Angst vor Kontrollverlust bedeutet, dass man Angst hat, die Kontrolle über sich oder eine Situation zu verlieren. Ein solches Gefühl kann belastend sein, unseren Alltag und unsere Beziehungen beeinflussen. Jedem Menschen vermittelt Kontrolle ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität. Haben wir alles im Griff, so denken wir, werden wir Risiken besser managen können. Und es ist auch gut, wenn wir unsere Schritte im Leben gehen, um das zu erreichen, was wir erreichen wollen. Allerdings macht auch hier die Dosis das Gift. Es gibt diesen Spruch: „Willst du etwas kontrollieren, kontrolliert es dich.“ Denn je mehr man versucht, das Leben zu kontrollieren, desto stärker gerät man auch in emotionale Zustände von Anspannung, Stress und Ängsten. Außerdem werden wir zwangsläufig scheitern – weil wir nun einmal schlichtweg nicht alles kontrollieren können.

Ein weitaus erfolgreicherer Weg zu mehr innerer Ruhe und Selbstvertrauen dürfte der sein, bei dem wir das versuchen zu managen, was in unserem Einflussbereich liegt, und den Rest loslassen. Damit uns die Angst vor Kontrollverlust nicht länger im Griff hat.

Angst vor Kontrollverlust: Worauf sie beruht

Das Bedürfnis nach Kontrolle tragen wir alle in uns. Es ist in der menschlichen Psyche verankert. Gemäß dem deutschen Psychotherapeuten Klaus Grawe gehören „Orientierung und Kontrolle“ zu den vier zentralen psychologischen Grundbedürfnissen. Daneben gibt es „Lustgewinn und Unlustvermeidung“, „Bindung“ sowie „Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz“.

Mann Gesicht zweimal gespiegelt

Die Angst, die Kontrolle zu verlieren, hängt oft mit einem geringen Vertrauen in sich selbst zusammen. © Zach Chisholm under cc

Kontrolle hilft uns bei der Orientierung in der Welt. Sie schützt uns vor Unvorhersehbarem. Sobald wir uns bedroht fühlen, werden die meisten von uns alles daran setzen, durch Kontrolle wieder mehr Ordnung herzustellen. In unsicheren Zeiten, bei hohen Leistungsansprüchen, einem starken Sicherheitsbedürfnis oder zwischenmenschlichen Konflikten können wir schnell Gefahr laufen, die Kontrolle zu verlieren. Vor allem, wenn viel auf einmal kommt oder wir unsichere, dysfunktionale Bindungen haben, ist es kaum zu bewältigen, jede Variable steuern zu können.

Kontrolle als Belastung: Negative Folgen

Ein übermäßiges Kontrollbedürfnis kann in Perfektionsstreben, Zwanghaftigkeit und einem katastrophisierenden Denken gipfeln. Gerade perfektionistische Menschen haben ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle. In Zusammenhang mit Perfektionismus werden Fehler als Scheitern empfunden. Die Erwartungen an sich selbst sind überhöht. Perfektionismus kann schnell zu Zwanghaftigkeit führen. Die Kontrollrituale nehmen zu, wir versuchen, alles zu planen und uns gegen jedwede Eventualitäten abzusichern.

Diese Denkweise und die dabei empfundene Angst, etwas könnte schiefgehen, unterstützt das Katastrophisieren. Wir malen uns alle möglichen katastrophalen Szenarien aus (weil wir auf alles vorbereitet sein wollen). Nächtliches Grübeln und tagsüber langanhaltende Gedankenschlaufen gehen damit einher. Die Angst beherrscht uns und sie lähmt. Wir sind innerlich wie erstarrt und fürchten uns davor, weiter voranzugehen. Dann wieder wechseln wir in einen Modus der Überaktivität, weil wir alles schaffen wollen. Das wirkliche Leben im Hier und Jetzt, das Genießen, Entspannen und einfach mal Sein nimmt immer mehr ab. Häufig denken wir: Was, wenn etwas schief läuft? Wenn ich einen Fehler mache, geht sicher alles bergab und ich muss noch mehr tun. Diese Gedankenschleifen erhöhen den inneren Druck, den Alarmmodus unseres Nervensystems und erschöpfen emotional.

Vor allem Menschen, die in der Kindheit stressvolle bis hin zu traumatischen Erfahrungen machen mussten, versuchen, ihr Leben zu kontrollieren – um sich nie wieder ausgeliefert zu fühlen. Solche Gedankenmuster sind in Zusammenhang mit der Angst vor Kontrollverlust oft typisch: Wenn ich XY erreicht habe bzw. ein bestimmter Zustand eingetreten ist, dann werde ich entspannt/zufrieden leben können. Doch das ist ein Trugschluss. Das Leben ist nun einmal das Leben und das Einzige, was im Leben sicher ist, ist die Veränderung.

Paradoxerweise erzeugt Kontrolle also nicht mehr Sicherheit. Vielmehr steigert sie Ängste und Stresserleben. Und das wiederum könnte dazu führen, dass deine Leistungen schlechter werden. Weil zu viel von deinen kognitiven Kapazitäten in Ängsten und Katastrophengedanken gebunden sind. Vielleicht kennst du auch diese Menschen, die mühelos und entspannt das Leben meistern und immer irgendwie zurechtkommen. Ihr Schlüssel zum Erfolg ist, dass sie sich einfach weniger einen Kopf machen. Sie tun das, was erforderlich ist, und lassen den Rest auf sich zukommen.

Loslassen: Die Antwort auf Kontrolle

Der entscheidende Schritt, um der Angst vor Kontrollverlust zu begegnen und das übermäßige Kontrollbedürfnis zurückzuschrauben, ist das bewusste Loslassen. Das heißt natürlich nicht, dass wir fortan einfach alles laufen lassen und in den Tag hineinleben. Es heißt auch nicht, dass wir anderen Menschen mehr Verantwortung aufbürden.

Loslassen steht dafür, sich von der Illusion zu verabschieden, alles steuern zu können. Dazu müssen wir lernen:

  • mit Unsicherheit zu leben
  • uns trotz der Ungewissheit sicher zu fühlen
  • den Wunsch nach Kontrolle bewusst durch Vertrauen zu ersetzen (Vertrauen in Gott, Schicksal, das Leben und auch in uns)
  • darauf zu vertrauen, dass wir es selbst schon hinbekommen werden, wenn etwas schiefgeht (Vertrauen, dass wir zu jeder Zeit angemessen handeln können)
  • die innere Stabilität und unseren Selbstwert von äußeren Umständen zu entkoppeln (Egal, was passiert: unser Selbstwert und unsere innere Festigkeit bleiben davon unberührt)

Was heute dringlich, ist morgen oft egal

Waldweg mit Schranke und Laub

Gedächtnispfade sind wie Waldwege: Je mehr wir grübeln, desto breiter werden sie, und die Gedankenketten laufen irgendwann ganz automatisch ab. © Thomas Kohler under cc

Du wirst überrascht sein, wenn du darauf achtest: Vieles, was dir heute als dringlich und enorm wichtig erscheint, ist morgen oft schon egal. Das Meiste weißt du gar nicht mehr. Angelegenheiten, die heute unsere Konzentration und unsere emotionale Kraft binden, relativieren sich mit der Zeit ins Gleichgültige. Um dir das vor Augen zu führen, kannst du eine Zeit lang mal eine Katastrophenliste schreiben. Vermerke darin:

  • Was denkst du, was in Bezug auf ein bestimmtes Ereignis passieren wird?
  • Was ist im Nachhinein tatsächlich passiert?

In den meisten Fällen treten deine antizipierten Katastrophen gar nicht ein. Das wirst du sehen.

Außerdem hilft dir vielleicht folgende Erkenntnis:

Mache dir bewusst, dass nahezu keine Entscheidung endgültig ist. Auch ist nicht jedes Problem existenziell. Vieles ist schlichtweg gar nicht wichtig.

Kontrolle loslassen: Das kannst du tun

Es gibt bewährte psychologische Methoden, die dir dabei helfen, die Kontrolle schrittweise abzugeben und so deine Angst vor Kontrollverlust zu meistern. Im Vorhinein sind einige bereits angeklungen.

1. Akzeptanz von Unsicherheit

Akzeptiere die Unsicherheit als Teil des Lebens. Kein Mensch – egal, wie viel Geld er auch immer haben mag – kann sich gegenüber allen Eventualitäten absichern. Lerne also zu akzeptieren, dass es Unsicherheit im Leben gibt und du diese aushalten kannst. Du wirst sehen, es ist gar nicht so schwer. Auch das ist eine Frage der Gewöhnung. Wer Unsicherheiten akzeptieren lernt, wird gedanklich flexibler, weil er weniger in Ängsten feststeckt.
Gehe deine Schritte und lasse ansonsten los. Denke nicht weiter darüber nach. Du wirst sehen, vieles folgt seinem natürlichen Lauf.

2. Bewusst vertrauen

Wie gesagt: Das Gegengewicht zur Angst und dem zu starken Wunsch nach Kontrolle ist Vertrauen. Menschen, die Angst vor Kontrollverlust haben, haben oft auch mit Selbstwertproblemen zu kämpfen. Sie vertrauen einfach nicht genug auf sich und das Leben. Entscheide dich bewusst dafür zu vertrauen:

  • Vertraue in das Leben.
  • Vertraue in deine eigenen Fähigkeiten.
  • Vertraue in andere Menschen: Das bedeutet, dass du ihnen zugestehen kannst, dass auch sie ihr eigenes Leben bewältigen können. Warum ist dieser Hinweis an der Stelle wichtig? Menschen, die Angst vor Kontrollverlust und ein übermäßiges Bedürfnis nach Kontrolle haben, haben oftmals auch das Problem, dass sie sich für alles verantwortlich fühlen. Wendet sich jemand mit einem Problem an sie, fühlen sie sich sofort dazu aufgefordert, etwas tun zu müssen. Gleichermaßen fühlen sie sich schuldig, wenn sie es nicht tun. Ein gesundes Vertrauen in andere zu entwickeln, ist also ebenso wichtig.
  • Vertraue in deine Lernprozesse und deine Anpassungsfähigkeit: Diese Form des Vertrauens stärkt deine Selbstwirksamkeit. Du entwickelst die tiefe Überzeugung, auch mit schwierigen Situationen umgehen zu können – beispielsweise wenn mal nicht alles nach Plan verläuft.

3. Gedankenstopp-Technik

Die Gedankenstopp-Technik haben wir schon oft in Artikeln erwähnt. Sie ist eine effiziente psychologische Methode. Bei belastenden Grübelschleifen hilft dir ein innerer Gedankenstopp. Gedächtnispfade sind wie Pfade im Wald. Wenn du sie immer wieder gehst/denkst, treten sie aus und werden breiter. Folglich kommen dir diese Gedanken wie automatisiert sofort ins Gehirn. Baust du vor die belastenden Grübelpfade gedanklich eine Schranke – einen Stopp –, können sie wieder zuwuchern. Sage dir:

„Stopp. Nächster Gedanke.“

Frau mit silbernen Maskenpixeln vorm Gesicht

Aus Angst vor Kontrollverlust grübeln wir und haben kaum noch Kapazitäten für Gedankenspielräume. © Violetta Raine under cc

Und dann lenkst du dich ab, bleibst achtsam in der Gegenwart oder arbeitest bewusst mit einem positiven Gedanken dagegen. Entscheide dich bewusst für eine hellere Gedankenwelt. Oftmals fühlen wir uns unseren Gedanken ausgeliefert. Doch wenn wir beginnen, mit ihnen zu arbeiten, werden wir feststellen, dass sie durchaus beeinflussbar sind. Es braucht nur etwas Zeit und Geduld.

4. Achtsamkeit und Gegenwartsfokus

Achtsamkeit hilft dir, im Hier und Jetzt zu bleiben und dich nicht in irgendwelchen hypothetischen Zukunftsszenarien zu versteigen. Techniken wie Body-Scan, Atemübungen oder achtsames Gehen unterstützen dich dabei, die problematischen Gedankenmuster sowie die damit verbundenen Ängste zu stoppen. Du kannst bei einem Angstschub auch ein Glas Wasser trinken, langsam und gleichmäßig. Aus der Forschung weiß man, dass die Schluckbewegungen beim Trinken einen beruhigenden Einfluss auf das Gehirn haben. Zudem klart Wasser den Kopf. Du wirst mit Abstand und klarem Kopf besser denken können.

5. Katastrophisieren stoppen

Anstatt sich in Worst-Case-Szenarien zu verlieren, kannst du dich fragen:

„Was wäre das Schlimmste, was passieren könnte? Und wie würde ich damit umgehen?“

In nahezu allen Fällen zeigt sich: Zwar wäre es unangenehm und mit Aufwand verbunden, aber handhabbar.

6. Perfektionismus relativieren

Arbeite an deinem Umgang mit Fehlern. Akzeptiere sie und mache deinen Wert nicht davon abhängig. Fehler sind oft die besseren Lernerfahrungen. Also lerne, Fehler zu mögen. Mit Perfektion geißelst du dich selbst. Die Kosten sind zu hoch für das, was am Ende dabei herauskommt. Vieles ist gar nicht so wichtig und gut genug zu sein reicht vollkommen aus.

Ein hilfreicher psychologischer Kniff ist immer, sich vorzustellen, wie man zu einer befreundeten Person in der Situation sprechen würde. Würdest du sie zu Höchstleistungen peitschen wollen? Oder würdest du ihr sagen: „Mach dich nicht verrückt. Das ist es nicht wert. Du wirst auch so gut genug sein und es wird ausreichen.“


Dadurch erkennst du, wie hart du eigentlich mit dir selbst ins Gericht gehst.

7. Visualisierung: Gedanken loslassen

Eine weitere effiziente psychologische Übung nennt sich: Blätter im Fluss-Übung. Imaginiere dabei, wie deine belastenden Gedanken, deine Ängste, Zweifel wie Blätter auf einem Bach/Fluss an dir vorbeiziehen und forttreiben. Lasse sie auf den Blättern davonziehen. Halte sie nicht fest. So kannst du visualisiert schadhafte Gedanken und Gefühle loslassen. Diese Übung bringt eine emotionale Distanz und fördert über die bildhafte Vorstellung das Loslassen.

Die Angst vor Kontrollverlust bekämpfst du, indem du dich bewusst dafür entscheidest, an dich zu glauben. Kontrolle loszulassen steht nicht automatisch dafür, in Passivität zu verfallen. Es geht viel eher darum, starre Gedankenmuster und durchgeplante Katastrophenpläne und Wenn-Dann-Muster aufzubrechen, damit dein Geist flexibel und klar funktionieren kann. So stärkst du deine Selbstwirksamkeit und ermöglichst dir Handlungsspielräume. Vertraue in deine Fähigkeit, flexibel mit dem Leben umzugehen und es schon irgendwie bewerkstelligen zu können. Nimm außerdem etwaigen Rückschlägen ihren bedrohlichen Charakter. Sie gehören ganz normal zum Leben dazu. Lass dich vom Fluss des Lebens durch das Leben tragen – ohne dich oder deine Fähigkeiten ständig zu bewerten oder gar abzuwerten. Stärke deine Selbstwert mit einfachen Tricks.

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