Das Schlafverhalten von Babys und Kleinkindern ist eines der Themen der frühkindlichen Erziehung. Bei Neugeborenen ist man sich noch weitestgehend einig. Niemand erwartet von diesen, dass sie durchschlafen. So werden z.B. aufgrund der Gefahr des plötzlichen Kindstod bei Neugeborenen nächtliche Unterbrechungen und die Nähe der Eltern beim Schlafen als selbstverständlich angesehen.
Doch je näher das Kind dem ersten Lebensjahr kommt, desto öfter werden Meinungen laut, man solle das Kind ausquartieren und Durchschlafen „antrainieren“.
Kinder schreien lassen, um Durchschlafen zu lernen?
In den letzten Jahrzehnten war man der Überzeugung, Babys und spätestens Kleinkinder müssten lernen durchzuschlafen. Man müsste sie nur entsprechend anleiten. Die wohl bekannteste und umstrittenste Methode ist die sogenannte Ferber-Methode, benannt nach dem Erfinder dieses Schlafprogramms (siehe z.B. Kast-Zahn & Morgenroth, 2007). Hierbei geht es um kontrolliertes Schreien lassen. Das Kind solle lernen, dass nachts niemand kommt und so zum Durchschlafen gebracht werden.
Inzwischen hat man herausgefunden, dass diese mit der Ferber-Methode behandelten Kinder anscheinend nicht wirklich durchschlafen. Tatsächlich würden sie noch genauso oft in der Nacht erwachen wie „unbehandelte“ Kinder. Da sie aber in der Hinsicht konditioniert wurden, dass auf ihr nächtliches Schreien niemand reagiert, machen sie sich auch nicht mehr bemerkbar (z.B. Lüpold, 2009).
Aus psychologischer Sicht ist diese Methode veraltet und bedenklich.
Mögliche negative Konsequenzen des nächtlichen Schreien lassen
Neben einem unguten Gefühl kann nächtliches Schreien lassen viele negative Konsequenzen beim Kind nach sich ziehen.
Beeinträchtigung der Mutter-Kind-Bindung und des Selbstvertrauens
Jüngere wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, wie wichtig auch das nächtliche Reagieren auf das kindliche Weinen ist (z.B. Lüpold, 2009). Gerade in Bezug auf die sichere Mutter-Kind-Bindung und die Schaffung des Urvertrauens beim Kind scheint nächtliches Schreien lassen fatal.
Ist die Objektpermanenz noch nicht hinreichend ausgebildet, wird das Kind glauben, Mutter oder Vater seien verschwunden und es fühlt sich allein gelassen. Es hat keine Chance sein Vertrauen darin zu entwickeln, dass Mama oder Papa da sind, um seine Bedürfnisse zu stillen. Eine vertrauensvolle Mutter(-Vater)-Kind-Beziehung ist somit erschwert.
Gerade mit ca. einem Jahr, wenn Kinder sich immer mehr von den Eltern aufgrund ihrer größer werdenden Mobilität entfernen, versuchen viele Eltern das Schreien lassen. Ein fataler Fehler, wenn man bedenkt, dass in dieser Zeit gleichzeitig besonders starke Verlustängste beim Kind vorhanden sind.
Darüber hinaus scheinen negative Konsequenzen für die Entwicklung des späteren Selbstbewusstseins zu drohen, da sich das Selbstvertrauen beim Kind aus dem Urvertrauen entwickelt (siehe z.B. Posth, 2009).
Geduld und Fürsorge, auch in der Nacht, kommen dem Kind also zugute, bis es selbst so weit ist, um durchzuschlafen.
Sinn und Zweck des natürlichen Schlafverhaltens von Kindern
Inzwischen ist erwiesen, dass sich das Schlafverhalten von Kindern von dem der Erwachsenen unterscheidet. Babys und Kleinkinder haben einen sehr aktiven Schlaf sowie ein zerstückeltes Schlafmuster mit vielen Übergängen (Tarullo et al., 2011).
Natürlich sind diese vielen nächtlichen Unterbrechungen für die Eltern sehr anstrengend, aber das typische kindliche Schlafmuster hat einen Zweck.
Evolutionsbiologische Begründung: Das Kind sucht Sicherheit
Zunächst einmal kann man das häufige Erwachen des Kindes evolutionsbiologisch begründen. Kinder erwachen, um zu prüfen, ob sie in Sicherheit sind und eine Bezugsperson in der Nähe ist. Wäre dies nicht der Fall, wären sie im ursprünglichen Sinne der Natur und ihren Gefahren hilflos ausgeliefert. Auch Erwachsene wachen des Nächtens auf, um die Umgebung zu prüfen, können sich daran aber meistens nicht mehr erinnern.
Lernpsychologische Begründung: Das kindliche Gehirn hat viel zu verarbeiten
Auch lernpsychologisch gesehen hat dieses typische Schlafmuster einen Grund. Es gibt Hinweise, dass das typische Schlafverhalten von Kindern das Lernen erleichtert (Tarullo et al., 2011). Das Kind lernt in den ersten Jahren viel und in rasantem Tempo. Dies alles muss verarbeitet und abgespeichert werden. Studien zeigen, dass der Schlaf eine Rolle bei der Gedächtniskonsolidierung spielt: Dass was das Baby im Wachzustand erlebt, wird im Schlaf gespeichert. Darüber hinaus erfährt das kindliche Gehirn auch im Schlaf eine sensorische Stimulation und lernt währenddessen weiter.
Ab wann schlafen Kinder durch?
Viele Psychologen sehen Schlafen als einen Reifeprozess (z.B. Lüpold, 2009). Wenn das kindliche Gehirn entsprechend ausgereift ist, wird Durchschlafen von allein geschehen. Der Zeitpunkt ist individuell unterschiedlich. Manche Kinder schlafen mit 2 Jahren durch, andere erst mit 4 oder später.
Interessant ist, dass vor allem in Deutschland erwartet wird, dass Kinder im Laufe des ersten Lebensjahres durchschlafen (Lüpold, 2009). In vielen anderen Kulturen, auch in westlichen, ist dies nicht der Fall. Hier geht man zum Teil von einem Durchschlafalter von 4-5 Jahren aus. Auch schlafen in vielen anderen Ländern Kinder wie selbstverständlich im Elternbett oder zumindest im Elternschlafzimmer, bis sie von selbst im eigenen Bett schlafen wollen.
Natürlich hilft Eltern das alles nicht viel, wenn sie mal wieder mit müden Augen morgens Kaffee kochen. Aber vielleicht hilft es zu verstehen, warum Kinder so „schlecht“ durchschlafen. Vielleicht hilft es auch die eigene Einstellung diesbezüglich zu ändern und das Ganze etwas positiver zu betrachten; auch um dem Druck etwas entgegensetzen zu können, wenn mal wieder die Frage nach dem Durchschlafen verneint werden muss und ein Stirnrunzeln beim Gegenüber hervorruft.
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Quellen:
- Kast-Zahn, A. & Morgenroth, H. (2007). Jedes Kind kann schlafen lernen (8. Aufl.). GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH.
- Lüpold, S. (2009). Ich will bei euch schlafen. Ruhige Nächte für Eltern und Kinder (2. Aufl.). Urania Verlag.
- Posth, R. (2009). Vom Urvertrauen zum Selbstvertrauen: Das Bindungskonzept in der emotionalen und psychosozialen Entwicklung des Kindes (2. Aufl.). Waxmann.
- Tarullo, A.R., Balsam, P.D. & Fifer, W.P. (2011). Sleep and Infant Learning. Infant and Child Development, 20, 35–46.
Dieser Artikel ist Teil einer Serie, welche sich mit Themen rund um die frühkindliche Erziehung beschäftigt. Lesen Sie dazu auch: