Es gibt kein entweder – oder

Mann sitzt auf rotem Sofa

Therapie ist nicht nur schön. Für manchen Nervenkitzel ist gesorgt. © THX0477 under cc

So weit so gut, doch genau die Sicht die der Patient dann irgendwann offen darstellt, ist ja jene, die ihn in Schwierigkeiten gebracht hat. Hier beginnt Therapie im engeren Sinne, denn nun geht es darum, zu verstehen, dass man die Welt auch anders sehen kann. In Wie wirken psychologische Deutungen? Und Woran erkennt man zutreffende Deutungen? sind wir diesem Strang bereits weiter nachgegangen, hier soll der Fokus auf andere Bereiche gelenkt werden.

An sich zu arbeiten und für sich selbst etwas zu tun, ist kein Verrat an der Welt. Die vermeintliche Notwendigkeit sich hier entscheiden zu müssen ist manchmal eine tief empfundene innere Zerrissenheit, aber auf der anderen Seite auch ein beliebter Weg, um von sich abzulenken. Nicht aus bösem Willen, sondern manchmal aufgrund einer Pathologie, die der Patient nicht kennt, nicht kennen kann und auch nicht muss. Er tut das nicht mit Absicht. Patienten dürfen schwierig sein, dafür sind sie Patienten. Der Punkt ist nur, dass dies zum Nervenkitzel wird, für beide Seiten. Man muss den Patienten immer wieder einfangen und zu sich zurück führen und er hat oft ein größeres aber unbewusstes Interesse aus dem Fokus der Aufmerksamkeit auszubrechen.

Die Frage lautet also nicht, ob etwas eine Projektion ist oder sachlich stimmt, da sich beides nicht ausschließt. Es kann durchaus sein, dass man beklagt, dass die Welt so ungeheuer aggressiv ist und durchaus zutreffende Beispiele aufzählt, in denen Aggression tatsächlich ein starkes Motiv ist. Zur Projektion wird es, wenn man in jeder Handlung ausschließlich offene oder versteckte Aggression und oder auf der anderen Seite die Existenz von Aggressionen oder aggressiven Motiven in der eigenen Psyche leugnet. Die Beispiele für Aggression sind dann immer noch treffend, was aber nicht heißt, dass die eigene Aggression projiziert sein kann.

Die Art der Ausbrüche aus der therapeutischen Begegnung, die um das eigene Ich, sein Denken, Fühlen und Erleben kreist, zerfallen in bestimmten Typen, von denen wir einige vorstellen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Die Politiker

Die Politiker, sind in aller Regel keine echten Politiker, sie benutzen lediglich gesellschaftliche und politische Themen, um von sich selbst abzulenken. Sie liefern eine manchmal vielleicht sogar stimmige Variante des Weltgeschehens, seiner teilweisen Ungerechtigkeit, wie das alles so zusammenhängt und wo es herkommt. Nun mag die Welt ja ungerecht sein, dennoch kann man sich fragen, wie man in ihr zurecht kommt. Denn damit hat man ja aktuell Probleme, darum ist man in Therapie. Wenn man dies abwehrt und sagt „Dann bin ich ja auch so einer“, heißt das zugleich: „Jetzt bin ich besser.“ Das ist ein starkes Motiv, sich moralisch überlegen zu fühlen, aber manchmal ein wenig zu einfach. Man macht dann aus ganz normalen menschlichen Regungen, Hemmungen und Ängsten ein Politikum oder sogar einen Akt des politischen Widerstandes.

Wer also aus irgendwelchen Gründen mit dem Alltag Probleme hat, was legitim ist, muss irgendwann verstehen, dass sein „Ich will das nicht unterstützen, weil … „, auch bedeuten könnte, dass man einfach zu ängstlich oder bequem ist oder Probleme damit hat, sich etwas von anderen sagen zu lassen. Das muss durchaus nicht immer der Grund sein, es gibt tatsächlich gute Gründe das eine oder andere kritisch zu betrachten, aber man kann eben auch persönliche Schwierigkeiten oder Pathologien hinter politischen Zustandsbeschreibungen und Analysen verpacken.

Politische Analysen eignen sich auch bestens dazu dem politischen Gegner alle möglichen Arten der Niedertracht in die Schuhe zu schieben (und damit von sich weg) und zuweilen wird der Therapeut mit einbezogen, der aus Sicht seines Patienten entweder systemstabilisierend im Sinne des Bürgertums agiert, oder umgekehrt als linker Revoluzzer versucht auf psychologischem Weg den Sozialismus einzuführen. Aber auch Tierrechte oder der Hunger in der Welt, so gut wie alles ist geeignet um immer wieder aus der Beziehung mit dem Therapeuten und der Beschäftigung mit sich selbst auszubrechen.

Die Philosophen

Nicht unähnlich sind die Philosophen, die natürlich auch keine Berufsphilosophen sein müssen. Ihr Thema ist, nicht ganz unähnlich den Politikern ganz große Entwurf, die ganz großen Fragen und wenn man in diesem Modus unterwegs ist, erscheinen die meisten Ansprüche des real life einigermaßen kleinkariert. Man selbst ist dabei über Themen wie Gerechtigkeit, Freiheit, das Gute, Wahre und Schöne nachzudenken, da kann man unmöglich mit Forderungen nach Küche aufräumen oder Müll wegbringen traktiert werden. Dort liegen aber meist die Probleme, die man in den Alltagsbeziehungen hat.

Und wie immer, ist auch da etwas dran. Viele Menschen, die wir heute als Genies verehren, wären vielleicht schwer unter die Räder gekommen und nie zu Genies geworden, wenn sie unter heutigen Bedingungen aufgewachsen wären. Womöglich wäre Mozarts Vater das Sorgerecht entzogen worden und der junge Wolfgang ruhig gestellt worden, aber nicht bei allen Fragen des täglichen Lebens geht es ums Prinzip. Das heißt, vielleicht auch doch, man könnte es wenigstens auch so betrachten, aber der Philosoph neigt dazu sich um Großen und Ganzen zu verlieren, hier dem Politiker durchaus ähnlich, um die banalen Lästigkeiten des Alltags zu delegieren. Die erscheinen nämlich durchaus auch dem Philosophen lästig, aber dafür hat er nicht selten andere, die die Drecksarbeit machen und froh sein dürfen, dem Großdenker den Rücken frei zu halten, so zumindest die unausgesprochene Arroganz die hinter dieser Einstellung steht.

Darauf angesprochen, wie das denn wohl der Partnerin gefällt, weicht der Philosoph gerne erneut ins Prinzipielle aus, um Empathie mit dem Alltag und denen, die ihn stellvertretend bewältigen, zu vermeiden. Der Philosoph ist hier durchaus nicht allein, Überschneidungen zum Politiker sind möglich, aber auch selbsternannte Künstler und spirituelle Sucher können so gestrickt sein. Es sind in der Regel eher Männer und leben davon, dass es immer wieder Menschen gibt, oft Frauen, die ihnen den Rücken freihalten.