Wenn es nicht mehr um den guten Geschmack geht
Nicht nur Harald Schmidt hat mit dem Mainstream des Antimainstream gebrochen, indem er auch den Mainstream bediente und damit Plattes und Anspruchsvolles, Kalauer und ironische Brechungen in bunter Form durcheinander würfelte. Auch Jan Böhmermann hat den Anspruch die Grenzen der Satire auszuloten, oder stellt es so dar und dabei ist er nach Ansicht mancher an die Grenzen des guten Geschmacks geraten oder sogar darüber hinaus.
Doch auch hier, so kommt es mir vor, lassen wir uns oft zu schnell mit Oberflächlichem abspeisen. Was darf Satire? Das war über lange Zeit nun das Kriterium, das uns, unsere Kultur, von anderen unterscheiden und vor jenen auszeichnen sollte. Denn unsere Antwort lautete lange Zeit, dass Satire alles darf. Ich bin nicht unbedingt dieser Auffassung, aber darum soll es hier nicht gehen, doch es war ein immerhin verlässliches Gefühl, dass man diese Einstellung durchgezogen hat, so dass man sie als Errungenschaft unserer Zeit und Kultur betrachtete.
Nun ist die Sprachregelung etwas, sagen wir, geschmeidiger geworden. Natürlich darf Satire bei uns auch weiterhin alles – wo kämen wir denn dahin? – aber, so heißt es nun: Nicht alles ist Satire. Damit wird die Frage was Satire darf in die Frage umgewandelt, was Satire ist und die Kriterien dessen, was nicht mehr Satire ist, werden ganz zufällig zu denjenigen, die uns auch sagen, was Satire bei uns nicht darf.
Wie oft kann etwas noch als ironische Brechung durchgehen, bevor es vornehmlich die Ehre des anderen verletzt? Wir könnten uns radikaler zur Satire bekennen oder klarer und offener deren mögliche Grenzen diskutieren. Im Moment haben die Irritationen um Böhmermann den Beigeschmack, dass Satire zur Sache des politischen Bedarfsfalls wird. Damit wären aber auch unsere Werte dem Bedarf und damit der Beliebigkeit ausgeliefert.
Da geht es dann um mehr als den guten Geschmack, wie auch dem passionierten Weintrinker. Schmeckt mir, oder nicht, ist eine legitime Kategorie und wer keine Lust hat aus der Weintrinkerei ein Hobby zu machen, muss das nicht tun. Aber manche Weintrinker wollen mehr und werden zu Sammlern, Sammlern von Geschmackseindrücken. Mit dem Weingenuss betreten sie einen eigenen Kosmos. Man muss das nicht zu hoch hängen, braucht es aber auch nicht klein zu reden. Man trinkt den Wein dann nicht mehr unbedingt, weil er einem schmeckt, sondern ist ein Stück weit auch mit der Zunge und dem Geist eines Forschers unterwegs. Man weiß, dass der Wein den man gerade trinkt so wirklich nur da schmeckt und auf diese Weise einzigartig ist. Irgendwelche geographischen oder klimatischen Besonderheiten sorgen dafür, dass diese Traube, die man von anderen Weinen kennt, nur auf diesem Steilhang in Spanien so schmeckt, wie eben gerade jetzt. Und wie sich der geschmackliche Wiedererkennungswert der Rebsorte, mit der regionalen Besonderheit, dem Wetter des Jahres und der Kunst des Winzers mischt, das interessiert den passionierten Weintrinker.
Das ist oft ein wenig abseits des Mainstream geparkt, es schmeckt noch nicht einmal immer gut. Vielleicht schmeckt es nur einzigartig. Bestimmte Rebsorten wachsen nur in speziellen Regionen und der Geschmack der Region, ihres Bodens und des Jahres ist etwas wie eine Reise um die Welt mit der Zunge oder eben ein kleiner, eigener Kosmos. Die Bewohner dieses Kosmos möchten sich mit einander unterhalten und das reichen die groben Koordinaten schmeckt/schmeckt nicht oder süß/sauer schnell nicht mehr aus. Geschmäcker zu beschreiben und die Erlebniswelten innerlich abzugleichen ist gar nicht so einfach, wohl auch, weil wir uns oft nicht so angeregt über Geschmacksfragen unterhalten, doch mit der Zeit gelingt es immer besser.
Vielleicht lässt sich über Geschmack nicht streiten, aber offenbar befindet sich auch nicht alles auf gleichem geschmacklichen Niveau. Darin ist man sich dann schnell einig, was die Güteklassen und Qualität aber ausmacht, darüber meint man oft nicht reden zu können. Der Professor für Allgemeine Psychologie und Arbeitspsychologie Axel Buchner, sagte in einem Interview, dass man am besten durch Wiederholungen lernt, es gäbe nur eine Ausnahme, den Geschmack. Wenn wir uns an etwas den Magen verdorben oder uns spontan geekelt haben, dann bleibt und dieser Eindruck sofort und ohne Wiederholung haften.[1] Den guten Geschmack zu verletzen ist also etwas, was zumindest bei den evolutionär angelegten Teilen unseres Gehirns eine hohe Priorität hat. Nur, was verletzt den guten Geschmack? Das über die Stränge schlagen, die Forderung nach zu engen Grenzen oder gar die beharrliche Verweigerung einer klaren Position?
Simon & Jan erhielten 2016 unter anderem den Deutschen Kleinkunstpreis: „Damit zeichnet die Jury ein Duo aus, das lakonisch zu politisch und gesellschaftlich angesagten Themen Haltung zeigt. Simon Eickhoff und Jan Traphan sind Meister im Gitarrenspiel und Harmoniegesang. Sie sind leise, hinterhältig, hintergründig und manchmal böse. Sie sprechen wenig, ihre Lieder sagen alles.“[2]
In ihrem Lied „Die Erde dreht sich“ (auf ihrer Website zu hören) heißt es:
„Und der Wasserwerfer schießt dir ins Gesicht
Geschmacksrichtung Freiheit doch du schmeckst sie nicht
Du bist vor den Nachrichten eingepennt
Während unter dem Halbmond die Straße brennt“[3]
Quellen:
- [1] Leonardo – Wissenschaft und mehr, WDR5, Sendung vom 11. 4. 2016, online: http://www.wdr.de/programmvorschau/wdr5/uebersicht/2016-04-11/
- [2] http://www.simonundjan.de/
- [3] http://lyrics.wikia.com/wiki/Simon_%26_Jan:Die_Erde_Dreht_Sich