Vater hält Stirn des Sohnes an seine

Das schaffst Du! Ich-Stärke lebt auch vom Vertrauen der anderen. © Rolands Lakis under cc

Ich-Schwäche ist ein im Grunde immer mehr oder weniger gut kompensierter Mangelzustand und wie schon erwähnt, ist auf dem Weg zur Ich-Stärke die Psychotherapie ein verlässlicher Helfer. Sie ist einer der besten Wege um Ich-Stärke aufzubauen, aber leider ist auch die Therapie kein Garant und das hat mehrere Gründe.

Der erste und banalste: Längst nicht alle Menschen mit Ich-Schwäche gehen zur Therapie. Der häufigste Grund ist vermutlich, dass sie sich gar nicht krank fühlen. Wenn sie Probleme mit anderen haben, was häufig ist, sind die anderen das Problem. Würden die sich nicht so dämlich verhalten, alles wäre wunderbar. Und so sind die Reaktionen auf einen Therapievorschlag meist ein spöttisches Lächeln. Zur Therapie gehen diejenigen, die sich ängstlich, depressiv und unsicher fühlen, aber das ist eben nur eine Varainte der Ich-Schwäche.

Vielleicht ist eine Therapie irgendwann auf dem Weg ein unerlässlicher Baustein, aber auf jeden Fall ist sie nicht alles. Sie kann Initiator oder krönender Abschluss sein, meistens ist sie ein Turbo (wenn es gut läuft), der irgendwo in der Mitte des Weges zugeschaltet wird.

Verirrungen

Auf dem Weg zur Ich-Stärke gibt es vermutlich kein einziges Hilfsmittel, das man nicht falsch einsetzen kann. Stark werden wollen wir alle, irgendwie. Stark und unverletztlich. Aber der Wunsch, dass von einem an sich sensiblen Menschen alles abperlen möge, ist schwer zu erfüllen und letztlich auch nicht wirklich wünschenswert. Denn, vieles, was einem aus der Patsche hilft, ist erst mal ziemlich kontraintuitiv.

Da heißt es erst mal Kränkungen auszuhalten und das bedeutet, an sich heranlassen zu können, dass man ein Problem hat, was man nicht selbst lösen kann. Es erzählen einem auf einmal Menschen, die man zuvor nicht ganz für voll genommen hat, wie die Welt funktioniert. Andererseits hat man ja diese Probleme – gleich welcher Art – und so kommt es manchmal zu einer Verbraucherhaltung: „Dann zeig‘ mal, was du zu bieten hast und erklär‘ mir, wieso ich dann wieder besser funktioniere.“ Und hier liegt schon eine Komplikation vor. Denn einerseits, soll man ja gar nicht so weitermachen wie bisher, so ist man ja in seine Problematik hineingerutscht. Andererseits, ist es nicht jedermanns Sache und auch nicht Sinn der Übung, dass man sich nun so radikal verändert, dass man alles über den Haufen schmeißt, was bisher als richtig galt. Und so ist die erste Hürde:

Die Kränkung aushalten, dass man Hilfe brauchte

Für einen kompensatorisch starken Menschen mit Ich-Schwäche ist es eine Kränkung, dass er Hilfe brauchen könnte. Menschen mit diesem Problem erkennt man verhältnismäßig leicht, da sie gerne betonen, dass sie niemanden brauchen und stets alles in ihrem Leben aus eigener Kraft geschafft haben. Sie gehen auch gerne asymmetrische Beziehungen ein, in denen sie die Starken sind und ihnen und dem anderen klar ist, wie dankbar der auserwählte Partner sein kann, dass er erwählt wurde, denn das ist auch klar: Man könnte was Besseres haben.

Wenn sie dann wirklich mal Hilfe annehmen müssen, betonen sie gerne, dass sie das alles im Prinzip auch selbst könnten, aber aus Zeitmangel muss man dies und das eben delegieren, schließlich ist man selbst dazu berufen, sich um die wichtigen Dinge im Leben zu kümmern, die Sortierarbeiten können dann die anderen machen.

Die unsicheren Ich-Schwachen wissen, dass sie Hilfe brauchen und können diese auch viel besser annehmen. Sie sind oft dankbarer, können sich aber nicht vorstellen, dass sie jemals stark genug werden, so dass diese Hilfe später mal ausbleibt. „Mach du mal, ich schaff‘ das sowieso nicht.“ Das klingt demütig, allerdings liegt der Teufel hier oft im Detail, denn so wird verhindert, dass man überhaupt mal anfängt kleinste Dinge selbst zu machen. Dafür hat man inzwischen seinen Stab von Leuten, die immer wenn es mal nicht mehr geht, hilfreich zur Seite stehen und auch diese Beziehungen sind asymmetrisch, nur sitzt man selbst vermeintlich auf dem schwachen Pol. Aber es ist komplizierter, denn, wenn es einem so richtig schlecht geht, hat man ein starkes Druckmittel in der Hand, nämlich, dass es einem schlecht geht.

Die Kränkung aushalten, dass die Auswege oft sehr banal sind

Hier kreuzen sich die Wege der ’starken‘ und ’schwachen‘ Ich-Schwachen wieder. Die ‚Starken‘ sehen keine Notwendigkeit darin, sich überhaupt helfen zu lassen und sind auf diesem Ohr taub. Was sie gewöhnlich interessiert, sind Tipps für mehr Optimierung und Perfektionierung, wie man noch toller, einflussreicher und kontrollierender werden kann. Anders die ’schwachen‘ Vertreter, die sich durchaus helfen lassen, aber die Hilfe eher als Dauereinrichtung ansehen, denn als Hilfe, zur Selbsthilfe.

Die Dinge, die es zu tun gilt, dafür hat man andere und die drohen von der Fahne zu gehen, wenn es einem wieder besser geht. Obendrein ist das Ziel, das es anzustreben gilt, oft alles andere als attraktiv, damit ist kein Blumentopf zu gewinnen, es geht um die Eroberung der Normalität, des Alltags. An der Stelle ist es wichtig, die Spannung auszuhalten, dass das, was man erreichen will, oft etwas ist, wofür man nicht gelobt wird, eben weil es einfach nur normal ist.

Die Probleme von Menschen mit Ich-Schwäche liegen im Alltag, auf dem Weg zur Ich-Stärke geht es darum, den Alltag beherrschen zu lernen. Im Einzelfall ist es ein gewaltiger Schritt, wenn man nach Jahren das erste Mal einen Zug oder einen Supermarkt betritt, ein Restaurant besucht oder ein Date hat und man kann unendlich stolz darauf sein, nur ist das eben nichts, wofür die Welt einen feiert.

Wenn es einen aber nicht mehr so sehr interessiert, ob das andere interessiert, ist man auf einem guten Weg, denn das ist bereits Ich-Stärke: Etwas für sich zu tun, auch wenn man weiß, dass man dafür nicht groß gelobt wird. Man macht es „nur“ für sich. Und gerade das gilt es zu lernen. Man hat keine Großtat vollbracht und ist auch nicht der wichtigste Mensch der Welt, aber man hat die Normalität ein Stück weit erobert. Das ist nicht grandios, aber wichtig.

Das erste Ziel: Konventionalität und Normalität

Frau im Supermarktgang

Der normale Einkauf kann eine schwere Hürde darstellen. © Carsten Bach under cc

Gleich wie die eigenen Lebensziele sind, hilft es zu wissen, dass man von weiten Teilen der Gesellschaft einzig anhand einiger Eckdaten abgerastert wird. Das geschieht nicht, weil die Menschen oberflächlich oder boshaft wären, sondern es sind einfach die ersten Orientierungspunkte.

Einer davon ist, ob es einem gelingt, quasi unauffällig am Alltag teilzunehmen. Wer normal ist, wird nicht groß wahrgenommen und das ist je nach Disposition ein Segen oder ein Affront. Für viele Menschen mit Ich-Schwäche ist es kaum zu ertragen, wenn sie nicht in Erinnerung bleiben. Irgendwie besonders müssen sie erscheinen, oft nett und zuvorkommend, manchmal mit dem selbstverständlichen Gefühl ausgestattet, dass sich alles nur um sie zu drehen hat, egal wo sie sind. Und wieder eignen sich bestimmte Schwächen erschreckend oder verlockend gut, um genau das zu erreichen: indem man durch ein manchmal theatralisches Auftreten (oder subtile Drohungen, was alles passieren könnte, wenn …) signalisiert, dass die Welt Rücksicht zu nehmen hat.

Nicht mehr um jeden bewussten oder unbewussten Preis auffallen zu müssen, ist daher ebenfalls ein Zeichen von einsetzender Ich-Stärke. So paradox es klingt: Je unauffälliger man am normalen Leben teilnehmen kann, um so stärker ist man. Das heißt: weniger Extrawürste, weniger Beachtung, aber wenn man diese in der Vergangenheit dringend brauchte, braucht man sie auch jetzt noch und muss lernen offensiver Beachtung zu fordern. Man brauchte sie aus zwei Gründen:

Entweder, weil man in der Vergangenheit zu wenig davon bekam, etwa von Eltern, die keine Zeit für ihre Kinder hatten oder ihnen, aus welchen Gründen auch immer, keine Beachtung und Anerkennung schenken konnten. Dabei wollen Kinder gar nicht die ganze Zeit beachtet werden, sondern das Gefühl haben, dass wenn mal etwas ist, die Eltern auch verlässlich da sind und dann zuverlässig zuhören oder helfen. Das ist auch oft genug der Fall, aber nicht alle Eltern sind dazu in der Lage. Kinder solcher Eltern, müssen um Aufmerksamkeit und Anerkennung kämpfen und ein Weg ist, sehr begabt zu sein, ein anderer ist, krank, schwach und hilflos zu sein. Oft ausgerichtet nach dem, auf was die Eltern eher reagieren.

Der andere Typus ist mit Lob überschüttet worden und strotzt nur so vor Selbstbewusstsein, letzten Endes ist es aber ein unrealistisches und aufgeblasenes Selbstbewusstsein, was man daran sieht, dass diese Menschen später extrem dünnhäutig reagieren, wenn sie mit Kritik konfrontiert werden. Ob nun die Großartigkeit der ’starken‘ Ich-Schwachen tatsächliche Stärke oder nur Kompensation ist, wird neuerdings wieder kontrovers diskutiert. Wir werden dem gesondert nachgehen. Was es aber in jedem Fall gibt, sind die beiden polaren Erscheinungsformen der Ich-Schwäche (und auch sie bilden nur die Eckpunkte eines fließenden Übergangs ab): eine Ausprägung, die schwach und eine, die stark erscheint.

Die erste Weggabelung

Normalität ist das Ziel für beide, die Starken und die Schwachen, aber wenn ihnen dies irgendwann einmal klar ist – intellektuell ist das kein Problem, nur die Begeisterung hält sich auf beiden Seiten in Grenzen, schließlich ist ein normales Leben, genau das, was man die letzten 20 bis 60 Jahre vermieden hat – und nicht kurze Zeit danach schon wieder verleugnet wird, geht es darum am Ball zu bleiben und das ist in aller Regel nicht die Stärke von Menschen mit Ich-Schwäche.

Dabei sind beide Varianten oft schnell begeisterungsfähig. Bei den Schwachen mag immer mal wieder ein Phase von Angst und Depressionen eingeschoben sein, aber wenn es darum geht, dass es ein neues Wundermittel oder einen neuen exquisiten Ansatz gibt, nur bitte nichts, was auch alle anderen machen, denn das ist dann doch in der Regel nicht gut genug, dann sind auch sie Feuer und Flamme. Auch wenn es oft nur das bekannte Strohfeuer ist, denn auf so gut wie jede Idealisierung folgt über kurz oder lang, meistens kurz, die Enttäuschung und Entwertung. Was eben noch großartig war, ist dann unten durch und wird in der Regel auch nie wieder erwähnt.

Dieses rasch lodernde Feuer muss umgewandelt werden und eine dauerhafte kleine Flamme oder wärmende Glut. Man muss raus aus dem Wechsel von schnell lodernder Flamme und schwarzer Kälte, in der alles verbrannt ist. So ist es auch mit der Aufmersamkeit. Ich-schwache Menschen brauchen Aufmerksamkeit, das ist ihnen oft nicht klar. Die Starken wollen weiterhin gelobt werden, sind aber zugleich neidisch auf diejenigen, die sie loben, weil sie selbst nicht loben können. Sie müssen deshalb das Lob entwerten und damit wärmt es auch nicht mehr. Wird zum Urteil von Minderbegabten, die sowieso keine Ahnung haben. Und so muss neue Aufmerksamkeit her, von anderen, die erneut entwertet werden, ein ewiger Teufelskreis.

Die Schwachen sind nicht besser dran. Sie wissen allenfalls, dass sie ein schützendes Umfeld brauchen, was ihnen oft betont leid tut, so dass sie sich 1000 mal entschuldigen, auch für Dinge, für die es keiner Entschuldigung bedarf und gerade diese Übertreibung lässt ihre Dankbarkeit und Entschuldigung so unecht erscheinen, wie sie oft ist. Die eigene Schwäche ist keinesfalls immer unattraktiv und bindet oft einen Kreis von Helfern emotional. Dann und wann braucht man einen emotionalen Großbrand, der unterstreicht, dass die Lage noch immer sehr ernst und am besten lebensbedrohlich ist. Da es Helfer gibt, die sich von ich-schwachen Menschen besonders angezogen fühlen, haben manchmal beide Seiten kein Interesse daran, dass demjenigen, der Hilfe braucht auch dauerhaft geholfen wird, denn das gefährdet unter Umständen die Beziehung.

Der Weg der Schwachen

So müssen die Schwachen lernen ihr Bedürfnis nach Aufmerksamkeit zu erkennen, anzuerkennen und nicht peinlich berührt zu sein, sondern es offensiv einfordern. In einer idealen Welt wird man dafür geliebt, dass man ganz einfach da ist, lebt, aber nicht immer läuft es ideal und Menschen mit Ich-Schwäche sind in aller Regel nicht in idealen Verhältnissen groß geworden. Also muss man was tun, um sich beliebt zu machen und gut ist derjenige dran, dem das gelingt. Den schwachen Ich-Schwachen gelingt es oft nicht aber auf dem Weg zur Ich-Stärke ist dies nahezu unerlässlich, will man nicht wieder in das Muster der armen hilflosen Maus rutschen, der von allen so übel mitgespielt wurde und für die man doch deshalb Verständnis haben muss.

Doch die Welt der Psyche ist nicht ohne Komplikationen, eine davon ist der vermeintliche Wunsch normal sein zu wollen, ohne es zu wollen. Gar nicht so selten hört man von Menschen mit Ich-Schwäche einen Satz wie: „Ach, was wäre es schön, wenn ich …“ und der zweite Teil des Satzes ist einer, in dem man sich eine Tätigkeit aus dem normalen Leben der anderen heraussucht, die man auch so gerne können oder machen würde. Es ist Neid, der hier durchschimmert, ein Neid der manchmal verallgemeinert wird: „Alle können das, warum ich nicht?“, was mit dem bekannten „Warum immer ich?“ verwandt ist.

Hierbei handelt es sich aber um eine idealisierte Version des Lebens der anderen, bei der geschaut wird, was diesen leicht von der Hand geht, oder was sie für Privilegien haben, während man die Arbeit, die Pflichten und Mühen, die daran hängen, gerne ausblendet. Die Sahneteilchen hätte man gerne, aber die stete Übung, Disziplin oder das strenge Protokoll, einer Königin oder eines Filmschauspielers, Popstars oder einer sonstigen Berühmtheit dann doch lieber nicht. Dabei geht es gerade auch bei den Schwachen darum, am Ball zu bleiben, aus dem Strohfeuer der nächsten tollen Idee etwas Dauerhafteres zu machen, auch wenn es langweilig und entsetzlich durchschnittlich ist. Man will können, was die anderen können, aber nicht sein, wie die anderen sind, die das können. Hier kommt der manchmal überhebliche Zug der Ich-Schwachen ans Licht. Wer seinen Wunsch nach Aufmerksamkeit offen einfordern kann, der steht wenigstens dazu und braucht nicht herumzudrucksen. Aber am normalen Leben teilzunehmen und die eigenen Bedürfnisse offen einzufordern, ist für die Schwachen anfangs eine Welt, jenseits ihres Vorstellungsvermögens.

Der Weg der Starken

Offensiv etwas zu fordern ist für die starke Fraktion der Ich-Schwachen überhaupt kein Problem. Sie empfinden es eher als Zumutung, dass sie ihre Wünsche auch noch aussprechen müssen, wo doch das achtsame Umfeld längst wissen könnte, was das Genie jetzt braucht. So muss man sich herablassen und, oft ungeduldig und gereizt, sagen was man will. Was die Starken lernen müssen, ist das Scheitern. Ein Horror für sie, denn scheitern, tun nur die Schwachen und die Starken entwerten und verachten Schwäche. Da kommen sie nur raus, wenn sie sich selber mal als schwach und hilfebedürftig erleben und das tatsächlich bewusst konfrontieren können. Oft genug gibt es tatsächlich Bereiche, in denen sie schwach sind und dilettantisch agieren, aber dafür haben sie ihren Hofstaat. Der macht und tut und regelt das Leben (und vertuscht Fehler und Unvollkommenheit oder beseitigt die Scherben, die der Elefant im Porzellanladen angerichtet hat), ohne dass unser Genie mit Alltäglichkeiten belastet wird. Denn alle wissen, unser Held ist zu Höherem berufen und wenn es gerade jetzt bei ihm mal nicht läuft, dann nur, weil irgendein Trottel seine wahren Fähigkeit und Talente nicht erkennt oder aus Neid die Karriere behindert.

Manchmal gelingt ihnen aber tatsächlich der berufliche oder gesellschaftliche Aufstieg, der ihnen so wichtig ist. Sie ersparen sich die Erfahrung des Scheiterns dann natürlich erst recht und oft ist es tatsächlich so, dass man selbst Schiffbruch erleiden muss, um ansprechbar zu werden. Wenn einfach nichts mehr wie am Schnürchen läuft, dann hört man eventuell auf Rat und Hilfe.

  • Kein Mensch hat nur Stärken

Klar, weiß jeder, sollte man meinen. Die Starken unter den Ich-Schwachen sind allerdings anderer Meinung und das ganz ernsthaft. Ihr grandioses Selbstbild gibt ihnen das Gefühl, dass sie tatsächlich so ziemlich alles besser wissen und können, würden sie sich nur Mühe geben. Das tun sie oft nicht, weil ihre Strategie schon immer darin bestand, die Gebiete, in denen sie sich Mühe geben müssten zu meiden und zu entwerten – Wozu braucht man den Mist? – und ihre Talente auszubauen und zu betonen. Daher kommt es oft zu schroffen Asymmetrien, tatsächliche gute Leistungen (Spitzenleistungen vielleicht seltener, als man denkt) in einigen Gebieten, im Kontrast zu einer Ungeschicklichkeit in anderen Gebieten, manchmal bis zu einer ausgeprägten Lebensunfähigkeit. Aber, so ist ihre Überzeugung, würden sie sich anstrengen, wären sie auch auf anderen Gebieten die Besten.

Die Starken neigen oft dazu, einmal im Jahr der Welt zu beweisen, dass sie im Zweifel auch diesen banalen Quatsch viel besser als der Rest der Welt auf die Kette kriegen. Dann polieren an sich unordentliche Menschen alles auf Hochglanz oder machen drei Tage Dinge, die jemand von ihnen, nervtötenderweise, verlangt hat, um dann gezeigt zu haben, dass man es kann und zu signalisieren, dass man es, weil man es ja kann, zukünftig nicht mehr machen wird. Dafür hat man Dienstmägde und Laufburschen, die stumme Botschaft ist: „Ich schaffe den unwichtigen Kram spielend, du/ihr aber nicht die wirklich wichtigen Sachen.“ Und wirklich wichtig ist zufälligerweise genau das, worin der Starke gut ist. Das wird idealisiert, der ganze Rest entwertet. Gefordert wäre jedoch Teamfähigkeit und wechselseitige echte Anerkennung. Zu sehen, dass das, was der andere macht auch wichtig ist und kein lustiger Zeitvertreib. Das merkt man aber nur dann, wenn man es nicht einmal im Jahr, sondern wöchentlich oder gar täglich machen muss, eine Erfahrung, vor der die Starken sich drücken. Aber es geht auf dem Weg zur Ich-Stärke nicht um eine einmalige Spitzenleitungen, sondern um Solidität und Verlässlichkeit.

Sie sind in Wahrheit unzuverlässig und ausbeuterisch und finden das völlig in Ordnung, weil der Durchschnitt aus ihrer Sicht nur minderbegabt ist und bleibt, eine arrogante, aber ernst gemeinte Pose. Hier ist das Übungsfeld für die Starken, im vermeintlich Unwichtigen. Der Vorteil ist: Wenn man hier scheitert, ist es nicht so schlimm. Und wenn man sich bewährt, kann und muss man das Ganze noch mal machen und noch mal und immer wieder. Dann drei weitere unwichtige Aufgaben, bis man begreift, um was es geht. Oft genug um das normale Leben. Es bringt die Starken schneller an ihre Grenzen, als sie selbst glauben, doch wirklich wichtig ist die Erfahrung danach: Es geht nicht darum sie zu düpieren, sondern ihnen zu zeigen, wie kompliziert die Normalität, bei tagtäglicher Konfrontation eigentlich ist. Die Einsicht, die hier folgen könnte, wird die ersten 20 bis 500 mal nicht von Dauer sein, aber es ist gut zu vermitteln, dass es tatsächlich darum geht, lebenslänglich eingespannt zu sein. Das klingt nicht nur wie Haft, es fühlt sich für die Starken auch so an, aber auf dem Weg zur Ich-Stärke ist Verlässlichkeit wichtig und unvermeidbar.

  • Kein Mensch hat nur Schwächen

Eine ebenso banale Botschaft, aber die Schwachen leugnen sie, aus einer Mischung aus echter Frustration und Gewohnheit. Sie wissen zwar oft, wo die Reise hingeht, sind aber der ehrlichen Auffassung, dass sie nie und nimmer dazu in der Lage sein werden und richten sich daher in ihrer eben noch tolerierbaren Minimalversion der Welt ein. Sie verlassen das Haus nicht, gehen nicht unter Menschen, bleiben auf ihrer privaten Scholle und sind alleine oft kaum lebensfähig.

zwei Männer beim Abwasch

Verlässlich zu sein, auch wenn es nicht immer Spaß macht, ist wichtig. © Michael Beat under cc

Das normale Leben ist für sie unendlich weit weg, weil schon die ersten und kleinsten Schritte auf diesem Weg sie überfordern und das nicht gespielt, sondern wahrhaftig. Sich ins Gedrubbel der Stadt zu stürzen, ist für sie oft Folter, Shoppen ist kein Genuss, sondern eine Bedrohung und es können nahezu alle Bereiche des Lebens betroffen sein, die dann zur Qual werden. Das kränkt, deprimiert und es ist fast folgerichtig, wenn man innerlich mit dem Thema normales Leben abschließt, denn das wird, so meint man, ohnehin nichts.

Dazu kommt, dass man just die Aktivitäten, von den man sich vollkommen überfordert fühlt, in ihrer Bedeutung überhöht. Man hat eventuell Höhen- oder Flugangst, eine soziale Phobie, die es einem unmöglich macht, vor vielen Menschen eine Rede zu halten, aber vielleicht muss man das ja gar nicht? Denn es gibt Tausende Berufe und Aktivitäten, die das gar nicht erfordern und gar nicht so selten, hat man das etwas verschrobene Ideal im Kopf, man müsse unbedingt das, was man so gar nicht kann tun und möglichst glänzend beherrschen, sonst hätte man sein Leben verspielt. Das, was man nicht kann, ist auf einmal der wichtigste Bereich der Welt. Rein technisch entspricht das den überwertigen Ideen, die bei ich-schwachen Menschen häufig vorkommen, aber noch etwas anderes ist auffällig:

Die Starken, wie die Schwachen unter den Ich-Schwachen fokussieren sich auf einige wenige Bereich, die sie zu den wichtigsten Bereichen des Lebens erklären: Für die Starken sind es jene Bereiche, die sie gut bis ausgezeichnet beherrschen. Keine noch so absurde Kombination von Eigenschaften ist davor gefeit als die perfekte Kombination überhaupt idealisiert zu werden und für die Schwachen ist es ebenso: das was sie nicht können und was sie vielleicht nie erreichen werden, ist genau das, was das Leben lebenswert macht. Für die Starken sid die wirklich wichtigen Fähigkeiten und Eigenschaften genau jene sind, die sie sich selbst zuschreiben, während der Mangel an eben diesen auf Seiten der Schwachen, zu der Überzeugung führen kann: „Ach, mein Leben ist ohnehin zerstört.“ Alles, was nun noch folgen könnte, ist ein fader Ersatz, ein Plan B, der irgendwie nur noch rettet, was zu retten ist und mit einem gelungen Leben nichts mehr zu tun hat.

Auf dem Weg zur Ich-Stärke ist es daher von fundamentaler Bedeutung, diese Muster aufzuknacken. Es gibt es auch ein gutes Argument, was dafür spricht: Sie sind falsch. Es sind über Jahre verfestigte Muster, die sich selbst speisen und am Leben erhalten. Denkerisch kann man sich das klar machen, aber der geübte Starke oder Schwache hat durch die jahrelange Gewohnheit
für jedes Argument auch ein Gegenargument parat und in seiner Welt immer ein Heimspiel, das seine Letztbegründung in einem: „Ich bin eben anders“ oder: „Keiner versteht, wie ich wirklich bin“ findet.

Der Weg zur Ich-Stärke ist nie nur theoretisch zu gehen, die Praxis ist unerlässlich. Doch auch sie ist alleine nicht genug, denn man findet ohne größere Not keine rechte Motivation, um etwas zu ändern. Die Starken fühlen sich wunderbar und leiden höchstens daran, dass die Welt nicht so vollkommen und perfekt ist, wie sie sich empfinden; die Schwachen wären schon eher motiviert, sind aber ob des langen Weges völlig verschreckt, wenn schon der Weg zum eigenen Briefkasten eine manchmal unüberwindbare Hürde darstellt.

Man muss die ausgefeilten Abwehrstrategien der eigenen Psyche kennen und erkennen, dann hat man eine Chance weiter zu kommen und die Ich-Schwäche in Ich-Stärke umzuwandeln und es gibt zahlreiche Hilfen auf dem Weg zur Ich-Stärke, in der nächsten Folge stellen wir sie vor.