Eine toxische Beziehung betrifft nicht nur eine Partnerschaft, die von einem machtvollen Ungleichgewicht zwischen den Beteiligten geprägt ist. Toxische Beziehungen können auch Beziehungen innerhalb der Familie, Freundschaften oder die Zusammenarbeit mit Kolleg:innen betreffen. Aus psychologischer Sicht wird der Begriff Beziehung weiter gefasst und steht für jegliche soziale Beziehungen im Allgemeinen.
Nicht immer passt es, sich physisch aus einer solchen Verbindung zurückzuziehen. Dennoch können wir versuchen, uns mit psychischem Abstand aus dem narzisstischen Missbrauch zu lösen.
Toxische Beziehung: Keine Scheu vor professioneller Hilfe
Es gibt unterschiedliche Wege, um bei einer toxischen Beziehung auf Abstand zu gehen. Hilfreich und angebracht kann es mitunter sein, sich für den Weg der Heilung in eine psychotherapeutische Behandlung oder psychologische Beratung zu begeben. Gerade wenn man mit überfordernden Gefühlslagen oder negativen Gedanken, stark reaktiven Verhaltensweisen oder einem Leidensdruck sonstiger Art zu kämpfen hat, ist eine psychotherapeutische Intervention zumeist die Methode der Wahl. Scheu und Scham sind nicht notwendig, wenn man für den Weg der Heilung eine professionelle Hilfe in Anspruch nimmt. Es ist ein gangbarer und üblicher Weg, der von Stärke und Selbstfürsorge zeugt.
Die nachfolgend aufgeführten Punkte sind lediglich eine Aufzählung an Erkenntnissen, die das Leben positiv beeinflussen und beim Aufbau der inneren Unabhängigkeit hilfreich sein können, wenn man sich zum Beispiel aus einer toxischen Beziehung lösen möchte. Sie ersetzen selbstverständlich nicht die professionelle Tiefe und den Umfang einer Psychotherapie.
Toxische Beziehung: Erkenntnisse der Loslösung
Psychologische Gamechanger können dafür sorgen, dass man wenig hilfreiche Gedankenmuster auflöst, einen neuen Blick auf die Welt gewinnt und beispielsweise im Zuge dessen eine toxische Beziehung hinter sich lassen kann oder zumindest in einen gewissen Abstand zu ihr gehen kann. Nachfolgend haben wir einige Erkenntnisse zur inneren Loslösung aufgeführt, die gerade in Verbindung mit narzisstischem Missbrauch einen neuen Standpunkt vermitteln können.
1. Es ist nicht deine Aufgabe, andere zu retten
Vielleicht hast du dich schon als Kind oft schuldig oder für andere verantwortlich gefühlt. Und auch jetzt als Erwachsene:r fühlst du dich sofort angeklagt und in der Verantwortung, sobald irgendetwas schief läuft oder sich jemand in deinem näheren Umfeld schlecht fühlt. Gerade wenn man in der Kindheit oder später in einer Partnerschaft von den Bezugspersonen vermittelt bekam, man wäre schuld an deren Verhaltensweisen oder für deren Stimmungen, kann bei einem schnell die trügerische Illusion entstehen, das Verhalten anderer Menschen beeinflussen zu können. Wir bräuchten ihnen nur den optimalen Rat und die passende Unterstützung angedeihen lassen, dann nähme die Erkenntnis beim Gegenüber schon die richtigen Bahnen.
Die Wahrheit ist: Jeder Mensch zeigt das Verhalten, welches sein Innenleben widerspiegelt. Personen ändern sich nicht, so lange sie es nicht wollen oder für nötig erachten Insbesondere Menschen mit einer narzisstischen Charakterstruktur tun sich hinsichtlich Selbstreflexion und Änderungsbereitschaft schwer. Die Schuld für bestimmte Verhaltensweisen im Außen zu suchen und den eigenen Selbstwert durch Fremdabwertung und Selbsterhöhung zu schützen, ist Teil ihrer Bewältigungsstrategie im Umgang mit Emotionen oder den alltäglichen Herausforderungen.
Es ist folglich nicht deine Aufgabe, andere Menschen zu retten. Jede:r trägt für sich selbst Verantwortung. Zur Rechenschaft verpflichtet, bist du nur dir selbst und deinem respektvollen Umgang mit anderen.
2. Mit Kritik richtig umgehen
Eine toxische Beziehung bringt in den allermeisten Fällen einen selbstwertuntergrabenden und wenig respektvollen Umgang mit sich. Dazu gehört auch häufig eine persönliche, abwertende und wenig konstruktive Art der Kritik, mit der das Gegenüber emotional erreicht und der Frust abgeladen werden soll.
Üben Personen in dieser Weise an dir Kritik, so ist ihr wichtigstes Ansinnen allerdings nicht, dich zu verletzen, sondern sich selbst besser zu fühlen. Natürlich können sie auch beabsichtigen, dich damit verletzen zu wollen, doch zuvorderst wollen sie sich selbst vor einer potenziellen Selbstwertschädigung schützen und nehmen eine Erhöhung ihrer eigenen Person und eine Abwertung deiner Person vor. Letztendlich haben sie nur keinen anderen Weg als den, eine andere Person oder deren Leistung stark abzuwerten, um sich selbst besser zu fühlen.
Destruktive versus konstruktive Kritik
Eine destruktive Kritik sagt vor allem etwas über den Kritisierenden aus, und weniger über den Adressaten, den eine Person versucht, mit ihrer Kritik zu erreichen. Du kannst also zu dieser Kritik getrost in einen inneren Abstand gehen. Natürlich ist es schwer und erfordert etwas Übung, gerade wenn es sich bei den Bezugspersonen mit den dysfunktionalen Verhaltensweisen um Eltern, Geschwister oder eine:n langjährige:n Partner:in handelt. Doch für den eigenen inneren Frieden und das Vorleben richtiger Verhaltensweisen für die eigenen Kinder lohnt es sich, lieber distanziert zu bleiben, anstatt in seiner Verletztheit mit verbalen Pfeilspitzen zurückzuschießen.
Gerade wenn man im bisherigen Leben viel an Abwertungen einstecken musste, kann es sein, dass man häufiger negative Rückmeldungen wähnt selbst bei Personen, die es insgesamt gut mit einem meinen. Der Unterschied zwischen konstruktiver und destruktiver Kritik ist: Erstere bleibt sachlich und zugewandt, letztere ist stets persönlich.
Konstruktive Kritik, selbst wenn sie einen zunächst minderwertiger fühlen lassen sollte, kann erst einmal »veratmet« werden. Im zweiten Schritt kann man sich ihrer annehmen, so sie als berechtigt eingeschätzt wird.
3. Zufriedenheit auf dem Lebensweg
Betroffene, die in einem Bezugssystem groß wurden oder/und jahrelang lebten, das von narzisstischem Missbrauch geprägt ist, sind oft emotional beschwert. Statt Leichtigkeit und Gelassenheit finden sich bei vielen häufiger Phasen der inneren Leere, begleitet von Ängsten, Sorgen oder Traurigkeit. Psychotherapeutische Interventionen wie zum Beispiel Schematherapie, Traumatherapie oder EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) haben sich auf dem Weg der Heilung für viele bewährt.
Zudem können dir auf deinem Weg nützlich sein:
- Achtsamkeit, im Hier und Jetzt bewusst und dankbar sein; einen zu negativen Glaubenssätzen relativierenden, stärkenden Blick auf sich selbst und die Welt bewusst einüben
- meditative Praktiken (Yoga, bewusst ruhige Bauchatmung, Progressive Muskelentspannung)
- Verbindung mit Gleichgesinnten, positive soziale Beziehungen
- Schreiben eines Daily Journals/Tagebuchs zur Reflexion der eigenen Wünsche, Wertvorstellungen, Bedürfnisse und Verhaltensweisen; Aufschreiben von Selbsteinschätzungen, Glaubenssätzen und deren Ursprung, um sich beispielsweise mit den eigenen negativen Gedankenmustern, dem Ursprung von Schuld-, Scham-, Minderwertigkeitsgefühlen auseinanderzusetzen: Wie bist du? Welche Gedanken- und Verhaltensmuster willst du auflösen/ändern?
- eine solide Alltagsstruktur, die von Routinen der Selbstfürsorge unterstützt wird
Eine toxische Beziehung führt oftmals dazu, dass man seine eigenen Bedürfnisse und Werte, das eigene Ich aus den Augen verliert. Ein möglicher Leitfaden für den eigenen Lebensweg kann sein, mit den Wertvorstellungen in Verhalten und Lebenspraxis übereinzustimmen. Das bedeutet selbstredend nicht, bereits alle Lebensziele verwirklicht zu haben, sondern es steht vielmehr dafür, an der Umsetzung der individuellen Werte und Ziele zu arbeiten. Das ist ein wichtiger Bestandteil für die Entdeckung und Wahrung der Integrität sowie das Spüren von Zufriedenheit.
Wo siehst du dein Idealselbst in fünf Jahren? Welchen Werten und Lebenszielen möchtest du im Rückblick auf dein Leben entsprochen haben? Nicht immer wird alles klappen, was man sich vornimmt, das ist völlig normal. Auf den Versuch kommt es an.
Ein Weg kleiner Schritte
Es kann Phasen geben, in denen Ängste und Sorgen einen regelrecht überfluten können, etwa weil man sich einem vermeintlich unüberwindbaren Ereignis gegenüberstehen sieht. Bei der Angst vor dem nächsten großen Schritt, hilft es oftmals, zunächst einen kleineren zu machen. Das große Ganze also auf Teilziele herunter brechen. Oft sind es die Sachen, die wir am meisten fürchten, die eine vielversprechende Entwicklung mit sich bringen.
Toxische Beziehung verlassen: komplexer Prozess
Eine toxische Beziehung psychisch und/oder auch physisch zu verlassen und nach dem narzisstischen Missbrauch zu lernen, sich auf sich selbst zu konzentrieren, ist keine Kleinigkeit. Viel eher ist es ein komplexer Prozess, der so einige wichtige Erkenntnisse mit sich bringt. Im zweiten Teil der Artikelserie über den Weg zur inneren Aufrichtung haben wir weitere Tipps für dich: Narzisstische Personen hinter sich lassen: Wie man sich befreit – Innere Unabhängigkeit (2).