Ob Zensuren sinnvoll sind, ist eine der streitbarsten Fragen im derzeitigen Schulsystem. In einigen europäischen Ländern, wie z.B. Finnland, wird erst in höheren Klassenstufen benotet. Auch in Deutschland findet man alternative Schulsysteme wie Waldorf- oder Montessorischulen, die Noten ebenfalls erst bei älteren Schülern geben. Diese Ansätze lassen durchaus überlegen, ob und inwieweit Zensuren sinnvoll sind.

Sinn von Zensuren – Einordnung in Leistungskategorien

Zensuren Drei und Vier

Können Zensuren der Psyche schaden? © losmininos under cc

Klassisch gesehen scheinen Zensuren sinnvoll, weil sie Leistungen bewerten. Die Leistungen werden anhand bestimmter Anforderungskriterien, die abhängig von der jeweiligen Arbeitsaufgabe definiert werden, Kategorien zugeordnet – diese entsprechen den Noten 1-6.

Als Argument dafür, dass Zensuren sinnvoll sind, gilt, dass ein sozialer Vergleich von Schülern möglich ist: Wer ist besser oder schlechter als der Durchschnitt und muss gefördert werden? Auch ein Vergleich einzelner Schulen, Lehrpläne und Bundesländer miteinander ist möglich. Daraus können sich dann Anregungen für Verbesserungen ergeben; so gesehen also, scheinen Zensuren sinnvoll zu sein.

Aber wie wirken sich die Vergleiche auf den Einzelnen aus, sind auch für ihn Zensuren sinnvoll?

Zensuren und psychische Auswirkungen

Soziale Vergleichsprozesse sind gängig. Schneidet man als Einzelner bei diesen besser ab, ist das zweifelsohne für den Selbstwert positiv. Doch wie sieht es mit denen aus, die schlechter abschneiden – die schlechter als alle anderen sind?

Folgen für Selbstwert und Selbstkonzept

Leistungsvergleichen liegt zugrunde, dass Menschen vereinheitlicht werden. Es wird bestimmt, was Personen eines bestimmten Alters, Geschlechts o.ä. können müssen. Es wird festgelegt, was als gut gilt.

Inwieweit diese Maßstäbe bzw. Zensuren sinnvoll sind, lässt sich am klassischen Beispiel des Musikunterrichts diskutieren. Vor der gesamten Klasse zu singen, erfreut nun einmal nicht jedermann. Im Gegenteil, für viele ist dies sogar mit Ängsten verbunden, die weit über die 45 Minuten Schulstunde hinausgehen. Aber wer legt fest, dass Schüchternheit schlecht ist? Entspricht man den Anforderungen nicht oder kann man nur mit Mühe Folge leisten, erfolgt eine entsprechende Bewertung. Gerade bei Kindern, deren Persönlichkeit noch nicht ausreichend gefestigt ist, könnte dies fatale Auswirkungen auf das Selbstkonzept haben.

Schultafel

Vor der Klasse Leistungen erbringen © Alfred Diem under cc

Jemand, der schüchtern ist, wird bei mündlichen Leistungskontrollen häufig schlechtere Karten haben. Betrachtet er sich nun aufgrund der schlechten Noten zunehmend als schlechter Schüler, könnte dies in sein Selbstkonzept aufgenommen werden. Die Folge: Nun ängstigt er sich womöglich auch vor schriftlichen Klassenarbeiten, in denen er sonst vielleicht besser abgeschnitten hätte, weil ihm dort seine Schüchternheit nicht im Wege steht. Diesbezüglich scheint es also fraglich, ob Zensuren sinnvoll sind.

Überwindung von Ängsten durch Zensuren?

Als Argument dafür, dass Zensuren sinnvoll sind, hört man häufig: Schüler müssen lernen, ihre Ängste zu überwinden, dann stellt sich auch ein Erfolgsgefühl ein, das macht Zensuren sinnvoll. Aber eine „Umformung“ der Persönlichkeit ist so einfach nicht zu sehen. Diese Überwindung der eigenen Ängste entgegen der eigenen Persönlichkeit ist immer auch mit erheblichem Leistungsdruck, Belastung und Stress für die Schüler verbunden – ein weiterer Streitpunkt im deutschen Schulsystem. Und was ist vor allem mit denen, welche versuchen ihre Ängste zu überwinden, aber trotzdem nur „zweitklassige“ oder „schlechte“ Leistungen erbringen? Welche Auswirkungen hat dies auf ihr Selbstkonzept? Denken sie: Selbst wenn ich mich anstrenge, kann ich es nicht schaffen? Ängste, Motivationsverlust, Perspektivlosigkeit könnten die Folgen sein.

Letztendlich bleibt es also streitbar, inwieweit Zensuren sinnvoll sind. In Teil 2 dieser Serie werfen wir einen Blick auf alternative Schulansätze.