partner am Wochenende ausgehen will. Es kann aber auch sein, dass er dazu neigt, einen Streit vom Zaun zu brechen, kurz bevor man am Wochenende gemeinsam die Familie besuchen möchte. Weil kein Mensch Lust auf Stress und Streitereien hat, fängt man kaum merklich an, sein Verhalten dementsprechend anzupassen. Man bekommt wahrscheinlich ein ungutes Gefühl im Bauch, wenn die Eltern anrufen, um zu einem gemeinsamen Sonntagsmittagessen einzuladen. Vielleicht fängt man an, Ausreden zu erfinden, wenn die Freunde fragen, ob man am Freitagabend gemeinsam ausgehen möchte. Das Erste, was einem in den Sinn kommt, sobald jemand von außen nach einer Verabredung fragt, ist dann eventuell: Wie sage ich es meinem Partner? Oder man denkt: Ich muss abwarten, was mein Partner dazu sagt. Leichter ist es dann häufig, sich der bevorstehenden antizipierten Auseinandersetzung, weil man ausgehen möchte, nicht zu stellen. Demgegenüber erfinden viele Betroffene lieber Ausreden gegenüber den Freunden, dass sie zu besagtem Termin nicht vorbeikommen können. Nicht wenige haben auch Angst davor, sie könnten sich während des Besuches der Eltern mit dem Partner streiten, weil dieser ein verdeckt aggressives Verhalten an den Tag legt. Weil man sich selbst und den anderen diese Pein ersparen möchte, lehnt man gleich von vornherein eine Verabredung mit der Familie oder den Freunden ab. Das ist der Punkt, an dem man beginnt, sich selbst von seinem sozialen Umfeld zu isolieren.

Liebesentzug und Ignorieren

Vor allem bei Kindern ist diese Form emotionaler Gewalt eine gern genutzte Methode. Teilweise wird diese Maßnahme sogar als Erziehungsmethode gedeutet. (»Du warst nicht brav, deshalb hab ich dich gerade nicht mehr lieb.«)

Aber auch zwischen zwei Partnern ist Ignorieren ein Merkmal psychischer Gewalt. Nicht mehr zu reden, wegzugehen, keine Antwort auf Messages – dienen als Bestrafung des anderen.

Silent Treatment nennt sich diese Methode, welche in toxischen Beziehungen stets Anwendung findet. Teilweise kann dieses Abstrafen durch Schweigen mehrere Tage andauern. Es kann beinhalten, dass man überhaupt nicht mehr mit dem anderen redet oder ihm lediglich abfällig verbale Brocken hinwirft. Wie dankbar und erleichtert wird der angeschwiegene Partner später sein, wenn der Knurrhahn endlich wieder mit ihm redet …? Der, der liebt und sogar nach einem Streit zugewandt bleibt, wird dadurch automatisch auf einer tieferen Stufe in der Partnerschaft stehen. Der, der abstraft, bekommt durch diese Methode automatisch mehr Macht. Denn er entscheidet durch sein Verhalten, wie die Stimmung in der Beziehung ist.

Drohungen und Einschüchterungen

Zeichnung einer Person vor dem Fenster

Isolation als eine Form psychischer Gewalt
© Camilla under cc

Zu drohen, sich selbst oder andere zu verletzen, nicht nur körperlich, sondern auch emotional, ist ebenfalls eine Form psychischer Gewalt. Darüber hinaus finden sich Drohungen, Außenstehenden Geheimnisse zu verraten. (»Dann erzähle ich dem Kind, das wir uns trennen. Es soll wissen, was du getan hast.«)

Penetranz und Übergriffigkeit

Nicht von dem anderen ablassen und wiederholt die Grenzen des anderen überschreiten, sind außerdem eine Form psychischer Gewalt, ebenso wie den anderen in die Ecke zu drängen, seine Bedürfnisse nicht zu akzeptieren oder Druck auszuüben.

Von dem, der die psychische Gewalt ausübt, folgen überwiegend immer dieselben Sätze. Er wiederholt die ganze Zeit seine Sicht der Dinge und beharrt auf seinem Standpunkt. Wie ein steter Tropfen, der den Stein aushöhlt. Dagegen wird dem anderen nicht zugehört. Das Streitgespräch hat auf diese Weise keine Chance, zu einer vernünftigen Diskussion zu werden, bei welcher man zu einer konstruktiven Lösung kommen könnte.

Bei dem Opfer der psychischen Gewalt baut sich nicht selten ein innerer Widerstand auf. Es kann bei ihm zu einer totalen Eskalation (zum Ausflippen und Herumbrüllen) kommen, weil man einfach nicht gehört wird und es kein Vorankommen gibt. Man fühlt sich hilflos. Das Ergebnis dessen kann sein, dass der Ausübende der passiv-aggressiven Gewalt dem betroffenen Partner suggeriert: »Siehst du, wie du hier ausflippst? Ich bin ganz ruhig. Du bist derjenige, der aggressiv ist, nicht ich.«
Die entgegengesetzte Variante beim Opfer psychischer Gewalt wäre beispielsweise Resignation. Es beginnt sich selbst aufzugeben und tritt für seine eigenen Rechte nicht mehr ein.

Manipulation und Abwertung

Menschen, die vor psychischer Gewalt nicht zurückschrecken, spielen Psychoterror-Spielchen mit dem Gegenüber. Sie manipulieren und loten dann die Reaktion des Gegenübers aus. Auch Abwerten des anderen ist eine sehr übliche Methode psychischer Gewalt. (»Du hast mich dazu gebracht, weil du Verhalten XY an den Tag gelegt hast.«, »Du bist so hässlich.«) Auch gezielte Abwertung in der Öffentlichkeit wie Lächerlich machen beziehungsweise die Frau als das Problem darstellen, zählen dazu.

Stalking und Eifersucht

Die Verfolgung des anderen nicht nur in der realen Welt, auch in der virtuellen, ist eine Form psychischer Gewalt. Dahinter steht die totale Kontrolle über den anderen.

Rasende Eifersucht ist kein Ausdruck von Liebe, sondern dahinter steht Besitzdenken. Man beansprucht den anderen für sich. Oft wird der andere als Objekt wahrgenommen, über dessen Stand man verfügen kann.

Psychische Gewalt: die Täter

Menschen, die gewalttätig sind, haben oft selbst Gewalterfahrungen in der Kindheit erlitten. Dies darf dennoch nicht als Entschuldigung für ihr Verhalten dienen. Der Ausüber psychischer und körperlicher Gewalt hat die Wahl, sein Verhalten zu ändern. Darauf zu warten und immer wieder zu hoffen, gerät zu einem Teufelskreis.

Die hilflosesten Opfer psychischer Gewalt sind die Kinder

Mädchen Gesicht traurig Blick von unten

Kinder spiegeln das Verhalten der Eltern. Sie können dadurch zu Opfern oder Tätern werden. © anthony kelly under cc

Es ist erschreckend, wie sehr sozial akzeptiert die psychische Gewalt gegenüber Kindern ist. Sätze wie: »Das hat er verdient, er muss merken, dass es so nicht läuft im Leben«, machen deutlich, wie sehr man das eigene Kind abwertet und vor sich selbst rechtfertigt, dass es in Ordnung ist, Kinder zu gängeln. Auch werden den Kindern von Seiten der Eltern gern böse Absichten unterstellt, wenn die Eltern sagen: »Er will seine Grenzen austesten und seinen Willen durchsetzen. Aber nicht mit mir! Ich werde ihm zeigen, wer hier das Sagen hat!« Damit wird gerechtfertigt, dass man als Erwachsener den Willen des Kindes bricht. Das ist nichts anderes als eine Form psychischer Gewalt. Wir brauchen uns nur einmal fragen, ob wir ein solches Erziehungsverhalten oder besser gesagt diese Dressur bei einem gleichaltrigen Kollegen an den Tag legen würden. Diese Sätze haben wir alle in unseren Köpfen, weil sie aus der sozialen Akzeptanz heraus in unserer eigenen Kindheit angewandt wurden. Viele Jahrzehnte lang war dies die bestehende und sozial akzeptierte Verhaltensnorm gegenüber Kindern, gefolgt von einer Ohrfeige zur Maßregelung.

Subtile Manipulation der Kinder

Ferner wird den Kindern unterschwellig getriggert, nicht in Ordnung zu sein, oder dass sie nur geliebt werden, wenn sie sich auf diese oder jene Art verhalten. Wenn sie brav sind oder gehorchen. Man erzieht ihnen durch unterschwellige Drohungen, Liebesentzug, durch die permanente Bewertung ihres Verhaltens die eigene Souveränität ab. Ihnen wird nicht erlaubt, eine eigene Identität zu entwickeln. Statt ihnen eine gute Struktur zu geben und ein gutes Verhalten vorzuleben, werden sie gemaßregelt und zum Spielball der Launen und Frustrationen der Erwachsenen gemacht.

Kinder, die Opfer psychischer Gewalt in der Familie sind, werden auf die eine oder andere Art zu Symptomträgern. Es kann sein, dass sie sich in der Peergroup sehr laut und aggressiv oder sehr leise und passiv benehmen, wenn sie im häuslichen Umfeld psychischer Gewalt ausgeliefert sind.

Durchbrechen der Spirale von psychischer Gewalt in der Familie

Psychische Gewalt in der Familie oder in Partnerschaften geht oft damit einher, dass sich die Abwertungsphasen und Eskalationsphasen mit Phasen von Versprechungen und Zuwendungsbekundungen abwechseln. In diesen Phasen soll angeblich wieder alles in Ordnung sein. Dies ist jedoch nur eine Art Burgfrieden. Was tatsächlich folgt, ist eine Angstspirale. Menschen, die psychischer Gewalt ausgeliefert sind, wissen nie, was als nächstes kommt. Denn psychische Gewalt kann jederzeit wieder ausbrechen oder sogar in körperliche Gewalt oder sexualisierte Gewalt übergehen. Vor allem Kinder sind dem Verhalten schutzlos ausgeliefert. Von Hause aus sind sie auf Bindungen orientiert und demzufolge per se in einem Ungleichgewicht zu ihren Eltern. Auch Frauen, die in einer sozialen Abhängigkeit vom Partner sind, sind häufiger betroffen. Der Grad von psychischer Gewalt ist ein schmaler. Sich Beratung (z.B. hinsichtlich Scheidung) beziehungsweise Hilfe zu holen, ist der erste Schritt, um sich aus der Opferrolle hinauszubegeben.

Schützen Sie sich und Ihre Kinder. Auch unter dem Link der Polizei finden Sie weitere Anhaltspunkte: Häusliche Gewalt. Sich institutionellen und psychologischen Beistand zu holen, kann einem dabei helfen, den Mut zu finden, sich aus der Gewaltspirale zu lösen. Jeder neue Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Von Herzen alles erdenklich Gute und viel Stärke für Sie!!