Seit 14 Jahren führt Verena K.* ein Leben mit Schizophrenie. „Anfangs half es, nett zu den Stimmen zu sein“, sagt sie. Doch mit der Zeit seien die Stimmen bedrohlicher geworden. Ein Interview.

„Abends habe ich mich im Schrank versteckt.“

Verena, gibt es einen bestimmten Punkt im Leben, den Sie als Beginn der Erkrankung charakterisieren würden?

Wann genau ich das erste Mal, die Stimmen gehört habe, kann ich gar nicht mehr sagen. Manchmal waren es Geräusche, wie zum Beispiel die Dunstabzugshaube, bei denen ich dann die Stimmen vernommen habe. Es waren immer dieselben drei: Lucifer, Ahasver und ein Lichtwesen. Anfangs sagten sie, dass ich mich mehr anstrengen müsste. Dass es nicht reichen würde. Das wurde dann immer schlimmer. Sie sagten mir, dass ich hässlich sei und dumm und meine Arbeit nicht schaffen würde. Wobei das Lichtwesen mitgemacht hat und mich zwischendrin immer wieder beruhigt hat. Dann wurde es wieder gehässig. Anfangs half es, nett zu den Stimmen zu sein. Doch sie wurden mit der Zeit immer schlimmer. Sie haben gesagt, ich darf nur Cornflakes essen, nichts anderes mehr. Weil ich böse war und meine Arbeit nicht geschafft habe. Ich habe sehr abgenommen in dieser Zeit und nur noch 48 kg gewogen. Wenn ich abends von der Arbeit gekommen bin und trotzdem etwas anderes gegessen habe, wussten sie es und schrien mich an. Sie haben mir gedroht, mich zu holen. Sie haben gesagt, wir bringen dich um! Jeden Abend habe ich mich in mein Zimmer eingeschlossen, das Licht angemacht. Ich habe mich im Schrank versteckt. Mir die Arme zerbissen. Sie sind immer lauter geworden. Sie haben gesagt, dass sie mich holen kommen. Und ich habe mir die Beine zerkratzt.

bemalte Mauer mit Schrift

Leben mit Schizophrenie: Bruchstücke des Geistes fügen sich zu einer neuen Wahrnehmung. © thierry ehrmann under cc

Vielleicht war es auch schon früher. Dieser Verfolgungswahn, wie ihr das nennt. Denn ich erinnere mich, dass ich mit vierzehn zwei Jahre lang jede Nacht mein Bett mit Kuscheltieren ausgepolstert hatte und selbst auf einer Luftmatratze neben dem Bett geschlafen habe, weil ich Angst hatte, meine Mutter könnte mich erstechen. Danach kam ich ja in die Fürsorge.

Glauben Sie, dass Ihre Kindheit eine Rolle gespielt hat in Bezug auf die Erkrankung?

Kann sein. Meine Tante hatte auch Schizophrenie. Sie ist aus dem Fenster gesprungen, da war ich ungefähr acht. Es war das Dachgeschoss von einer alternativen Heilstätte. Sie hat versucht, den Stimmen mit Gebeten entgegenzutreten. Das weiß ich noch. Meine Mutter hat mich früher oft erniedrigt, auch vor anderen. Ich sollte nicht so fett werden, wie mein Vater, der von ihr abgehauen ist. Meine Mutter hat mich geschlagen, wenn ich ein schlechtes Zeugnis hatte. Aber auch viel unterschwellig. Das schaffst du sowieso nicht. Schau mal, wie deine Freundinnen das machen. Die kriegen das besser hin. Meine Mutter trinkt. Ich hasse und liebe sie. Im Gespräch mit meiner Psychiaterin habe ich festgestellt, dass Lucifer die Stimme meiner Mutter hat. Nicht die Tonlage. Sondern, was er sagt.

„Sie haben geschrien, dass sie mich holen kommen.“

Haben Sie außer den Stimmen und den Wahnvorstellungen weitere Symptome bei sich beobachtet?

Ich glaubte, dass Menschen in der U-Bahn meine Gedanken hören können. Manchmal haben mir auch die Stimmen gesagt, dass der- oder diejenige mir gegenüber mich hässlich findet. Dass sie das in deren Gesichtern sehen könnten. Und ich würde stinken. Sie rümpfen die Nase. Es wäre besser, ich würde mich vor die U-Bahn werfen. In schlimmen Phasen haben die Stimmen gar nicht mehr aufgehört. Sie waren die ganze Zeit da. Jede Sekunde. Das hat mich depressiv gemacht. Wobei ich früher auch schon sehr depressiv war, noch vor der Schizophrenie. Es gab Tage, da lag ich im Bett und konnte mich nicht mehr bewegen. Es ging einfach nicht. Ich hatte oft Kopfschmerzen. War ständig müde. Auf Arbeit konnte ich mich auch immer kaum konzentrieren. Und dann abends wurden die Stimmen wieder wütend, weil ich nicht gut war. Sie haben geschrien, dass sie mich holen kommen. Ich habe Angst gehabt, dass jeden Moment die Schranktür aufgerissen wird und er (Lucifer, Anm. der Redaktion) dasteht. Irgendwann bin ich dann immer im Schrank eingeschlafen. Am nächsten Morgen waren sie wieder da.

Sie sagten, Sie seien vor der ersten akuten Episode schon depressiv gewesen. Gab es noch andere Symptome, die Ihnen vorher aufgefallen sind und bei denen sich im Nachhinein rausgestellt hat, sie könnten in Zusammenhang mit der Erkrankung stehen?

Ich war schon immer sehr ängstlich. Ich habe Todesangst, sobald ich mich nicht konzentrieren kann. Ich habe auch schon immer Angst gehabt, dass Menschen schlecht über mich reden. Oft bin ich am Grübeln und kann meine Gedanken nicht ordnen. Ich bin unkonzentriert. Dazu bin ich licht- und geräuschempfindlich. Und ich mag es nicht, wenn viele Menschen um mich rum sind.

Wann haben Sie sich entschlossen, Hilfe anzunehmen?

Als die erste Phase vorbei war und die Stimmen leiser, dachte ich, das war es jetzt. Aber eigentlich habe ich da schon gewusst, dass es immer so weiter gehen würde. Die dunkle Energie in mir ist zu stark. Die weiße zu schwach. Jetzt wird die dunkle im Zaum gehalten durch die Medikamente. Viele Medis haben nicht geholfen. Von einem bin ich ohnmächtig geworden. Aber dann haben wir die richtige Kombi gefunden. Das Amisulprid hilft mir. Meine Psychiaterin ist sehr nett, selber hochsensibel. Das ist wichtig. Von manchen Ärzten wird man nicht ernst genommen. Ich bin auch sehr empfänglich bei Nahrungsmitteln. Wenn ich Cola trinke, werden meine Gedanken schneller.

Sie haben mir erzählt, dass Sie sich selbst eingewiesen haben. Wann war das?

Ja. Als die nächste Psychose sich angedeutet hat. Es wurde wieder schlimmer. Erst habe ich Muster im Badezimmerboden entdeckt. Die haben sich bewegt. Eine Linie kam immer von oben nach unten, dann eine von links nach rechts, dann ging die von unten immer nach oben. Jetzt habe ich einen Teppich drüber gelegt. Auch in der Werbung waren versteckte Botschaften. Da war zum Beispiel dieser Spot mit Milch. Und ich dachte, jetzt wollen sie mich wieder verführen, mehr zu essen. Überall Schokolade. Und ich durfte doch keine Milchprodukte essen. Jedenfalls wurde es immer stärker. Als wenn sich etwas in meinem Kopf verdunkelt. Ich hatte Angst, dass es wieder so schlimm wird. Und dass ich dann nicht mehr einigermaßen klar entscheiden kann. Also bin ich in die Psychiatrie.

„Was Eltern zu Kindern sagen, wird später zu deren innerer Stimme.“

Zeichnung einer Frau mit Selbstverletzung

Zeichnung einer Kriegerin mit Selbstverletzung © CHRISTIAAN TONNIS under cc

Wobei hat Ihnen die Therapie geholfen?

Die Medikamente haben die Stimmen weggemacht. Ich bin so froh, dass das vorbei ist. Aber ich habe immer Angst, dass sie wiederkommen. Meine Psychiaterin ist sehr nett. Die Gespräche haben viel geholfen. Sie hat mir gesagt, dass die Stimmen aus mir selbst kommen, die Stimmen sind meine eigenen Zweifel. Die dunkle Energie generiert sie. Ich glaube, dass das mit meiner Kindheit zu tun hat. Ich habe neulich mal gelesen, dass Eltern aufpassen müssen, was sie zu ihren Kindern sagen, da das später zu deren innerer Stimme wird. Das fand ich richtig. Natürlich erkrankt nicht jeder, so wie ich. Aber jeder hat eine innere Stimme, die einen ermutigt oder Angst macht.

Wie gestalten Sie Ihr Leben? Sie gehen arbeiten, sagten Sie.

Ja, ich arbeite. Früher hatte ich einen Job mit viel Stress. In einer Bank. Da habe ich versucht, die Stimmen auszublenden. Tagsüber konnte ich mich gut ablenken. Ich habe Bankleitzahlen vor mich hergesagt, die kannte ich ja auswendig. Tagsüber ging das. Nur abends wurde es immer schlimm. Jetzt arbeite ich in einer Werkstatt für psychisch Kranke. Die Arbeit ist gut. Ich habe Regelmäßigkeit. Struktur ist wichtig, hat meine Psychiaterin gesagt. Und kein Stress. Früher war alles so anstrengend. Ich versuche, dass mir egal ist, dass ich nicht mehr so gut bin. Das ich es nicht schaffe, in der Gesellschaft mitzuhalten. Wenn ich Stress habe, kommen die Stimmen zurück. Dann erhöhe ich meine Medikamente oder ich mache einen Termin bei meiner Psychiaterin. Ich glaube, in unserer Welt sind zu viele dunkle Energien, die machen krank. Mein Kopf hat mich gewarnt. Ich muss auf Schlaf achten. Wenn ich müde bin vom Tag, abends, dann könnten die Stimmen kommen. Dann muss ich schlafen. Wenn ich nicht einschlafen kann, nehme ich eine Schlaftablette. Ich versuche, gesund zu essen. Viele Haferflocken. Keinen Zucker. Der Darm steuert Emotionen. Ich habe Struktur. Eine Familie habe ich nicht. Aber Freunde in der Werkstatt. Ich bin oft schlapp, durch die Medikamente. Aber die Psychosen waren die Hölle. Absetzversuche sind gescheitert. Da nehme ich lieber die Medikamente. Ich mache Entspannungstechniken, male, lese und schreibe Tagebuch. Das ist wichtig.

Verena, ich weiß sehr zu schätzen, dass Sie dieses Interview mit uns geführt haben. Danke für Ihre Offenheit.

Ich habe auch zu danken. Es hilft, darüber zu sprechen. Vielleicht lernen die Menschen mehr über diese Erkrankung. Das war ein angenehmes Gespräch, Sie sind sehr freundlich.

Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute für Ihren weiteren Lebensweg.

*Name von der Reaktion geändert

Im zweiten Teil unserer Serie zu Schizophrenie sprechen wir mit der Mutter eines Mädchens, bei welcher die Diagnose „Kindliche Schizophrenie“ im Raum steht.