Selbstbefragung

Ramana Maharshi

Einer von Indiens großen Mystikern, Ramana Maharshi; G. G. Welling – Sri Ramanasramam, Tiruvannamalai, 606603, Tamil Nadu, India. gemeinfrei

Ramana sah zwar Satsang als den besten Weg an, aber er erkannte auch, dass es andere Zugänge gibt und nicht jeder von der reinen Gegenwart profitiert, wie er oder sie könnte. Für diese hatte er eine weitere einfache Methode parat, die Selbstbefragung. Die Frage lautete: ‚Wer bin ich?‘ oder, wenn er eine Frage gestellt bekam, war seine Antwort oft: ‚Wer ist es, der das wissen will?‘ Die erste Antwort würde stets lauten: ‚Na, ich natürlich‘ und auf die Frage wer man ist, würden die biografischen Daten kommen. Ich bin XY, soundso alt, jener Beruf, diese Freunde, Einstellungen und Hobbys. Ramanas Tipp war, das Ich von den Objekten zu lösen und zu schauen, was bleibt, wenn man von den eben genannten Zuschreibungen absieht.

Man kann sich aber auch selbst zum Objekt machen durch diese ‚technischen Daten‘, aber wer ist es nun wieder, der das tut? Ich kann meinen ganzen Körper durchgehen, ihn entspannen, mit ihm in Kontakt kommen und ihn genau spüren und dabei merken, dass ich nicht mein Körper bin, denn ich kann ihn ja wahrnehmen. Das hat auch einen sehr erdenden Effekt, um den es hier aber nur am Rande geht.

Ich kann auch meine Gedanken wahrnehmen, ebenso kann ich merken, was ich fühle, in welcher Stimmung ich bin. Aber wer ist dieses Ich, das dies merkt? Es kann ja all die genannten Aspekte: Körper, Empfindungen, Gefühle und Gedanken bezeugen, also ist dieses Ich nicht mit diesen identisch. Man könnte es als reflexive Instanz ansehen, aber auch, dass ich mich wahrnehme kann ich ja wiederum wahrnehmen und bin also auch das nicht. Dennoch ist dieser Teil immer da, denn er bezeugt ja alles was ich bewusst wahrnehme, auch noch meine Träume und dunkelsten Geheimnisse.

Ich kann feststellen, dass ich eine bestimmte Einstellung habe und mich dann fragen, warum ich die eigentlich habe und versuchen, das zu klären. Dass ich genau das tue, kann ich aber ebenfalls wahrnehmen auch das wird damit bezeugt. Dieser Zeuge ist das Selbst, es bleibt immer übrig, ist immer präsent, aber wer oder was ist es eigentlich? Was ist die Natur des Selbst? Wo ist es? Wer ist es? Der Frage kann man immer wieder nachgehen, auch im Alltag. Sie ist ungefährlich und sanft, sie kann zu meinem normalen Alltag parallel laufen und immer wenn man aufs Smartphone blickt, um Leerlauf und Langeweile zu überbrücken, könnte man auch dieser Frage nachgehen.

In der Meditation erlebt man immer wieder, dass einen die Gedanken entführen und wegtragen, die Spiritualität hat neben der Psychologie ebenfalls Antworten darauf.

Gedankenstopp mal anders

Bei belastenden und katastrophisierenden Gedanken hat es sich bewährt, diese mit einem bewussten ‚Stopp!‘ Signal zu unterbrechen und etwas anderes zu denken. Viele Techniken, die auch in psychologische Selbsthilfe# beschrieben wurden, vertiefen diese Unterbrechung und lenken die aufdringlichen Gedanken in eine andere Richtung, weiten den Blick, zeigen, dass man auch noch anderes wahrnehmen kann.

In der Meditation kann man diese Gedanken betrachten und sehen, dass sie sich auch austoben können. Indem man sie einfach anschaut, ohne ihnen nachzugehen. Man kann das kontrollieren, indem man seine Atemzüge zählt, beschrieben ist es im verlinkten Beitrag über Meditation.

Man kann die Gedanken oder ihren Strom aber auch bremsen oder für Momente gar nicht denken. Oder eben, wenn die Gedanken nicht zur Bewältigung konkreter Aufgaben in Arbeit oder Familie benötigt werden, zur Selbstbefragung zurück kehren und versuchen die Gedanken dorthin zu lenken und zu halten und das Selbst immer mehr zu erkennen.

Hier wird weniger eine Grenze gesetzt, die Gedanken werden eher auf eine immer weitere Lichtung geführt, eine grenzenlose, aber keine, die gefährlich ist und überfordert. Der Lohn ist Wohlbefinden. Das ist ungewohnt für uns, weil wir diese Denkweise und vor allem die Praktiken nicht kennen. Zudem haben wir im Westen eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Gurus, auch das hat Vor- und Nachteile.

Die Inseln der Ruhe

Aber gänzlich fremd oder prinzipiell unzugänglich ist uns das, worum es geht, nicht. Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie morgens ohne Wecker erwachen, irgendwie schon da sind, aber die Gedanken noch nicht geordnet haben? Am besten erkennt man das im Kontrast. Wenn man ein schlimmes Erlebnis hatte, wacht man am anderen Morgen auf, alles ist normal und mit einem Mal wird einem wieder klar, dass heute alles anders ist, weil sich gestern etwas ereignete.

Aber in dem Moment davor war man auch schon wach, bewusst und da, aber ohne dieses Wissen und die Phantasien um die Folgen. Man kann versuchen, in diesen offenen, weiten Zustand zu gelangen, man weiß ja in etwa, wie er sich anfühlt. Dafür ist die Erinnerung an schlechte Erlebnisse natürlich nicht nötig, sie diente nur zum aufzeigen des Unterschiedes.

Diese Offenheit findet man auch wenn man sich – wie ein Zen-Meister es lehrte – fragt, was genau in diesem Moment fehlt, um zufrieden zu sein. Das klingt verrückt, wenn man in einer echten Krise ist, weil man denkt: ‚Okay, wo soll ich anfangen und wie viel Zeit habe ich?‘ Aber wenn man auch diese Frage mal ernst nimmt und wirklich in den Moment, ins Jetzt geht und sei es nur für die Dauer eines Atemzuges, kann man vielleicht ein Gefühl dafür bekommen, dass es kein Unsinn ist, wenn man feststellen kann, dass genau jetzt … nichts fehlt. In dem Moment, wo man drüber nachdenkt, bricht wieder alles auf einen ein, das soll nicht geleugnet werden. Hier geht es nur darum, dass es auch anders herum geht: Man kann offen oder fokussiert sein um dieses Andere zu erlenen und wenn man noch genauer hinschaut ist beides kein Unterschied, sondern fließt zusammen.

Das ist uns kulturell eher fremd, aber inzwischen werden wir offener dafür, dass nicht alles was anders ist als unser Ansatz, gleich falsch oder dumm sein muss. Man kann es einfach probieren und schauen, wie es einem damit geht. Es spricht nichts dagegen, es geht ja um spirituelle Selbsthilfe, diese mit der psychologischen zu kombinieren, in Eigenverantwortung.

Informieren Sie sich und schauen Sie vor allem, was Ihnen gut tut, welcher der Weg ist, der Ihnen entspricht. Die Selbstkompetenz die man dafür entwickeln muss hilft einem auch später weiter, sie ist bereits Ausdruck der Selbstwirksamkeit.

Hingabe

Wem Selbstbefragung und Satsang nicht helfen, dem schlägt Ramana den Weg der Hingabe vor. Uns ist diese Demut ein wenig fremd geworden, sie entlastest psychologisch schon allein dadurch, dass man nicht mehr für alles in seinem Leben selbst verantwortlich ist. Wir wollen so oft, so vieles kontrollieren, natürlich stresst das auch, gerade in unseren komplexen Zeiten.

Hier verlangt uns Ramana zwar einerseits alles ab, wenn er sagt, dass Gott schon für alles sorgen wird, er knüpft damit aber exakt an unsere heimische Mystik eines Meister Eckhart an, der dasselbe sagt. Ramana sieht die Welt als Projektion des Ich-Gedankens und das ist für uns in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. Aber erinnern wir uns, es ging ja um spirituelle Selbsthilfe und da ist die Frage, wie es den Betreffenden eigentlich geht. Selbst wenn man seine Sicht verrückt findet, diese Verrücktheit würden viele von uns vermutlich gerne haben.

Vertiefend kann man sich durch diesen sehr guten Yogawiki-Artikel über Ramana Maharshi graben, auch die Videos sind zu empfehlen. Selbst wenn man denkt, dass die gedanklichen Zumutungen zu groß sind.

Lassen Sie sich nach eventuellen Erfolgen durch gelegentliche Rückschläge nicht entmutigen. Erfahrene Praktiker sagen, dass sie durch diese Praktiken Momente und auch längeren Episoden tiefer Seligkeit und Erkenntnisse empfunden hätten und einen Tag später ihrer Praxis nachgegangen sind und sich fühlten, als hätten sie noch nie zuvor praktiziert. Auch diese Phasen gehen aber wieder vorbei.